Читать книгу Kinderwunschkind - Annette Riemer - Страница 4

II. Karin und Stefan wollen ein Kind

Оглавление

Karin und Stefan wollen ein Kind. Sie haben schon eins, mit dem sind sie sehr zufrieden, aber sie wollten von Anfang an drei Kinder haben. Vor allem Karin. Das ist der Plan. Und alles läuft so schön nach Plan in ihrem Leben, denkt sich Karin manchmal, wenn sie die Hecken zum Nachbargrundstück stutzt, und freut sich darüber. Eigentlich geht es uns ganz gut, weiß auch Stefan, wenn er mal über den Rand von seinem Computer sieht und weiter denkt. Eigentlich könnten wir ruhig weiter expandieren. Es ist gerade die richtige Zeit dafür.

Also setzt Karin die Pille ab und zieht neue Laken auf. Wie das mit dem Windeln war, hat sie schon längst vergessen. Und die Koliken, die Max in den ersten drei Monaten hatte, sind auch nicht mehr in Karins Kopf. Und das Geheule, als die ersten Zähne kamen, auch nicht. Zwei Jahre Abstand, denkt Karin, sind perfekt. Und es muss doch schön sein, einen großen Bruder zu haben. Sie hätte sich so einen damals für sich gewünscht und nun wünscht sie so einen für ihr zweites Kind. Den großen Bruder hat sie schon, nun fehlt nur noch das zweite, das neue Kind – das wird es gut haben bei uns, ist sich Karin sicher.

Nur manchmal, wenn sie Stefan reitet und er ihr wie immer so ein bisschen unbeholfen die Vorderfront abtastet, dann denkt sie an ihr Bindegewebe, das nicht mehr so straff ist wie früher. Um den Bauch rum wird es trotz zwei Mal die Woche Fitnessstudio nie mehr wieder so sein, wie es mal war. Und der Beckenboden wird auch nicht besser von noch einer Geburt. Und die Brüste erst … Stefan sieht das nicht so, weil er nichts sieht, aber Karin sieht alles. Auch das, was gar nicht da ist. Und dann fragt sich Karin, ob es das wirklich wert ist. Körper gegen Kind – in Karins Kopf führen sie einen harten Kampf. Aber dann sieht sie Stefan an, der neuerdings dabei immer so sehr ins Schwitzen kommt. Wenn er sie hält, muss er ab und zu eine Pause machen. Oder er lehnt sie an die Tür, die kalt ist und ihr die Stimmung versaut. Oder er setzt sie mal kurz auf dem Fensterbrett ab, was auch nicht viel besser ist. Erst denkt Stefan, dass Karin das nicht mitbekommt: dass er nicht mehr so fit ist in letzter Zeit. Bürojob eben, denkt er sich, und so schlimm ist das ja nun auch wieder nicht. Das Wesentliche klappt ja schließlich. Und ab Mai, wenn es wärmer draußen ist, will er sowieso wieder joggen gehen, dann regelt sich das alles wieder von alleine. Aber auch im Juli wird es nicht besser von den zwei, drei Mal, die Stefan bis dahin joggen war. Und dann bemerkt er, wie Karin ein mitleidiges Lächeln nicht weglächeln kann und er vermutet, dass sie denkt, er müsse doch mal wieder mehr Sport treiben, also wirklich mal Sport treiben, so wie sie. Aber Stefan, der an seinem kleinen Bauchansatz eigentlich nichts auszusetzen hat, vermutet da völlig falsch.

Denn Karin denkt nicht an Stefans Sport, sondern an Stefans Vater, der ein Herzproblem hatte und schon gestorben ist, und sie fragt sich, ob das vererbbar ist und bekommt Angst. Nicht, weil sie Stefan so sehr liebt. Das schon. Aber dann wäre sie ja alleine, so wie Stefans Mutter jetzt in ihrem großen Haus, und das wäre noch viel gruseliger. Das brächte ihren ganzen Plan vom Leben durcheinander, in den Stefan als Vater-Verdiener-Tanzpartner ganz unabdingbar reingehört und in dem kein neuer Vater-Verdiener-Tanzpartner vorgesehen ist. Weil ein zweiter Vater-Verdiener-Tanzpartner so ein bisschen danach klingt, als wäre Karin zweite Wahl. Findet sie. Außerdem würde das Haus vielleicht nicht so gut zu dem zweiten Mann passen. Oder die Kinder, von denen sie aber derzeit erst Max hat.

