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Kapitel 3
ОглавлениеDanny
Wie immer sind außer uns noch viele andere Skater auf der Domplatte unterwegs. Ich mag es, sie zu beobachten und mir Tricks von ihnen abzuschauen. Der Junge mit dem grünen Skateboard, dem karierten Hemd und der blauen Mütze ist besonders gut. Er ist fast jeden Tag hier und beeindruckt beobachte ich seinen Tailslide. Es ist wirklich ein besonderer Platz zum Skaten. Der Dom ragt mächtig in die Höhe und scheint jede unserer Bewegungen zu überwachen. Er ist so riesig, dass ich mir auf meinem Skateboard winzig klein vorkomme. Guckt man von unten hoch zu den zwei Turmspitzen wird einem fast schwindelig, durch das Gefühl die Türme würden sich bewegen. Auf der Rückseite des Doms sind wesentlich weniger Touristen unterwegs als auf der Seite des Einganges, wo sich Besucher, Kölner und verkleidete Personen, die versuchen Geld zu sammeln, drängen. Zumindest in der Woche haben wir hier genügend Platz um relativ ungestört zu skaten. Jonas zeigt mir einen Trick, den ich schon häufig beobachtet habe.
„Der Ollie ist der erste Trick, den man als Anfänger lernen sollte“, erklärt er mir und zeigt es mir gleich noch einmal. Noch habe ich überhaupt keine Ahnung, wie ich es schaffen soll, mit dem Skateboard durch die Luft zu fliegen. Für mich sieht es unheimlich schwer aus, aber die Skater hier haben es ja auch alle irgendwie gelernt. Ich werde es auch hinbekommen, auch wenn ich älter bin als die meisten Skateanfänger, die sicher bereits als Grundschüler auf dem Brett gestanden haben.
„Du musst das Board erst mit dem rechten Fuß runter drücken.“
Ich mache Chris die Bewegung nach. Danach erklärt er mir, wo ich den anderen Fuß aufsetzen muss, um das Brett hochschnellen zu lassen.
Auch nach unzähligen Versuchen, keine Ahnung wie viele – wahrscheinlich irgendwas zwischen dreißig und siebzig, hat sich die eine Skateboardseite immer noch keinen Zentimeter vom Boden gelöst.
„Lass uns ne Pause machen!“, schlage ich vor.
„Okay! Wir können ja morgen weiter üben.“ Jonas klemmt das Board unter seinen Arm.
„Nee, nur ein paar Minuten. Dann mache ich weiter.“
„Du hast echt Ehrgeiz“, stellt Jonas bewundernd fest.
Grinsend setze ich mich auf mein Skateboard, um ein bisschen zu verschnaufen. Wenn mich jemand nach meinen drei besten Eigenschaften fragen würde, würde ich ihm Folgendes antworten. 1. Ich bin ehrgeizig. 2. Ich bin ehrgeizig und 3. Ich bin ehrgeizig. Das war eigentlich schon immer so. Ich wollte immer alles schaffen, was mein älterer Bruder konnte. Genauso schnell laufen, genauso hoch klettern und genauso tief tauchen. Ich habe mich nie davon runter ziehen lassen, wenn etwas nicht klappte, sondern es immer so lange versucht, bis es mir schließlich gelang. Dadurch habe ich meinen Bruder schnell überholt. Ich glaube, er kommt immer noch nicht ganz damit klar, dass ich ihn mittlerweile bei jedem Wettschwimmen abhänge und schon mehr Preise beim Surfen gewonnen habe als er. Ich krame meine Flasche aus dem Rucksack, nehme einen großen Schluck und stelle mich dann wieder auf das Skateboard. Ich habe noch eine Stunde Zeit, bis ich zum Essen zu Hause sein muss. Die will ich nutzen.
