Читать книгу Schwere Zeiten - Anny von Panhuys - Страница 7
4. Kapitel.
ОглавлениеIn einem Abteil erster Klasse des von Köln kommenden Zuges sassen Graf Werner Kerrwitz und seine Frau. Er lehnte breit und behaglich in einer Ecke und sein rundes Mopsgesicht drückte deutlich aus, dass er sich sehr wohl fühlte.
Es wurde zwischen dem Ehepaar nicht viel gesprochen, nur ab und zu fielen ein paar Worte, die kurz und wie versprengt in die Stille des Abteils hineinklangen.
Mit müdem, gelangweiltem Gesicht blickte Gräfin Herma durch das Fenster in die Landschaft hinaus. Ihr Auge liess teilnahmlos all die Schönheit da draussen, die wie ein wandelndes Panorama vorbeizog, an sich vorübergleiten. Ihr Sinn war abgestumpft gegen Naturschönheiten. Vielleicht, weil sie schon zu viel in der Welt herumgefahren, weil sie schon kreuz und quer durch Italien und durch Spanien und Portugal gereist, weil sie Aegypten kannte, und ihr Fuss gegangen, wo die Nordlandsonne scheint. Viel, allzuviel, und wie gejagt, hatte die Gräfin die Schönheiten der Welt genossen, nirgends Halt machend, nur weiter, immer weiter, das war ihr Leitmotiv geworden, seit sie den Ehering trug.
Unruhe war in ihr, die sie vorwärts trieb, Unruhe, die sich nicht beschwichtigen lassen wollte, und zuweilen stieg es wie brennende Sehnsucht in ihr auf nach den Mädchentagen und nach einem schlanken Manne, dem sie sich heimlich angelobt, dessen Braut sie gewesen.
Niemand hatte darum gewusst, sie waren ja beide arm. Er besass nur ein winziges Vermögen, sie hing von der Gnade reicher Verwandten ab.
„Wenn ich Hauptmann bin, dann heiraten wir,“ hatte Just von Dehnow oftmals zu ihr gesagt. Und „wenn du Hauptmann bist, dann heiraten wir,“ hatte sie glückselig erwidert, und sie freute sich darauf, freute sich auf die Zeit, da der Geliebte Hauptmann werden würde. Sie sehnte sich nach dem Tage, sehnte sich — bis der Andere, der Reiche, der Millionenreiche, plötzlich in ihr Leben trat.
Da besann sie sich nicht lange.
Wie herrlich musste es sein, immer elegante, teure Kleider tragen zu können und wertvollen Schmuck. Wie herrlich musste es sein, grosse Reisen zu machen und kostspielige Gesellschaften zu geben! —
Liebe? Du guter Himmel, man kam wohl auch mit einem Surrogat aus, das überdies noch schmackhafter wurde durch die neunzackige Krone, mit der es gewürzt war. —
Heute dachte sie allerdings ein wenig anders — aber wenn solche Gedanken nahen wollten, dann schlug sie dieselben immer mit irgend einem neuen Vorhaben in die Flucht. Eine Reise, ein aussergewöhnlich teures Kleid mussten dazu herhalten, unbequemes Nachdenken im Keime zu ersticken. Unbequemes Nachdenken und schmerzliches.
Denn zuweilen empfand sie die Erinnerung an Just von Dehnow wie einen körperlichen Schmerz. Neben dem dicken breiten Gatten tauchte vor ihrem geistigen Auge gar zu oft seine schlanke Gestalt auf und vor das gutmütige Mopsgesicht schob sich gar zu oft ein schmales, markantes Männerantlitz mit kühlen Grauaugen, und sie meinte dann, den Blick dieser Augen auf sich ruhen zu sehen, so wie damals, da sie ihm erklärte, sie könne nicht die Seine werden, und das Wort Liebe sei ein albernes Märchen für dumme Menschen.
