Читать книгу Der Heiratsschwindler - Anny von Panhuys - Страница 5

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So ein Septembertag hat es in sich. Wenn er schön sein will, bringt er das besser fertig als ein Frühlingstag, und die Menschen spüren seinen Sonnenschein wie ein Gottesgeschenk.

Monika Holm lächelte unwillkürlich, als die Sonne aus der kleinen Agraffe, die sie auf Anordnung der Direktrice in die schwarze Hutrosette aus Ripsband einnähen sollte, bunte Blitze hervorlockte.

Die Direktrice, Frau Schade, beobachtete ihr Tun ein Weilchen und rief plötzlich scharf: „Monika, Sie scheinen zu glauben, sich in einem Kinderhort zu befinden. Ich möchte Sie daran erinnern, dass wir hier sind, um zu arbeiten. Sie vergessen das leider manchmal.“

In Monikas blasses Gesicht stieg jähe Röte.

„Ich habe nur ausprobieren wollen, ob die Agraffe wirklich in die Rosette hineinpasst.“

„Ich finde, sie passt dahin, wo ich sie angebracht wissen will, Monika“, gab Frau Schade, eine üppige Vierzigerin, ärgerlich zurück. „Sie haben immer eigene Ideen und glauben, Schick und Geschmack gepachtet zu haben. Ich verbitte mir ein für allemal Ihr ewiges unausstehliches Besserwissen. Schliesslich bin ich hier Direktrice!“

Dunkelbraune Mädchenaugen blitzten sie an, und eben wollte Monika ihre, ein ganz klein wenig mit Rot nachgezogenen Lippen zu einer unüberlegten hastigen Antwort öffnen, als sie einen so kräftigen Fusstritt spürte, dass sie beinah einen Wehlaut ausgestossen hätte.

Sie neigte den Kopf tief über die Arbeit und begann mit geübten, schnellen Fingern das umstrittene unechte Schmuckstück in die Rosettenmitte festzunähen, wo es nun als schimmernder Kelch prangte.

Diese Misshelligkeiten zwischen Frau Schade und Monika Holm wiederholten sich oft. Hätte die Chefin nicht immer wieder alles ins rechte Gleis gebracht, Monika hätte längst den netten Fensterplatz in dieser Arbeitsstube, von wo aus man am besten in den kleinen Hof mit der grossen Akazie sehen konnte, aufgeben müssen. Frau Schade machte kein Hehl daraus, wie angenehm es ihr gewesen wäre, wenn Monika Holm eines Tages nicht mehr wiederkäme.

Monika aber tat ihr den Gefallen nicht.

Sie hatte im Putzatelier Munbert gelernt und wollte hier bleiben. Sie war hierher gewöhnt.

Für den kräftigen Fusstritt konnte sie sich, wie bei ähnlichen Gelegenheiten, auch heute bei Nesse Bürger bedanken, die neben ihr sass.

Diese Fusstritte erhielt sie immer dann, wenn sie den Mund öffnen wollte zu einer Antwort, die Frau Schade nur noch mehr in Harnisch gebracht hätte.

In Sachen des Geschmackes gerieten beide nur zu leicht aneinander.

Der Hauptgrund lag in persönlicher Abneigung.

Frau Schade ärgerte schon der blosse Anblick der sieghaft hübschen Monika. Sie selbst musste sich sehr „herrichten“, um leidlich etwas vorzustellen; dem jungen Mädchen aber hatte die Natur ein Äusseres geschenkt, das erfreulich auffiel. Die Fünfundvierzigjährige beneidete die Einundzwanzigjährige. —

Von ein bis drei Uhr hatten die Putzmacherinnnen Freizeit. Monika und Nesse traten gemeinsam auf die Strasse, die zu den belebtesten der mittelgrossen süddeutschen Stadt gehörte.

