Читать книгу Die wichtigsten Werke von Annette von Droste-Hülshoff - Annette von Droste-Hülshoff - Страница 7
Erstes Kapitel
Der Edelmann aus der Lausitz und das Land seiner Vorfahren
ОглавлениеSoeben hat die Schloßglocke halb zehn geschlagen – es ist eigentlich noch gar nicht Nacht – ein schmaler Luftstreifen steht im Westen, und zuweilen fährt noch ein Vogel im Gebüsche drüben aus seinem Halbschlafe auf und träumt halbe Kadenzen seines Gesanges nach – dennoch ists hier fast schon Nacht – soeben hat man mir eine schöne neue Talgkerze gebracht – Holz in den Kamin gelegt, um einen Ochsen zu braten, und nun soll ich ohne Gnade in die Daunen. – Unmöglich, ich emanzipiere mich, heimlich, aber desto sicherer, und niemand sieht es mir morgens an, daß ich allnächtlich den stillen Wohltäter des Hauses mache und auf Wasser und Feuer zwar nicht achte, aber doch achten würde, wenn dergleichen Dinge hierzulande nicht unschädlich wären, wie ich wohl schließen muß, wenn ich jeden Abend Knecht und Magd mit flackernden Lampen in Heuboden und Ställen umherkriechen sehe. Diese alten Mauern, die doch wenigstens ihre drei Jahrhunderte auf dem Rücken zu tragen scheinen! seltsames schlummerndes Land! so sachte Elemente! so leise seufzender Strichwind, so träumende Gewässer, so kleine friedliche Donnerwetterchen ohne Widerhall! und so stille, blonde Leutchen, die niemals fluchen, selten singen oder pfeifen, aber denen der Mund immer zu einem behaglichen Lächeln steht, wenn sie unter der Arbeit nach jeder fünften Minute die Wolken studieren und aus ihrem kurzen Stummelchen gen Himmel schmoken, mit dem sie sich im besten Einverständnisse fühlen! Vor einer Viertelstunde hörte ich die Zugbrücke aufknarren, ein Zeichen, daß alles ab und tot ist und das Haus fortan unter dem Schutze Gottes und des breiten Schloßteiches steht, der, nebenbei gesagt, an einigen Stellen nur knietiefe Furten hat; das macht aber nichts, es ist doch blankes Wasser, was darüber steht, und man könnte nicht durchwaten, ohne bedeutend naß zu werden: Schutz genug gegen Diebe und Gespenster! – Die Nacht wird sehr sternenhell werden, ich sehe zahllose milchichte Punkte allmählich hervordämmern, – drei Hühnerhunde und zwei Dachse lagern auf dem Estrich unter meinem Fenster und schnappen nach den Mücken, die die dekretierte Nacht noch nicht wollen gelten lassen. Aus den Ställen dröhnt zuweilen das leise Murren einer schlaftrunkenen Kuh oder der Hufschlag eines Pferdes, das mit Fliegen kämpft – im Zimmer meines guten Vetters von Noahs Arche her brennt das einzige Nachtlicht; was soll ein ehrlicher Lausitzer machen, der um elf seine letzte Pikettpartie anzufangen gewohnt ist? Um mich liegen zwar die Schätze der Bibliothek: Hochbergs >Adeliges Landleben<, Kerssenbrocks >Geschichte der Wiedertäufer<, Werner Rolevinks >De moribus Westphalorum< und meines Wirtes nicht genug zu preisendes Liber mirabilis – aber mir geht es wie den Israeliten, die sich bei dem blanken Manna nach den Fleischtöpfen Ägyptens sehnten; o Dresdener Staatszeitung, o Frankfurter Postreiter, die ihr mich so manches Mal in den Schlaf gewiegt habt, wann werden meine Augen euch wiedersehen? Können die Heringe und Schellfische des Münsterschen Intelligenzblattes meine politischen Stockfische ersetzen? Aber warum schreibe ich nicht, oder vielmehr, warum habe ich nicht geschrieben diese zwei Monate lang? Bin ich nicht im Lande meiner Vorfahren? Das Land, das mein Ahn, Hans Everwin, so betrübten Herzens verließ und in sauberem Mönchslatein besang, wie eine Nachtigall in der Perücke? O Angulus ridens! o prata fontesque susurro etc.etc.
