Читать книгу Der Heiratsschwindler - Anny von Panhuys - Страница 7

3.

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Monikas neuer Bekannter erwartete sie um ein Viertel nach sieben Uhr abends an der verabredeten Stelle.

Er lächelte sie an.

„Famos, dass Sie zu den pünktlichen Frauen gehören, blondes schönes Fräulein“, lobte er. „Ich bin nicht gut auf unpünktliche Damen zu sprechen, aber leider gibt es davon eine ganze Menge.“

Sie wollte lachend fragen, ob er in dem Punkt schon sehr viele Erfahrungen gemacht, aber sie liess es lieber. Es kam ihr plötzlich albern vor. Natürlich hatte ein Mann von seinem Äusseren schon allerhand Erfahrungen mit Frauen hinter sich.

Er bat: „Geben Sie mir die Hand zum Gruss, wir wollen doch Freunde werden.“

Sie reichte ihm die Hand, sein Blick verwirrte sie. Er hatte seltsam zwingende Augen. Sie dachte etwas benommen, als ob man in zwei kleine Sonnen hineinblicke.

Sie fühlte, der fremde Mann hatte mit diesem Blick plötzlich Macht über sie gewonnen. Dieses Empfinden, ihr bisher fremd, legte sich wie ein Druck auf ihr Herz, wurde zu einem Bangen ganz eigener Art, einem Bangen vor allzu grossem Glück.

Er fragte, ob sie Wünsche hätte, wohin man gehen solle, sonst würde er vorschlagen, durch den Schlosspark zu spazieren und im Restaurant „Hahn“ auf der jenseits des Parkes liegenden Stadtseite Abendbrot zu essen. Danach könne man vielleicht ein Tanzcafé aufsuchen.

Sie staunte: „Sie haben aber viel vor.“ Und keck setzte sie hinzu: „Ich bin heute unternehmungslustig aufgelegt und mache gern mit.“

„Dann sind wir also einig“, freute er sich, und sein aufleuchtender Blick verwirrte sie wieder ein wenig.

Die Strasse führte gerade hinein in den alten Park. Frei konnte der Blick sich an den bis zum Spätherbst mit Blumen bepflanzten Beeten und saftgrünen dichten Rasenflächen erfreuen. Unter den alten Bäumen hatte sich schon manches junge paar gefunden.

Es war bereits dunkel, in der Hauptallee brannten die Laternen, und die hohen Bäume hielten ihre Äste breit und schützend über die Wege. Monika war in einer Stimmung grosser Erwartung, in einer Stimmung, als müssten sich heute noch Wunder ereignen.

Helmut Wingern erzählte kleine Erlebnisse aus seiner Praxis, und sie erfuhr erst dadurch, dass er Doktor der Medizin war. So ein frischfröhlicher Arzt wie er musste ein wahrer Segen für seine Patienten sein. Ihr Onkel war auf einen alten Arzt eingeschworen, der immer eine solche Leidensmiene zur Schau trug, als ob er alle Krankheiten, die es gab, am eigenen Leibe durchgemacht hätte.

Sie äusserte freimütig ihre Gedanken.

Helmut Wingern legte flüchtig vertraulich seine Hand auf ihren Arm.

„So sonderbar es Ihnen auch klingen mag, aber es gibt Menschen, die gehen gerade gern zu solchen Ärzten mit Jammermienen; die wollen und benötigen eine Atmosphäre von Wehleidigkeit um sich herum, sonst macht ihnen ihre Krankheit keinen Spass!“ Er lachte jungenhaft vergnügt. „Ich bin einigen meiner Patienten mit meiner ständig guten Laune schon auf die Nerven gefallen. Einmal wollte ich einen alten Herrn ein bisschen erheitern und gab mir alle erdenkliche Mühe. Er sollte seine Krankheit, die gar nicht besonders schlimm war, nicht so wichtig nehmen. Ich strengte mich nach besten Kräften an, und als ich schon beinah an Erfolg glaubte, erhob er sich plötzlich und sagte würdevoll zu mir: ,Ich nahm an, mich bei einem Arzt zu befinden, aber ich muss mich in der Tür geirrt haben, ich bin an einen Spassmacher geraten, der mir durchaus eine Privatvorstellung geben will. Ich verzichte! Wenn ich danach Lust verspüre, gehe ich lieber gleich in den Zirkus‘.“