Nesse sagte vorwurfsvoll: „Du solltest wirklich endlich mit der Schade Frieden halten. Ihre Ideen sind ihr heilig. Warum schlägst du ihr immer wieder Neuerungen vor? Sie versteht sie einfach nicht, und am fernen Jugendhorizont unserer Chefin steht noch die Kapotte. Dass sie trotzdem ihre gute Kundschaft behalten hat, dankt sie nur ihrem alten Ruf; aber er fängt allmählich an brüchig zu werden, und eines Tages wird es wohl so weit kommen, dass die Damen woanders hingehen.“

Monika, die ihr Rad führte, hatte kaum zugehört. Sie sagte lebhaft: „Lass schon, Nesse, ich mag von dem Kram gar nichts hören! Wenn die herrliche Schade im Einverständnis mit Fräulein Munbert von mir verlangen sollte, ich müsse ’ne Kapotte mit Reiherstutz, neckischem Vergissmeinnicht und breitem Kinnband als neueste Mode garnieren, na, dann tue ich’s eben. Ich habe diese Art von Kampf bis zum Halse satt und hoffe, eines Tages nach meinem Gusto arbeiten zu dürfen. Ein eigenes Geschäft schwebt mir vor, ich möchte den Leuten zeigen, was Geschmack ist.“

Nesse, eine rosige Blondine mit klaren grauen Augen, fragte lächelnd: „Ist die Erfindung deines Onkels vielleicht fertig, von der er sich soviel verspricht.“

Monika lachte ärgerlich.

„Ach, diese Erfindung! Ich habe davon noch nicht einmal soviel“ — sie schnippte mit den Fingern — „zu sehen bekommen. Keinen Schimmer habe ich, um was es sich überhaupt handelt, und manchmal meinte ich, die Erfindung, von der Onkel schon seit beinahe zwei Jahren phantasiert, besteht nur in seiner Einbildung. Damit hält er mich hin, auf bessere Zeiten zu warten und ruhig zu bleiben, weil er mein Muttererbe schon angerissen hat.“ Zornig fügte sie hinzu: „Dies soll ich nicht tun und jenes nicht, ausgehen soll ich nicht und keine Bekanntschaften machen! Goldene Berge verspricht er mir für die Zeit, wenn er mit der Erfindung fertig ist, Schlösser im Mond und dergleichen. Nichts wie Seifenblasen und Humbug, Nesse, ich mache das nicht mehr lange mit! Die Luft ist stickig bei uns in der Nonnengasse, am Ende der Welt.“

Die Freundin, die eigentlich Agnes hiess und der die Mutter den Kosenamen „Nesse“ gegeben, schüttelte den Kopf.

„Du hast seit einiger Zeit etwas Verbittertes im Wesen, Monika, das hast du früher nicht gehabt. Schade, es kleidet sich nicht, es passt nicht zu dir.“

Monika lächelte bitter.

„Was weisst denn du! Ich möchte aus allem heraus. Möchte weg von dem Erfinder, möchte aus dem Haus weg und aus der Nonnengasse.“

„Um dein Heim bist du doch zu beneiden, du Unzufriedene. Weshalb drückst du dich so spöttisch aus? Ihr wohnt im letzten Haus vor dem Wald. Der Duft der Tannen zieht durch die Fenster bis in dein Zimmer, und wenn nachts der Wind weht, rauschen dir die hohen Buchen ein Abendlied.“

Monika zuckte die Achseln und warf den Kopf zurück.

„Alles schön und gut, zugegeben, aber ich möchte endlich etwas mehr vom Leben haben als Tannenduft und Buchenrauschen. Die Zukunftsvertröstungen Onkels fressen meine besten Jahre, und nachher stehe ich mit leeren Händen da als alte Schreckschraube.“

Nesse lachte: „Bis zur Schreckschraube hast du noch viel Zeit!“ Sie gab ihr einen freundschaftlichen Klaps, ihr Weg führte jetzt nach links. „Guten Appetit!“ wünschte sie, was Monika dankend erwiderte.

Monika verschwendete keinen Gedanken mehr an diese Unterhaltung, schwenkte nach rechts hinüber, sprang auf ihr Rad, und in zwanzig Minuten erreichte sie die Nonnengasse.

Die schmale Strasse hiess so, weil hier einmal ein Frauenkloster gelegen hatte. Sie bestand aus kleinen alten Häusern, von denen das jüngste schon über hundert Jahre alt war.

