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Sechstes Kapitel

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Jan van Straaten machte Christian auf eine junge Dame aufmerksam, die eben mit einer älteren den Ratskeller betrat. Sehr eigenartig sah sie aus. Braune, tiefe Scheitel deckten Schläfen und Ohren, grosse, hellbraune Augen mit verwirrendem Blick standen in einem sehr weissen, blutleeren Gesicht, das ein wenig maskenhaft wirkte.

„Das ist Juliane ter Mer, ich kenne sie von Amsterdam her“, raunte Jan Christian zu. „Eine steinreiche Witwe von fünfundzwanzig Jahren. Man erzählt sich, sie reise überall in der Welt umher, um etwas sehr Seltenes zu finden, aber man weiss nicht, um was es sich handelt. Es soll eine fixe Idee von ihr sein. Sie besitzt in Holland riesige Ländereien und ist an vielen Grossunternehmungen beteiligt. Ihr Mann erbte das alles schon von seinem Vater. Seltsam, dass sie gerade hier auftaucht. Wahrscheinlich durchstöbert sie zur Zeit Frankfurt, um zu finden, was sie sucht.“

Als fühle die Dame, dass man irgendwo in dem grossen Gastraume von ihr sprach, wandte sie jetzt den Kopf nach der Seite, wo die beiden Herren sassen. Ein Blick, der wie hinter leichten Schleiern wach wurde, traf Christian Jost, und als sähe sie etwas ganz Besonderes, stockte ihr Fuss, und das zu weisse Gesicht färbte sich mit jäher Röte, zerstörte die starre Maske, gab den Zügen plötzlich Leben.

„Eine interessante Frau!“ sagte Christian Jost und wunderte sich, weshalb die fast zu schmale, auffallend elegante Frau auf ihren Tisch zukam, ihn dabei fest im Auge behaltend.

Schon war sie ganz nahe, da erhob sich Jan van Straaten und ging ihr ein paar Schritte entgegen. Er verneigte sich tief und sprach sie holländisch an: „Sie erinnern sich meiner von Amsterdam her, gnädige Frau, das beglückt mich. Ich studiere zur Zeit in Frankfurt. Darf ich Ihnen meinen Studienfreund vorstellen?“

Ihre Augen hatten Christian Jost nicht für den Bruchteil einer Sekunde freigegeben, sie lächelte jetzt liebenswürdig: „Ja, ich erinnere mich Ihrer, Mijnheer van Straaten, und nun, bitte, stellen Sie mir Ihren Freund vor.“

Sie sagte das letzte in deutscher Sprache, die sie nicht so geläufig beherrschte wie Jan van Straaten, aber doch genügend.

Christian Jost verbeugte sich, er fühlte sich ein wenig geschmeichelt, von der jungen Frau nicht übersehen zu werden.

Die ältere Dame trat näher und nahm nach der Vorstellung mit am Tisch Platz, an dem man nun zu vieren sass. Sie war eine entfernte Verwandte Juliane ter Mers, von der sie Tante genannt wurde und bei der sie die Stellung einer Gesellschafterin einnahm. Sie hatte ängstliche Stielaugen und ein rotwangiges Porzellangesicht, das aussah, als wäre es schon einmal zerbrochen und wieder gekittet worden.

Die Stielaugen Frau Koopers schienen sich ebenfalls an Christian Jost festsaugen zu wollen, es fiel ihm unangenehm auf.

Juliane ter Mer fragte mit einer Stimme, in der es wie ein Beiklang von Leidenschaft mitschwang: „Sind Sie in Frankfurt zu Hause, Herr Jost?“

Er bejahte, und ihm war zumute, als ob die braunen Augen unsichtbare und doch fühlbare Netze nach ihm auswürfen. Was Jan van Straaten ihm vorhin über die Frau zugeraunt, war interessant, wenn es auf Wahrheit beruhte. Und warum sollte es nicht wahr sein? Warum sollte die junge Frau nicht in der Welt umherreisen, um etwas zu suchen, wenn auch niemand wusste, was. Reiche Leute können sich auch eine Verrücktheit leisten.

Vielleicht reiste Juliane ter Mer in der Welt umher und suchte nach einem besonderen Schmuckstück oder nach einem besonderen Bild, Tier oder Buch!