Er erzählte die kleine Episode äusserst vergnügt und meinte: „Vielleicht hatte der alte Herr recht. Ich war jedenfalls einen Patienten für immer los. Kurz nach ihm kam eine alte Dame und klagte mir ihr Leiden. Und weil ich eben belehrt worden war, zog ich ein feierlich teilnehmendes Gesicht beim Zuhören und auch nachher, als ich ihr etwas verschrieb. Mir lag nichts daran, noch einen Patienten zu verscheuchen. Aber ehe die alte Dame mich verliess, sagte sie freundlich: ,Verehrter junger Herr Doktor, man hat Sie mir als tüchtigen Arzt empfohlen; aber entschuldigen Sie, ich bin etwas enttäuscht von Ihnen. Sie machen ein viel zu tristes Gesicht für einen Arzt. Ein Arzt, besonders aber ein junger, soll den Patienten Mut einflössen, Ihre Leichenbittermiene aber hat mich erheblich herabgestimmt. Glauben Sie einer alten Frau und beherzigen Sie den Rat: Zeigen Sie denen, die zu Ihnen in die Sprechstunde kommen, ein frohes, hoffnungsvolles Gesicht, lassen Sie gelegentlich geschickt ein paar Scherze einfliessen, denn Lachen schadet bestimmt nichts‘!“

Monika lachte vergnügt, und er meinte mit einem drolligen Seufzer: „Ich war also wieder hereingefallen und sah ein, wie man es macht, macht man es eben falsch!“

Monika fand alles lustig, was der Mann an ihrer Seite vorbrachte. Er erzählte noch mehr Scherzhaftes, und als sie die Wirtschaft „Zum Hahn“ erreichten, schien ihr Wingern gar kein Fremder mehr. Seine nette, liebenswürdig vertrauliche Art hatte in ihr das Gefühl ausgelöst, als ob sie mit einem alten Bekannten einem gemeinsamen Abend entgegenbummele, auf dessen Verlauf sie sich freute, weil der Partner so angenehm war.

Der „Hahn“ war eine alte Wirtschaft mit Tradition und seit zweihundert Jahren in den Händen einer Familie Hahn. Das Fachwerkhaus, allerdings gründlich instandgesetzt, sah äusserlich und, soweit es sich hatte machen lassen, auch innerlich noch so aus wie einstens. Es war die berühmteste Speisewirtschaft der Stadt, und man trank dort die besten Weine.

Ein plumper eiserner Hahn stand auf einem kleinen Vorbau am Giebel des alten Hauses, von einigen elektrischen Lampen umstrahlt. Ein Fremder brauchte nicht erst die verschlungene grosse Inschrift am Hause zu lesen, um zu wissen, dass er vor dem „Hahn“ angelangt war.

Helmut Wingern legte wieder seine Hand leicht auf Monikas Arm. „Jetzt wollen wir uns da drinnen mal erst ein bissel anfreunden, nicht wahr?“

Sie nickte. „Eigentlich haben wir das wohl schon getan.“

Er schüttelte lebhaft den Kopf. „Ich habe noch keine Ahnung, wer Sie sind; aber wenn wir erst gemütlich beisammensitzen, möchte ich versuchen, wenigstens Ihren Vornamen zu erraten. Ich denke mir das Spiel ganz unterhaltsam.“

Sie antwortete im gleichen lustigen Ton: „Sie dürften ziemlich lange zu raten haben, Herr Doktor, meinen Vornamen gibt es nicht allzu häufig.“

Sie betraten das Haus, die Hauptgaststube öffnete sich vor ihnen. Dahinter lag ein kleinerer, gemütlicherer Raum. Wingern fragte, ob Monika der Tisch in der Ecke rechts angenehm wäre, auf dem ein Strauss bunter Gartenblumen in heller Tonvase stand. Sie bejahte und zog ihr Jäckchen aus, nahm auch den Hut ab. Sie wirkte ohne Hut sehr jung. Wie höchstens achtzehn sah sie aus.

