Читать книгу Hilf mir, Mathilda! : eine Geschichte vom Glück im Unglück - Annika Holm - Страница 8

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Es sind noch zwölf Tage bis zum Pokalspiel, als das Klassenfest stattfindet. Aber jetzt, wo sie in die Vierte gehen, heißt es nicht mehr Klassenfest, sondern Disco. Alle drei Vierte haben eine Disco zusammen. Die findet im Speisesaal statt, was sehr praktisch ist, weil es dort eine Bühne gibt.

Als Mathilda ankommt, sind die Vorbereitungen in vollem Gange. Albert hat seine Elektro-Gitarre und Marie ihren Kontrabass angeschleppt. My hat sich eine afrikanische Trommel aus dem Musiksaal geliehen. Monica probiert das Mikro aus, Achim und Arne liegen auf dem Fußboden und malen große weiße Bögen Papier rot an.

»Nimm dir den Klebestreifen und kleb die Bögen zusammen!«, sagt Achim, ohne aufzusehen. »Es muss viel Blut auf dem Fußboden sein.«

»Sunday bloody sunday!«, singt Monica. Aber My trommelt so laut, dass Monica kaum zu hören ist.

»Stop!«, schreit Arne. »Du sollst nicht trommeln, während sie singt, sondern vorher und hinterher. Der Text ist doch wichtig! Sonst versteht ja keiner was.«

Das war Arnes Idee. Auf dem Klassenausflug in die Stadt vor ein paar Wochen haben er und Achim, Mathilda und Marie und die anderen aus ihrer Klasse ein Theaterstück über das Blutbad von Stockholm auf dem Großen Marktplatz in der Altstadt aufgeführt. Jetzt wollten sie eine Show daraus machen, und Arne hatte vorgeschlagen mit dem U2-Song Sunday bloody sunday anzufangen.

Die Idee gefiel allen, nur Marie hatte Zweifel.

»Seid ihr sicher, dass unser Blutbad wirklich an einem Sonntag stattgefunden hat?«

Ganz sicher waren sie natürlich nicht, aber es hat doch mehrere Tage gedauert? An einem der Tage ist es bestimmt Sonntag gewesen.

Marie gab sich damit zufrieden, und letzte Woche haben sie sich den Song jeden Tag angehört.

»Die Teilchen kannst du auf die Tabletts dahinten legen«, ruft Marie von der Bühne, nachdem sie den Song noch mal mit gedämpfter Trommel gespielt haben.

Welche Teilchen, denkt Mathilda und klebt rotes Papier zusammen. Da hält sie mit einem Klebestreifen zwischen Daumen und Zeigefinger inne.

Die Teilchen!

»... und stell die Tabletts auf den Tisch neben die Limo«, fährt Marie fort.

Wie kann so was passieren? Dass man es einfach vergisst? Sie hätte Mama um vierzig Teilchen bitten müssen! Das hatte sie versprochen. Wie spät ist es?

Sie sagt nichts, verschwindet durch die nächste Tür. Guckt auf die Uhr. Eine Stunde hat sie noch. Schafft man es in einer Stunde, Teilchen zu backen? Wenn es ihr gelänge, Mama dazu zu bringen? Aber sie weiß jetzt schon, dass es nicht möglich ist. Hefeteilchen müssen gehen, dann müssen sie gebacken werden und dann müssen sie wieder gehen und dann kommen sie noch mal in den Backofen. Außerdem ist Mama um diese Tageszeit sowieso nicht zu Hause.

Wie viel Geld hat sie? Was kosten Teilchen? Vierzig Stück? So viel Geld hat sie nicht.

Zu Hause setzt sie sich an den Küchentisch. Sie fühlt, wie ihr der Rotz aus der Nase rinnt und es im Hals kratzt. Nein! Nicht auch das noch! Nicht jetzt.

Da fällt ihr Blick auf die Tiefkühltruhe.

Ein Fach ist voller Teilchen. Rasch schreibt sie einen Zettel:

Entschuldige. Ich erkläre es später. Mathilda.

Sie nimmt vier Beutel heraus, schneidet sie auf, legt die vier Eisklumpen auf ein Blech, schiebt es in den Backofen, schaltet den Herd an und guckt auf die Uhr. Nur so lange drin lassen, bis sie die Teilchen voneinander lösen kann.

