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»Ich glaube, es war die richtige Entscheidung, dass du mich gerufen hast, Jonas.« Reinhard ließ seine behandschuhten, langen schmalen Finger langsam über den Hals der Toten gleiten. Die Eltern der Toten hatten ihre Tochter unter Weinen identifiziert, waren wieder heimgebracht worden.

Der Gerichtsmediziner verharrte nun mit seiner Hand bei dem verschlungenen Schürzenband. Alles, ohne etwas zu verändern. Nahm den Schmuckanhänger darunter in die Hand, drehte ihn ein wenig, er schien aus Silber zu sein.


Die Lebensrune. Berenike mochte gar nicht hinsehen. Die Nazis hatten die germanische Rune zum Symbol für Abwehr und Völkisches umgedeutet. Eins dieser Zeichen, das viel zu oft, viel zu beiläufig von alten oder neuen Nazis getragen wurde. Oder einfach aus Unwissen. Immer noch. Wie bei dieser Modemarke, deren Name Berenike gerade nicht einfiel.

Reinhard hatte das Kettchen ausgelassen, kniff die Augen zusammen, strich noch einmal über die blasse Haut der Toten und sah zu Jonas auf. »Dieser Knoten an ihrem Hals sieht sehr eng aus. Wenn du mich fragst, zu eng, als dass er sich beim Treiben im Wasser von selbst in dieser Form zugezogen hätte. Was meinst du?«

Jonas nickte. »War meine Vermutung. Ich rufe die Spurensicherung.«

»Tu das. Genaueres zur Todesursache et cetera wie üblich nach der Obduktion, du kennst ja das Prozedere.« Reinhard schielte zu seinem Motorrad.

»Natürlich«, nickte Jonas und telefonierte bereits.

Berenike sah ihm in Gedanken zu. Monika war also tot. Auch eine Lösung für ihr Problem, das sie seit der letzten Begegnung hatte …

Inzwischen war der graue Wagen der Bestattung eingetroffen, gefolgt vom Polizeifotografen, der die Tote von allen Seiten ablichtete. Die Frau im schwarzen Dirndl war noch da. Erstaunlich, wie viel Dekolleté sie zeigte an diesem kühlen Frühlingstag. Aus dunkelgrünen Augen beobachtete sie die beiden starken Männer in Schwarz, wie sie die Tote nach einem Nicken von Jonas aufhoben und in einen zuvor bereitgestellten grauen Metallsarg legten. Ein paar durchweichte Papiere flatterten dabei auf den Boden. Kain bückte sich, doch Jonas war schneller, hob die Kärtchen eins nach dem anderen auf und steckte sie in eine Plastikhülle, die er aus seiner Jacke fischte.

»Hat’s ihre Spielkarten mitgehabt, oder was?«, fragte Kain.

»Wieso? Was meinst?«

»Die Monika hat sich sehr fürs Kartenlegen interessiert.«

»Ach, wirklich?«

»Lass sehen, was du da gefunden hast.«

Jonas drehte die Plastikhülle mit den Papieren nach allen Seiten. »Zwei Ausweise und das hier … tatsächlich, eine Karte.«

Berenike sah ihm über die Schulter. »Zeig mal. Ach, Tarotkarten.« Sie kniff die Augen zusammen. »Leider hab ich meine Brille vergessen.«

Die Schwarzgekleidete trat ebenfalls näher. »Das ist der Stern aus der großen Arkana.«

»Woher …?«, fing Jonas an.

»Was …?«

»Crowley? Große Akrana?«

Alle redeten durcheinander, bis die junge Frau gebieterisch den schwarz gewandeten Arm hob. Plötzlich Stille. »Arkana«, sprach sie dann leise und überdeutlich weiter. »Große Arkana.«

»Wahrsagekarten«, murmelte Reinhard. »Kenn ich.« Schweigend sah er die Düstergekleidete an, sein Blick wanderte von ihren asymmetrisch geschnittenen roten Haaren über ihr dunkel geschminktes, blasses Gesicht bis zum üppigen Ausschnitt. Push-up oder echt? Egal. Eine glänzende Brosche, deren Umrisse Berenike nicht erkennen konnte, hielt den Stoff in der Mitte ihrer Brüste zusammen.

