Читать книгу Ulla mischt sich ein - Anny von Panhuys - Страница 7

Viertes Kapitel

Оглавление

Ulla sass in der Uhrmacherwerkstatt hinter dem kleinen Laden. Mathias Jost arbeitete nicht, sie hatte seinen Platz eingenommen, schaffte für ihn, und er sass im Lehnstuhl und gönnte seinen Augen Ruhe; sie ermüdeten ja immer so bald in diesem Raum, der auch tagsüber künstlich erhellt werden musste.

Ulla sagte: „Jemand erzählte mir, es soll schon in allernächster Zeit mit dem Abreissen meines Geburtshauses begonnen werden.“

Mathias Jost nickte. „Ich hörte es ebenfalls, und lange darf man auch nicht mehr damit warten, der eine Giebel neigt sich schon bedenklich.“

Ulla spürte ein Brennen hinter den Lidern.

„Armes altes Haus, das man zum Sterben verurteilt hat! Als Mutter vor Wochen die Neuigkeit mit heimbrachte, das Haus, das einmal ihr gehört hat, müsse wegen Baufälligkeit niedergelegt werden, weinte sie sehr und weinte noch viele Tage danach. Sie meinte, wenn der Vater nun heimkehre, würde er traurig sein, das alte Haus nicht mehr wiederzufinden, in dem er mit ihr so glücklich gewesen.“ Bitter setzte sie hinzu: „Als ob ihm etwas an allem läge, was er hier zurückgelassen! Was gilt einem, der sich wie ein Dieb davongemacht, so ein altes kaputtes Haus! Aber Mutter ist verstört und redet immer davon. Sie sagte, das Haus hätte noch lange Jahre Widerstand geleistet.“

Er tröstete: „Sie wird auch darüber wegkommen. Solche Abbrucharbeiten gehen verhältnismässig schnell, und wenn das Haus erst verschwunden sein wird, ist’s vielleicht sogar besser für sie. Die Erinnerung an all das, was für sie mit dem Hause zusammenhängt, wird matter werden.“

„Wollen es wenigstens hoffen!“ gab Ulla fast inbrüstig zurück; denn ihre ganze Jugend hatte, wenn sie es auch schon in frühester Kindheit verlassen, doch im Schatten des Hauses da drüben gestanden.

Draussen bimmelte die Ladentürklingel, und Mathias Jost ging hinaus. Ein alter Kunde brachte eine verbesserungsbedürftige Uhr und hielt ihn lange auf. Endlich konnte er zu Ulla zurückkehren.

Sie sass wie vorhin bei der Arbeit und schaute kaum auf; aber als er jetzt mitarbeiten wollte, lächelte sie: „Faulenze nur noch ein Weilchen, du hast es verdient, Uhrendoktorche!“ Sie führte mit der Pinzette ein winziges Rad in die vor ihr liegende Herrenuhr und warf ihm zu: „Christian hat heute seinen Freund mitgebracht, mit dem er immer so wichtig tut, er hat ihn mir vorhin auf dem Flur vorgestellt.“

„So!“ machte Mathias Jost interessiert. „Wie sieht er denn aus, und vor allem, wie gefällt er dir?“

„Ach, nach einem ersten Sehen kann man eigentlich kein Urteil abgeben.“

Er liess sich in seinen geliebten Armsessel nieder.

„Du willst dich um eine gerade Antwort herumdrücken, Ulla. Du weisst über einen Menschen schon Bescheid, wenn du ihn nur flüchtig anschaust. Also offen heraus: Wie gefällt dir der Freund von Christian, der selbst restlos von ihm begeistert ist?“

Ulla nahm die Lupe vom Auge.

„Wenn du durchaus mein offenes Urteil verlangst, gut: Der Mann aus Ostindien gefällt mir gar nicht! Er sieht aus wie ein Asiate in Reinkultur, das Lächeln hat er auch, das verflixte, sich immer gleichbleibende Lächeln. Und seine Stimme ist so dünn wie Säuseln.“

Mathias Jost erwiderte: „Nach deiner Beschreibung passt er also ganz und gar nicht zu Christian.“

Er verstummte jählings, denn eben öffnete sich die Tür, und sein Sohn trat mit Jan van Straaten ein. Er konnte nun gleich feststellen, dass Ullas Beschreibung genau stimmte.