Ich weiß es, wie mich einst freuen wird, diese Blätter zu lesen, wenn dieses fremdartige Intermezzo meines Lebens weit hinter mir liegt; vielleicht mehr, als ich jetzt noch glaube, denn es ist mir zuweilen, als wolle das zwanzigfach verdünnte westfälische Blut sich noch geltend m mir machen. Gottbewahre! ich bin ein echter Lausitzer – vive la Lusace! und nun – das hat Mühe gekostet, bis ich an diesen Kamin gelangt bin –,schlechte, schlechte Wege habe ich durchackert und Gefahren ausgestanden zu Wasser und Lande. Dreimal hab ich den Wagen gebrochen und einmal dabei auf dem Kopfe gestanden, was weder angenehm noch malerisch war. Mit einem Spitzspann (so nennt man hier ein Dreigespann) von langhaarigen Bauernpferden habe ich mich durch den Sand gewühlt und mit einem Mal den vorderen Renner in einer sogenannten Welle versinken sehen, einer tückischen wandernden Rasse von Quellen, die ich sonst nirgends angetroffen und die hier so mancher Fahrwege Annex ist, sich das ganze Jahr stillehält, um im Frühlinge irgendeine gute münsterische Seele zu packen, zur Strafe der Sünde, die sie nicht begangen hat. Ich bin aus dem Wagen gesprungen wie ein Pfeil; denn – bei Gott- mir war so konfus, daß ich an die Nordsee und Unterspülen dachte – von meinem Pferdchen war nur noch ein Stück Nase und die Ohren sichtbar, mit denen es erbärmlich zwinkerte. Zum Glück waren Bauern in der Nähe, die Heidrasen stachen und geschickt genug Hand anlegten: »He, Hans! up! up!« Ja, Hans konnte nicht auf und spartelte sich immer tiefer hinein; endlich ward er doch herausgehebelt und zog niedergeschlagen und kläglich triefend weiter voran, wie der bei der Serenade übel begossene Philister. Ich fand vorläufig den Boden unter meinen Füßen sicherer und stapfte nebenher durch das feuchte Heidekraut, immer an unseren Ahn denkend und sein horazisches: O Angulus ridens ... und was denn hier wohl lachen möge? der Sand? oder das kotige Pferd? oder mein Fuhrmann in seinem bespritzten Kittel, der das Ave Maria pfiff, daß die Heidschnucken davon melancholisch werden sollten? oder vollends ich, der wie ein Storch von einem Maulwurfshügel zum anderen stelzte? – Doch – ich war es, der am Ende lachend in den Wagen stieg, dreimal selig, schon vor Jahrhunderten im kleinsten Keime diesem glückseligen Arabien entflohen zu sein; was sich mir in diesem Augenblicke von dem klassischen durch nichts zu unterscheiden schien als nur durch den Mangel an Straußen und Überfluß an Pfützen. O Gott! dachte ich, wie mag die Halle deiner Väter beschaffen sein, du guter Everwin! Eine halbe Tagereise weiter, und die Gegend klärte sich allmählich auf; die Heiden wurden kleiner, blumicht und beinahe frisch und fingen an, sich mit ihren auffallend bunten Viehherden und unter Baumgruppen zerstreuten Wohnungen fast idyllisch auszunehmen; rechts und links Gehölz und, soweit ich es unterscheiden konnte, frischer kräftiger Baumschlag; aber überall traten dem Blicke mannshohe Erdwälle entgegen, die, von Gebüsch und Stauden überschattet, jeden Fahrweg unerläßlich einengten – wozu? wahrscheinlich, um den Kot desto länger zu konservieren; ich befragte meinen Fuhrmann, einen gereisten Mann, der sogar einmal Düsseldorf gesehen hatte und mich mindestens immer um mein drittes Wort verstand. »O Herr«, sagte er, »wenn wir keine Wallhecken hätten, was würden wir dann für schelmhaftige Wege habend Vivat Westphalia, dachte ich! – Wir ackerten voran – aus allen Häusern belferten uns Kläffer an, die ich allemal, die langhaarigen ,Rüden', die glatten ohne Ausnahme ,Teckel' locken hörte; vor den Eingängen einzelner größerer Höfe zerwüteten sich greuliche Zerberusse an ihrer Kette, und es schien mir unmöglich, unzerrissen hinein- oder herauszukommen. – Was man nicht alles bemerkt auf einer Tagfahrt zwischen Wallhecken, den Himmel über, die Pfütze unter sich! Der Wagen hielt einen Augenblick an, vier kleine Buben, sämtlich in Troddelmützen und drei Kamisöler übereinander, rot wie Äpfelchen, stolperten eilig herzu und langten mit der Hand nach dem Schlage; ich suchte nach ein paar Stübern und Matieren, die man mir auf der letzten Station zugewechselt, und rief, indem ich sie aus dem Wagen warf: »Habt acht, ihr Buben!