Der Kellner brachte zunächst eine Flasche Wein, und Helmut Wingern stellte eine kleine Speisenfolge zusammen, die Monika üppig fand. Sie wollte deshalb Einspruch erheben.

Er lachte: „Aber bitte, ich habe einen Mordshunger vor lauter Freude, weil Sie bei mir sind.“

Konnte sie dafür, dass ihr Gesicht sich rötete, ehe sie noch einen Schluck Wein getrunken hatte?

Es waren noch nicht viele Gäste erschienen. Die altmodische Kastenuhr im kleinen Gästezimmer, die als Aufsatz eine Nachahmung des krähenden Hahnes am Hausgiebel in Holzschnitzerei zeigte, meldete blechern klingend die achte Stunde. Gegen zehn Uhr pflegte es keinen leeren Stuhl mehr im „Hahn“ zu geben.

Helmut Wingern schenkte ein und hob Monika sein gefülltes Glas entgegen. „Auf gute Freundschaft, schöne Unbekannte!“

Sie stiessen an, aber es gab keinen hellen, reinen Zusammenklang. Monika entdeckte, dass ihr Glas einen Sprung hatte. Schade! Sie hätte es für ein gutes Omen genommen, wenn der Zusammenklang anders gewesen wäre.

Er hatte es wohl überhört und erzählte: „Ich bin in Frankfurt am Main ansässig und habe mir eine Woche Urlaub gegönnt, weil ich den ganzen Sommer über zu Hause geblieben bin. Ein Kollege vertritt mich. Ich freue mich so sehr, gerade hierhergekommen zu sein.“

Seine Augen strahlten sie an, dass sie den Blick bis ins Herz fühlte. Sie verstand ihn, er freute sich, dass er in diese Stadt gekommen, weil er sie hier kennengelernt hatte.

Nach dem zweiten Glas fragte er: „Darf ich jetzt erfahren, wer Sie sind? Ich erzähle es auch keinem weiter, sonst kommen andere und nehmen Sie mir weg.“

Sie lachte schon wieder und erinnerte ihn: „Sie wollten doch meinen Vornamen erraten. Ich glaube, es wird Ihnen gründlich vorbeigelingen.“

Er meinte: „Dann wage ich es erst gar nicht, mit dem Raten anzufangen. Doch Mut, ich will’s versuchen! Also Sie heissen . . .“ Er machte ein sehr nachdenkliches Gesicht und lächelte sie plötzlich an. „Ich glaube, Sie heissen Monika!“

Monika erschrak und sah ihn verwirrt an.

„Es stimmt, ich heisse wirklich Monika, aber ich begreife nicht, wie Sie daraufgekommen sind. Den Namen gibt es nicht allzu häufig.“

Er sagte scherzend: „Ich bin ein unheimlich gescheiter Kerl, schönste Monika, das müssen Sie mir doch, wenn auch noch so ungern, wenigstens zugeben.“

Sie schüttelte den Kopf.

„Ich stehe vor einem Rätsel! Bitte, sind Sie durch Zufall auf meinen Namen gekommen, oder haben Sie sich erkundigt?“

Er hatte sehr scharf geschnittene Lippen, und sie musste darauf hinsehen, als er übermütig antwortete: „Ich erfuhr Ihren Vornamen, der mir, nebenbei bemerkt, sehr gut gefällt, durch Zufall, weil ich mal in meiner Jugend lesen gelernt habe. Tja, gelernt ist gelernt!“

Er langte in die Tasche, holte ein weisses Tüchlein daraus hervor und wies in dessen eine Ecke. Dort stand in zierlicher Stickerei: Monika.

„Das Tuch haben Sie vorgestern, als wir uns kennenlernten, verloren“, erklärte er. „Ich sah es erst auf der Erde liegen, als Sie schon in einem der Häuser verschwunden waren.“

Monika staunte. Wie einfach doch manchmal die Lösung für scheinbar Verblüffendes war!