Er war sehr enttäuscht, er hatte sich den Freund Christians, der bei jeder Gelegenheit von ihm schwärmte, anders vorgestellt. Aber er reichte Jan van Straaten freundlich die Hand und bot ihm Platz an.

Christian wollte sagen: Wir wollen uns nicht aufhalten! Aber er schwieg, denn Jan van Straaten sass bereits.

Seine Augen ruhten auf Ulla Utten.

Er fragte: „Sie sind eine Gehilfin von Herrn Jost, mein gnädiges Fräulein?“

Ulla lachte laut und vergnügt.

„Ich bin kein gnädiges Fräulein und will auch keines sein; Ulla Utten heisse ich, falls Sie den Namen vorhin schlecht verstanden oder schon vergessen haben sollten, Herr van Straaten, und ich helfe Herrn Jost freiwillig mit. Abends, wenn ich Zeit dazu habe.“

Mathias Jost erklärte: „Von Kind an bezeigte Ulla grossen Eifer, mir zu helfen. Erst war’s freilich nur Spielerei, allmählich aber lernte sie mir ab, was ich konnte, und es wurde Ernst aus dem Spiel. Jetzt versteht sie fast mehr als ich, wenigstens hat sie eins viel leichtere Hand und viel bessere Augen als ich.“

Jan van Straatens Blick ruhte auf dem fesselnden Bild, den der schmale, leichtgeneigte blonde Mädchenkopf darbot. Er fand, Ulla Utten war wunderschön. Sein Herz meldete sich, er fühlte sein Blut schneller durch die Adern strömen. Er empfand es als ein Glück, dass er über Reichtum verfügte. Das Mädel war nur einfach gekleidet, und Geld ist ein mächtiger Bundesgenosse, wenn man Wünsche verspürt. Er war einem kleinen Liebesroman mit Ulla Utten nicht abgeneigt. So ein goldblondes Mädel, Teufel, das reizte! So eine Feine, die es wie ein Dunstkreis von Reinheit umgab, wäre wie ein frischer Trunk in dem Champagnergelage seiner unzähligen Liebesabenteuer, deren Schauplatz in allen möglichen Ländern lag.

In Deutschland hatte er, ausser bei ein paar sehr leichten Dämchen, noch kein Glück gehabt. Ulla Utten reizte ihn sehr.

Ulla Utten fühlte seinen Blick. Sie wandte sich um, schaute in zwei sehr schmale braune Augen, aus denen ihr etwas entgegenleuchtete, das sie nicht zu deuten wusste, das aber Widerwillen in ihr auslöste.

Sie drehte den Kopf zurück und arbeitete weiter.

Die Ladenklingel sprang grell in die augenblickliche Stille der Werkstatt; man hörte, wie die Ladentür heftig zugeschlagen wurde, und im nächsten Moment stand Ullas Mutter mit todblassem Gesicht in der Werkstatt und sank fassungslos auf den nächsten Stuhl.

Sie wollte sprechen, aber die Stimme gehorchte ihr nicht, ganz verwirrt war die Frau, die Ulla sehr ähnelte; aber ihre Züge, ihre Augen, ihr Haar waren matter und wohl schon in ihrer Jugend matt gewesen.

Alle waren unwillkürlich aufgesprungen, und Ulla legte den Arm um die Schultern der Mutter.

„Bitte, rede doch, was ist denn nur geschehen?“

Luise Utten zuckte zusammen, und die Erregung, die sie beherrschte, machte ihre Stimme zittern.

„Ich habe ihn gesehen, ich habe — —“

Sie konnte nicht weiter, sank wie bewusstlos ganz in sich zusammen.

Christian ging, um ein Glas Wasser aus der Küche zu holen, kehrte auch schnell zurück, aber die völlig verstörte Frau vermochte kaum einen kleinen Schluck zu trinken.

Ulla bat: „Komm, ich bringe dich in unsere Wohnung, Mutter.“

Sie wollte ihr beim Aufstehen behilflich sein, aber die Frau schüttelte den Kopf.

