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Viertes Kapitel
ОглавлениеDon Juan zeigte sich bei Tische, wo er Mariclées Nachbar war, als ein ungewöhnlich begabter und vielseitiger Mann und wie einer selbstgefällig seine Hand ausstreckend, geschliffenes Glas im Lichte dreht und wendet, so drehte und wendete er ihr alle Fazetten seines Geistes zu und ließ sie funkeln und gefiel sich mit viel Natürlichkeit und noch mehr Geschick an seinem eigenen Feuer. Es trug niemand eine Tiara und sie waren nur zu sechs: Don Juan und Mariclée, ihre Freundin, deren Gatte Lord S., seine Mutter und seine Schwester. Mariclée hatte nicht gedacht je wieder hier zu sein, und wie fühlte sie sich doch wieder mit ihren innersten Fibern an dies prunkvolle und interessante Haus gewöhnt, als sei etwas von ihrem Geiste all die Weil in diesen Mauern zurückgeblieben. Wie hatten sie selbst die Schauer der oberen Zimmer wieder angeheimelt, da sie die alten Eindrücke so unverändert wiederfand. Die Pracht der Möbel, der Gobelins und Kamine war es ja nicht allein, denn in Museen sieht man vereinzelt, wie ausgestopft, solche Stücke. Sondern überall das Zusammentönen und -leben dieser stillen Truhen, dieser alten Teppiche, dieser seidenen Draperien und Quasten, mit den schlanken Fachkästen und Stühlen und dem kunstvoll so rein und naiv gewundenen oder skulptierten Holz. Wo an den niedern Wänden der Raum nicht von den Wappen mit den ausgehauenen Löwen ausgefüllt, oder köstliche Schreine eingelassen waren, zogen sich durch jene oberen Zimmer hindurch früh mittelalterliche Gobelins. Lange Prozessionen schritten da einher, Könige, Bischöfe und Heilige; edle Jungfrauen blickten rührend und ernst, und hinter dem Stuartbett heute wie damals eine geheimnisvolle schöne, eine große, weinende Gestalt. Alles dies hatte sie schon erlebt und ihr stilles Wiedererkennen war ein inneres Grüßen. Ob es die Gespenster schon wußten, daß sie wieder gekommen war?
Man hatte sich nach Tische in den großen Saal verfügt, und Mariclée war mit ihrer Kaffeetasse an das äußerste Ende gegangen, und staunte wie die Beauvais, die alten Möbel und Bilder, die ausgeschüttete Pracht kostbarer Dinge hier wie zu leuchtender Musik zusammenflossen, als sie plötzlich merkte, daß Don Juans schwerer Blick auf ihr ruhte. Aber sie hielt ihn aus und lächelte ein wenig, ein Lächeln, das ihn intrigierte, weil er es nicht verstand.
Und dann saßen sie alle beisammen und man sprach für den Rest des Abends von nichts anderem mehr, als von Politik. Es war der Sommer, in dem es in ganz England nur ein einziges Thema gab: Das Budget; und Mariclée dachte für den Rest des Abends nur mehr an dies Budget, das sie nichts anging.
Es war schon vorgeschrittene Nacht, als sie auf ihr Zimmer kam. Der weiche Glanz der mächtigen Hänglaternen vermochte so wenig wie die Morgenstrahlen die Düsterkeit dieser Gänge zu verscheuchen, als könnten Jahrhunderte nichts daran rücken. Sie dachte an den jungen Mann, der damals ihr gegenüberwohnte. Was mochte wohl aus ihm geworden sein? Da öffnete sich dieselbe Türe und Leporello glitt mit einer Wasserkanne aus dem Zimmer seines Herrn: sie sah im Fluge schimmernde Spiegel, anheimelndes Kerzenlicht, und wohl an die zwanzig Schuhe am Boden hingereiht. Ach, morgen früh würde er Glenford schon verlassen! sollte sie denn wieder wie damals diesen Flügel ganz allein bewohnen? Aber gottlob, neue Gäste waren ja erwartet! mochten sie drei Diademe übereinander tragen!
Und sie betrat ihr Zimmer; blickte auf ihr Bett, auf die maskierte Türe. Wie illusorisch war die Zeit! es gibt vergangene Dinge, die nicht vorüber sind, ob wir sie auch vergaßen. Und eine Nacht von ihren damaligen Nächten war geblieben. Denselben Ton, dieselbe Stimmung nahm sie wieder mit innerem Erblassen wahr. Aber sie traf ihre Maßregeln, drehte das Licht nicht ab, sondern umflorte es mit einer rosa seidenen Schärpe.