»Wahrsagekarten! Das klingt verächtlich!« Ein Lächeln erhellte das Gesicht der jungen Frau, hatte Kain sie zuvor nicht Franzi genannt? »In Wahrheit handelt es sich bei Tarot um uraltes Wissen.«

»Schon die ägyptischen Pharaonen haben sich deren Weisheit zunutze gemacht.« Die junge Frau sprach mit einer seltsam sirrenden Stimme, die alle in Bann schlug, ja, einlullte. Selbst Berenike.

Erst nach einem Moment des Fröstelns bemerkte Berenike die Wolken, die schon wieder die Sonne verdunkelten, so sehr war sie auf die Sprecherin konzentriert gewesen. Sie hätte doch eine dickere Jacke anziehen sollen. Einzelne Schneeflocken schwebten herab, landeten wie leuchtende kleine Sterne auf dem Haar der Unbekannten, auf dem schwarzen Stoff ihrer Kleidung.

»Der Stern«, fuhr diese fort und wischte den Schnee von ihren Haaren, »steht für die Hoffnung. Dass unsre Pläne unter einem guten Stern stehen. Galt offenbar nicht für die Monika.« Einen Moment lang huschte ein seltsames Lächeln über ihr Gesicht, ehe es verschwand wie zuvor die Sonne hinter den Wolken.

Der Schneefall hörte so abrupt auf, wie er eingesetzt hatte. Die Sonne kehrte zurück, brachte das Wasser rundum erneut zum Glitzern.

»Crowley war ein Meister …«

»… des Satanismus«, fiel ihr Berenike ins Wort und sah Jonas an. »Er ließ sich gern durch Folterszenen und die Vorstellung, selbst Todesqualen zu erleiden, erregen. Na, da habt ihr gut zu tun.« Die Karten passten zu Monikas Einstellungen, ihrem nazi-freundlichen Gerede. Wenn sie ihr tatsächlich selbst gehörten. Ein wenig seltsam, dass sie nur eine Karte bei sich trug. Vielleicht eine Erinnerung an etwas …

»Er war ein Meister des okkulten Wissens, wollte ich sagen«, korrigierte die Schwarzgekleidete und wirkte streng, so wie Berenikes frühere Chemielehrerin, wenn keiner in der Klasse die Formel von Schwefelwasserstoff liefern konnte.

Jonas winkte ab. »Bleiben Sie noch einen Moment«, sagte er zu der jungen Frau, »und geben Sie bitte meinem Kollegen Ihre Personalien.«

»Ihm?« Die Dunkelgewandte deutete mit dem Kopf zu Inspektor Kain und brach in Gelächter aus. »Das wird wohl kaum nötig sein.«

»Ach ja?« Jonas zog eine Augenbraue hoch.

»Ja. Er ist …«

»Sie ist …«

»Franziska Liszt«, sagte sie artig, »ich bin die Nichte von dem da.« Die Brosche an ihrem Dekolleté traf ein Sonnenstrahl. Keine Rune, wenigstens etwas.

»Aha, ach so.«

So lief das hier am Land. Man kannte den Inspektor oder war mit ihm verwandt. So fand sich immer eine Lösung, davonzukommen. Immerhin war Berenike mit Jonas liiert. Sie musste bald mit ihm reden, ihn auf ihre Seite ziehen.

»Viel Erfolg bei der Spurensuche.« Reinhard zerrte sich sich ungeduldig die Gummihandschuhe von den Händen. »Ich mach mich jetzt auf den Weg. Bis morgen bei der Obduktion, du kommst doch, Jonas?«

»Ich werde da sein. Danke, Reinhard, dass du gleich hergekommen bist.«

»Nicht der Rede wert«, winkte der Gerichtsarzt brummig ab und stapfte zu seinem Motorrad. »Immerhin hatte ich damit die Gelegenheit, deine Freundin kennenzulernen. Tschüss, Jonas.« Seine schlanken Hände legten sich um den Lenker.