„Ich kann jetzt nicht da hinten über dem Hofe allein sein, auch nicht allein mit dir. Ich brauche Menschen in meiner Nähe, je mehr, desto besser, sonst werde ich verrückt.“

Mathias Jost sagte beruhigend: „Sie können ruhig hierbleiben, Frau Utten, solange Sie wollen.“

Christian gab van Straaten einen Wink, mit ihm das Zimmer zu verlassen. Ihm war Frau Utten schon seit längerer Zeit unheimlich. Ihr ständiges Sprechen von dem weggelaufenen Manne musste einem auf die Dauer auf die Nerven fallen.

Und jetzt handelte es sich sicherlich wieder um ihr Hirngespinst.

Jan van Straaten raunte ihm zu: „Sie sagte doch eben, sie brauche Menschen in ihrer Nähe.“

Er berauschte sich an Ullas Anblick, die erregte Frau war ihm völlig gleichgültig.

Luise Utten lachte plötzlich auf. Schrill und misstönend war das Lachen, und gleich darauf rannen dicke grosse Tränen aus ihren Augen, ein Weinkrampf schüttelte sie.

„Wir können hier nicht helfen, wir stören nur, bitte, komm!“

Der aber achtete kaum auf ihn, seine ganze Aufmerksamkeit galt Ulla, die sich um die Mutter bemühte.

Christians Augen folgten dem Blick des Freundes, und er dachte ein bisschen ärgerlich, Ulla Utten schien Jan van Straaten zu gefallen.

Eben wandte Ulla sich herum, sagte laut und klar: „Ich bitte dich, Christian, mit deinem Freunde wenigstens solange die Werkstatt zu verlassen, bis Mutter ruhiger geworden ist. Es wird nicht mehr lange dauern, die Erregung lässt schon nach. Ich möchte nicht, dass sie, wenn sie richtig zu sich kommt, gleich durch ein fremdes Gesicht gestört wird.“

Ihre Augen lagen kalt auf dem Gesicht Jan van Straatens.

Der verneigte sich tief, als wäre ihm eine hohe Auszeichnung zuteil geworden.

„Verzeihung, nur wahre Anteilnahme hielt mich hier fest, Fräulein Utten.“

Er sprach das Deutsche gut, aber doch mit dem aus dem Halse geformten H der Holländer.

Christian wandte sich zur Tür, da liess die Ladenklingel sich hören. Sein Vater bat ihn durch eine Handbewegung, ihn im Laden zu vertreten, und Christian ging, die Tür nach der Werkstatt fest und sorgfältig hinter sich ins Schloss drückend. Das Weinen der Frau klang schon matter, vom Laden aus mochte es bei geschlossener Tür kaum noch zu hören sein.

Jan van Straaten kam sich jetzt doch recht überflüssig hier vor, deshalb schlich er geräuschlos auf den Flur hinaus, auf dem eine schwachkerzige Lampe unter kleinem Glasschirm ihr kärgliches Licht spendete. Der Eindruck, den Ulla auf ihn gemacht, war stark, war so stark, dass er sie noch immer vor sich zu sehen meinte mit ihrem hellen Gesicht, den übergrossen, langbewimperten Augen, dem leuchtenden Haar und der ebenmässigen, schlanken Gestalt.

O wenn sie doch jetzt wirklich neben ihm stände auf dem dämmerigen Flur des uralten Hauses!

Leichter Modergeruch schien den Wänden zu entströmen, mahnte an die Vergänglichkeit alles Irdischen. O wenn sie jetzt neben ihm stände, seinen Händen erreichbar, dann würde er nach ihr greifen, wie man nach einem köstlichen Schmuckstück greift, voll Gier und doch voll Scheu, und dann würde er sie festhalten und ihr zuflüstern: Ich bin reich und kann dir schenken, was du begehrst, geh mit mir fort aus dem alten, verwitterten Hause, ich will dir die herrliche weite Welt zeigen! Falls ich nicht studiere und meine Zeit nur dir widme, kümmert das niemand, mein Vater hält mich nicht knapp. Komm mit mir aus der Enge deines kleinen Daseins in das grosse, freie Leben, das auf uns beide wartet, wofern du nur willst!