Maja
Ich hole mein Handy nicht wie sonst aus der Tasche, bevor ich mich an den Schreibtisch setze, um meine Hausaufgaben zu erledigen. Ich bin mir sicher, dass Danny sich nicht mehr melden wird. Über eine Woche ist vergangen. Warum sollte er mir jetzt noch schreiben? Schließlich hatte er mehr als genug Zeit dazu. Und wenn er sich bisher nicht melden wollte, wird er es jetzt auch nicht mehr tun. Ich glaube auch nicht mehr an alle Szenarien, die ich mir in der letzten Woche ausgedacht habe: sein Handy ist in die Badewanne gefallen, er hat seinen Pin vergessen, sein Hamster hat das Ladekabel aufgegessen, er hat sich alle Finger gebrochen, sein kleiner Bruder hat alle Nummern gelöscht oder er musste ganz plötzlich zurück nach Australien, weil seine Schwester spontan heiratet. All diese Möglichkeiten kommen mir jetzt albern vor. Hat Danny überhaupt eine Schwester? Ich habe keine Ahnung. Eigentlich weiß ich überhaupt nichts über ihn. Mir bleibt nichts anderes übrig, als mir endlich einzugestehen, dass Danny mir einfach nicht schreiben wollte. Egal wie schwer mir das fällt. Das, was ich zwischen uns gespürt habe, habe ganz offensichtlich nur ich wahrgenommen, oder mir vielleicht auch einfach nur eingebildet. Seufzend schlage ich das Französischbuch auf und lese den Text über die Regionen Frankreichs, zu dem wir jede Menge Fragen beantworten sollen. Normalerweise fallen mir meine Französisch-Hausaufgaben immer am leichtesten und deswegen fange ich meistens mit ihnen an, damit ich wenigstens eine Aufgabe schnell abhaken kann, aber heute brauche ich wesentlich länger als gewöhnlich. Ich muss den Text über die Bretagne drei Mal lesen, bis ich wenigstens etwas davon begriffen habe. Ich kritzele nur kurze Antworten in mein Heft, denn für ausführliche Antworten habe ich viel zu wenig verstanden. Als ich damit endlich fertig bin, beschließe ich eine Pause einzulegen, bevor ich das nächste Fach beginne. Ich stecke mein Französischheft in den Rucksack und lege mich aufs Bett, um etwas zu lesen. Ich versinke lange in fremde Welten von Zauberern und Hexen. So lange, bis meine Mutter von der Arbeit kommt und in mein Zimmer stürmt.
„Hast du deine Hausaufgaben fertig?“ Sie verzichtet auf eine Begrüßung.
„Hallo“, sage ich demonstrativ.
Meine Mutter geht darauf nicht ein, sondern fragt erneut: „Hast du alles erledigt?“
„Nein“, gebe ich leise zurück und starre weiter in mein Buch, so als ob ich mich dahinter verstecken könnte.
„Warum liegst du dann hier faul rum und liest?“, brüllt sie.
Ich blicke sie genervt an. Sie hat die Hände in die Hüften gestemmt und ihre Stirn kraus gezogen. Muss sie immer gleich einen Tobsuchtsanfall bekommen?
„Ich war müde.“
„Müde? Von dem bisschen Schule? Warte mal ab bis du einen Beruf hast und den ganzen Tag arbeiten musst. Dann wirst du verstehen, wie gut du es jetzt hast. Du hattest doch nur bis Mittag Unterricht und dann schaffst du es nicht mal deine Hausaufgaben anständig zu erledigen?“
„Ich mach sie jetzt“, sage ich, ohne auf ihre Frage einzugehen.
Notgedrungen setze ich mich also wieder an den Schreibtisch und schlage mein Mathebuch auf. Meine Mutter meckert noch einen Augenblick hinter mir und verschwindet dann endlich aus meinem Zimmer.
*
In drei Wochen beginnen die Ferien. Endlich sechs Wochen Sommer, Sonne und schulfrei. Sophie ein Mädchen aus meiner Klasse, feiert heute ihren sechzehnten Geburtstag. Bis eben war ich nicht eingeladen, was mich allerdings nicht sonderlich gestört hat. Aber als Sophie sich mit Leonie über die Feier unterhielt und ich zufällig daneben saß, hat sie mich gefragt, ob ich auch kommen möchte. Mehr oder weniger gezwungenermaßen. Ich habe automatisch zugestimmt, obwohl mir eigentlich gar nicht nach einer Party bei Sophie ist. Sie gehört zu der Clique der beliebten Mädchen in meiner Klasse und normalerweise beachtet sie mich überhaupt nicht. Leonie hat sie bis vor kurzem auch wie Luft behandelt, aber seit Leonie mit Micke zusammen ist, hat sich das geändert. Micke spielt Fußball, genau wie Sophies Freund. Sie spielen sogar in derselben Mannschaft und seitdem unterhalten Leonie und Sophie sich häufiger in der Schule. Manchmal sitzen sie sogar nebeneinander.