« Da aber nahmen sie Reißaus, und wie verscheuchte Hasen krabbelten sie den Erdwall hinan. »Gottes Wunder, was mochte das für ein Krabat oder Slowak sein, der kein Deutsch konnte und sein Geld in den Dreck warf?« Ich sah sie noch lange aus ihrem Hafen meinem Wagen nachstarren wie, sanz comparaison, einem abziehenden Kamele. Einem war beim Ansatz zur Flucht sein Holzschuh abhanden gekommen, und ich hörte ihn unter dem Rade ein unzeitiges Ende nehmen; mein Trost . waren die herrenlosen Stüber und Matiere, mit denen sich das dicke Henrichjännchen oder Jannberndchen (so heißt hier nämlich immer der dritte Mann) bezahlt machen konnte, wenn dieses nicht außer seinem Gedankenkreise lag. Jetzt weiß ich, daß die armen Dinger mir nur eine Kußhand geben, und schon damals begriff ich, daß sie mindestens nicht betteln wollten, überhaupt sah ich keine Straßenbettler am Wege, und das Land meiner Vorfahren fing an, mir mindestens ganz nährend und behaglich vorzukommen, obwohl meine Augen noch immer vergeblich nach dem ,Fette der Erde' ausschauten, bei dem die Leute so vollständig runde Köpfe und stämmige Schultern ansetzen konnten, bis ich durch die Lücken der Wallhecken über die schweren Schlagbäume weg in das Geheimnis der Kämpe und Wiesengründe drang, wo ich die eigentliche Elite der Ställe erblickte: schönes, schweres Vieh, ostfriesischer Rasse, das übersatt und schnaubend in dem wie von einem Goldregen überzitterten Graswalde lag. – O ihr pfiffigen Münsterländer! die ihr eure dicken Taler auf vier Beinen hinter Erdhaufen und Dornen versteckt, damit kein reisender Diplomat in der Seele seines gnädigsten Herrn etwa Appetit dazu bekomme. – Ich bin zu sehr Landwirt, als daß dieser Anblick mich unbewegt gelassen hätte; ich dachte an mein liebes Dobbritz und meine krauslockigen Lämmerchen und fühlte das Blut meines Ahns den Urenkeln seiner Ställe entgegenrollen – seltsam! ich kann dies niederschreiben, als dächte ich noch heute so, und doch ist mir so gar anders zumute.
Nun weiter – zum Ziele! Wenn die Lehmchausseen meiner so müde sind als ich ihrer, so werden sie sich freuen, daß wir auseinander kommen, und ich fühle mich noch innerlich zerschlagen von der Erinnerung und schmachte dem Ziele entgegen; doch zuvor noch ein Reiseabenteuer, kein kleines für meinen Fuhrmann – und was mir den ersten dämmernden Begriff von dem Charakter dieses Volkes gab. Wir hatten einen derben Schock überstanden – unsere Pferde verschnauften in der Heide und dampften aus Nüstern und Flanken – mein Bauer schlug Feuer an einer Art Lunte in messingner Scheide, die er seinen ›perfekt guten Tüntelpott‹ nannte; in der Ferne bewegte sich etwas Grellrotes zwischen den Kühen und kam näher – es war ein Mensch in Scharlachlinnen, von sehr dunkler Gesichtsfarbe – ich sagte nichts und beobachtete meinen Bauer; der nahm langsam die Pfeife aus dem Munde, zog langsam einen Rosenkranz aus seiner Tasche, griff nach seinem Hute, zweimal, ohne ihn zu lüften, und sah noch nicht auf, als das Unding ihm fast parallel war – es stand – es redete ihn an in fremdartigem Dialekt: »Wo führt der Weg nach Lasbeck?« Mein Bauer winkte mit der Hand einen breidünnen Fahrweg entlang; der Schwarze schüttelte den Kopf und sah auf seine Stiefeln, die schon Schlimmeres überstanden hatten. – »Kann ich denn nicht dort hinunter?« sagte er, auf einen Fußweg deutend, der dieselbe Richtung direkter nahm. – »Das möchte nicht gut sein«, sagte der Fuhrmann bedächtig.- »Warum nicht?