»Servus.«

»Ciao, Berenike. Und wie gesagt, ich würd mich freuen über eine gemeinsame Tour.«

»Mal sehen!« Berenike hob grüßend die Hand. Mit einem Aufheulen startete Reinhard die Maschine und fuhr los. Der Motor war in der windstillen Luft noch lange zu hören. Sehr lange. Der kleine Rest der Schaulustigen driftete auseinander. Und auch die Frau im schwarzen Dirndl war nicht mehr zu sehen.

*

»Also, Kollege«, wandte sich Jonas an Inspektor Kain und blinzelte mit seinen dunklen Augen gegen die Sonne an. »Du hast Reinhards Worte gehört. Die Frau ist keines natürlichen Todes gestorben. Damit ist das mein Fall.«

»Geh, Chefinspektor«, jaulte Kain auf.

»Leib und Leben ist offiziell zuständig, Franz. Ich werde gleich den Hofrat Czerny informieren. Der wird sich freuen …«

»Na schön.« Kain starrte seine schlammbespritzten Schuhspitzen an, schob ein paar Steinchen herum.

»Wo ist übrigens deine … Was ist sie? Nichte?«

»Die Franziska? Die ist meine Nichte, genau. Renate, ihre Mutter, und ich sind Geschwister.«

»Jaja, wo ist die Franziska jetzt hin?«

Kain zuckte mit den Achseln. »Nach Hause, nehm ich an.«

»Geht’s bitte genauer?«

»Was hast denn, Chefinspektor?«

»Geh, lass den Quatsch mit dem Chefinspektor, das dauert noch«, machte Jonas und sah genervt drein.

»Bist noch nicht?« Mit hochgezogenen Brauen sah Kain Jonas an. »Ach so, bist erst Abteilungsinspektor. Na, dir kommt schon niemand abhanden, nur keine hektische Hast«, sagte Kain und setzte nach einem Augenblick süffisant hinzu: »Kollege!«

Jonas sah aus, als wolle er erneut etwas erwidern, resignierte dann aber. »Gut, Franz, gibst mir halt ihre Adresse.«

Inspektor Kain tastete seine Jackentaschen ab und beförderte einen winzigen Block zutage, schlug ihn auf, die Seiten waren zerknittert. Mit einem abgenagten Bleistift kritzelte er etwas auf die oberste Seite, riss sie ab, stutzte, entdeckte Notizen auf der Rückseite, steckte das Blatt in seine Hosentasche und schrieb erneut etwas auf die nächste Seite. Endlich riss er sie ab und wedelte damit Jonas vor der Nase herum. »Da, Herr Kollege! Viel Spaß!«

»Danke, Franz.« Jonas steckte den Zettel in die Brusttasche seines schwarzen Hemds. »Was anderes – sind die Schaulustigen fotografiert worden?«

»Nein, warum?«

»Na, Franz, du hast sicher davon g’hört, dass sich der Mörder häufig unter die Passanten mischt? Bist doch kein Anfänger!«

»Ähm, nun ja …«

»Also, hör dich um, ob jemand geknipst hat, wenn schon der Polizeifotograf diese Anweisung nicht bekommen hat. Kannst ja deine Nichte fragen.«

Kains Augen funkelten. »Johnny von der ›Antenne Steiermark‹ war da.«

»Muss ich den kennen?«

»Weiß nicht. Hat die Nachrichtensendung am Abend. ›Obersteiermark heute‹.«

»Und wo ist der jetzt?«

»Im Studio?« Kains Stimme wurde laut, als wolle er Jonas provozieren. Dabei hatte er schon früher mit dem Kripo-Mann zusammengearbeitet.

»Schön, dann schaff ihn bitte her, Franz. Und nachher kümmerst du dich um die Befragung der Anrainer hier«, ordnete Jonas an.

Kain nickte. »Da brauch ich mehr Leut«, raunzte er und sah immer noch seine Schuhspitzen an.

»Ich bitt dich«, Jonas beugte sich zu dem Streifenpolizisten und senkte seine Stimme, »dann holst du dir halt Unterstützung, okay? Kann doch nicht so schwer sein! Himmel!« Jonas wirkte gereizt. Immer dieses Kompetenzgerangel! Männer!