Der dunkle Blick, so schmeichelhaft er zu sein schien, begann ihn zu stören, und er war froh, als der Kellner auftauchte und nach den Wünschen der neuen Gäste fragte. Im Nu war er abgefertigt. Juliane ter Mer bestellte ein paar leichte Vorspeisen und zwei Gläschen Portwein.

Sie lächelte. „Wir lieben es beide nicht, abends viel zu essen, Tante nicht und ich nicht.“

Das Lächeln verlieh ihr Reiz. Sie sprach nichts mehr, liess Jan van Straaten und ihre Begleiterin sprechen. Sie ass zierlich wenige Bissen, sie nippte von dem Wein, und ihr Blick hängte sich dabei immer wieder in den Blick Christian Josts fest, der nicht recht damit fertig wurde. Das unsichtbare Netz schien ihn fester und fester in sich hineinzuziehen.

Es war ihm, als müsse er sich dagegen auflehnen und er besässe nicht die Kraft dazu. Was wollte die schöne, elegante Frau von ihm? Betrachtete sie alle neuen Bekanntschaften so eingehend? Ein bisschen peinlich war das, aber doch nicht unangenehm. So wundervolle Frauenaugen können nicht unangenehm sein.

Sie fragte: „Wohnen Sie in der Nähe des Bahnhofes, Herr Jost? Ich bin in einem Hotel gegenüber dem Bahnhof abgestiegen.“

Sie sah Jan van Straaten an.

„Wie wäre es, Herr van Straaten, wenn Sie und Herr Jost, falls Sie nicht allzu entfernt wohnen, in meinem Hotel noch eine Tasse Kaffee mit uns nähmen? Die Kapelle des Hotels spielt ausgezeichnet, ich hörte sie schon gestern abend nach meiner Ankunft. Ich war zuletzt in Strassburg und Köln.“

Christian Jost erklärte: „Ich wohne in der Altstadt, gnädige Frau.“

Sie schien über die Mitteilung erfreut.

„Oh, wie interessant! Da wissen Sie sicherlich in der Altstadt gut Bescheid und könnten mein Führer sein. Ich hörte, man dürfe sich einen Besuch der Altstadt nicht entgehen lassen, wollte man Frankfurt am Main richtig kennenlernen. Ausser dem Goethehause und dem Römer habe ich noch nicht viel von Frankfurt gesehen.“

Jan van Straaten lächelte. „Die Einladung zu einem Tässchen Kaffee in Ihrem Hotel nehmen wir gern an, ich glaube, da auch gleich für meinen Freund zusagen zu dürfen; und als Führer durch Alt-Frankfurt ist er ganz besonders zu empfehlen. Er ist in einem sehr alten Hause in einer sehr alten Gasse geboren, und das Haus gehörte schon viele Generationen vor ihm seiner Familie, es heisst das Haus zu den Lilien und befindet sich in der Nähe des Domplatzes.“

„Das ist wirklich herrlich, romantisch!“ begeisterte sich Juliane ter Mer, „bitte, Herr Jost, sagen Sie ja, zeigen Sie mir Alt-Frankfurt, und zeigen Sie mir auch das Haus zu den Lilien. Morgen schon, bitte!“

Christian Jost war es sehr unangenehm, dass Jan van Straaten so selbstherrlich über ihn verfügte. Er konnte doch die überelegante und sicher masslos verwöhnte Frau nicht in das Haus zu den Lilien bringen, in dem es stockig roch und in dem sein Vater mit Filzschuhen umherschlich, in dem der Gehilfe Hans Weigand in seiner dreisten Art, unbekümmert um andere, seine im Augenblick gedichteten Knittelverslieder sang oder Ulla Utten vielleicht gerade in der Werkstatt sass und dem Vater half.

In das Haus passte keine Juliane ter Mer.

Wenn Juliane ter Mer darauf bestand, sein Vaterhaus kennenzulernen, würde er ihr ein Briefchen ins Hotel senden und sich entschuldigen. Ausreden gab es ja genug. Vorläufig wollte er sich nicht ausschliessen, die Tasse Kaffee würde er also nicht ausschlagen.

