Читать книгу Die aus dem Hause Villalta - Anny von Panhuys - Страница 4

1. Kapitel.

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Still, kühl und vornehm lag die kleine Villenstrasse, kein Atemzug der grossen Stadt drang bis in ihre Ruhe, ihren Frieden. Und doch liefen kaum zehn Minuten von hier die Hauptverkehrsadern des grossstädtischen Strassennetzes zusammen. Wenn nicht ab und zu das halbverklingende Läuten einer Strassenbahn leise herübergeklungen wäre, hätte man meinen können, sich in einem Provinzstädtchen zu befinden.

Milder Frühlingssonnenglanz übergoss mit liebevoller Wärme die kleinen, meist zweistöckigen Häuschen, die sich so anmutig inmitten der Gärten lagerten, in denen schon ein lichtes Grün an Bäumen und Sträuchern sprosste. Ganz am Ende der Strasse, in dem grössten der Gärten, der mit seinen hohen alten Bäumen fast einem Parke glich, kauerte wie ein schneeweisses braves Kätzchen eine winzige Villa, das Weiss des neuen Anstrichs leuchtete förmlich.

Doch nur die Farbe des Häuschens war neu, im übrigen sah man sofort, dass die Form der Bauart einer überwundenen Geschmacksrichtung angehörte. Kein Erker, kein Türmchen zierte das weisse Gebäude, und vielleicht gerade deshalb wirkte es so eigenartig.

Zwei Männer, Kaufleute oder kleine Beamte, gingen vorüber, ihre lauten Schritte hallten aufreizend in die Stille, und auf das Häuschen deutend, sagte der eine: „Ein reizendes Besitztum, namentlich der grosse Garten! Für unsereinen, der mit Wohnungen in Mietskasernen fürlieb nehmen muss, eine Utopie.“

Der andere lächelte: „Gewiss, — und der Reichtum der Frau, die dieses Häuschen bewohnt, ist für uns gleichfalls etwas Unerreichbares.“

„Wer bewohnt es denn?“ gab sein Begleiter fragend zurück.

„Eine Frau von Scholz, die Witwe eines Chemikers, der die Zusammenstellung einer wertvollen Farbe entdeckte und mit Hilfe eines Kapitalisten diese Entdeckung gut ausbeutete. Doch hat das viele Geld keinen besonderen Wert für ihn gehabt, da sein einziger Sohn schon mehrere Jahre vor ihm begraben wurde. In der Villa lebt Frau von Scholz, die schon eine sehr alte Frau sein soll, ganz zurückgezogen von der Welt, doch heisst es, sie täte viel für die Armen, deshalb wollen wir ihr den Reichtum gönnen,“ schloss der Auskunftgeber.

Die beiden bogen um die Ecke. — — —

Vor der Gartentür des kleinen weissen Hauses stand ein Briefträger und läutete.

Ein Mann in mittleren Jahren, halb wie ein Diener gekleidet, öffnete.

„Guten Morgen, Herr Mellner, ich habe einen Einschreibebrief für die gnädige Frau,“ sagte der Briefträger und wollte dem mit Mellner Angeredeten ins Haus folgen.

„Die gnädige Frau ist heute noch gar nicht auf, wenigstens hat sie noch nicht nach ihrer Kammerfrau geklingelt,“ meinte Mellner, der schon seit langen Jahren die Stelle eines Hausmeisters in der Villa bekleidete. „Geben Sie den Brief her, ich werde sehen, ob Frau von Scholz wach ist,“ setzte er, die Hand ausstreckend, hinzu.

„Nein, Herr Mellner, den Brief muss ich der gnädigen Frau selbst einhändigen.“

„Meinetwegen,“ brummte der Hausmeister und griff sich nach dem Kopfe, als empfinde er dort einen heftigen Schmerz. „Kommen Sie,“ er öffnete die Tür und liess den Postboten eintreten. Ihm voranschreitend, stiess er die leicht angelehnte Küchentür auf, hinter der man Frauenstimmen vernahm. „Ist die gnädige Frau noch nicht wach?“ rief er fragend in die Küche, in der seine Frau, die als Köchin im Hause bedienstet war, sich mit Lina Birndl, der Kammerfrau, unterhielt.

