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»Shalom, Berenike.« Und da war er. Mit seinen dunklen Haaren trug Jonas gern Schwarz, sogar sein Hemd war heute schwarz. Und er grüßte mit ›Frieden‹ – vielleicht war alles nicht so schlimm. Sie würde sehen. Er drückte ihr einen Kuss ins Haar und sie blickte endlich zu ihm auf. Gut sah er aus, nur seine Augen wirkten müde und die dunklen Ringe darunter waren neu. »Da bin ich. Mein neuer Chef wollte zwar, dass ich an dem alten Fall dranbleibe, doch ich hab mich loseisen können, dank eines Kollegen.«

»Shalom, mein Süßer«, flüsterte sie. Ihr war eiskalt vom Warten, Frühlingssonne hin oder her. Wasser war durch ihre Schuhsohlen gedrungen, alles fühlte sich feucht an, ließ sie frösteln. In der Zwischenzeit hatte der Amtsarzt die Tote ausgiebig untersucht und die Beamten hatten sich beratschlagt.

Jonas’ Blicke suchten und fanden die Leiche, wanderten zurück zu Berenike.

»Siehst du, was ich sehe?«, fragte sie leise.

Jonas nickte. »Du meinst die Schürze um den Hals?«

»Genau.«

»Und du kennst die Tote, oder wie?«

»Monika – ja. Ich …« Sie zögerte. Jetzt hieß es, diplomatisch zu sein! »Sie stammt aus Bad Aussee. Ich hab sie gestern Abend noch gesehen. Quietschlebendig.«

»Gestern Abend.«

»Ich war beim Schützenfest drüben in Sankt Gilgen.« Dass Max, der Wirt vom ›Grünen Kakadu‹, sie ursprünglich zum Fest eingeladen hatte, erwähnte sie nicht. Sie hatte die Einladung sowieso ausgeschlagen. »Ich hab dir davon erzählt. Die Demo gegen Nazi-Ehrengäste zum Narzissenfest. Und da du eh nicht da warst …« Sie starrte ihre Füße an. Musste man dringend putzen, die Schuhe. »Übrigens, ich muss eine Anzeige machen. Wegen Wiederbetätigung.« Flucht nach vorne, das war am besten. Und die richtigen Worte finden.

»Darüber reden wir noch.« Jonas schenkte ihr einen langen Blick und trat zu Inspektor Kain. Der sah unter seinen buschigen grauen Augenbrauen hervor zu dem jüngeren, jedoch ranghöheren Kollegen auf. Kain hatte nie Ambitionen gehabt, ihm genügte das Dasein als Dorfpolizist vollauf.

»Ah«, murmelte Kain mit rauer Stimme. »Der Kollege von der Kripo, welch Ehre.« Spöttisch verzog er einen Mundwinkel.

»Servus, Franz«, sagte Jonas.

»Griaß di. Bist schon Chefinspektor? Nein? Und, was verschafft uns die Ehre deiner Anwesenheit?«

Jonas deutete diplomatisch auf Berenike.

»Ach so, verstehe. Ein Ausflug.«

»Es soll hier einen … Unfall geben?«

Kain nickte.

»Bist dir sicher?«

»Was? Dass es ein Unfall ist? Klar.« Kain nickte mehrmals. Sein Blick streifte die Umstehenden, den Dicken, die Frau im schwarzen Dirndl. »Die junge Dame wurde bereits in der Nacht vermisst.«

»Dann lass mich mal sehen«, antwortete Jonas und beugte sich über die im matschigen Gras liegende Tote. Das Rosa des nassen Dirndls hob sich leuchtend von der bräunlichen Erde ab.

Jonas ging vorsichtig neben der Toten in die Hocke, betrachtete sie von allen Seiten. »Super Dirndl«, murmelte er, »das liegt immer noch genau an ihren Formen an.«

»Stimmt«, meinte Kain, »wahrscheinlich Maßarbeit. Kommt heut selten vor.«

»Ach ja?«

»Die Schneider sind teuer, Wartelisten hast meistens auch. Da sind die Importe aus Ungarn oder der Slowakei wesentlich billiger und schneller.«

»Wir werden später feststellen, von wo das Dirndl stammt. Es wird wohl ein Etikett geben.«

»Wieso?«, machte Kain. »Wozu brauchst du …?«

»… das wissen?« Jonas zuckte unbestimmt mit den Achseln. »Routine. Alles könnte wichtig sein.«

»Wer weiß, ob es überhaupt ein Fall für dich ist.« Kain reckte sich mitsamt seinem Bauch zu seiner ganzen Größe auf.

»Das wird sich zeigen. Ich rufe den Gerichtsmediziner. Sicher ist sicher.« Jonas holte sein Handy hervor, ging ein paar Schritte weg vom Ufer, telefonierte, kam zurück. »Wir haben Glück, der Reinhard ist in der Nähe und müsste gleich da sein.«

Gerichtsmediziner. Es würde doch alles raus kommen … Berenike wagte kaum, hinzusehen.

Jetzt zog Kain eine Braue hoch. »Das ist ein bissl übertrieben, moanst nit, Kollege?« Der Streifenpolizist rieb seine Hände mit einem komischen Geräusch gegeneinander. »Wir haben doch den Amtsarzt da gehabt …«

»Geh, Franz, was willst von einem Zahnarzt!«, mischte sich Ellen schnaubend ein.

»Der kann doch …«, machte Kain.

»Sicher ist sicher«, fiel ihm Jonas resolut ins Wort, obwohl er der Jüngere war. Aber eben auch der Ranghöhere. »Allein, wie die Schürze sich um den Hals gewickelt hat … Siehst eh, gell.«

Kain nickte widerstrebend.