Am nächsten Morgen hörte sie die Stimme ihrer Freundin, die vom Garten aus nach ihr rief. Sie folgte ihr und beide gingen plaudernd die Terrassen auf und nieder, als Don Juan aus dem Hause trat und sich zu ihnen gesellte; es hatte sich ein Irrtum mit seinem Zuge herausgestellt und vor Nachmittag konnte er nicht fahren.
Die Sonne stieg höher und sie setzte sich mit den beiden unter einen Baum, dessen mächtiges Gezweige einen weiten Schattenring am Rasen zog. Sie gerieten bald sehr eifrig ins Gespräch. Das intellektuelle Prestige der Deutschen ist in England ebenso enorm, wie ihre Unbeliebtheit; so viel hatte Mariclée schon heraus. „Daß die Engländer die Deutschen nicht kennen,“ sagte sie, „ist nämlich gar nicht wahr: Deutsche und Franzosen kennen einander nicht, aber zwischen uns und England besteht nichts anderes, als ein durch das Tantengetratsch der Zeitungen immerwährend hin- und hergetragner Bruderhaß. Wenn wir einmal zu einer Verständigung kommen, gibt es eine Familienfeier, wie sie kolossalischer nie dagewesen ist.“
„Und inzwischen das Tempo, mit dem ihr eure Dreadnoughts beschleunigt!“ warf ihre Freundin ein.
„Und inzwischen euer Argwohn!“ seufzte Mariclée.
„Unser sehr berechtigter Argwohn,“ schloß Don Juan.
Und wohin sie in England kam, es hallte ihr über die Deutschen nirgends ein anderer Ton entgegen!
Zum Schluß natürlich — wie wäre es anders möglich gewesen? — sprachen sie von Liebe.
Es war zuvor von Politik die Rede gewesen, und es reizte Mariclée, Don Juan gegenüber die These zu verfechten, die Politik sei eine passionelle Ader und ein großer Staatsmann könne nicht zugleich eine Laufbahn als homme à bonnes fortunes verfolgen; sie zitierte dabei Bismarck, Beaconsfield und Gladstone.
Don Juan, der wie so viel andere Konservative, bei den letzten Wahlen seinen Sitz im Parlament verloren hatte, wollte dies nicht gelten lassen. Er nannte Goethe und Napoleon; allein sie ließ den einen ebensowenig als einen wirklichen homme à femmes gelten (Napoleon nämlich) wie den andern als eigentlichen Staatsmann. Er sammelte flugs andere Leute und schickte englische Politiker ins Treffen, deren Biographie sie nicht genügend kannte. Übrigens war er bezaubernd. Es ist hart zu sagen, aber nicht die Liebe, die man hegt, sondern etwas so Abhängiges, wie die Liebe, die man einflößte, diese ist die abtönende und feilende Kraft, die so wenig für unseren Wert, aber so einzig für unsere Geltung entscheidet. Was ihn trug, war nicht sein eigenes Feuer, noch die Gefühle, die er etwa empfand, sondern es war die Gewalt, welche ihm die Frauen zugestanden, und der Reflex ihres Blutes, nicht das Spiel seines eigenen, hing ihm wie ein Purpur an. So war es nur natürlich, daß er die Liebe als etwas so Unentrinnbares hinstellte. „Unentrinnbar?“ wiederholte fragend Mariclée und ließ ihre Blicke in die Ferne schweifen. „Ist sie so einfach? Unser Hang in eure Arme zu sinken ist doch ebenso elementar wie unsere Scheu euch zu verfallen. Ihr glaubt nicht recht daran, weil es ein Zug ist, der euch fehlt. Denn ihr seid uns zwar untreu, jedoch nicht abgeneigt.“
Es amüsierte sie so, ihm das zu sagen.
Und diesmal widersprach er nicht, nur wollte er diesen „Zug“ sehr einfach auf einen Instinkt der Selbsterhaltung zurückleiten; die Liebe griffe so ungleich mächtiger in unsere Organismen ein, daß die Natur selbst in größerer Zurückhaltung Schutz suche. Aber dies war den Freundinnen doch nicht subtil genug. Freilich destillierten sich die höchsten Dinge aus den primitivsten, aber wie ein Grundstein die erste Bedingung zu schwebenden Pfeilern sei. Man brauche ihn nicht zu sehen und für das Bild des Ganzen sei er unbeträchtlich.