„Die Gnädige hat noch immer nicht geklingelt,“ antwortete die letztere und fügte besorgt hinzu: „Sie wird doch nicht etwa krank sein, denn gewöhnlich verlangt sie doch so um neun herum nach ihrem Frühstück, und jetzt ist’s bereits halb elf.“

„Da müssen Sie mal die Ungnade der Gnädigen riskieren und hinaufgehen, um nachzusehen. Uebrigens ist der Briefträger mit einem Einschreibebrief da, das gibt Ihnen einen Vorwand,“ entschied Mellner.

Die Kammerfrau ging, doch man wartete und wartete, sie kam nicht zurück. Der Briefträger begann schon ungeduldig zu werden, da machte sich endlich der Hausmeister selbst auf den Weg und stieg die Treppe hinauf. Vorsichtig drückte er die Klinke zum Wohnzimmer der Herrin nieder, und da er die Kammerfrau hier nicht fand, rief er leise ihren Namen.

Keine Antwort.

Sacht über den Teppich schreitend, horchte er an dem Samtvorhang, der den Eingang zum Nebenraum abschloss, doch kein Laut verriet ihm, dass sich jenseits des dunkelblauen Vorhanges Menschen befanden. Unheimlich war die Stille.

Wieder griff die Rechte des Mannes an die Stirn, dann zog er schnell den Vorhang zurück und seine Augen spähten in das halbdunkle Schlafgemach der Frau von Scholz. Durch die geschlossenen Läden lugten neugierig ein paar Sonnenstrahlen und schufen im Verein mit dem finsteren Zimmer ein mattes Dämmerlicht.

Da, mitten in dem nicht allzugrossen Raume, unterschieden seine Blicke endlich die Gestalt der Kammerfrau, die ohnmächtig gewesen zu sein schien und sich eben stöhnend erhob, doch ihrer nicht achtend, forschten seine Augen weiter. Er erschauerte, dort, quer über dem Bette ruhte ein Frauenkörper. Zitternd tappte der grosse starke Mann vorwärts, ohne die Kammerfrau zu beachten, auf das Bett zu. Ein erstickter Schrei entrang sich seinen Lippen, als er den Laden des neben dem Lager befindlichen Fensters aufstiess.

Das Antlitz mit den Händen bedeckend, floh die Kammerfrau.

Er bemerkte es nicht. Er fühlte die Knie unter sich wanken. Ein irrer Glanz trat in seine Augen, und plötzlich stürzte er, wie von Furien gejagt, durch das Vorzimmer die Treppe hinunter.

Ihm war’s, als umwoge ihn blutroter Nebel, mit verzerrtem Gesicht fiel er drunten auf einen Küchenstuhl, und minutenlang mühten sich seine Frau und der Postbote um ihn, sie wussten ja schon von Lina, die laut weinend das Entsetzliche verkündet hatte, was geschehen war. Und doch erzitterten sie bis ins Innerste, als er endlich bebend hervorbrachte: „Die gnädige Frau ist ermordet worden!“

„Du gütiger Heiland, so ist es wahr? Ich meinte, die Lina rede irre. Mann, um Christi willen, so nimm dich doch zusammen,“ schrie die dicke Köchin auf und schüttelte den starr Dasitzenden, seine steinerne Miene war ihr unheimlich.

Doch der schien gefühllos, seine Augen sahen weit aufgerissen ins Leere und mechanisch wiederholte er immer aufs neue denselben Satz: „Die gnädige Frau ist ermordet worden!“

Die Frau fasste zuerst einen Entschluss: „Da musst du gleich auf die Polizei,“ redete sie ihm zu, doch er hörte und regte sich nicht, als wüsste er nicht, dass Menschen um ihn waren.

Kopfschüttelnd entfernte sich der Briefträger, man sah es ihm an, dass er darauf brannte, seine Neuigkeit weiter zu tragen, während die Köchin mit einem letzten Blick auf ihren noch immer wie erstarrt dasitzenden Gatten, beflügelten Schrittes auf die nächste Polizeiwache eilte.