„Ich heisse Monika Holm, schliesslich brauche ich meinen Vatersnamen nicht geheimzuhalten.“

Er lächelte und wiederholte so sanft, als ob er den Namen streichelte: „Monika Holm . . .“

Sie assen und plauderten, Monika trank nach und nach vier Gläser Wein und wusste es kaum. Die Welt hatte sich heute so sehr für sie verwandelt, und herrlich war sie, diese neue, verwandelte Welt. Der Mann, der ihr gegenübersass, gehörte aber da hinein, ohne ihn wäre alles wie vordem — öde, langweilig, eintönig.

Die Wirtin vom „Hahn“ kam an ihrem Tisch vorbei und grüsste. Sie pflegte alle Gäste zu begrüssen, indem sie im Vorübergehen den Kopf neigte und auf diese Weise für den Besuch zu danken schien. Manchmal blieb sie auch an einem Tisch stehen und erkundigte sich, ob es den Herrschaften geschmeckt habe und ob ihnen der Wein zusage.

Sie war Witwe und die Besitzerin des Restaurants. Ihr jüngster Sohn, der Koch des Hauses, folgte in allem den Ratschlägen seiner tüchtigen Mutter. Helene Hahn war sechsundvierzig Jahre und eine sehr gepflegte Frau. Sie trug im Hause, wie eine Uniform, stets eine Art Dirndlkleid aus stumpfer schwarzer Seide mit grossen Silberknöpfen. Ihr sehr gerade gezogener brauner Scheitel und die dicken Flechten zeigten noch kein einziges graues Haar und ihr etwas derbes Gesicht sah auffallend glatt und frisch aus. Dunkle, kluge Augen hatte sie und blendende, ziemlich grosse Zähne. Aber es kleidete sie, das Wolfsgebiss.

Nachdem die Frau grüssend an ihrem Tisch vorbeigegangen war, freute sich Monika: „Endlich habe ich doch wenigstens einmal die ,Hahnenwirtin‘, wie sie sich selbst nennt, zu Gesicht bekommen. Sie gehört nämlich zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt. Haben Sie sich die Frau genau angeschaut, Herr Doktor?“

Helmut Wingern nickte. „Natürlich habe ich das getan. Die Frau fällt einem doch sofort auf.“

Monika erzählte eifrig weiter: „Sie soll besser wirtschaften können als ihr verstorbener Mann. Und sie hat sechs Söhne von ihrem Schlag. Alles studierte Leute, bis auf den Jüngsten, der einmal den ,Hahn‘ erben sollte. Aber er starb plötzlich, und sofort, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, brach der Zweitjüngste sein Chemiestudium ab und lernte Koch. Jetzt steht er in Mutters Küche. Er soll sein Handwerk ausgezeichnet verstehen.“ Sie lächelte. „Man erzählt, Helene Hahn hätte gesagt, so wären ihre sämtlichen Söhne erzogen, die Tradition ginge ihnen über alles. Wenn es nötig sein sollte, sprängen auch die anderen vier aus dem Studium heraus, um im ,Hahn‘ zu arbeiten. Das alte Haus lege denen, die da hineingehörten, eben Verpflichtungen auf.“

„Der Frau sieht man es an, dass sie so denkt und handelt“, meinte Dr. Wingern und schlug vor, aufzubrechen und ein Tanzcafé aufzusuchen.

Monika war gern einverstanden.

Am Ausgang stand die Wirtin, und ihr Kleid aus schwerem teurem Taft raschelte ein wenig geheimnisvoll, als sie bat: „Wenn es Ihnen im ,Hahn‘ gefallen hat, meine Herrschaften, dann kommen Sie, bitte, recht bald wieder.“

Monika dachte, das so einfach wirkende Kleid sei sicher teurer als ein halbes Dutzend von der Sorte, die sie selber sich leisten konnte, und sie hatte gesehen, dass die Frau eine Brosche in Form eines Hahnes aus ziemlich grossen Brillanten am Halsausschnitt trug.

„Wenn das Schmuckstück echt ist, wie es doch den Anschein hat, muss es mindestens einige Tausender wert sein“, schätzte Monikas Begleiter, und dann traten sie auf die Strasse hinaus, in die wundersame laue Luft des Septemberabends.

Der Mann schob seinen Arm unter den Monikas, und sie empfand es keineswegs unangenehm. Der Wein hatte sie beschwingt und das Gefühl, sich mitten im Erleben eines schönen, glücklichen Abends zu befinden, stimmte sie froh.