»Die Polizei braucht nicht noch mehr negative Schlagzeilen. Franz, wenn was übersehen werden würd … Jetzt wo grad ein Kollege einen Psychotiker niedergeschossen hat, da musst vorsichtig sein.«

»Ja eh«, machte Kain und sah zur Brücke hoch.

»Der Reinhard ist kompetent, dann haben wir Klarheit.«

Tatsächlich bremste sich wenig später ein Motorrad am Ufer ein. Ein von oben bis unten in schwarzes Leder gewandeter Typ schwang sich vom Sitz und nahm den Helm ab. Blonde Haare kamen zum Vorschein, ein gebräuntes Gesicht, ein nettes Lächeln. Er sah hübsch aus, nur die Nase war etwas zu groß. »Servus, Jonas!« Markig schüttelte er dem Kriminaler die Hand.

»Grüß dich, Reinhard. Gut, dass du so schnell hast kommen können.«

»Sonntagsausflug, siehst eh.« Reinhard deutete auf seine Lederkluft.

Berenike schätzte den Gerichtsmediziner auf etwa gleich alt wie sie selbst, also um die 40. Er roch nach Benzin und nach Leder, ein bisschen nach Sonne und freiem Tag und nach noch etwas anderem, Chemischem. Zahnpasta vielleicht. Oder ein Putzmittel.

»Was gibt es? Unnatürliche Todesursache?«

»Möglicherweise. Ich hätt’ gern deine Fachmeinung dazu.«

Reinhard nickte und wollte sich in Bewegung setzen.

»Stop«, rief Kain, »ich verscheuche noch die restlichen Schaulustigen, dann hast Ruh’.«

Also warteten sie neben Reinhards Motorrad. Berenike, Jonas und Ellen und natürlich der Gerichtsmediziner selbst.

»Wie geht’s, Reinhard?«, fragte Jonas. »Was gibt es Neues?«

»Wie soll’s schon gehen?« Reinhards Lächeln war schlagartig verschwunden. »Ist halt schwierig.«

»Was denn?«

»Alles. Am Institut bei uns. Eing’spart werden soll. Kennst das ja.«

»Klar, ist bei uns nicht anders. Keine Stelle wird nachbesetzt, wenn einer in Pension gegangen ist.«

»Bei uns ist es schlimmer. Die Chefin hat angedeutet, mein Posten könnte dem Sparstift zum Opfer fallen. Ich bin halt der Jüngste, hab keine Beamtenstelle. Die Finanzierung ist strittig.«

»Oh, nein, was für ein Mist«, entfuhr es Jonas. »Dabei schätze ich deine Analysen mehr als die vieler anderer.«

»Was willst machen.« Reinhard seufzte hart und mahlte mit dem Kiefer.

»Und was hast du dann vor, Reinhard?«

»Keine Ahnung.« Reinhard seufzte noch einmal, strich über den Sattel seines Motorrads. »Private Gutachten vielleicht, Vaterschaftstests sind aber kein wirklich sicheres Einkommen.«

»Was ist schon sicher«, warf Berenike ein. Niemand antwortete. Sie entdeckte ein gelbes Blatt, das an ihrem Schuh kleben geblieben war, und bückte sich danach. Doch bevor sie es erreichte, gab es ihr einen Stich im Kreuz. Autsch. Etwas mühselig kam sie hoch und versuchte, das Blatt am Unterschenkel ihres anderen Beins abzustreifen. So, erledigt.

Jonas war zu Reinhards Motorrad getreten. »Cooles Ding übrigens.«

»Wer weiß, wie lang ich mir’s noch leisten kann«, brummte Reinhard düster. »Fährst du selbst, Jonas?«

»Wenig. Meine Freundin vor allem.« Jonas wies mit dem Kinn auf Berenike.

»Echt?« Neugierig geworden sah Reinhard sie an, der Ansatz eines Lächelns kehrte in sein Gesicht zurück. »Was fährst du denn?«

»Eine Honda Shadow. Heuer war ich leider noch nicht damit unterwegs. Jetzt, wo’s schöner wird …«

»Verlockend, gell? Vielleicht ergibt sich einmal eine gemeinsame Tour?« Reinhard sah von ihr zu Jonas und wieder zu ihr. Die düstere Stimmung war verschwunden – zumindest an der Oberfläche.

Jonas zuckte die Achseln. »Möglich.«

»Bitte«, rief Inspektor Kain. »Ihr könnt kommen.«

Die Menge der Schaulustigen hatte sich endlich gelichtet. Die Japaner trabten zu ihrem Bus. Ein harter Kern von vielleicht 20 Menschen stellte etwas abseits Mutmaßungen über das Geschehen an, das zu Monikas Tod geführte hatte.

Reinhard stapfte mit Kain und Jonas zum Ufer hinunter, wo man die Tote abgelegt hatte. Berenike sah ihnen von der Brücke aus zu. Die Frau im schwarzen Dirndl stand nun direkt neben ihr. Der gänzlich schwarze Stoff stach von den rosa, blauen und grünen Dirndlröcken der anderen Frauen ab, und das nicht nur im Sonnenlicht. Auch der ziemlich kurze Rock fiel auf. Die Frau lächelte vage und strubbelte sich durch ihre roten Haare. Sie war ziemlich klein. Etwas an ihr machte, dass man sie sofort in den Arm nehmen und drücken mochte. Berenike lächelte zurück – bis sie bemerkte, dass die andere in Kains Richtung blickte.

Dann traf ein grauer Volvo ein, und in der folgenden Aufregung ging alles andere unter. »Monikas Eltern«, kündigte Kain an.

Göttinnensturz

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