Читать книгу Schwere Zeiten - Anny von Panhuys - Страница 9
6. Kapitel.
ОглавлениеNach dem Mahl zog Traute die schöne junge Tante mit sich.
„Komm mit hinauf, Herma, wir wollen uns auf den Balkon meines Zimmers setzen, der Blick auf den abendlichen Rhein ist wundervoll.“
Herma erhob sich sogleich, das Gespräch war auf medizinisches Gebiet geraten und das langweilte sie wie fast alles, was nicht mit dem Kultus ihrer eigenen schönen Person zusammenhing. Trautes an Anbetung streifende Schwärmerei für sie aber gefiel ihr. Es übte einen eigenen Reiz auf sie aus, sich von diesem selbst wunderhübschen Mädchen immer und immer wieder erzählen zu lassen, welche herrlichen Augen sie besass und welchen prachtvollen Schimmer ihr Haar habe. Herma sog gern und begierig den Duft des Weihrauchs ein, den man zu Ehren ihrer Schönheit verbrannte.
Herma von Kerrwitz war mit ihren achtundzwanzig vierzehn Jahre jünger als ihr Gatte, der in seiner trägen Behäbigkeit einen bedeutend älteren Eindruck machte als er war. Namentlich die letzten Jahre waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Diese immerwährende Untätigkeit während der Reisen hatte seine phlegmatische Veranlagung ausserordentlich begünstigt.
Früher, als er das riesige Rittergut Kerrwitzhof noch selbst bewirtschaftete, war immer noch etwas Forsches in seinen Bewegungen gewesen, weite Ritte über die Felder hatten allzugrosse Fettmassen ferngehalten, aber nun hielt da auf Hermas Wunsch ein Oberinspektor die Leitung des Gutes ganz selbständig in Händen, und man liess sich dort nur noch flüchtig sehen. Meist verbrachte das Ehepaar die Reisepausen in irgend einer Grossstadt, meistens Berlin.
Für diesen Winter stand das Programm noch nicht fest.
Herma sprach zu Traute davon. Die meinte: „Kommt doch nach Wiesbaden. Es ist im Winter zwar ziemlich still, aber wir haben sehr liebe Bekannte, die euch alle in unserem Kreise willkommen heissen würden.“
Herma erwiderte: „Wollen sehen, Traute.“
Ein kleines Spottlächeln bog ihren Mund bei dem Gedanken an den netten Wiesbadener Kreis. Sie konnte sich den lebhaft vorstellen! Bestand jedenfalls aus ähnlichen Menschen wie der spiessige Geheimrat Stein. Nein, dafür dankte sie. Menschen, die mit würdigen Mienen nicht einmal wagten, ein keckes hübsches Scherzchen gegen sie hinzusprühen, denen ihre Frauenwürde etwas so ehrfurchtgebietendes schien, dass sie sich nicht die kleinste Kurmacherei gestatteten, langweilten sie bodenlos.
Sie kannte den prickelnden Ton, der in der grossen internationalen Welt herrschte, sie war auf ihren Reisen und in Berlin mit Menschen aller Nationen und der verschiedensten Stellungen zusammengetroffen, sie war grosse Dame im kosmopolitischen Sinne, sie hatte keine Sehnsucht, sich in der behaglichen Spiessbürgerlichkeit solchen Umganges zu verlieren, wie ihn sicher Trautes Eltern pflegten, und ein paar Kostproben bei gelegentlichen Besuchen in Wiesbaden liessen keinen Zweifel daran auftauchen.
Auf dem kleinen Balkon von Trautes Zimmer stand ein Tisch und zwei Stühle, da nahmen die Damen Platz.
Traute hatte recht, es war von hier aus ein wundervoller Blick auf den Rhein. Namentlich jetzt zu dieser Zeit. Es war keine volle Tagesbeleuchtung mehr, aber auch noch keine abendliche. Ein graues Dämmern lag über allem, hing über dem Rhein und umspann die Berge, und geisterhaft drang von drüben irgendwoher ein Glockenläuten. Die Glocke eines alten Kirchleins, denn blechern und heiser war das Stimmchen.
Auf den Dampfern, die den Strom hinauf- und hinunterfuhren, brannten schon die Lichter und spiegelten sich in kleinen, runden, leuchtenden Schemen im Wasser, und es sah aus, als schwammen güldene Kugeln neben den Schiffen her.
Und nun flammten auch an dieser Seite und drüben in St. Goarshausen die Uferlaternen auf. Gleich einer Schnur entzündeter Lampions zogen sie sich an den Ufern hin. Traute blickte, den einen Arm leicht auf die niedrige Brüstung gelehnt, verträumt hinaus.
„Weisst du, Herma, du wunderschöne junge Tante, wen ich gestern gesehen habe? Jemanden, den du kennst. Nun denke mal ein bischen nach, verlege dich aufs Raten.“
Herma Kerrwitz spielte mit ihren Ringen, versuchte den Brillanten darin hier in dem Halbdunkel ein Funkeln zu entlocken.