Dachte er es nur, oder bewegten sich seine Lippen, raunten Silbe für Silbe dessen, was er empfand, in die Dämmerstille des Hausganges?

Seine Hände hoben sich und griffen in die leere Luft, mit spöttischem Kichern liess er sie fallen. Die da drinnen, die Blonde, könnte in Wirklichkeit hier neben ihm stehen, er würde zunächst auch dann nur in die leere Luft greifen. Eine wie Ulla Utten ergab sich nicht dem ersten Schmeichelwort, man musste geduldig sein und abwarten können. Vielleicht fand sich einmal eine Gelegenheit, ihr klarzumachen, was alles er ihr zu geben vermochte. Sie hatte kluge Augen. Wenn er ihr nicht gefiel, würde sie vielleicht doch an die Vorteile denken, die er ihr bieten konnte.

Wenn er ihr nicht gefiel?

Jan van Straaten war masslos eitel und lebte immer in dem Glauben, er müsse allen Frauen gefallen, wenn er es nur darauf anlegte.

Christian hatte den Kunden, der nur wegen einer Kleinigkeit gefragt, schnell abgefertigt und beeilte sich nun, Jan van Straaten zu suchen. Als er auf den Flur hinaustrat, klang durch die geöffnete Tür das ersterbende Schluchzen der Frau.

Jan van Straaten sagte: „Ich bin zu recht ungünstiger Zeit in euer Haus gekommen, das tut mir leid. Ich hätte mich gern ein wenig mit deinem Vater angefreundet. Er ist mir ungemein sympathisch.“

„Es freut mich, dass du das findest.“ Christian fasste ihn unter und zog ihn mit sich die Treppe hinauf, betrat wieder mit ihm sein eigenes Zimmer und bot ihm Platz an.

Er entschuldigte sich: „Schade, dass du es heute so schlecht getroffen hast, Jan, aber die Frau ist krank vor lauter Sehnsucht nach ihrem Gatten, der ihr vor zwanzig Jahren weggelaufen ist, kein Mensch weiss, wohin. Immer und immer spricht sie von ihm und wartet auf ihn. Das Mädel leidet selbstverständlich auch darunter.“

Er berichtete, was er vom Verschwinden des Wirtes „Zum Hühnchen“ wusste, es war nicht mehr, als alle hier in der Gasse darüber erzählen konnten.

Jan van Straaten fragte: „Wovon leben denn Mutter und Tochter?“

Er erhielt die Antwort: „Die Mutter fertigt Handarbeiten an, sie strickt Wollkleider und dergleichen, Ulla ist Bürofräulein bei Justizrat Hermann, dem bekanntesten Anwalt Frankfurts, und beide wohnen hier in unserem Hinterhause, weil die Mutter dem Hause ‚Zum Hühnchen‘ nahe bleiben will, das dem unseren schräg gegenüber liegt. Es gehörte einmal ihrem Manne, und er betrieb darin die nach dem Hause benannte Wirtschaft ‚Zum Hühnchen‘.“

Jan van Straaten hatte still zugehört, jetzt fragte er: „Versteht sie denn wirklich so viel von der Uhrmacherei, die hübsche Ulla Utten, wie dein Vater meinte?“

Christian nickte. „Und ob sie etwas davon versteht! Ich glaube, sie könnte manchen geschickten Meister beschämen. Geradezu aussergewöhnlich begabt ist sie dafür.“ Er sah den kleinen Stutzer fragend an.

„Du scheinst grosses Interesse an Ulla Utten zu nehmen?“ Er lächelte: „Hast doch nicht etwa Feuer gefangen?“

Jan van Straaten fragte zurück: „Bist du eifersüchtig? Ich könnte es dir nicht verdenken!“

Christian hob lässig die Schultern.

„Ulla Utten kann sehr unangenehm sein.“

„Du bist also bei ihr abgeblitzt, lieber Freund!“ stellte Jan van Straaten fest.