Die Ringe unter seinen Augen sahen gar nicht gesund aus. Und seine Haare wurden an den Schläfen grau. Jünger wurde keiner, bei dem Job schon gar nicht. Gleichwohl liebte Jonas seine Aufgabe, das wusste Berenike.

»Noch was, Franz. Es war von einem Zeltfest hier in der Nähe die Rede – weißt du darüber Bescheid?«

Berenike schielte unauffällig auf die Umstehenden, zum Glück blieb wenigstens Johnny unsichtbar. Sie musste Jonas von dem Thema ablenken.

»In Sankt Gilgen drüben feiern die Schützen, seit Freitag. Ich war selbst dort gestern«, brummte Kain und trennte sich endlich vom Anblick seiner Schuhe. »Hab frei gehabt, weißt. Freunde haben mich überredet. Ich hab die Monika dort getroffen, sie ist wie ich aus Bad Aussee und … na ja …« Er zuckte die Achseln.

»Verstehe«, sagte Jonas.

»Warst du bei der Suche im Einsatz, Franz?«, fragte Ellen. Ach, die war auch noch da.

»Welche Suche?«, fragte Jonas.

»Die Monika. Sie wurde nachts vermisst. Und ja, ich habe bei der Suche geholfen.« Kain klang jetzt wie sonst, ganz strenge Moralinstanz. »Alle haben mitgeholfen, die vor Ort waren. Feuerwehr, Polizei, Freiwillige.«

»Was ist genau vorgefallen?«, fragte Jonas in amtlichem Tonfall.

»Ein Grüppchen von Leuten soll unweit vom Festzelt aufs Eis spaziert sein, eine Person wurde vermisst. Wir haben bei der Suche nach ihr einen breiten Bogen gezogen von der Stelle, wo man sie zum letzten Mal gesehen hat, bis Fürberg rüber.« Kain deutete über die lang gezogene Fläche des Sees. »Wir konnten sie leider nicht finden.«

»Gut, darum werde ich mich nachher kümmern«, sagte Jonas, »wir brauchen auf jeden Fall Verstärkung.« Er ging zu seinem Auto, wählte eine Nummer am Handy und lehnte sich gegen den Kotflügel.

»Wollen wir derweil zum Dorfwirt rübergehen?«, schlug Ellen vor. »Der Dicke, du weißt schon, er hockt oft im Gasthaus. Vielleicht haben wir Glück und er weiß was … Der hört viel.«

»Gute Idee.« Berenike trat zu Jonas, der gerade ärgerlich den Kopf schüttelte. Sie wartete, bis er zu ihr hersah. Berenike deutete auf das Gasthaus, auf sich und Ellen, machte mit zwei Fingern eine Bewegung, dass sie rübergehen würden. Jonas nickte und redete schon weiter.

*

»Da bin ich endlich.« Die Schwingtür aus dunklem Holz pendelte noch hinter Jonas, als er an ihren Tisch trat. In der Gaststube standen ebenfalls dunkle Möbel von anno dazumal, es roch nach Sonntagsbraten, nach Kümmel und Knoblauch und nach verschüttetem Bier. Vor allem war es warm herinnen. Berenike rieb sich die kalten Hände. Jonas beugte sich zu ihr, küsste sie mit kühlen Lippen auf die Wange. Sie rutschte auf der dunklen Bank ein Stück, um ihm Platz zu machen. Schwer ließ er sich auf die Sitzfläche fallen, schüttelte sich. »Puh, diese arme Frau! Und dann noch dieses unmögliche Telefonat.«

»Ärger?« Ellen sah Jonas aufmerksam aus großen blauen Augen an. Niemand hatte so blaue Augen zu so schwarzen Haaren wie Ellen.

»Mein neuer Chef, der Herr Hofrat.« Jonas sprach langsam und räusperte sich. »Eigentlich ist er zu jung, um schon Hofrat zu sein. Seit er da ist, ist alles nur noch mühsam. Ständig hat er neue Ideen. Abteilungen werden zusammengelegt und wieder anders auseinandergeteilt. Je nachdem, was auf welchem Kongress grad wie verzapft wird. Der Chef hat allen Ernstes mit erwartungsvoller Stimme gefragt: ›Und wer ist der Tatverdächtige?‹ Als ob die Leiche nicht grad erst gefunden worden wäre.« Jonas lachte auf, es klang hölzern. Berenike legte unter der Tischfläche eine Hand auf sein Knie. Tatsächlich entspannte er sich ein wenig.

