Читать книгу Hilf mir, Mathilda! : eine Geschichte vom Glück im Unglück - Annika Holm - Страница 7

4.

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Die Großmutter kommt also schon am nächsten Tag. Arne, Mathilda und Achim stehen zufällig vor Maries Haustür, als das Auto hält. Es ist ein Mietwagen mit Ladefläche, die mit einer Plane bedeckt ist. Die Großmutter sitzt neben dem Fahrer, unter der Plane sind ihre Sachen: zwei Koffer, drei Beutel und ein Bett.

Sie umarmt Marie und gibt den anderen die Hand und stellt sich selbst vor:

»Ich bin Ilse, Maries Großmutter. Es ist nett, dass ihr mir beim Rauftragen helfen wollt.«

Sie ist groß und – Mathilda überlegt, wie sie es nennen soll – elegant? Ja, elegant ist sie. Die Haare zu einem glänzenden Knoten hoch gesteckt, grüne baumelnde Ohrringe, ein flatternder Schal, und sie riecht so gut. Mathilda schnuppert, als sie mit den schweren Beuteln in den Händen dem Duftgeflatter folgt. Neben ihr schleppt Achim einen noch schwereren Beutel. Ilse und der Fahrer tragen das Bett. Marie ist vorangelaufen und hat die Tür geöffnet.

»Aber wir haben doch noch ein Bett«, sagt sie erst jetzt. »Im Keller.«

Ilse balanciert das Bett durch die Tür und lächelt Marie zu. »Ja, ich weiß. Sunniva hat es mir gesagt. Aber mein Rücken, verstehst du. Der muss auf was Festem, Hartem liegen, damit ich mit ihm klarkomme. Wir haben beschlossen, dass ich mein eigenes Bett mitbringe. Das kann im Esszimmer stehen, oder was meinst du?«

Sie machen die Tür zu Sunnivas Zimmer zu und bauen das Esszimmer um, schieben Tisch und Stühle hin und her, rollen den Teppich beiseite, stellen eine Lampe um und das Bett auf, räumen einen Schrank aus, nehmen die Essensachen aus den Beuteln und schieben die leeren Koffer ganz oben in den Schrank.

»Ihr könntet eine Umzugsfirma gründen«, lobt Ilse sie und sagt, sie sollen sich setzen und mit ihr Tee trinken. Sie hat schon alles vorbereitet. Tee mit Keksen, Marmelade, und auf dem Tisch liegt eine Tischdecke.

»Wo kommt die denn her?«, fragt Marie erstaunt und streicht über den grün gestreiften Stoff.

Großmutter Ilse guckt verlegen.

»Ich hab von allem ein bisschen eingepackt, ich weiß ja nicht, was ihr so habt, und ... ich weiß auch nicht, wie lange ich hier wohnen werde. Das hängt ja davon ab, wie die Operation ausgeht, und ... ich hab gedacht, ich gewöhn mich leichter daran, woanders zu wohnen, wenn ich ein paar eigene Sachen dabeihabe.«

»Das ist eine schöne Decke«, sagt Mathilda, und das meint sie wirklich so. Aber sie sagt es auch, weil ihr die Großmutter und Marie Leid tun. Bestimmt ist es nicht besonders angenehm für die Großmutter, in Maries Esszimmer zu schlafen, egal, wie viele Decken und Betten sie auch dabeihat. Und natürlich wäre es besser für Marie, wenn es nicht nötig wäre, dass jemand in ihrem Esszimmer schläft.

»Hast du denn auch an eine Überdecke gedacht?«

»Was für eine Überdecke?«

»Ich dachte, mit einer Überdecke würde es hübscher aussehen. Auf dem Bett, meine ich, tagsüber.«

Nein, daran hat die Großmutter nicht gedacht. Die bringt sie ein andermal mit, wenn sie nach Hause muss, um ihre Blumen zu gießen.

»Ich dachte, dass die Tischdecke ...«, fängt Mathilda an, und Ilse muss lachen.

»Gute Idee.«

Und dann stellt sie rasch Tassen und Marmelade beiseite und breitet die Tischdecke über das Bett.

Dabei erzählt sie, dass sie in der Telefonzentrale vom Sozialamt arbeitet. Die ist günstig gelegen, nicht weit zur U-Bahn in beide Richtungen. Aber sie kann nicht jeden Abend kochen. Sie hat Kurse belegt, lernt französisch kochen und Volkstanz. Marie hat doch hoffentlich nichts dagegen, sich an den Tagen, wenn Großmutter nicht rechtzeitig nach Hause kommt, selbst etwas zu essen zu machen?