„Unsinn! Es handelt sich nicht darum“, wehrte Christian ab, „sie hat nur die verflixte Neigung, sich in Angelegenheiten zu mischen, die sie nicht zu kümmern brauchen.“

Jan van Straaten blickte sich in dem grossen Zimmer um, das Christian Jost bewohnte. Nett und behaglich war es ausgestattet, aber sehr altmodisch. Da stand ein Schreibtisch, an dem mochte schon Christians Urgrossvater geschrieben haben, und Stühle, die sicherlich dessen Frau in ihrem Zimmer aufgestellt hatte. Da hingen Bilder vieler Josts, und alle zeigten Familienähnlichkeit.

Jan van Straaten sagte: „Dein Vater sieht wie ein Gelehrter aus, seine Züge haben etwas Durchgeistigtes.“

Christian nickte lächelnd. „Vater ist auch ein Stück Gelehrter! Ich meine in seinem Fach. In der Geschichte der Uhrmacherei weiss er fabelhaft Bescheid, und wenn er eine recht, recht alte Uhr ergattern kann, ist er geradezu kindlich glücklich und kann dir nachher erzählen, dass es eine Uhr von der Art ist, wie sie vielleicht vor zweihundert Jahren von dem oder dem Uhrmacher verfertigt wurde. Alte Wanduhren liebt er über alles, sein ganzes Zimmer hängt davon voll, aber das Handwerk selbst übt er nur handwerksmässig.

Jan van Straaten langweilte sich, er schlug den Besuch eines Weinrestaurants vor.

Christian wurde verlegen. „Nein, ja, du musst mich entschuldigen, ich —“

Jan van Straaten kicherte fast lautlos.

„Hast kein Geld mehr, Freund? Was tut das, du bist mir doch jederzeit als Gast willkommen.“

Christian war schon sehr oft van Straatens Gast gewesen, es bedrückte ihn plötzlich.

Er dankte und erklärte: „Ich möchte heute abend arbeiten, ich bummelte in letzter Zeit schon zuviel!“

„Ein bisschen Ausgehen schadet aber keinem. Komm mit in den Ratskeller, da sitzt es sich behaglich, nachher besuchen wir noch ein Kabarett.“

Wie schon oft, liess Christian sich zureden. Er schloss ein schmales, hohes Schränkchen auf und entnahm ihm ein neues Taschentuch. Dabei wurde der Blick frei auf ein kleines Gebilde aus blitzenden Rädern und Schrauben.

Schon stand Jan van Straaten neben Christian und fragte, auf das verzwickte kleine Kunstwerk weisend: „Was ist das eigentlich?“

Christian Jost zögerte, endlich antwortete er fast widerwillig: „Ich beschäftige mich in meinen Mussestunden erfinderisch. Es ist das sehr vergrösserte Modell einer Chronometerhemmung. Es gibt zwar schon verschiedene solcher Hemmungen, aber diese hier soll alles Bisherige auf dem Gebiet verdrängen; sie bietet viele Vorteile.“

Jan van Straaten sah ihn mit seinen schräggestellten Augen beinahe ein wenig neugierig an.

„Du hast also auch Uhrmacherblut in den Adern, und das will sich nicht verleugnen lassen. Ich gratuliere dir zu deiner Erfindung!“

Christian hob abwehrend beide Hände.

„So weit ist es noch nicht, und nun Schluss damit; genau betrachten darf die Hemmung niemand, ehe ich nicht das Patent darauf habe.“

Jan van Straaten fragte: „Glaubst du wirklich, eine besondere Erfindung gemacht zu haben?“

„Ja“, gab Christian zurück, „ich bin davon überzeugt. Ich sprach auch mehrmals und ausführlich darüber mit einem Sachverständigen. Mit einem alten Herrn, der Leiter einer grossen Uhrenfabrik gewesen, deren Spezialität Chronometer, auch solche für Schiffe, sind. Er starb leider vor einer Woche — aber er beteuerte mir, meine Arbeit wäre sehr wertvoll und würde bestimmt gut bezahlt werden.“

Jan van Straaten dachte an seinen Onkel Hendrik in London, dessen Uhrenfabrik sich speziell mit der Herstellung von Qualitätsherrenuhren und Schiffschronometern befasste.

Geschäftstüchtig war Jan van Straaten, er witterte ein feines Geschäft mit Onkel Hendrik in London.

Er bat: „Mir kannst du das Ding doch einmal genau erklären, es interessiert mich deinetwegen sehr.“

Christian schloss den Schrank überschnell.