»Zumindest schickt er meine Kollegin Mara her«, fuhr er nun sanfter fort. »Ihr kennt sie ja.«

Das konnte man wohl sagen. Mara hatte im damaligen Fall um Berenikes tote Tanzlehrerin wertvolle Spuren entdeckt. Unwillkürlich entstand vor Berenikes Augen das Bild der entzweigesägten Leiche, wie der Oberkörper im Friseurladen zur Schau gestellt worden war. Die roten Haare, das gelbe Hemd, das Blut …

»Der Chef will sogar selbst herkommen«, stöhnte Jonas und Berenike war froh, dass er sie mit seinem Ärger aus ihren Gedanken riss.

Eine blondgelockte Kellnerin in einem hellgrünen Fantasie-Dirndl erschien. »Was derf’s denn sein, der Herr?«, lächelte sie.

Jonas bestellte Kaffee, Ellen und Berenike hatten bereits schwarzen Tee geordert. Hauptsache warm, auch wenn der Geschmack zu wünschen übrig ließ.

Als die Kellnerin hinter der Theke verschwunden war, fuhr Jonas fort: »Wir müssen die letzten Schritte des Opfers rekonstruieren.« Er sah Ellen und Berenike an. »Der Kollege Kain hat von dem Schützenfest erzählt. Ihr wart dort?«

Ablenken – Berenike musste ihn irgendwie von dem Thema ablenken. Nur ein paar Worte zum Thema verlieren, dann von was anderem reden.

»Ich? Nein! Seh ich aus, als würd ich mich in ein Zelt voller Wahnsinniger stürzen? Ich bitte dich. Da braucht man eine Rüstung, um sich zu schützen.« Ellen lachte rau auf und warf Berenike einen Seitenblick zu.

Berenike prustete unwillkürlich laut heraus. »Ein Kampfdirndl, gewissermaßen.«

Jonas verzog den linken Mundwinkel. »Könnte eine Marktlücke sein.«

»Ich bin nur in der Nähe vorbeigegangen«, sagte Ellen, nun ernst. »Es war von einem handgreiflichen Streit die Rede.«

»Ach, und worum ging’s?« Jonas kniff die Augen zusammen. Die Kellnerin servierte seinen Kaffee, ging zurück zur Theke.

Ellen zuckte die Achseln. »Vor dem Zelt wurde demonstriert«, Seitenblick zu Berenike, »Zuschauer waren ebenfalls da, irgendwas ist passiert, ich war leider zu weit weg, hab nur davon gehört.«

Jonas nickte. »Wir müssen rausfinden, was an der Sache dran ist. War die Monika Leitner darin verwickelt, Ellen?«

»Keine Ahnung, ehrlich gesagt. Johnny war da von der Antenne Steiermark.«

»Hab ich gehört. Und wer sonst?«, fragte Jonas.

»Jede Menge Leute, ich hab’s echt nicht genau gesehen.« Ein weiterer Blick von Ellen. Berenike nahm schnell einen Schluck Tee. Mut antrinken, um mit Jonas zu reden. Allein. Später.

»Und dann diese hirnrissige Partie aufs Eis – hast du eine Ahnung, wer außer dem armen Mordopfer dabei war, Ellen?«

»Hab ich das richtig g’hört, die Moni ist tot?« Ein ziemlich großer Mann mit kugelrundem Bauch kam wankend neben ihnen zum Stehen. Er stützte sich mit beiden Händen auf der Tischplatte ab, als sei sein Körper zu schwer, um ihn aus eigener Kraft aufrecht zu halten.

»Die Monika Leitner, ja«, sagte Ellen.

»Eins muss ich sagen, arm war das Mädl nicht.«

»Nicht?« Jonas sah den Dicken auffordernd an.