Mochte es heute so spät werden, wie es wollte! Sie dachte nicht daran, auch nur eine Minute früher heimzukehren als nötig.

Sie wanderten wieder durch den Schlosspark zurück, aber Monika merkte kaum, um wie viel dunkler es jetzt beim Rückweg hier unter den alten Bäumen geworden, weil sie nicht darauf geachtet hatte, dass ihr Begleiter sie sacht vom Hauptweg, den hohe Laternen erhellten, auf einen Nebenweg führte. Gespenstisch leuchteten weife Marmorgötter aus dichtem Gesträuch, das ihre Sockel umgab, und der Mann neben ihr zog sie fester an sich, flüsternd: „Ich habe dich lieb, Monika! Und ich habe es sofort gewusst, dass ich dich einfach liebhaben muss.“

Wie sanfte, betörende Musik glitten die Worte in ihr Ohr, und sie fühlte das jähe Erglühen ihrer Wangen. Kaum zu ertragen war die Glut.

Ich habe dich lieb, Monika! . . .

Der leichte Weinrausch verflog plötzlich, aber die Worte wirkten noch berauschender: Ich habe dich lieb, Monika! . . .

Ehe sie überhaupt daran dachte, sich zu wehren, lagen seine Lippen auf den ihren, machten sie völlig willenlos.

Ob der Kuss nur Sekunden dauerte oder vielleicht gar Minuten, das wusste sie nicht, aber sie fühlte mit Inbrunst, diese Sekunden oder Minuten waren der Höhepunkt ihres ganzen bisherigen Lebens, weil sich eine Überfülle von wunschloser Seligkeit darin zusammendrängte.

Sie wusste von dem Manne, an dessen Brust sie sich schmiegte, fast gar nichts. Er war ihr fremd, und doch hätte sie sich nicht hingebender küssen lassen können, wenn sie ihn schon lange gekannt und schon lange auf das Glück dieses Zueinanderfindens gewartet hätte.

Als sich seine Lippen von den ihren lösten, taumelte sie ein wenig, aber seine Arme, die sie flüchtig freigegeben, rissen sie gleich noch einmal an sich. Endlich liess er sie wiederum frei, aber sie musste tief Atem schöpfen, wie ein Mensch, der nach einem besonders starken Erleben erst ein wenig Ruhe erzwingen möchte.

Ihr Herz hämmerte und ihr Kopf versuchte vergeblich zu begreifen, wie es denn eigentlich möglich gewesen war, dass sie sich in einen solchen Taumel der Gefühle hatte verlieren können.

Sie schämte sich plötzlich vor dem Mann. Ernüchternde Fragen setzten ihr zu. Was musste er von ihr denken? In welche Klasse von Mädchen würde er sie jetzt einreihen? Ihr war jämmerlich elend zumute.

Sie wandte sich ab und wollte fortlaufen. Unüberlegt wie ein Kind, das sich fürchtet.

Er haschte nach ihren Händen.

„Liebes, törichtes Mädelchen, weshalb willst du mit einmal nach Hause? Du hattest doch vorhin noch reichlich viel Zeit. Du hast dich willig von mir küssen lassen, also gefalle ich dir. Eine wie du nimmt das nicht von jedem beliebigen Menschen hin, und ich bilde mir etwas darauf ein. Deshalb wäre ich ein Narr, dich laufen zu lassen.“ Er umklammerte ihre Hände dabei so fest, dass es sie schmerzte. „Dich gehen zu lassen, wäre die grösste Dummheit meines Lebens, und ich gestehe dir, Monika, ich habe schon eine stattliche Anzahl von Dummheiten gemacht. Dich aber habe ich wie einen Schatz gefunden, und den gebe ich nicht so leicht her.“

Er drückte heisse Küsse auf ihr Gesicht, gleichviel wo sie hintrafen, flüsterte ihr dazwischen bebend Zärtlichkeiten, zu, die sie empfand, als ob duftender Blumenregen auf sie niedertropfte von dem dunklen Himmel, an dem die ewigen Sternenwunder vor dem Jenseits leuchtende Wacht hielten . . .