Als man aufstand, fügte es sich wie von selbst, dass Juliane ter Mer an Christian Josts Seite blieb und das andere Paar folgte. Man machte den Weg zu Fuss, der Vorfrühlingsabend war so lind, als wäre man schon mitten im Mai. Über den Römerberg schritten sie in der Richtung, wo er nach dem Main zu abfällt, und dann gingen sie am Wasser entlang dem Hauptbahnhofe zu.

Christian fühlte sich befangen; die junge Frau an seiner Seite plauderte. Es war nichts Besonderes, was sie redete, und es genügte, wenn er ab und zu ein Wort einwarf, das seine Aufmerksamkeit bezeugte, aber von der schmalen Gestalt neben ihm kam der sanfte Duft eines fremden Parfüms, der ihn verwirrte. Plötzlich blieb Juliane ter Mer stehen, und ihre Stimme klang weich und lockend, als sie vorschlug: „Es ist noch früh, wollen Sie uns nicht gleich ein wenig Alt-Frankfurt zeigen, Herr Jost? Ich glaube, es wäre jetzt die rechte Stunde dafür.“

Der Mond spiegelte sich in dem dunklen Wasser, streute mattes Silberblinken darüber hin, und von irgendwoher hörte man Uhrenschlag.

Jan van Straaten half der Landsmännin. Er legte Christian Jost die Hand auf den Arm.

„Eine wundervolle Idee ist das. Eben ist es erst zehn Uhr, und wir können noch gut ein Stündchen durch die Hauptgassen zwischen Römer und Dom spazierengehen. Auch an deinem Hause vorbei.“

„Auch an Ihrem Hause vorbei!“ wiederholte Juliane ter Mer.

Christian Jost überlegte flüchtig und erklärte dann sein Einverständnis. Es war wohl klüger, nachzugeben, damit würde er ein für allemal davon frei sein, der Holländerin Alt-Frankfurt zeigen zu müssen.

Man machte kehrt und erreichte bald wieder den Römerberg, den die alten Häuser umstanden, die schon viele Jahrhunderte gesehen.

Mit kurzen Worten erzählte Christian Jost hier von fernen Tagen, und was der alte Platz schon alles erlebt, aber ihm war es, als höre Juliane ter Mer kaum zu, als blicke sie sich auch nicht richtig um, als sähe sie nur immer ihn an. Seine Rede wurde stockend, er fühlte seine Befangenheit und ärgerte sich darüber, er hätte am liebsten völlig geschwiegen.

Er war in ihrer Nähe verwirrt; der sanfte, fremde Wohlgeruch, der ihren Kleidern entströmte, die Augen, die sich zuviel mit seinem Gesicht beschäftigten, verwirrten ihn.

Er ging dann weiter neben ihr her, wies zuweilen auf ein Haus, an dem sie vorbeikamen, und nannte die Namen der Strassen und Gassen. Es war nicht besonders hell in der Gegend, und ein paarmal drängte sie sich ganz nahe an ihn heran, als fürchte sie, es könne aus einer der überschmalen Seitengassen, die hier einmündeten, eine jener mittelalterlichen Rotten hervorstürmen, die einstens die Kaufmannswagen samt Geleit vor den Toren der alten Mainstadt überfallen und von denen Christian Jost vorhin auf dem Römerberg erzählt hatte.

Ihre Nähe störte Christian, und zugleich schmeichelte es ihm, dass die schöne, reiche Frau ihm deutlich zeigte, dass er ihr gefiel.

Wie still es ringsum war! Ein Brunnen, auf dem eine Heiligenfigur stand, rauschte leise, eine Gasse endete, ein Platz öffnete sich vor ihnen, der Domplatz. Auch hier hatte Christian Jost das Gefühl, als höre Juliane ter Mer kaum zu, was er von dem Dome erzählte, als lausche sie nur seiner Stimme und nicht dem Sinn der Worte.

Sie gingen weiter und betraten die Gasse, in der er wohnte.

Jan van Straaten sagte wichtig: „Hier ist mein Freund daheim, gleich werden wir das Haus zu den Lilien erreicht haben.“

Am Nebenhause befand sich ein eiserner Arm mit einer Laterne, ihr Schein umschmeichelte Christian Josts Vaterhaus, zog es in Helle und Klarheit; kein anderes Haus hüben und drüben hob sich so deutlich aus dem schon nächtlichen Dunkel der Gasse hervor. Man konnte deutlich die Lilien in dem alten Wappen erkennen.