Wie unsagbar verächtlich hatte er sie damals angeschaut. Wie ein Brandmal, das sich ihr aufgedrückt, fühlte sie den Blick, den verächtlichen Blick noch immer.
Auch heute, auch jetzt.
Sie richtete sich straffer auf, und nachdem sie sich auf ihrer winzigen goldenen Armbanduhr davon überzeugt, wie spät es war, meinte sie zu ihrem Gatten, es sei Zeit, sich zurechtzumachen, St. Goar sei gleich erreicht.
„Schade,“ brummte es aus der Ecke heraus, „es sass sich so famos hier, und ich machte am liebsten jetzt ein kleines Nickerchen, das Räderrollen wirkt so angenehm einschläfernd.“
„Ich möchte wissen, was auf dich nicht angenehm einschläfernd wirkt,“ gab sie etwas spöttisch zurück und stand auf, um sich vor dem ovalen Spiegel des Abteils den Schleier über den weichen seidenen Reisehut zu legen.
Graf Kerrwitz lächelte, als habe ihm seine Frau soeben ein Kompliment gesagt.
„Ja, es ist sonderbar, aber gewissermassen hast du recht, Herma, auf mich wirkt so ziemlich alles einschläfernd.“ Und mit hochgezogenen Augenbrauen, die borstig, wie fahlblonde dünne Strohhalme standen, fügte er hinzu: „Glaube mir, Herma, das ist eine Gabe, über die nicht viele verfügen, eine beneidenswerte Gabe ist das.“
Ein spöttisches Funkeln war in den grossen, schwarzen Augen der überaus schlanken Frau, aber sie erwiderte nichts, sondern prüfte eingehend, ob ihre Kleidung vollkommen in Ordnung sei. Sie strich an dem dünnen grauen Mantel herunter und überzeugte sich, ob auch die Knöpfe der gleichfarbenen dänischen Handschuhe geschlossen waren, dann griff sie nach dem stockdünngerollten Regenschirm. Darauf nahm sie wieder Platz. Jetzt erhob sich auch der Graf und ohne einen einzigen Blick in den Spiegel zu werfen, machte er sich fertig. Seine Kravatte war etwas verrutscht und sein Hut hätte auch ein wenig gerader sitzen können, aber über solche Kleinigkeiten war Graf Kerrwitz erhaben, zum steten Aerger seiner Frau.
Heute aber äusserte sie nichts, ihr Kopf schien mit anderen Dingen beschäftigt zu sein.
In die Türöffnung des Abteils trat eine hübsche üppige Person mit auffallend dickem, kastanienbraunem Haar. Das Gesicht war blass, ein wenig verblüht, trug aber einen sehr geweckten Ausdruck. Es war die Jungfer der Gräfin, die nebenan in der zweiten Klasse gesessen und die sie sich aus Brüssel mitgebracht, wo sie einige Tage nach ihrer Rückkehr von Ostende verweilt. Ihre deutsche Jungfer war plötzlich dort krank geworden und sie hatte sie in ihre Heimat, irgend ein kleines Schwarzwaldnest, zurückschicken müssen.
Claire Pichon, die sich auf ein diesbezügliches Inserat bei Herma von Kerrwitz vorgestellt, hatte dieser sofort gefallen, da sie erstens ein paar vorzügliche Zeugnisse vorzeigen konnte und ausserdem die französische Sprache genau so gut beherrschte wie die deutsche. — Sie war froh, so guten Ersatz gefunden zu haben.
„Haben Frau Gräfin irgend welche Befehle?“ fragte es von der Türe her.
„Nein, Claire, Sie brauchen sich nur meiner Tasche anzunehmen.“
Claire Pichon nahm die elegante krokodillederne Tasche der Gräfin aus dem Gepäcknetz und ging damit auf den Gang hinaus. Der Zug begann bereits langsamer zu fahren und dann ward das Schnauben seiner Lokomotive immer schwerfälliger und nach mehrfachem Ruck stand er.