Also vergisst Karin ihr Bindegewebe auch gleich wieder und pfeift auf Beckenboden und Brust und konzentriert sich ganz auf Stefans mögliches Herzproblem und zieht ihn noch fester in sich hinein und saugt alles von ihm gedanklich in sich auf und legt schon währenddessen die Beine hoch und denkt ganz fest an das weiße Zeug, das bitte, bitte, bitte in die richtige Richtung fließen und ein Kind werden soll. Noch ein Kind, dann noch ein Kind. Drei Kinder sind geplant. Drei Kinder kann sich Karin gerade so vorstellen. Zwei Jungs und ein Mädchen sollen es sein, wenn es geht. Aber Karin nimmt auch andere. Nur drei müssen es sein, drei Kinder. Genauso viele kann sie bewältigen und großziehen und lieb haben, glaubt sie. Mehr nicht, leider. Die wüchsen ihr über den Kopf, glaubt sie. Aber weniger dürfen es auf keinen Fall sein, weil Karin sonst zu oft an all das denken würde, was passieren kann, wenn man nicht aufpasst. Und auch, wenn man aufpasst. Und an die Einsamkeit, die so ganz gegen den Plan wäre. Mit drei Kindern ist sie gegen jegliches Alleinsein abgesichert, sollte Stefan nicht mehr da sein. Nur bis die alle da sind, soll er doch wenigstens durchhalten, denkt sich Karin und vermutet so für sich: Wenn er mich liebt, dann macht er das auch mir zuliebe. Jetzt das zweite Kind und dann, in zwei Jahren, das nächste. So lange muss Stefan noch mitmachen. Dann ist alles gut.

Karin hat mit ihrem Psychologen darüber gesprochen und der sagt: „Das kommt daher, dass Sie ein Einzelkind sind.“ Das findet Karin blöd, weil es so wie ein Vorwurf an ihre fortpflanzungsfaulen, übervorsichtigen, egoistischen Eltern klingt. Und noch verbissener reitet sie Stefan das weiße Zeug aus dem Hirn, denn auf keinen Fall möchte sie so sein wie ihre Eltern. Und auch will sie nicht, dass ihre Tochter – die noch zu zeugen sein wird – einmal genauso schlecht von ihr denken wird. Nein, Karin will nicht fortpflanzungsfaul und übervorsichtig und egoistisch sein. Sie will nur nicht einsam sein! Und sie nickt immer fleißig mit dem Kopf, wenn Stefan meint, dass es jetzt eigentlich die richtige Zeit für noch ein Kind wäre, und zieht ihn gleich wieder mit hoch ins Schlafzimmer. Und bekommt schon Lust, wenn er nur so komisch guckt. Und auch, wenn er gar nicht guckt.

Und hinterher liegt Stefan neben ihr und sagt: „Schon allein dafür lohnt es sich“ – weil er es nicht besser weiß, weiß Karin, die gerade an Eizellen und Spermien denkt und daran, dass sie das jetzige Arbeits- und künftige Kinderzimmer gelb streichen werden. Weil das neutral ist. Junge, Mädchen. Komme, was wolle. Und Stefan, der Depp, sieht nur den geilen Sex und kapiert nicht, dass Karin nur ganz eilig ein Kind von ihm will und sonst nur normal scharf auf ihn ist. Und nicht mehr als sonst. Aber sie lässt Stefan in seinem Irrglauben, weil er sich dann besser fühlt und mehr Lust hat und es besser, länger und mit mehr Schwung schafft. Und Schwung ist wichtig, falls Karins Eizellen noch im Eileiter rumtrödeln. Wenn Stefan alles gibt, freut sich Karin und gibt ihrerseits noch ein bisschen mehr als das. Damit Stefan noch mehr gibt und Karin noch mehr Grund zur Freude hat. Zur Vorfreude.

Aber manchmal muss Karin dann plötzlich weinen, ganz leise. Weil es so schwer ist, gegen das Alleinsein anzukämpfen und anzubumsen. Weil sie erst das ganze eklige Zeug von Stefan in sich kriegen muss, um schwanger werden zu können. Weil Stefan dabei auf ihr rumschwitzt wie ein Schwein und sich auf ihr suhlt wie in einer Schlammkuhle. Oder unter ihr so unappetitlich japst, als würde er gleich den Herzkasper bekommen, den Karin schon kommen sieht und von dem Stefan und selbst der Kardiologe, zu dem Karin ihn geschleppt hat, noch nichts wissen. Weil jedes Kind ihr Bindegewebe immer weiter ausleiert und sie sich umso weniger als Frau fühlt. Nur noch als Mutter und Schweinekuhle. Und mal ehrlich: Wer hat denn heute schon noch drei Kinder? Doch nur Assis.

Aber drei müssen es trotzdem sein, denkt Karin und wischt sich schnell die Tränen von der Wange. Wegen der Einsamkeit in ihr. Und weil sie Kinder gern um sich hat, denen sie wie den Blumen in ihrem Garten beim Wachsen zugucken kann. Und so zieht sie Stefan, der sein Glück gar nicht fassen kann, gleich noch mal auf sich und zieht die Soße in sich hoch wie durch einen Strohhalm. Drei Kinder sind schön, eine schöne Familie. Junge, Mädchen, Junge – das wäre schön. Karin ist bereit dazu, empfängnisbereit. Der erste Junge ist schon da, der Anfang ist gemacht. Alles läuft nach Plan – und doch würde Karin am liebsten ihrer Eizelle einen Stups in die richtige Richtung geben, Stefans Spermien entgegen. Komm schon, denkt sie und hofft, dass Stefan jetzt nicht schon wieder eine Pause macht. Und hofft und hofft und hofft.

Kinderwunschkind

Подняться наверх