Juliane ter Mer zeigte hinauf.

„Führt Ihre Familie das Wappen, Herr Jost?“ fragte sie.

Er schüttelte den Kopf und erzählte, was er von der Geschichte des Wappens und des Hauses wusste, in dem er geboren war.

Sie hörte jetzt aufmerksam zu, er wunderte sich darüber; sein Vaterhaus schien sie mehr zu interessieren als der Römer und der Dom.

Plötzlich sagte sie wie zu sich selbst, und doch hörten es alle: „Es ist ein Wunder!“ Und dabei sah sie Christian Jost an, als befände sie sich allein mit ihm.

In der nächsten Sekunde lächelte sie. „Jetzt wollen wir in mein Hotel, aber nicht zu Fuss; suchen wir uns lieber ein Auto.“

Es ist ein Wunder! klang es in Christian Jost nach, und er grübelte: Was bedeuteten die vier Worte? Hatte Juliane ter Mer das alte Haus zu den Lilien damit gemeint? Oder vielleicht die nächtliche Stimmung in der stillen Gasse? Als sie es gesagt, hatte ihr Blick auf seinem Gesicht gelegen wie heute schon oftmals.

Eine seltsame Frau war die junge Holländerin, von der man sagte, sie reise in der Welt umher, weil sie etwas suche, wie sie selbst erzählt haben sollte, ohne aber zugleich das Rätsel zu lösen, was sie eigentlich suche.

Jedenfalls schien sie Lust zu einem kleinen Flirt mit ihm zu verspüren. Wahrscheinlich reichte die Lust aber nur für die paar Abendstunden von heute, und morgen würde sie dann plötzlich weiterreisen. Mochte sie vorhaben, was sie wollte, er war kein Spielzeug für eine kokette, durch die Welt abenteuernde, reiche Ausländerin.

Im Hotel fand man schöne Eckplätze in dem Seitenraum der Diele, in dem abgrundtiefe, weiche Sessel die Gäste aufnahmen; im grösseren Hauptraume, dem Speisesaale, spielte ein Orchester, das in ganz Deutschland bekannt und beliebt war.

Die Damen entschuldigten sich für kurze Zeit, sie wollten oben in ihren Zimmern ablegen.

Nun befanden sich Jan van Straaten und Christian Jost allein. Sie sassen nebeneinander und sahen sich an. Jan van Straaten sagte mit seiner leisen Stimme: „Du hast eine schnelle Eroberung gemacht, Christian; deutlicher als Frau ter Mer kann dir keine Frau zeigen, dass du ihr gefällst.“

Christian Jost fühlte sich jetzt frei von dem Netz, das die dunklen Augen über ihn geworfen. Er sah jetzt alles, was ihn noch kurz zuvor befremdet, ganz harmlos an.

Er schnippte mit den Fingern.

„Unsinn, Jan, solch eine Dame interessiert sich für keinen kleinen Uhrmachersohn aus Frankfurts Altstadt.“

Im Frankfurter Dialekt setzte er hinzu: „Sie hot e bissi mit dene Aagedeckel geklappert, hot an e dumm Oos probiert, ob sie gut klappere kann!“

Dazu reichte Jan van Straatens tadelloses Deutsch nicht aus, er erklärte, nicht verstanden zu haben.

Christian lachte. „Frau ter Mer hat, um nicht aus der Übung zu kommen und in Ermangelung eines anderen Partners, mit mir geliebäugelt. Manche Damen, die zu wenig oder gar nichts zu tun haben, finden an solcher Beschäftigung Vergnügen.“

Jan van Straaten hob abwehrend beide Hände.