Obschon sie schon ein paar Verehrer gehabt hatte, die ihr aber nicht besonders gefielen, hatte sie bisher ein ziemlich einförmiges Leben geführt und sich, angeregt durch Filme und Romane, manchmal Erlebnisse ausgemalt, nach denen sie eine heisse Sehnsucht verspürte.

Jetzt war das Erleben plötzlich da.

Fast zu plötzlich.

Sie sagte endlich mit stockendem Atem: „Ich möchte gern alles ungeschehen machen, weil Sie nun glauben müssen, ich wäre allzu leichte Ware.“

Er lachte ihr ins Gesicht.

„Du bist das herrlichste, süsseste Geschöpf, das mir ein wohlgesinntes Schicksal in den Weg geführt.“ Er stiess zwischen zusammengepressten Lippen hervor: „Ich glaube, für dich könnte ich die Welt aus den Angeln heben.“

Ihr wurde mit einemmal wieder leicht, und neckend glitt es an sein Ohr: „Ist das nicht vielleicht ein wenig zu viel versprochen? Ich denke mir das nämlich gar nicht so leicht.“

Er zog sie wieder an sich und seine Antwort: „Ich bin leider kein Mensch, der sich an Grosses heranwagt“, schien ihr viel zu ernst auf die harmlose Bemerkung.

Sie glaubte sogar Bitternis anklingen zu hören.

Sie antwortete: „Ich bin viel zu unbedeutend, als dass ein Mensch meinetwegen Grosses zu wagen bräuchte. Ich wüsste auch nicht weshalb; es würde sicher jede Gelegenheit dazu fehlen.“

Er nahm ihren Arm und drückte ihn an sich.

„Nach Hause lasse ich dich jetzt auf keinen Fall, jetzt wollen wir erst ein paarmal zusammen tanzen. Ich fühle, es ist heute so ein Abend, wie er ähnlich vielleicht nie wieder kommt. Was weiss man denn von der Zukunft, heute ist heut, mein Lieb!“

„Heute ist heut!“ wiederholte sie leise und liess sich noch einmal küssen, dann führte er sie zurück auf den Hauptweg des Schlossparks, und eine Viertelstunde später betraten sie ein Café, in dem getanzt wurde. Es war sehr besucht, aber Monika war es, als ob sie sich beide allein dort befänden. Sie sah von den vielen Menschen um sich herum nur den Mann, den sie vor ein paar Tagen noch gar nicht gekannt und der ihr in dieser Stunde schon so unendlich viel bedeutete, dass sie am liebsten gleich bei ihm geblieben wäre für immer.

Sie tanzten dann, und es war ein seliges Aneinanderschmiegen, im weichen Rhythmus der gelösten Glieder lag Selbstvergessen. Was ging sie beide die Umwelt noch an. Und zwischen den Tänzen ruhten sie aus, tranken Erfrischendes, schauten sich selbstvergessen an und redeten verliebtes Zeug.

Helmut Wingern musste sie aber trotzdem immer wieder daran erinnern, dass sie ihn nicht mit „Sie“ und „Herr Doktor“ anreden dürfe.

Darüber lachten sie dann beide so harmlos froh wie Kinder.

Gegen zwölf Uhr fiel es Monika aber plötzlich ein, dass sie jetzt heim müsse, und er begleitete sie. Durch nachtstille Strassen gingen sie, ihre Schritte hallten auf dem Pflaster wider. Nur wenige Menschen begegneten ihnen. Er fragte, nachdem sie schon ein Weilchen gegangen: „Wo wohnst du eigentlich, Monika?“

Sie lachte und sagte ihr gewohntes Sprüchlein auf: „In der Nonnengasse, am Ende der Welt!“

„Dann werde ich, nachdem ich dich heimgebracht, kaum je zurückfinden.“

Sie tröstete lustig: „Am Ende der Welt gibt’s eine Elektrische, die bringt dich zurück.“ Sie fragte: „Wo wohnst du eigentlich, Herr Doktor?“

Darüber mussten sie wieder beide lachen, und weil die Strassen so zufriedenstellend menschenleer waren, durften sie sich auch immer wieder küssen.