Ich bereue es gleich, die Einladung angenommen zu haben. Erstens möchte Sophie mich ja eigentlich gar nicht dabei haben und zweitens habe ich nichts geeignetes, das ich anziehen kann. Doch jetzt habe ich zugesagt und Leonie kommt in einer halben Stunde, um mich abzuholen. Sie weiß, wo Sophie wohnt, woraus ich schließen kann, dass sie vorher schon einmal bei ihr war. Frisch geduscht stehe ich in Unterwäsche vor dem Kleiderschrank und überlege, was ich anziehen kann. Unschlüssig schiebe ich die Kleiderbügel hin und her. Meine Haare hängen nass auf meinen Schultern und ein paar Tropfen laufen mir den Rücken hinunter, wodurch ich zu frieren beginne. Ich sollte mich also schnell für ein Outfit entscheiden. Schließlich nehme ich ein blaues Top aus dem Schrank, dessen Träger mit bunten Perlen verziert sind und dazu eine blaue Jeans. Sie ist schon etwas verwaschen und sieht an den Knien etwas zu hell aus, aber es ist die Hose, die mit Abstand am besten sitzt. Kritisch betrachte ich mich im Spiegel. Meine Kleidung sieht etwas langweilig aus, aber ich habe nichts im Schrank, das mit Sophies Outfits auch nur annähernd mithalten kann. Sie folgt jedem Trend und läuft sogar in der Schule eher rum wie die jungen Frauen in einer Modezeitschrift. So möchte ich gar nicht aussehen. Um mein Outfit abzurunden, lege ich noch meine Lieblingsohrringe an. Der Stein hat fast das gleiche blau wie mein Oberteil.
Ich fühle mich unwohl, fehl am Platz. Leonie tanzt schon ewig mit einem Jungen, den ich noch nie gesehen habe. Micke konnte nicht kommen, weil er mit Fieber im Bett liegt. Aber wir waren noch nicht lange hier, da wurde Leonie schon zum Tanzen aufgefordert. Einige Mädchen aus unserer Klasse kommen zu mir und versuchen mich zum Tanzen zu überreden. Aber ich bevorzuge es auf dem Sofa sitzen zu bleiben und den anderen dabei zuzusehen, wie sie sich zur Musik bewegen. Mein Blick bleibt auf Sophie haften. Sie trägt ein weißes, knielanges Oberteil, das ziemlich durchsichtig ist. Die hautenge Strumpfhose in grellem lila betont ihre extrem schlanken Beine. Eng umschlungen tanzt sie mit einem Jungen, den ich genauso wenig kenne wie Leonies Tanzpartner. Er geht sicher nicht auf unsere Schule. Schätzungsweise ist er mehrere Jahre älter als wir, vielleicht schon zwanzig. Ich klammere mich an meinem Becher fest und nehme hin und wieder einen Schluck daraus, um überhaupt etwas zu tun zu haben. Wenn wenigstens Jessie hier wäre, sie hält auch nichts von diesen aufgetakelten Tussis. Leonie hingegen sieht an diesem Abend genauso aus wie alle anderen hier. Ich habe sie noch nie mit so viel Make-up und einem so kurzen Rock gesehen. Gut, dass Micke nicht sehen kann, wie sie mit dem anderen Jungen tanzt. Nach einiger Zeit, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, setzt Leonie sich zu mir.
„Hey, was ist los? Warum tanzt du überhaupt nicht?“
„Ich bin zu müde“, antworte ich leise. „Ich würd gerne nach Hause.“
„Was jetzt schon?“, fragt sie entgeistert. „Es macht doch gerad erst richtig Spaß!“
„Dir vielleicht! Komm lass uns abhauen. Du hast gesagt, wir gehen auf jeden Fall zusammen!“
Leonie wirft einen Blick auf ihre goldene, mit Steinen besetzte Armbanduhr und schaut mich entsetzt an. „Aber doch nicht so früh. Also ne Stunde müssen wir mindestens noch bleiben.“
Ich seufze und lehne mich auf dem Sofa zurück.
Leonie springt wieder auf und geht zurück zu dem Typen, mit dem sie gerade getanzt hat. Mir ist nicht entgangen, dass er während unserer Unterhaltung die ganze Zeit an die Wand gelehnt stand und Leonie beobachtet hat. Ich blicke erneut auf die Uhr und hoffe, dass die Stunde schnell umgeht und Leonie sich an unsere Verabredung hält. Mehr als eine Stunde halte ich wirklich nicht aus.