„Ich kenne Frau ter Mer selbst nicht gründlich, bewahre! Aber für gefallsüchtig halte ich sie nicht. Im Gegenteil, ich habe in Amsterdam von Bekannten gehört, seit ihr Mann vor vier Jahren gestorben, spräche sie kaum mit Männern. Ich freute mich deshalb ganz besonders, dass sie im Ratskeller auf uns zukam und sich meiner erinnerte. Jetzt glaube ich aber, selbst wenn ich von ihr erkannt worden wäre, hätte sie mich wahrscheinlich doch nicht beachtet, hättest du nicht mit mir am gleichen Tisch gesessen. Ihre Aufmerksamkeit galt dir und gilt dir! Und darauf darfst du dir etwas einbilden, es gibt nicht viele Frauen ihrer Art!“

Christian Jost hob leicht die Schultern, er nahm sich vor, nach einem halben Stündchen Unterhaltung aufzubrechen, sich nicht allzulange von dem Glanz der dunklen Frauenaugen bedrängen zu lassen, falls Juliane ter Mer ihr seltsames Wesen von vorhin nach ihrer Rückkehr beibehalten sollte.

Eben traten die beiden Damen wieder ein, und Christian, der sich noch vor einer Sekunde frei und überlegen gefühlt, erschrak fast vor der blendenden Erscheinung der jungen Witwe.

Juliane ter Mer hatte sich mit Hilfe ihrer alten Verwandten blitzgeschwind umgezogen. Sie trug jetzt ein Kleid aus schwarz-weissem Samt, dessen schmale Streifen ihre Gestalt noch schlanker erscheinen liessen. Das Kleid war sehr lang und berührte mit seinem Saum den rotgemusterten Riesenteppich, der den ganzen Raum ausfüllte. Das Kleid war hoch am Halse geschlossen und hatte enge Ärmel. Wie in einer Haut steckte die schöne Frau darin, wie in einer schimmernden Haut, die nur Kopf, Hände und Fussspitzen freigab.

Die Blicke aller, die hier sassen, folgten ihr.

Bescheiden, im grauen Seidenkleide, ging Frau Kooper einen grossen Schritt hinter ihr, als fürchte sie, ihr auf das Kleid zu treten, das ein wenig nachschleifte.

Juliane ter Mer lächelte schon von weitem, lächelte unzweideutig nur Christian Jost zu.

Beide Herren erhoben sich, und die Damen nahmen Platz.

„So, jetzt wollen wir ein hübsches Plauderstündchen halten“, sagte Juliane ter Mer, und der Blick ihrer Augen, der voll auf Christian Josts Gesicht ruhte, schien zu verbessern: Nun wollen wir beide, du und ich, ein hübsches Plauderstündchen halten.

Juliane sass neben Jost in einen der Riesensessel gelehnt und lächelte ihn an. Der Kellner brachte Kaffee, kleine Kuchen, Liköre und Zigaretten.

Der Panzer, mit dem Christian Jost sich während der Abwesenheit der schönen Witwe gewappnet hatte, schmolz bald; dem von ihr ausgehenden Reiz zu widerstehen war sehr schwer, war zu schwer. Es war, als täte sich in dieser Plauderstunde eine neue Welt vor Christian Jost auf. Juliane ter Mer hatte auf ihren Reisen viel gesehen und wusste ungemein anregend darüber zu reden, Jan van Straaten ging dadurch mehr als sonst aus sich heraus, und es war, als ob beide farbenfrohe Bilder aus anderen Ländern malten, die zu betrachten Anregung und Zeitvertreib zugleich war.

Heisse Sehnsucht wurde in Christian Jost wach, die fremde, bunte Welt gleichfalls kennenzulernen, um nicht nur so mitzureden wie einer, der sich sein Wissen aus Büchern zusammengelesen.

Und immer wieder traf ihn unter halbgeschlossenen Lidern ein Blick aus wunderschönen Frauenaugen, der ihn mehr und mehr verwirrte. Wenn das noch Spiel war, dann war es ein sehr gefährliches Spiel!

Christian Jost trank ein paar Liköre, und ihm wurde danach leicht und beschwingt zumute. Die Augen störten und verwirrten ihn jetzt nicht mehr, er gab die Blicke zurück und dachte: Mag’s gehen, wie es will, ich bin gespannt!

Das kleine Orchester spielte sehr gut, es verdiente seinen Ruf. Ein Walzer von Strauss erwachte, verzauberte den Raum, ein Paar konnte der melodischen Lockung nicht widerstehen, es begann zu tanzen.