Der zog einen der dunklen Holzsessel heran, was ein unangenehmes Geräusch auf dem gekachelten Boden ergab. Keuchend setzte er sich. »Ich hab gestern das Fest besucht, bei dem die Moni verschwunden sein soll. Mein lieber Schwan, da ist was los gewesen! Ganz im Ernst, die hat sich ein lustiges Leben gemacht.«

»Du warst doch einmal mit ihr zusammen, oder?«, fiel Ellen ihm forschend ins Wort.

»Na ja …«, druckste der Dicke herum, die Stimme gequetscht. »Also, wir haben uns sporadisch gesehen. Ich hab hier meinen Sommersitz, bin in Wien daheim. Trotzdem sieht man, was läuft, und was g’redet wird. Die Monika, die hat die Männer gern g’habt.« Er wischte sich Schweiß von der Stirn. »Und dann, ihre komischen Gschäftln. Die Monika macht die ganze PR fürs Narzissenfest.«

»Wissen wir«, winkte Ellen ab.

»Da gibt es immer zusätzliche Werbeaufträge für die Narzissenhoheiten. Die soll die Monika in letzter Zeit ziemlich einseitig vergeben haben, was man hört.«

»Interessant«, sagte Jonas.

»Aber«, er wedelte abwägend mit den Händen, die Finger waren unförmig und dick wie sein ganzer Körper, »nix Genaues weiß man nicht. Ich hab nur g’hört, beim Fest hat es Streit gegeben deswegen. Die zwei Prinzessinnen haben sich bei Monika beschwert, weil sie die Königin den beiden anderen vorgezogen haben soll.«

»Prinzessinnen. Königin. Soso.« Jonas rührte klimpernd in seiner Kaffeetasse. Es roch ein wenig säuerlich, als wäre die Milch nicht mehr frisch.

»So nennt man die drei Schönheiten, die jedes Jahr gewählt werden und bis zum Narzissenfest im nächsten Jahr das Ausseerland offiziell repräsentieren«, dozierte der Dicke und grinste eingebildet. »In Wien waren’s sogar beim Bundespräsidenten geladen. Außerdem geht es um lukrative Aufträge als Fotomodel.«

»Was können Sie mir über den Streit sagen?« Jonas zückte ein Notizbuch. Ein ordentliches Ding, keine Eselsohren, keine zerknitterten Seiten, hübsch schwarz eingebunden. »Wie lautet überhaupt Ihr Name?«

»Roman Linsinger.« Der Dicke atmete schwer auf. Die Kellnerin stellte ungefragt ein frisch gezapftes Bier vor ihn hin. Er prostete allen zu, trank, stellte das Glas ab, als es nur mehr halb voll war, und fuhr fort: »Also, die eine Prinzessin, Astrid heißt sie, die hat die Monika angeschrien, wie ungerecht diese sie und ihre Kollegin Sigrid behandelt. Bei der Schreierei sind ihre blonden langen Haare geflogen, dass ich Angst gehabt hab, die geraten bei der Kerze am Tisch in Brand …«

»Und? Was hat die Monika geantwortet?«

Der Dicke wand sich. »Weiß ich nicht genau. Viel hab ich in dem Lärm nicht mitbekommen.«

Also nur ein Wichtigmacher. Als Zeuge zu vergessen. Oder er wollte nicht alles sagen.

Der Dicke machte ein bedauerndes Gesicht. »Ich war überhaupt nur bis acht im Schützenzelt. Wegen meiner Frau. Die Petra macht sich nichts aus solchen Festen, und drum hab ich ihr versprechen müssen, nicht lange zu bleiben. Tja …« Er breitete die Arme aus, stieß gegen sein Glas, das ins Wanken kam, fing es gerade noch auf und trank es in einem langen Zug leer.

»Danke«, sagte Jonas trocken. »Danke, dass Sie mir das mitteilen. Wer könnte mir denn mehr sagen, was meinen Sie?«

Der Dicke fuhr nachdenklich mit seinem Daumennagel eine Rille in der Tischplatte nach. »Vielleicht Monikas neuer Freund, der Bernd. Er ist daneben gestanden, als die Astrid ausgezuckt ist. Ein langer, dünner Kerl, mit wenig Haaren, schütter halt. Er hat immer ein rot kariertes Hemd an, immer. Aus seiner eigenen Schneiderei. Lächerlich, oder?« Neugierig blickte er Jonas an, bis dieser nickte.