Und so disputierten sie hin und her, um sich dann wieder auf irgendeinen Scherz des Don Juan hin zu einigen, bis sie die Luncheon-Glocke unterbrach.
Bei diesen Luncheons fand Mariclée vor allem zwei Dinge nach Wunsch: daß man seinen Hut aufbehielt (man zog meist bis gegen Abend damit herum) und daß man sich selbst bediente. Der butler und sein Generalstab erschienen nur zu Anfang, reichten einiges herum und zogen dann wieder ab. Auf den mächtigen Seitentischchen brannten Flämmchen unter den silbernen langstieligen Kasserolen und warfen Reflexe auf die farbigen Teller, das Gold und Silber der Bestecke, die feierlichen Platten, die da warteten. Nichts aber von allen Speisen schien ihr so prächtig zu einem Stilleben geeignet, wie zerlegte grouse. Die Teile schichteten sich mit so satter Kompaktheit auf, der Ton des Fleisches, mit seiner, wie in sich ruhenden Fülle, war so souverän, daß zu ihm gehalten solch alltägliche Dinge wie Indiane oder Fasane jede künstlerische Berechtigung verloren. Es war das Ideal.
Mariclée ging eben mit ihrem Teller spazieren, als eine junge und sehr elastische Gestalt, die ganz mit Schleiern und hellen Tüchern bedeckt schien, zur Tür hereinwehte. Es war die Herzogin von R. . . Sie sah aus, als käme sie von einem Ritt durch die Wüste und sei soeben vom Höcker ihres Kamels herabgeglitten; es stand aber nur ihr Auto draußen auf dem Kies und sie war gekommen, um den Don Juan darin mitzunehmen. Erst als sie den Schleier von ihrem Gesichte zurückschlug, sah Mariclée, daß die Jugend von ihr entwichen war. Wenn aber eine junge Schönheit uns entzückt, so haben die Reize einer schön gebliebenen Frau etwas, das uns begeistert. Ist die Zeit etwas so Niedriges, dachte sie bei ihrem Anblick, daß alles, was ihr widersteht, so edel wirkt?
Es kam auf der Stelle und unter großem Wehklagen die politische Lage zur Sprache. Daß Tags zuvor ein englischer Pair im Parlament übel bestanden hatte und die Liberalen die besseren Führer aufwiesen, war ein Grund mehr, gegen sie erbittert zu sein. Der Name Churchill, der in Deutschland so bereitwillige Erwähnung findet, war in diesen Kreisen geächtet. Er hatte soeben in einer glänzenden und insolenten Rede die Herzöge arg zerzaust, und diese immens reichen Herren, die Roseberry those poor but honest dukes zu nennen gewagt hatte, ironisiert. „And we are so poor!“ klagte die Herzogin.
Man war von Tisch aufgestanden und hatte sich in die Halle verfügt, denn es war dort am kühlsten. Mariclée schlich indes in die Bibliothek, um diese Rede, die ihr entgangen war, nachzulesen. Sie brauchte eine ganz Weile, um sie herauszufinden, vergrub sich dann mit ihrer Zeitung in einen tiefen Lehnstuhl und machte sich gewissenhaft darüber. Da ging plötzlich die Türe auf, und Don Juan trat herein.
„Ich komme mich zu verabschieden“, sagte er. Und wie er vortrat und lächelnd auf sie zukam, und ihre Hand faßte, und sie hielt und die Hoffnung aussprach ihr wieder zu begegnen, so daß unwillkürlich ihre Haltung der seinigen entsprach, und sie ihn ansehen und ein wenig lachen mußte, — das Ganze war ein Meisterstück. Weiß doch ein Frauenkünstler so geschickt mit ihnen umzugehen wie ein Virtuos mit seiner Geige. Zwar kannte sie ja die Art, und das Prinzip war überall dasselbe: selbst nach flüchtiger Begegnung leichthin den Schein anzunehmen, als sei ein Eindruck hingenommen worden, einzig zu dem Zwecke, daß ein Eindruck hinterbliebe.
Aber aber — — — zufällig war ihr schon der Don Juan Deutschlands und Frankreichs, Don Juan d’Austria, ja sogar der Süditaliens begegnet. Und nichts sieht einem Erleben so ähnlich wie ein Erkennen.