« mein Schwarzer, kurz angebunden, cholerischen Temperaments. – Nie werde ich den Ausdruck von, ich möchte sagen, ruhigem Schauder und tiefem Mitleid vergessen, mit dem mein Bauer erwiderte: »O Herr! das soll der Herr wohl nicht wagen, da steht ein Kruzifix« Der Mohr stieß ein paar Sacredieus und Coquins hervor, und fort trabte er mit seinem Briefbündel unterm Arm. Ist das nun lächerlich oder« rührend? Es kommt darauf an, wie man es auffaßt – ich gestehe, daß ich meinem Weißkittel gern irgendeine Güte angetan hätte in diesem Augenblick, und seine religiöse Scheu ohne Furcht und Haß,seine tiefe, überschwengliche Gutmütigkeit, die selbst den Teufel nicht ins Labyrinth führen möchte, lag so rührend vor mir, daß ich seinem breiten Rücken, wie er langsam den Rosenkranz abzählend neben den Pferden herschritt, die ersten Liebesblicke in diesem Lande zugewendet habe. Möge Gott dich behüten, du gutes patriarchalisches Ländchen, Land meiner Vorfahren, wie ich dich gerne nenne, wenn man mir mein Anteil Lausitzer Blut ungekränkt läßt, mit der Ironie ists ab und tot. Ich fahre durch die lange, weite Eichenhalle, wo die Stämme, schlank wie aufgerichtete Anakonden, ihre noch schwachbelaubten Wipfel über mich breiten; ich sehe zwischen den Lücken der Bäume einen weiten Wasserspiegel, graue Türme vortreten; bei Gott! es war mir doch seltsam zumute, als ich über die Zugbrücke rollte und über dem Tore den steinernen Kreuzritter mit seinem Hunde sah, dessen der alte Everwin so wohlredend gedenkt: ,Eques vexillum crucis sublevans, cum molosso ad aquam hiante' – alter Hans Heinrich! schwenkst du deine Fahne auch schützend über deinen verarteten Zweig, dem dein Glaube und dein Land fremd geworden sind? Im Schlosse war ich so halbwege erwartet, das heißt so in Bausch und Bogen, wo es auf eine Handvoll Wochen nicht ankommt; ein schlau aussehender, schwärzlicher Bursche in himmelblau und gelber Livree, streng nach dem Wappenbuch, öffnete den Schlag und erkannte mich sofort für den fremden Vetter, als ich vom ›Schlosse‹ redete und nach dem ,Baron' fragte. »Der Herr sind auf dem Vogelfang, aber die gnädige Frau sind zu Hause!« Zugleich hörte ich drinnen: »Ihro Gnaden, he is do, he is do, de Herr ut de Lauswick!« und sah beim Eintritt noch zwei dicke, passablement himmelblaue Beine.
Das war also der Eintritt in die Halle meiner Väter; ja, hört, wie es erging, ihr Wände! meine ich, und du, jammernder Scheit im Kamin! – denn auf die drei Spione und zwei Dachse kann ich nicht rechnen, da das Fenster geschlossen ist: die gnädige Frau empfing mich stattlich, aber verlegen, das Bäschen stumm verlegen, der junge Vetter neugierig verlegen, der eigentliche Herr, der fast mit mir zugleich eintrat und bei unserer ersten Bewillkommnung einen piependen und flatternden Vogel in der Hand hielt, war auch verlegen, aber auf eine überaus teilnehmende Weise. Verlegen waren alle, und so blieb mir nichts übrig, als es am Ende mit zu werden; man sah, wie in allen eine unterdrückte Herzlichkeit kämpfte, mit einem Etwas, das ich nicht ergründen konnte, bis ich mich verstohlen vom Kopfe bis zu den Füßen musterte. – War ich denn nicht ein Galant-homme? eine Blume des Adels, um die zwei Damen am Dresdener Hofe seufzten? Meine Augen hatten den rechten Weg eingeschlagen – der galonierte Rock – die Ringe an den Fingern, so tragen sich hierzulande die Windbeutel, und womit ich, unter uns gesagt, diesen Leuten an der Welt Ende zu imponieren glaubte und auf der letzten Station wenigstens eine gute Stünde verwendet hatte, das gab mir hier das Ansehen eines, der nächstens zum Bankerott umkippen will und Kredit auf seine Tressen sucht. Hier ist alles so feststehend, man weiß so genau, was jeder gilt, daß dergleichen Nachhilfe und Augenverblendung immer nur wie Notschüsse herauskommen, und ich bin jetzt überzeugt, daß mein guter Vetter unter seinen Grüßen und Verbeugungen alle seine Gefälle und Zehnten überzählte, und wieviel davon wohl zur Aushilfe eines verlorenen Sohnes im zwanzigsten Gliede möchte ritterlich, christlich und doch ohne Unverstand zu verwenden sein. Jetzt weiß