Niemand konnte daran Anstoss nehmen.

Helmut Wingern beantwortete ihre Frage: „Damit du es weisst, Fräulein Monika, ich wohne im Hotel ,Baden‘. Aber jetzt wollen wir ein Wiedersehen verabreden. Wäre es dir recht, wenn wir uns übermorgen vor dem Schlosspark treffen würden? Vielleicht um die gleiche Zeit wie heute.“

Monika war alles recht. Onkel würde zwar brummen, wenn sie übermorgen schon wieder spät heimkäme, aber mochte er, die Aussicht auf seine unsichere Erfindung durfte sie nicht die schöne Gegenwart versäumen lassen.

Ungefähr dreissig Schritte vor ihrem Daheim verabschiedete Monika ihren Begleiter.

„Ich möchte nicht mit dir zusammen bis vor unser Haus gehen; Onkel könnte uns sehen, er ist manchmal noch spät auf“, erklärte sie. Das vertrauliche Du war ihr inzwischen schon ziemlich geläufig geworden.

Er fragte: „Unser Haus? Das klingt so nach eigenem Besitz. Gehört das Haus deinem Onkel?“

Sie nickte. „Ja, aber es ist nur klein und hat keinen besonderen Wert. Wer mag denn schon hier draussen wohnen, in der Nonnengasse, am Ende der Welt!“

Er blickte zu der dunklen Mauer des nahen Waldes hinüber.

„Es muss doch schön hier sein. Jeder hat nicht den Vorzug, so wohnen zu können, mancher wäre glücklich, es so zu haben. Sei froh darüber, Mädel, sei auch froh, dass du einen Onkel hast, dem es gut geht, bei dem du sorglos leben kannst.“

Er schien anzunehmen, dass sie nicht beruflich tätig war, jedenfalls hatte er bisher nicht danach gefragt.

Sie wollte ihm Erklärungen geben, aber schliesslich kamen die wohl noch beim nächsten Treffen zurecht, dachte sie. Man wusste überhaupt noch so wenig voneinander. Ihr erster Abend war bis zum Rande ausgefüllt worden von Küssen und Liebesworten.

Er nahm sie in den Arm.

„Auf Wiedersehen, Monika, süsse Monika.“ Er Flüsterte leidenschaftlich bewegt: „Behalte mich lieb! Auf Wiedersehen!“

Sie liess sich küssen und zeigte mit der Hand nach der gegenüberliegenden Strassenseite: „Wenn du dort um die erste Ecke biegst, siehst du schon die Endstation der Elektrischen.“

Sie entfernte sich, er blieb indes stehen und sah ihr nach, wie sie mit federndem, weitausholendem Schritt bis zum letzten Haus dieser etwas bergan führenden Strasse ging.

Vor Otto Holms Anwesen stand die letzte Laterne der Nonnengasse. Helmut Wingern war ihr dankbar, bei ihrem Schein konnte er Monika deutlich sehen.

Noch einmal zurückschauend, verschwand Monika. Er wartete noch ein paar Minuten auf der gleichen Stelle, ging dann an dem letzten Haus vorüber und dachte: In der Nonnengasse, am Ende der Welt, wohnt Monika Holm, die ich liebe!

Er musste lächeln. Der Gedanke hatte etwas Poetisches und Romantisches, für poetische und romantische Dinge aber war in seinem Kopf im allgemeinen kein Raum. Ihm lag Nüchternheit und sachliches Denken.

Doch man konnte dem Kopf auch einmal einen Feiertag gönnen, einen Feiertag, fern aller nüchternen, sachlichen Einstellung . . .

Da sich kein Fenster im Hause erhellte, nahm Wingern an, Monikas Zimmer liege nicht nach der Strasse, und kehrte langsam um. Aber er kümmerte sich nicht um die Strassenbahn, er fand sich in fremden Städten leicht zurecht und wusste genau, welchen Weg er mit Monika bis zur Nonnengasse genommen.

Er mochte nicht fahren, es tat gut, durch die frische Luft der stillen Nacht zu wandern mit der Feiertagsstimmung in sich. Er wusste ja, sie würde nicht lange anhalten.

Der Heiratsschwindler

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