Otto Holms Haus lag dort, wo die Strasse eigentlich schon ein Stück zu Ende war. Es fiel aus der Reihe und hatte seinen Platz längst eingenommen, ehe man ein zweites Haus in der Nähe des Waldes gebaut und danach ein drittes, längst ehe der Name Nonnengasse die Zusammengehörigkeit dieser Häuser am Wald festlegte.

Mehr als bescheiden sieht unser Haus aus, fand Monika, und ihr Blick streifte verächtlich die Front des Gebäudes, von dem stellenweise der Verputz abgefallen war, das feuchte Flecke zeigte und das aus Erdgeschoss und sehr niedrigem Boden mit lukenartigen Fenstern bestand. Nur in der Mitte, unter der Höhe des Daches, gab es ein grösseres Fenster. Es gehörte zu dem einzigen obengelegenen Zimmer. Monika bewohnte es.

Aber ein hübscher Garten zog sich um das Haus, darin fütterten ein paar pausbäckige Putten aus längst verwittertem Sandstein ebenso verwitterte Tauben. Sie taten es unentwegt im Sommer und Winter. Sie lächelten bei jedem Wetter, und Monika dachte: Ihre Sandsteinnerven müsste man haben, um das Leben „in der Nonnengasse, am Ende der Welt“ ertragen zu können! Das Dasein war reich und bunt und vielfältig, sie aber kam sich vor wie ein Zaungast des Lebens, der alles nur von weitem betrachten durfte.

Tante Suse, die Gutmütige, immer Zufriedene, die etwas derb aussah, kam ihr auf dem Flur entgegen und saate freundlich: „Geh nur gleich in die Wohnstube, Monika, heute gibt’s Kartoffelpuffer, dein Leibund Magenfutter.“

Monika nickte ihr zu. Die Tante tat ihr manchmal sehr leid, und sie hätte nicht einmal sagen können warum, denn die Frau war immer zufrieden.

In der Wohnstube sass Onkel Otto, dessen schmales Gesicht etwas Verbissenes und zugleich Durchtriebenes hatte. Sein Haar war eisgrau, seine Hände waren auffallend schmal. Er lebte von seiner Altersrente. Er war Graveur gewesen und musste seit zwei Jahren feiern. Monika zahlte Kostgeld, seit sie als Gehilfin verdiente.

Frau Suse brachte eine Schüssel voll Puffer und setzte sie mitten auf den Tisch.

„Fangt nur immer an“, ermunterte sie, „ich möchte fertigbacken, und frisch schmecken sie doch am besten.“

Sie verschwand wieder in der Küche.

Otto Holm verzog den dünnlippigen Mund.

„Pastetchen möchte ich als Vorspeise, dann Lendenbraten mit Spargel, Artischocken und Champignons, danach Ananas mit Schlagsahne. Dazu eine Flasche Haut Sauterne. Herrgott, Mädel, wenn’s doch endlich so weit wäre!“

Monika antwortete nicht. Was sollte sie auch darauf noch sagen? Er wiederholte diesen Speisezettel in kleinen Abänderungen fast täglich.

Nervös zwinkerte er mit den Lidern.

„Monika, wenn meine Erfindung erst reif sein wird — und es dauert nicht mehr lange bis dahin — dann ändert sich für uns alles mit einem Schlag. Es ist eigentlich unvorstellbar.“ Er legte den Kopf zurück; die Lippen geniesserisch spitzend, versprach er: „Das eleganteste und umworbenste Mädchen der Stadt wirst du werden, Monika, und im teuersten Auto werden wir fahren. Wir . . .“

Monika schnitt ihm das Wort ab.

„Wenn du dir so sehr viel von deiner Erfindung versprichst, kannst du mir doch wenigstens erklären, um was es sich überhaupt handelt. Deine Geheimniskrämerei geht entschieden zu weit. Ich werde bestimmt nichts ausplaudern. Es ist unrecht von dir, dass du uns keine Silbe verrätst, weder deiner Frau noch mir.“

Er zog die etwas verwilderten Brauen hoch, und die breitgeschnittenen Flügel seiner zu langen Nase schienen zu flattern, so lebhaft bewegten sie sich.