ich dieses, und es demütigt mich nicht; hätte ich es damals gewußt, so würde es mich allerdings in einen kläglichen, inneren Zustand von Scham und Zorn versetzt haben. Dennoch ging der erste Tag mühsam hin, obwohl der Vetter mich in alle seine Freuden und Schätze einweihte: seine nie gesehenen Blumenarten eigener Fabrik, seine Rüstkammer, seine landwirtschaftlichen Reichtümer, sogar den Augapfel seines Geistes, sein unschätzbares Liber mirabilis – ich dachte zu meiner Unterhaltung – jetzt weiß ich aber, daß es ein schlauer Streich vom alten Herrn war, der mir so heimlich auf den Zahn fühlte, wie es mit adeligen Künsten bei mir beschaffen sei – nämlich mit Latein, Ökonomie und Ritterschaftsverhältnissen. Mir gings wie dem Nachtwandler, und ich trat je blinder, um desto sicherer auf. Acht Tage kann ich auf mein Noviziat rechnen, wo täglich eine neue Schleuse des Wohlwollens sich zögernd öffnete, das eigentümliche milde Lächeln des Herrn täglich milder, die scharfen Augen seiner Frau täglich strahlender und offener wurden, und als mich am achten Tage der junge Herr Everwin auf seine Stube geführt und Fräulein Sophie abends aus freien Stücken ein schönes, etwas altmodisches Lied zum Klavier gesungen hatte, da war ich absolviert und fortan ein Kind und Bruder des Hauses. Ich fühlte dieses, als ich am nächsten Morgen von Abreise sprach, um meinem Bleiben einen festen Boden zu geben, der auch sogleich unter mir aufstieg. »Mich dünkt«, sagte der alte Herr (der ›Herr‹ sagt man hier kurzweg, ›Baron‹ ist ausländisch und windbeutelig) mit einem triumphierenden Lächeln, »mich dünkt, Sie bleiben hier in Nummer Sicher, bis Sie Ihr Recht in der Tasche haben. Der Hund des alten Hans Heinrich hat uns so manchen Prozeß weggebellt, der wird Ihnen auch keinen durchs Tor lassen.« Ich dachte an meine Gedanken, als ich unter dem Steinbilde einfuhr, und der alte Herr mußte mir etwas dergleichen ansehen, denn er schüttelte meine Hand und sagte: »Lieber Herr Vetter!« So bin ich denn nun seit zwei Monaten hier, Boten gehen und kommen, und meine Geschäfte ziehen sich in die Länge; ich helfe dem Herrn botanisieren, Vögel fangen und sein Liber mirabilis auslegen, wobei ich schlecht genug bestehe und manche Eselsbrücke schlage, die der Vetter gütig unbemerkt läßt; besser komme ich fort in den gelegentlichen Gesprächen über ernste Gegenstände und klassische Wissenschaften, in denen der alte Herr vortrefflich beschlagen ist und ich aber auch kein Hund bin – was mich aber zumeist ergötzt, ist die lebendige, frische Teilnahme, die kräftige Phantaste, mit der alles meinen Erzählungen von Städten, Ländern und vor allem von den Wundern des grünen Gewölbes horcht. Diese stillen Leute sitzen unbewußt auf dem Pegasus, ich will sagen, sie leben in einer inneren Poesie, die ihnen im Traume mehr von dem gibt, was ihre leiblichen Augen nie sehen werden, als wir anderen übersättigten Menschen mit unseren Händen davon ergreifen können. Ich bin gern hier, es wäre Fadheit, es zu leugnen, und Undank zugleich; auch langweile ich mich keineswegs, man treibt hier allerlei Gutes, etwas altfränkisch und beengt, aber gründlich. Auch gibt es hier von den seltsamsten Originalen, und zwar rein naturwüchsigen, sich völlig unbewußten; wenn ich bedenke, was ich noch alles nachzuholen und zu erläutern habe, ehe ich wieder bis zu diesem Abende, diesem Kamin und diesen Mücken gelange, die mich unbarmherzig molestieren, so scheinen mir alle Gänseflügel auf dem Hofe in Gefahr – aber jetzt ists spät, – meine Kerze hat sich mehr schön als dauerhaft erwiesen; sie ist mehr verlaufen als verbrannt, und auf dem Tische schwimmts von Talge, den ich noch vor Schlafengehen mit eigenen Händen reinigen muß, um nicht morgen von meinem Freunde Dirk als der schmierige Herr aus der Lauswick bezeichnet zu werden. Das Licht im Zimmer des Vetters brennt dämmerig wie ein Traum – die Sterne sind desto klarer, welch schöne Nacht!