Juliane ter Mer fragte lächelnd: „Wollen wir auch tanzen, Herr Jost?“

Er erhob sich sofort. Tanzen konnte er, und sein dunkelblauer Anzug sass gut, das wusste er. Ihre Hände berührten sich, ihre Körper kamen sich nahe, der Walzer, in dem Alt-Wiener Glanz und Herrlichkeit tönend widerklang, zog sie in ihren Bann. Sie tanzten leicht und angeregt. Sie fielen auf als schönes Paar.

Frau Kooper sass ganz still da, sie schien müde, und Jan van Straaten sah den Tanzenden zu, die inzwischen schon auf fünf Paare angewachsen waren. Aus dem Speisesaale fand sich ein sechstes Paar dazu.

Christian Jost und Juliane ter Mer wechselten kein Wort, während sie tanzten, und als der letzte Geigenstrich verhallte, befanden sie sich ganz nahe bei ihrem Tisch.

Juliane ter Mer nickte ihrer Anstandsdame zu.

„Herr Jost tanzt ausgezeichnet, und ich brauche einen guten Tänzer, ich habe schon lange nicht mehr getanzt.“

„Davon merkt man wirklich nichts“, meinte Christian Jost, „Sie tanzen so weich und selbstverständlich, als tanzten Sie sehr oft.“

Ihre schmalen Hände mit den glänzenden Nägeln nahmen eine Zigarette.

„Als ganz junges Mädchen wünschte ich, Tänzerin zu werden, aber meine Eltern wollten nichts davon wissen, sie wehrten sich energisch dagegen. Trotzdem erreichte ich, dass ich bei einer sehr bekannten Tanzlehrerin im Haag Unterricht nehmen durfte, und ich war schon ein paarmal aufgetreten, als ich meinen Mann kennenlernte.“

„Sie tanzen wundervoll, Frau ter Mer, und es ist ein Genuss, Ihnen zuzuschauen“, sagte Jan van Straaten.

Die Musik begann einen Tango zu spielen. Er hiess: In einer Frühlingsnacht! Zwei Augenpaare trafen sich, sie fragten einander etwas und beantworteten zugleich die Frage. Schon tanzte Juliane ter Mer wieder mit Christian Jost. Der sanfte und doch bewegte Rhythmus der Tangoweise lenkte die Bewegungen der Tanzenden. Es tanzten schon sieben Paare, sie tanzten gut und schön, aber keine Dame tanzte so wie Juliane ter Mer, alle Aufmerksamkeit richtete sich auf sie. In der Tür zum Speisesaals standen viele Zuschauer.

Das schwarz-weiss gestreifte, schimmernde Samtkleid schien sich straffer um den schlanken Frauenkörper zu spannen, der biegsam hinglitt in weitem Kreise.

Einmal sagte Juliane ter Mer etwas, Christian Jost war es, als hätte er verstanden: „Es ist ein Wunder!“ — Er erinnerte sich. Die vier Worte hatte er heute abend schon einmal von ihr gehört, vor dem Hause zu den Lilien. Alle mussten sie dort gehört haben. Als habe sie zu sich selbst gesprochen, so war es gewesen, und dennoch, als wenn es auch andere hören sollten. Sie hatte es deutsch gesagt. Was mochte sie mit den Worten: „Es ist ein Wunder!“ meinen?

Das erstemal hatte er es schliesslich so aufgefasst, dass sie vielleicht den Zauber der alten Gasse gemeint habe. Oder hatte sie die Gewohnheit, zu sagen: Es ist ein Wunder! wenn ihr etwas gefiel, wie vorhin sein altes Vaterhaus und jetzt wohl der Tanz.

Aber weshalb tat sie es dann nicht in ihrer Muttersprache?

Nachdem der Tanz zu Ende war, bat Juliane ter Mer: „Führen Sie mich morgen, bitte, in Alt-Frankfurt umher, Herr Jost; am frühen Nachmittag, damit ich Ihnen keine Vormittagsstunde des Studiums wegnehme.“

Er dachte nicht mehr an ein Widerstreben und erklärte: „Ich stehe Ihnen gern zur Verfügung, wann Sie es wünschen, gnädige Frau.“

Er hatte noch nie einer Frau die Hand geküsst, heute tat er es zum ersten Male, als er sich verabschiedete von Juliane ter Mer.

Ulla mischt sich ein

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