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Drittes Kapitel
In Hof und Garten

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Inhaltsverzeichnis

Der Morgen war so schön! Nachtigallen rechts und links antworteten sich so schmetternd aus dem blühenden Gesträuch und Hagen, daß ich um fünf Uhr im engsten Sinne des Wortes davon geweckt worden bin und es mir unmöglich war, wieder einzuschlafen; so habe ich denn bis zum Frühstück mich in den Anlagen umhergetrieben und die erste Blüte an des Herrn neuester Iris mit einem profanen Auge eher erblickt als der gute Prometheus selbst. Es war in diesen Tagen viel Rede und Erwartung wegen dieser Blume aus des Herrn Fabrik, die mir nur etwas tiefer blau scheint als die gewöhnliche Schwertlilie, ich denke aber, er wird sie atropurpurea oder mirabilissima taufen; jedenfalls sah die Blume in ihrem Tauperlenschleier reizend genug aus, und überall hatten die Anlagen in ihrem jungen, von der Sonne vergoldeten Grün, ihrem Tau und Blütenstaat eine solche beauté du diable, daß ich glaubte, nie etwas Lieblicheres gesehen zu haben. Der feuchte Boden ist dem Blumenwuchs und den Singvögeln so zuträglich, daß man in der schönen Jahreszeit von Düften, Farbe und Gesang berauscht vergißt, daß alles fehlt, was man sonst von schöner Gegend zu fordern pflegt – Gebirg, Strom, Felsen. Ich muß der Seltsamkeit wegen anerkennen, daß mir ganz poetisch zumute ward und ich mich beinahe auf den nassen Rasen geseht hätte und mich wirklich auf eine Bank hingoß und ein paar Gedichte von Wilhelm hervorzog, die Fräulein Anna mir gestern abend mit verschmitztem Lächeln und ein wenig errötend zugesteckt hatte. Irre ich nicht, so ruhen ihre dunkeln Augen zuweilen mit einer Teilnahme auf dem jungen Dichter, wie Langeweile und etwas Empfindsamkeit sie leicht auf dem Lande erzeugen. Das schüchterne Huhn scheint indessen davon kein Körnchen zu ahnen, und ich bezweifle, ob eine etwaige Entdeckung dem Fräulein zum Schaden oder Vorteil gereichen würde, da seine tiefblauen jungfräulichen Augen ganz anderes zu suchen scheinen als so rheinisches Blut. – Also ein Dichter ist der Wilhelm!

Ich hätte es mir denken können nach seinen verklärten Blicken, wenn wir am Weiher stehen und die Schwäne durch den glitzernden Sonnenspiegel segeln, wo er dann wirklich schön aussieht, die übrige Zeit aber unbehilflich und verschüchtert, wie es einem jungen Schreiber zukömmt, den die Güte des Herrn höchst überflüssig seinem Onkel zugesellt hat, nur um das arme Blut in freie Kost und Wohnung zu bringen. Die Verse sind auf schlechtes Konzeptpapier geschrieben, häufig durchstrichen und gewiß nicht für das Auge des Fräuleins bestimmt. Das eine schien sie mir mit einiger Ziererei vorenthalten zu wollen. Dieses wird zuerst gelesen.

(Hier folgt »Das Mädchen am Bach«)

Ei, ei, Wilhelmus! was sind das für gefährliche Gedanken! Paßt sich dergleichen für einen armen Studenten, der erst in zehn Jahren vielleicht lieben darf? Und nun zum zweiten!

(Der Knabe im Rohr)

Der junge Mensch hat wirtlich Talent! In einer günstigeren Umgebung – doch nein, bleib in deiner Heide, laß deine Phantasie ihre Fasern tief in deinen Weiher senken und wie eine geheimnisvolle Wasserlilie darüber schwanken. Sei ein Ganzes – ob es ein Traum, ein halboerstandenes Märchen – – es ist immer mehr wert als die nüchterne Frucht vom Baum der Erkenntnis...