„Wie kann ich das raten, ich kenne so viele Menschen hier.“
Es war keine Spur von Neugier in ihrer Stimme.
„Es war ein Mann, noch dazu ein sehr hübscher,“ versetzte die Jüngere in leichter Schelmerei.
Herma unterbrach ihr Spiel mit den Ringen nicht.
„Ich bin etwas sehr schwerfällig im Raten.“
„Nun, dann will ich es dir sagen, Herma, Just von Dehnow habe ich gesehen.“
Die Dämmerung verbarg das Erschrecken der schönen Frau. Einen Moment lang sass sie völlig bewegungslos, doch dann rang sich ein kurzes Lachen über ihre Lippen.
„Aber Traute, du irrst dich, wie soll der hierherkommen, ich hörte einmal, er diene in der Schutztruppe.“
Das blonde Mädchen schüttelte den Kopf.
„Ich irre mich nicht, ganz und gar nicht. Du musst nämlich wissen, er sieht noch genau so aus wie auf dem Bilde, das ich einmal bei dir gefunden. Weisst du’s noch? In deiner Schmuckschatulle lag es, und du machtest ein so ärgerliches Gesicht, als ich danach griff, als wenn du mich fressen wolltest.“
„Dessen erinnere ich mich wirklich nicht mehr,“ sagte die schöne Frau leichthin.
Nicht umsonst war sie, wenn es nötig, eine Meisterin in der Verstellungskunst, und hier war es nötig. Hatte Traute ihr doch im vorigen Jahre einen mordsmässigen Schreck dadurch eingejagt, dass sie Just’s Bild in der zufällig offenstehenden Schmuckkassette aufstöberte und ihr plötzlich vor die Augen hielt. Sie hatte ihr da erzählt, Just von Dehnow habe ihr einen Heiratsantrag gemacht, aber sie hätte ihm, weil sie Werner Kerrwitz geliebt, einen Korb geben müssen. —
„Nein, Traute, des Bildes wegen habe ich dich sicher nicht angesehen, als wenn ich dich fressen wollte,“ sprach sie überzeugend, „das wird dann wohl irgend einen anderen Grund gehabt haben. Denn ich hatte niemals Interesse für Just von Dehnow.“
Mit seinem Namen tauchte jählings die Vergangenheit wieder empor und zeigte ihr lockende Bilder von Liebe und Glück, die sie sich aus Gier nach Reichtum und Stellung verscherzte.
„Sonderbar ist das eigentlich, Herma, ganz sonderbar und mir unbegreiflich, wie du gehandelt,“ meinte das junge Mädchen nachdenklich. „Du vertrautest mir damals an, du hättest Just Dehnow abgewiesen, weil du Onkel Kerrwitz liebtest. Schau, das will mir nicht in den Kopf, und seit ich Just Dehnow gesehen, schon gar nicht. Alle Achtung vor Onkel Werner, er ist ja ein lieber guter Mensch, aber was meinen Geschmack anbetrifft, ich hätte entschieden den Anderen vorgezogen.“ Jedes Wort des harmlos plaudernden Mundes traf die schöne Frau wie ein Schlag.
Am liebsten wäre sie aufgesprungen und hätte gerufen: Schweige, um Gotteswillen schweige, wühle und reisse nicht in der Wunde herum, die ich Törin mir selbst beigebracht!
Aber sie musste äusserlich ruhig bleiben. Sie würde sich hüten, diesen halben Backfisch einzuweihen in das Denken und Fühlen, das sie erfüllte.
Und der junge Mund plauderte weiter.
„Ueber den Geschmack lässt sich ja bekanntlich nicht streiten, und so will ich natürlich nichts mehr über meine Meinung äussern, aber vielleicht macht es dir doch ein bischen Spass, wenn ich dir von meiner Begegnung mit Herrn von Dehnow erzähle.“
Sie wartete gar keine Entgegnung ab, sondern berichtete ausführlich. Und dann schloss sie:
„Gleich habe ich ihn erkannt, Herma, wie ich da unten an seinem Tisch auf der Terrasse vorbeiging — seltsam ist’s doch, dass sich mir das nur einmal gesehene Bild so eingeprägt. Nur viel ernster als auf dem Bilde sieht er jetzt aus, aber man kann sich riesig lieb und angenehm mit ihm unterhalten, und er wird wohl noch lange vergebens darüber nachsinnen, woher ich seinen Namen und Stand wusste.“ Sie lachte silbern auf.
Aber ganz plötzlich brach das Lachen ab, unten von der Terrasse drang es wie erregtes Durcheinandersprechen herauf.
Die beiden horchten auf.
„Was mag hier nur geschehen sein?“
Traute hatte sich bereits erhoben.
„Sieh doch nach, Kleine,“ riet die Gräfin, froh, das Gespräch abbrechen zu können, „ich bleibe so lange hier sitzen.“