„Ich werde auch weiterhin schweigen. Von Erfindungen verstehen Frauen doch nichts, rein gar nichts. Und wenn ihr, Tante und du, niemals von mir etwas darüber hören werdet, ist es auch gleichgültig. Für euch kommt es doch darauf an, ob meine Arbeit von Erfolg gekrönt sein wird, und damit rechne ich bestimmt. Meine gute Alte behelligt mich niemals mit Fragen; die glaubt an mich und wartet ab, bis wir über Nacht reiche Leute geworden sein werden. Das aber geschieht, so wahr ich dir jetzt gegenübersitze, Monika. Doch ich . . .“

Er zögerte, es wurde ihm schwer weiterzureden.

Sie wusste: Jetzt würde er gleich anfangen, vom Geld zu reden, von ihrem kleinen mütterlichen Erbteil. Tausend Mark fehlten schon daran, und sie konnte ihm keine Schwierigkeiten machen, wenn er noch mehr haben wollte. Er erklärte ihr jedesmal, er hätte sie seit zehn Jahren, seit ihre Eltern gestorben wären, wie seine eigene Tochter gehalten, hätte sie einige Jahre sogar eine höhere Schule besuchen und sie beruflich ausbilden lassen. Das alles verpflichte. Überdies würde sie das Geld mit Zins und Zinseszins zurückerhalten. Und dann fing das schon zu oft gehörte Lied von der Erfindung wieder von vorn an. Zukunftshoffnungen stiegen gleich leuchtenden Raketen in den Himmel, der ziemlich einförmig und grau über der Gegenwart in diesem Hause stand, und zerstäubten in der Höhe, fielen blitzend und glimmend weithin nieder wie Sterne, verheissungsvoll, verwirrend, ernüchternd . . .

Sie fragte kühl und ablehnend: „Wieviel willst du denn nun schon wieder? Ich habe bloss noch fünfzehnhundert Mark und gehe nicht gern daran. Es ist mein Notgroschen, Onkel, vergiss das nicht. Falls es mit deiner Erfindung nichts wird, kann er uns allen noch zugute kommen.“

Sie sah ihn unter halbgeschlossenen Lidern an.

Er liess die Gabel auf den Tisch fallen, sie streifte klirrend den Tellerrand.

„Immer diese Ermahnungen! Du tust, als ob ich ein dummer Junge wäre, der das Geld hinauswirft!“ polterte er. Sein Kinn schob sich eckig, fast brutal vor.

Monika kannte diese Veränderung seines Gesichts und hasste sie.

Sie fragte kurz: „Also wieviel soll es sein? Sage es schon, damit ich Bescheid weiss.“

Er nahm die Gabel wieder auf und ass schweigend weiter. Erst nach einem Weilchen antwortete er: „Ich brauche nur noch fünfhundert Mark, alles in allem nur noch fünfhundert Mark. Damit bringe ich mein Modell so weit, wie ich es bringen muss und . . .“

Sie unterbrach ihn rasch, um nur nichts mehr von den Zukunftshoffnungen hören zu müssen, an die sie nicht recht glaubte, wenn sie auch zuweilen dachte, dass es schön wäre, wenn sie sich verwirklichten.

„Ich werde dir gleich nachher einen Scheck geben“, sagte sie kurz, dann kannst du dir das Geld holen.“

Seine Züge waren jetzt sehr wohlwollend, und überaus freundlich klang seine Stimme, als er bat: „Könntest du mir das Geld nicht mitbringen, Monika? Die Bank ist doch nicht weitab von deinem Geschäft. Du kannst dort sicher für ein paar Minuten abkommen.“

Sie nickte. „Gut, ich werde dir das Geld heute abend mitbringen.“

Es klang ergeben und gewissermassen abschliessend. Ungefähr so, als ob sie dazu erklärt hätte: Ich tue dir den Gefallen, aber jetzt lass mich, um des Himmels willen, endlich mit deinem Krempel in Ruhe!

Er schien es auch so aufzufassen, denn er schwieg von nun an und beschäftigte sich nur noch mit dem Essen.

Der Heiratsschwindler

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