Beim Heimzuge fand ich den Rentmeister Friese in Hemdärmeln am Brunnen vor dem Nebengebäude, eifrig bemüht, seine Stubenfenster mit Hilfe eines Strohwisches und endloser Wassergüsse zu säubern; seine Glatze glänzte wie frischer Speck, und ich hörte ihn schon auf dreißig Schritt stöhnen wie ein dämpfiges Pferd. Er sah mich nicht, und so konnte ich den wunderlichen Mann mit Muße in seinem Negligé betrachten, das an allen Stellen, die der Rock sonst in Verborgenheit bringt, mit den vielfarbigsten Lappen repariert war und ihm das Ansehen einer wandernden Musterkarte gab. Es ist mir selten ein mehr harpagonähnliches Gesicht vorgekommen, spitz wie ein Schermesser, mit Lippen wie Zwirnfäden, die fast immer geschlossen sind, als fürchteten sie, etwas Brauchbares entwischen zu lassen, und nur, wenn er gereizt wird, Witzfunken sprühen, wie ein Kater, den man gegen den Strich streichelt; dennoch ist Friese ein redlicher Mann, dem jeder Groschen aus seines Herrn Tasche wie ein Blutstropfen vom Herzen fällt, aber ein Spekulant sondergleichen, der mit allem, was als unbrauchbar verdammt ist: Lumpen, Knochen, verlöschten Kohlen, rostigen Nägeln, den weißen Blättern an verworfenen Briefen, Handel treibt und sich im Verlauf von dreißig Jahren ein hübsches rundes Sümmchen aus dem Kehricht gewühlt haben soll. Seine Kammer ist niemandem zugänglich als seinen Handelsfreunden und dem Neffen Wilhelm; er fegt sie selber, macht sein Bett selber, die reine Wäsche muß ihm ans Türschloß gehängt werden. Nitimur in vetitum, ich wagte einen Sturm, nahte mich höflich und bat um ein paar geschnittene Federn; er wurde doch blutrot und zog sich wie ein Krebs der Türe zu, um seine Hlnterseite zu verbergen; ich ihm nach und ließ ihm nur so weit den Vortritt, daß ihm gelingen konnte, in seinen grauen Flaus zu fahren; dann stand ich vor ihm, er sah mich an mit einem Blick des Entsetzens, wie weiland der Hohepriester ihn auf den Tempelschänder, der in das Allerheiligste drang, mag geschleudert haben, deckte hastig eine baumwollene Schlafmütze über ein Etwas in der babylonischen Verwirrung seines Tisches, suchte nach einem Federbunde, dann, in verdrießlicher Eile nach einem Federmesser – es war nicht da – er mußte sich entschließen, in einen Alkoven zu treten, ich warf schnell meine Augen umher – das ganze weite Zimmer war wie mit Maulwurfshügeln bedeckt, durch die ein Labyrinth von Pfaden führte, saubere Knöchelchen für die Drechsler, Lumpen für die Papiermühle, altes Eisen, auf dem Tische leere Nadelbriefe, schon zur Hälfte wieder gefüllt mit Stecknadeln, denen man es ansah, daß sie gerade gebogen und neu angeschliffen waren; ich hörte ihn einen Schrank öffnen und hob leise den Zipfel der blauen Mütze; beschriebene Hefte in den verschiedensten Formaten, offenbar ›Memoiren‹: .Heute hat der lutherische Herr wieder eine ganze Flasche Franzwein getrunken, das Faß à 48 Taler ist fast leer' – ich stand steif wie eine Schildwache; denn Herr Friese trat herein, und ich machte mich dann bald davon, so triumphierend wie ein begossener Hund; – guter Vetter, wird dir deine Freundlichkeit so schändlich kontrolliert!

Ich habe den Friese nie leiden können; obendrein ist er ein alter Narr, der sich von der Zofe Katharina, einem schlauen lustigen Mädchen und der gnädigen Frauen Liebling, aufs albernste hänseln läßt. Diese junge Rheinländerin stiftet überhaupt einen greulichen Brand im Schlosse an; die westfälischen Herzen seufzen ihretwegen wie Öfen. Zuerst des Herrn geliebter Johann, von ihr nur Jan Friedel genannt, der mit ihm eigens zum Kammerdiener erzogen worden ist, recht artig die Geige mit dem jungen Everwin streicht und in seinen graumelierten mit Talg hintenüber gestrichenen Haarresten, die in einem ausgemergelten Zöpfchen enden, genau einem geschundenen Hasen gleichsieht. – Dann ein paderbornscher Schlingel, derselbe, der mich zuerst am Wagen begrüßte, ein schlauer, nichtsnutziger Bursch, der sich durch tausend Foppereien an seinen Gesellen für die Langeweile, die sie ihm machen, schadlos hält – den Herrn beschwätzt er zu allem, wie er will, und ist ihm erst vor kurzem etwas fatal geworden, seit er der Köchin, einer armen gichtischen Person, drei bunte Fäden als sympathetisches Mittel gab, mit dem Zusatz – es wirke nur, wenn sie täglich einen Korb voll Holz vor des Herrn Zimmer trage (bis dahin sein Amt!). Der Spaß kam aus, und der Herr war sehr ungehalten über diese Grausamkeit seines Johanns; doch meine ich, daß er ihn seitdem auch sonst mit mißtrauischen Blicken betrachtet; denn, wie der Herr sagt, «dergleichen Dinge sind nicht ganz zu lachen, man trifft im Paderbornschen seltsame Beispiele an«.

Die wichtigsten Werke von Annette von Droste-Hülshoff

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