Zwei Minuten später hält sie das Warten nicht mehr aus. Sie nimmt das Blech heraus, reißt und zerrt an den Teilchen, bis sie sich voneinander trennen, stopft sie in eine Tüte und geht.

Als sie zurückkommt, sind die anderen wütend. Besonders Marie. Jetzt ist es zu spät zum Üben. Das wird bestimmt ein Fiasko. Blut auf dem Fußboden haben sie auch nicht. Das rote Papier, das Mathilda zusammenkleben sollte, aber nicht zusammengeklebt hat, fliegt in der Gegend herum und sieht überhaupt nicht aus wie Blut. Und warum liegen nicht die Teilchen dort, wo sie liegen sollten? Aber was kann man schon von jemandem erwarten, der immer nur an Fußball denkt und auf alles pfeift ...

»Ich pfeif doch überhaupt nicht ...«, protestiert Mathilda. Aber niemand will hören, was sie sagt. Nachdem Marie mit Schimpfen fertig ist, scheint sich keiner mehr um sie zu kümmern. Alle sind beschäftigt, und als Mathilda wieder mit Zusammenkleben anfangen will, hat Monica das schon erledigt, und als sie die Teilchen auf ein Tablett legen will, ist es schon voller Teilchen, die einige aus den anderen Vierten mitgebracht haben. Große, schöne, gleichmäßige Teilchen in Papierförmchen. Ihre, immer noch hart und leicht zusammengedrückt, bleiben wohl besser in der zerknitterten Tüte.

Als sie das Blutbad-Stück aufführen, fällt es Mathilda schwer, ihre Rolle als Kristina Gyllenstjärna zu spielen. Sie soll mutig und stark gegen den rasenden, bedrohlichen Didrik Slaghök auftreten, als sie ihr Leben und ihre Stadt verteidigt.

Aber sie möchte am liebsten weinen und sich die Nase putzen, und das tut sie auch. Mitten im Spiel tut sie es. Rotz und Tränen fließen, und ihr bleibt nichts anderes übrig, als die Bühne zu verlassen.

Aber da macht Marie, verborgen hinter der Maske von Didrik Slaghök, ein paar wütende Schritte auf sie zu und schubst sie wieder auf die Bühne.

»Glaubt nicht, dass Ihr Euch drücken könnt, Kristina Gyllenstjärna!«, brüllt sie und hält Mathilda fest. »Putzt Euch die Nase und begreift, dass Eure Tage gezählt sind.«

Mathilda kriegt ein Stück Haushaltspapier, und während sie sich die Nase putzt, sagt Arne Kristian, der Tyrann, dass die Schweden großes Glück haben, dass ihnen eine Anführerin wie die verrotzte Kristina erspart bleibt. So eine ist doch zu nichts nütze, höchstens als Futter für die Würmer.

Da lacht der grausame Didrik heiser und drohend, und Bischof Achim Brask sagt, eine Frau könne auf keinen Fall König werden, vor allen Dingen keine, die so weichlich und schniefig ist. Kristina schnieft noch mehr und Didrik schmatzt, kaut und stößt sie um.

»Das wird lecker Futter für die Würmer«, sagt er, hebt das Beil und zielt.

Als Arne und Achim von der Bühne kommen, können sie sich kaum noch halten vor Lachen.

»Glaubt nicht, dass Ihr Euch drücken könnt, Kristina Gyllenstjärna«, schreien sie im Chor.

»Das wird lecker Futter für die Würmer.«

Mitten im Lachen hält Achim inne.

»Aber du darfst dich nicht erkälten!«, sagt er und sieht Mathilda streng an. »Du darfst doch das Spiel nicht verpassen.«

»Auf keinen Fall!«, ruft Arne.

»Dann geht die Welt unter! Mindestens! Die Sterne fallen vom Himmel!«

Marie seufzt laut und übertrieben, wirft die Didrik-Maske von sich und marschiert ab.

»Marie!«, ruft Arne und läuft hinter ihr her.

Aber Achim bleibt und macht sich wirklich Sorgen um Mathilda.

»Du musst nach Hause und gesund werden. Auf der Stelle.«

Da geht sie los. Der Rotz rinnt, und wenn Marie solche Laune hat, ist es zu Hause sowieso besser.

Hilf mir, Mathilda! : eine Geschichte vom Glück im Unglück

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