„Bedaure, Jan, ich darf deinetwegen keine Ausnahme machen. Ich kann von meinem Vorsatz, das Modell vor der Patentanmeldung niemandem zu zeigen oder zu erklären, leider nicht abgehen. Selbst mein Vater hat noch keine Ahnung von meiner Erfindung.“

Jan van Straaten liess sich seinen Ärger nicht anmerken.

„Ganz wie du willst, lieber Freund. Aber es freut mich, durch dich den Beweis für die Vererbungstheorie erhalten zu haben. Ich meine den Beweis dafür, dass sich gewisse Begabungen, auch handwerkliche, durch Geschlechter vererben können. Ich bezweifelte das bisher ein wenig.“

Christian hob ruckartig den Kopf.

„Wie du handwerklich im Zusammenhang mit Begabung betonst, erscheint das Wort Handwerk fast wie etwas Minderwertiges, aber dagegen lehne ich mich auf. Die volle Bedeutung des Wortes Handwerk ist etwas sehr Gediegenes, Gründliches und Notwendiges, und nur tüchtige Menschen, die nicht dumm sind, werden gute Handwerker. Ausserdem stellt die Uhrmacherei eine Sonderklasse des Handwerks dar. Man darf wohl sagen, ein Uhrmacher, der mit Lust und Liebe bei seinem Beruf ist, hat zugleich etwas vom Techniker und vom Künstler. Sieh dir doch die feinen belebten Uhrenkörperchen einmal genau an. Ein Herz haben sie alle, das pocht ganz leise, fast unhörbar; und wenn jemand wie Vater, an alten Uhren hängt, dann wird er unter ihnen förmlich zum Dichter. Ihr Ticken ist ihre Sprache, und er versteht sie. Sie erzählen ihm, was sie erlebt haben, und alle wispern und flüstern ihm kleine Geschichten zu. Die grossen Uhren aber, die laut schlagen, rufen den Menschen zu: Nicht so eilig! oder: Schnell, schnell! Sie sind ständige Mahner! Die Hängeuhren wiederum haben sich hellschwingend aus der Vergangenheit einer gezierten Zeit in unsere klaren Tage gesungen. Sie kannten noch das puderüberstäubte Damenhaar und die Galanteriedegen der Herren; und die hohen Standuhren von jetzt, sie haben Stimmen wie die Glocken der grossen gotischen Dome; man fühlt, wenn man sie hört, förmlich das Metall mitschwingen und vernimmt den Widerhall im Kirchenschiff — oder sie spielen das Lied von Treu und Redlichkeit, das täglich von der Potsdamer Garnisonkirche herniederklingt; den Alten Fritz und seine Soldaten sieht man vorbeiziehen, wenn man ihnen lauscht.“

Er schwieg. Leichte Röte lag auf seinem Gesicht. Es war ihm mit einem Male peinlich, dass er sich vor dem sehr nüchtern eingestellten Jan van Straaten zu solcher Begeisterung hatte hinreissen lassen.

Jan van Straaten neigte den Kopf.

„Ich verstehe dich vielleicht nicht ganz, aber ich verstehe, dass du zu den Menschen gehörst, die innerlich ganz anders sind als ich. Merkwürdig, dass wir trotzdem so gute Freunde werden konnten.“

Christian Jost lachte plötzlich.

„Ach was, wir sind gar nicht so verschieden! Ich rechne ebenso nüchtern wie du aus: zweimal zwei gleich vier. Und das muss man als Anwalt können. Genau rechnen! Das ist wohl das Allerwichtigste dabei, genau mit den Paragraphen des Gesetzbuches vertraut sein und ohne jede Gefühlsaufwallung damit herumarbeiten, Recht und Unrecht damit auseinanderhalten; darauf kommt es an.“

Jan van Straaten lachte sein Lachen, das wie verklingend aus weiter Ferne zu kommen schien, und dann gingen sie zusammen aus.

Als sie auf die Strasse traten, senkte sich eben der eiserne Rolladen vor dem kleinen Schaufenster und der Ladentür im Hause zu den Lilien.

Ulla mischt sich ein

Подняться наверх