»Das mach ich auch immer, wenn meine Mutter beim Kursus ist«, sagt Arne, und da muss er Ilse ja erklären, dass seine Mama seit einem Autounfall im Rollstuhl sitzt und dass sie und Arne bei ihren Eltern wohnen.

»Hm«, macht Ilse interessiert. »Und was kochst du so?«

Arne kann Fleischsoße kochen und Zwiebelsuppe und Pizza. Aber die Pizza wird meistens zu dick, findet seine Mama. Deswegen übt er jetzt, den Teig dünner auszurollen. Doch das ist schwer, weil der Teig immer auf dem Tisch kleben bleibt.

»Wenn du den Teig vorher ordentlich durchknetest, lässt er sich hinterher leichter ausrollen«, sagt Ilse. »Er muss sich von der Schüssel lösen, dann ist er gut.«

Es ist merkwürdig. Als sie gehen, Mathilda, Arne und Achim, haben sie das Gefühl, als würden sie Maries Großmutter schon ewig kennen. Als ob sie schon immer bei Marie und Sunniva im Esszimmer wohnte. Dass sie dort wohnt, weil Sunniva krank ist, haben sie vergessen, und Sunniva erinnert sie auch nicht daran. Sie steht zwischen Marie und Großmutter in der Diele und sieht weder krank noch traurig aus.

»Kommt bald wieder«, sagt sie, »damit es Großmutter Ilse nicht langweilig wird.«

Arne winkt und geht in seine Richtung. Achim bringt Mathilda nach Hause und streichelt Minzi.

»Sie wirkt überhaupt nicht krank«, sagt Mathilda laut. »Wahrscheinlich ist es gar nicht so schlimm.«

»Aber man kann ja nicht alle Krankheiten sehen. Es gibt welche, die sieht man überhaupt nicht, und trotzdem kann man daran sterben.«

»Red nicht so einen Mist! Sie stirbt doch nicht! Du bist ja verrückt!«

Achim schüttelt den Kopf. »Natürlich stirbt sie nicht.«

»Dann sag so was nicht!«

»Hab ich doch gar nicht gesagt. Meine Mama erzählt nur manchmal davon, wie schrecklich es ist, wenn jemand stirbt, der ganz gesund gewirkt hat.«

»Wo arbeitet deine Mama eigentlich?«

»Im Huddinge-Krankenhaus, das weißt du doch.«

Nein, das wusste sie nicht. Sie hat Achims Mama nur einige Male getroffen. Und da haben sie nicht von ihrer Arbeit geredet, sondern über Katzen. Einmal haben sie sich über tote Katzen unterhalten, als Achims Katze überfahren worden war. Und einmal haben sie über Finnland gesprochen. Achims Mama, die Sinikka heißt, würde am liebsten dort wohnen. Aber Achims Papa will das nicht. Und Achim auch nicht.

Sie will nicht fragen, tut es aber trotzdem.

»Kann man an einem Herzfehler sterben?«

Achim glaubt das, weiß es aber nicht genau. Er glaubt jedoch nicht, dass Maries Mama einen Herzfehler hat. Wenn das so wäre, würde man sie doch jetzt nicht zu Hause lassen. Dann müsste sie selbstverständlich im Krankenhaus liegen. Da ist Achim sich ganz sicher. Und da die meisten, die so krank sind, dass sie im Krankenhaus liegen müssen, wieder gesund werden, ist doch klar, dass Maries Mama, die nicht mal so krank ist, dass sie im Krankenhaus liegen muss, nicht sterben wird.

Es ist sehr tröstlich, Achim so reden zu hören, und abends sagt Mama andere tröstende Worte.

»Heutzutage gibt es sehr gute Herzspezialisten. Wenn die das Herz operieren, wird man hinterher wieder ganz gesund. Denk an Hasse, Papas Bruder. Der hatte doch so einen schweren Herzinfarkt. Sie haben ihn zweimal operiert. Du weißt ja selbst, wie munter der jetzt wieder ist.«

Ja, das weiß Mathilda. Hasse ist es doch, der sie zum Fußballspielen gebracht hat. Den ganzen Sommer über, als Marie weit weg in England war, hat er mit ihr trainiert, und jedes Mal war sie es, die als Erste müde geworden ist.

Das muss sie unbedingt Marie erzählen.

Oder vielleicht auch nicht. Marie scheint keine große Lust zu haben, über Sunnivas schwaches Herz zu reden.

Aber komisch ist das. Wie kann man plötzlich ohne Grund einen Herzfehler haben? Kommt der einfach so angeflogen? Nein, aufhören! Einschlafen! Sofort!

Hilf mir, Mathilda! : eine Geschichte vom Glück im Unglück

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