»Ich weiß nicht, was die Moni an dem gefunden hat. Na ja. Bernd hat sich sehr bemüht, den Streit zu schlichten. Mit seiner hohen Stimme hat ihm niemand zugehört, am wenigsten die Astrid und die Moni selbst.«

»Verstehe. Haben Sie Bernds vollen Namen? Und die Adresse?«

»Ein Trachtenschneider, in Bad Aussee. Flatscher mit Familiennamen. Das Geschäft finden’s sicher, ist gleich im Zentrum. Da kaufen alle, selbst die Prominenz. Ist sehr bekannt. Genaue Adresse weiß ich leider nicht.«

»Verstehe, das wird zu finden sein.« Jonas notierte eifrig mit seiner steilen Handschrift, die allerdings für jeden außer ihn selbst unleserlich war. »Haben Sie noch eine Idee, wer etwas gegen Monika gehabt haben könnte, Herr Linsinger?«

Der Dicke wiegte den Kopf. »Da gäb’s viele. Ihr Männerverbrauch … Ich will ja nichts Böses sagen, über Tote, Sie wissen schon. Ihr letzter ehemaliger Verlobter ist am Abend im Zelt ziemlich oft um sie herumgeschlichen. Er hat ein böses Gesicht dabei gemacht, da hätt’ Ihnen anders werden können, Herr Inspektor. Selbst Ihnen, ich bin sicher. War noch nicht lang her, dass die Moni die Verlobung gelöst hat. Und er soll sehr eifersüchtig sein.« Der Dicke nickte bekräftigend und blickte Jonas an, als würde er gern gelobt werden wollen. Ein Musterschüler …

»Hat dieser Exverlobte die Monika angesprochen?«

»Das weiß ich leider nicht. Wie gesagt, ich war nicht allzu lange bei dem Fest.«

»Verstehe. Und wie lautet der Name des früheren Verlobten, kennen Sie den?« Doch nicht ganz der höfliche Kieberer, nicht immer.

»Kurt Klampfl, ihm gehört ein Busunternehmen in Sankt Wolfgang drüben.«

»Und die Prinzessin Astrid, wo finden wir die denn bitte?«

Linsinger zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Soll irgendwo aus der weiteren Umgebung stammen. Das Narzissenfest-Büro wird Ihnen da sicher Auskunft geben können.«

Jonas machte sich eine Notiz. »Danke, hoffen wir’s. Jetzt geben’s mir bitte noch Ihre eigene Anschrift, und wenn Ihnen sonst nix einfällt, war’s das. Dann können Sie gehen.«

»Döblinger Hauptstraße 100«, sagte der Dicke wie aus der Pistole geschossen. »Habe die Ehre!«

Und weg war er.

Berenike schlürfte den lauwarmen Tee. Besser als gar nix, richtig warm wurde ihr davon leider nicht. »Komisch, dass der Bernd eine neue Freundin hat, das hab ich gar nicht mitbekommen. Dabei ist er manchmal bei mir im Salon zu Besuch.«

»Vielleicht war die Beziehung noch dermaßen neu«, meinte Ellen.

»So neu, dass sie’s nicht zeigen wollten?«

»Wenn ja – warum?«

»Eifersucht?«

»Wegen ihrem Ex, dem Kurt?«

»Oder hat der Bernd eine Exfrau?«

»Das ist lange her. Vielleicht war die Sache schon nicht mehr aktuell.«

»War die Monika dermaßen wechselhaft?«

»Anscheinend.«

»Wir müssen alle befragen, die in dem Festzelt waren«, seufzte Jonas. »Allen voran den Exverlobten Kurt.«

»Na, viel Spaß. In das Zelt passen mehrere Tausend Leut rein.« Ellen griff nach ihrer Teetasse, setzte sie an, doch die war leer. »Also, gehen wir, oder?«

»Zahlen müssen wir noch.«

»Natürlich.«

Göttinnensturz

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