Читать книгу Schwere Zeiten - Anny von Panhuys - Страница 8
5. Kapitel.
ОглавлениеDer Graf stieg als Erster aus und streckte seiner Frau die Hand zum Daraufstützen entgegen. Sie machte keinen Gebrauch davon, ihre Augen musterten nur spöttisch seine schiefsitzende Kravatte.
Eine blonde, hellgekleidete Dame von ungefähr achtzehn Jahren eilte herbei.
„Grüss Gott, Herma, du wunderschöne junge Tante Herma.“
Sie umhalste die Gräfin ungestüm — und dann kam der Graf daran. Ein fester Händedruck begrüsste ihn.
„Na Onkelchen, Weltreisender, wie geht’s, gute Reise gehabt?“ Sie wartete gar keine Antwort ab, ihre Aufmerksamkeit war der Jungfer zugewandt, die in einiger Entfernung stand und das Ende der Begrüssung abwartete. „Uijeh!“ rief sie laut, „ist das dein neues Zöflein, Herma, von der du schriebst? Die sieht wahrhaftig nobel aus, weisst du, etwa wie eine verkleidete grosse Tragödin oder dergleichen.“
„Nicht so laut. Traute, sie spricht das Deutsche genau so gut wie ihre Muttersprache,“ mahnte die Gräfin und langsam verliess man, von Claire Pichon gefolgt, den Bahnhof.
Traute hatte ihren Arm unter den der schönen Gräfin geschoben und plauderte wie ein Starmatz.
„Die Eltern lassen sich entschuldigen, dass sie nicht zur Begrüssung an die Bahn gekommen sind, doch Papa meinte, er käme ja doch nicht zu Wort, wenn ich dabei wäre.“
Aber als man in die Lindenpromenade am Rhein einbog, da kamen ihnen Trautes Eltern doch bereits entgegen. Herzlich drückte der Geheime Medizinalrat Dr. Stein, nachdem er Herma begrüsst, seinem gräflichen Schwager die Hand.
„Wie nett von euch, uns hier für ein paar Tage zu besuchen. Weiss Gott, es lebt sich paradiesisch schön hier, und ich bin meiner Frau äusserst dankbar, dass sie sich diesmal, statt für irgend ein Seebad, für einen Aufenthalt am Rhein entschied.“
Inzwischen hatten sich die zwei Frauen die Rechte gegeben und nun sagten sich Bruder und Schwester „Guten Tag!“ —
Graf Kerrwitz und die Frau Geheimrat Dr. Stein hätte wohl niemand für Geschwister gehalten, so verschieden waren sie im Aeusseren voneinander; der Graf blond, breit, dick, gemütlich und seine Schwester Gisela schlank, rassig, lebhaft. — Vor Jahren, als sich Komtesse Gisela von Kerrwitz in den damals in den ersten Anfängen seiner Praxis stehenden jungen Dr. Stein verliebte, hatte sie mit den Eltern schwere Kämpfe auszufechten gehabt, aber ihre Liebe liess sich nicht beirren, sie setzte die Verbindung mit dem bürgerlichen unbekannten Arzt durch. Heute war Geheimrat Stein ein anerkannter Chirurg und viele Kranke suchten seine Klinik in Wiesbaden auf.
Die Geheimrätin kleidete sich immer sehr elegant, sie liebte Luxus und trug ihn gern zur Schau. Mit ihrer einzigen Tochter Gertraud, von allen, die sie kannten, Traute genannt, verstand sie sich darin schlecht. Traute hatte eine Vorliebe für Einfachheit und kleidete sich am liebsten in weisse Stoffe.
Die Jungfer Claire Pichon folgte den vorangehenden Herrschaften in respektvoller, fast zu respektvoller Entfernung, und man hätte meinen können, sie gehöre gar nicht dazu. Jedenfalls nahm das auch der entgegendienernde Oberkellner an, denn er fragte die mit dem Reisetäschchen etwas später als die anderen in den Hotel-Vorraum Eintretende, ob sie ein Zimmer im ersten Stock wünsche, und ob die gnädige Frau längere Zeit hier zu bleiben beabsichtige.
Die Gräfin, die sich bereits an der Treppe befand, lachte ein wenig ärgerlich auf.
„Frau Geheimrat war doch so liebenswürdig, auch für meine Jungfer ein Zimmer voraus zu bestellen, kommen Sie, bitte, Claire, und halten Sie sich nicht gar so weit zurück.“
Der Oberkellner murmelte eine Entschuldigung. Sonderbar, wie vornehm die Kammerjungfer aussah. Auch Gisela Stein machte dieselbe Bemerkung, nur äusserte sie sich darüber zu ihrer Schwägerin.
Herma Kerrwitz wiegte den Kopf.
„Nun ja, sie ist kein Durchschnittstyp ihres Standes, aber sie zieht sich doch riesig schlicht an, es muss wohl an ihrer Figur, ihrer Haltung liegen, dass sie etwas Besonders vorstellt. Trotzdem versteht sie ihr Fach, und bin ich äusserst zufrieden mit ihr.“ — —
Nachdem sich Gräfin Herma mit Hilfe ihrer Zofe ein wenig zurechtgemacht, liess man sich unten auf der Terrasse zum Abendessen nieder. Die Zofe ass oben in ihrem Zimmer. Man hatte sich viel zu erzählen, und die Hauptsache in der Unterhaltung spielte das Ultimatum, das Oesterreich wegen der Ermordung des Thronfolgers und seiner Gemahlin den Serben gestellt hatte.
„Die Sache balanziert auf des Messers Schneide,“ meinte der Geheimrat, „und der Krieg zwischen den beiden Mächten ist sicher. Russland deckt ja Serbien den Rücken.“
„Nun, dann zieht auch Deutschland sein Schwert, es weiss das Wort Brüderlichkeit richtig zu verwenden.“
„Ach, das sind Möglichkeiten,“ warf die Gräfin ein, „es wird ja nichts daraus werden, vor einem grossen folgenschweren Krieg scheut sich jeder.“
Der Graf hob die Schultern.
„Weisst du, Herma, um Politik kümmertest du dich bisher viel zu wenig, um derartiges, wie es sich jetzt allem Anschein nach vorbereitet, richtig einzuschätzen und zu beurteilen. Aber ich muss dir ganz ehrlich sagen, ich drängte in Belgien so sehr zur Abreise, weil es immer besser ist, man befindet sich in solchen Tagen, wie wir sie jetzt vielleicht erwarten müssen, daheim im Vaterland.“
Herma Kerrwitz machte eine unmutige Bewegung.
„Unsinn, Phantasiegebilde. — Nun und wenn Deutschland für einen Krieg wirklich in Frage käme, in Belgien wären wir doch sicher aufgehoben gewesen.“
„Wie kann man das wissen?“ Der Graf begann mit gutem Appetit das Pastetchen zu verspeisen, das er vor sich auf dem Teller hatte.
„Nein, erlaube mal,“ seine Frau gab sich mit dieser Antwort nicht zufrieden, „wenn du auch meine politische Kenntnisse anzweifelst, so kann es sich doch für Deutschland nur um einen Krieg mit Russland handeln.“
„So ganz verbürgt ist das nicht,“ gab er zurück, „denn man munkelt, auch Frankreich warte nur auf den Moment, um loszuschlagen, und man kann noch nicht wissen, wer sich vielleicht noch anschliesst — aber, Kindchen, reden wir doch von anderen Dingen, denn: Politisch Lied, ein garstig Lied.“
„Meinetwegen,“ die Gräfin wandte sich Traute zu.