Die Kriminalpolizei war sofort am Tatort erschienen, mit neugierigen Augen von der Menschenmenge empfangen, die sich bereits vor der kleinen Villa angesammelt hatte. Der Briefträger hatte schnell die neueste Mär herumerzählt, und mit Windeseile war sie weiterverbreitet worden. In den belebten Hauptstrassen wurden bald Extrablätter ausgerufen, die man den Händlern beinahe aus den Fingern riss, denn das Wort „Mord“ elektrisiert die grosse Menge sofort, nun gar, wenn dieses Wort im Zusammenhang mit einer der reichsten und wohltätigsten Bewohnerinnen der Stadt gebracht wird.

Doch wussten die Blätter natürlich noch nicht viel zu sagen. Näheres musste erst die Untersuchung ergeben.

Gespannt erwartete man die Abendblätter, doch auch sie vermochten nur wenig Neues zu berichten.

Nur etwas ausführlicher beschrieben sie den Fall.

Nach ihrer Darstellung erfuhr man folgendes:

Die Witwe Frau von Scholz war am z. Mai vormittags in dem Schlafzimmer ihrer Villa ermordet aufgefunden worden. Die Tat war bereits am Abend vorher geschehen, wie die ärztliche Feststellung ergeben hatte, und der Tod musste sofort eingetreten sein, die Schädeldecke war zertrümmert. Neben dem Bett, auf dem man die alte Dame in voller Kleidung fand, lag ein blutbefleckter Morgenstern, mit dem augenscheinlich der mörderische Schlag geführt wurde.

Ein Morgenstern ist eine keulenartige, mittelalterliche Waffe, deren Kolben sternförmig mit Nägeln beschlagen ist.

Dieser Morgenstern stammte aus der Waffensammlung des verstorbenen Herrn von Scholz und hing im Wohnzimmer der Ermordeten, das sich neben dem Schlafzimmer befand. Der Schreibtisch im Wohnzimmer, in dem Frau von Scholz ihr Geld für den Gebrauch aufzubewahren pflegte, war offen, doch zeigte er keine Spuren gewaltsamer Oeffnung. Es musste sich eine ziemlich grosse Summe darin befunden haben, denn der Hausmeister Mellner hatte ausgesagt, dass am Tage vorher eine Hypothek, die seine Herrin auf ein Haus in der Provinz gegeben, in barem Gelde an sie zurückgezahlt wurde.

Von der Dienerschaft käme als Täter wahrscheinlich niemand in Betracht, schlossen die Berichte.

Mehr konnten die Blätter vorläufig nicht mitteilen.

Viel mehr aber wusste bis jetzt auch die Polizei nicht.

Sie hatten die Tote gefunden, wie es die Zeitungen beschrieben. Die leere Geldkassette in dem offenstehenden Schreibtisch deutete auf Raubmord, sonst aber verriet nichts, nicht die geringste Kleinigkeit, wo man den Mörder zu suchen habe.

Zuerst wurde natürlich die Dienerschaft verhört.

Aus der Kammerfrau war nicht viel herauszubekommen. Die schluchzte nur unaufhörlich vor sich hin. War ihr doch Frau von Scholz eine gute, liebevolle Herrin gewesen, bei der sie sich schon seit zwei Jahrzehnten in Stellung befand.

Das erzählte sie auch wieder und wieder dem Kriminalkommissar, der die Untersuchung leitete.

„Wenn Frau von Scholz so gut zu Ihnen war, dann ist es Ihre Pflicht, sich jetzt zusammenzunehmen und mir ordentlich auf meine Fragen zu antworten, denn der kleinste Fingerzeig kann uns eine wichtige Spur weisen,“ meinte der Kommissar. „Sie werden doch nicht dazu beitragen wollen, dass diese abscheuliche Tat ungesühnt bleiben soll.“

Lina schüttelte energisch den Kopf, schluckte ihre Tränen tapfer hinunter und erzählte, ohne dass der Beamte fragen oder einzuhelfen brauchte:

„Gestern abend um einhalb acht servierte ich im Wohnzimmer, zusammen mit Mellner, den Tee. Herr Professor Bürgel war bei der gnädigen Frau und blieb zum Tee. Nach dem Servieren ging ich zu Frau Mellner und ihrem Mann in die Küche, ass mit ihnen wie immer zur Nacht und suchte gegen neun Uhr mein Mansardenzimmer auf. Bei der Nachttoilette bedurfte die gnädige Frau, trotz ihrer Jahre, niemals meiner Hilfe. Morgens gegen neun Uhr pflegte sie nach dem Frühstück zu klingeln, doch als es heute bereits einhalb elf schlug und sie noch nichts von sich hören liess, und ausserdem der Briefträger kam, um einen Einschreibebrief abzugeben, bin ich nachsehen gegangen, was das lange Schweigen meiner Dame bedeute. Oben habe ich in dem halbfinsteren Schlafzimmer erst nichts recht erkennen können, doch dann sah ich die Gestalt auf dem Bett, sah das Blut,“ — — Lina schauderte rückerinnernd zusammen, — „und wurde ohnmächtig,“ schloss sie leise, und ihre Tränen begannen schon wieder zu fliessen.

Die Köchin wusste nicht das Geringste auszusagen, dagegen deckte sich die Erzählung des Hausmeisters mit der Linas vollkommen.

„Kam Herr Professor Bürgel öfter ins Haus?“ frug der Kommissar den blass und elend aussehenden Mellner.

„O ja, er war der beste Bekannte der gnädigen Frau und verkehrte schon zu Lebzeiten des seligen Herrn bei uns.“

Der Beamte musste über das familiäre „bei uns“ lachen, trotz des Ernstes der Situation.

„Wie lange ungefähr?“ fragte er weiter.

„Ach wohl schon über zwanzig Jahre.“

„Sind Sie schon so lange bei Frau von Scholz? Die Kammerfrau diente ja der Ermordeten gleichfalls schon so viele Jahre,“ sagte interessiert der Kommissar.

„Jawohl,“ warm klang Mellners Stimme, „und meine Frau ist noch etwas länger hier in Stellung. Bei der Gnädigen konnte man’s aushalten, sie zahlte hohen Lohn und behandelte uns anständig und höflich. Sie war ein Engel, die gute, liebe Gnädige,“ zitternd brach ihm die Stimme.

Ein schöner Nachruf aus dem Munde ihres Bediensteten. Und doch musste eine solche Frau einem fluchwürdigen Verbrechen zum Opfer fallen.

„Man möchte an der himmlischen Gerechtigkeit zweifeln,“ murmelte Mellner, und der Beamte meinte deutlich das Aufeinanderknirschen der Zähne des Sprechenden zu hören.

Der joviale Kommissar machte sich einige Notizen und meinte: „Vorläufig wollen wir uns aber mehr um die irdische Gerechtigkeit kümmern. Und deshalb müssen Sie mir mal zunächst noch einigt Fragen beantworten. Wann verliess der Herr Professor das Haus?“

„Kurz nach neun Uhr.“

„Oeffneten Sie ihm das Haustor?“

„Jawohl, auch die Gartentür.“

„Und schlossen Sie hinter ihm ab, oder blieb die Gartentür offen?“

„Ich schloss ab, die Gartentür war immer, auch tagsüber verschlossen.“

„Fanden Sir die Tür heute früh noch zu?“

„Jawohl, wie immer. Um acht Uhr wurden die Brötchen gebracht, da schloss ich zum ersten Male heute auf.“

Prompt kamen die Antworten, und der Kommissar hielt vorerst keine Frage mehr für nötig. Mellner konnte gehen, und das tat er denn auch mit erleichtertem Atemholen, er musste sich niederlegen, um ein Stündchen zu ruhen.

Ihm war grässlich zumute, immer noch meinte er das blutüberströmte Gesicht seiner guten Herrin vor sich zu sehen. Seine starke Frau war ihm in all den schweren Tagen, die durch die Untersuchungen in der Villa und die wiederholten endlosen Verhöre seine sonst so kräftigen Nerven erzittern machten, eine zuverlässige Stütze.

Auch Professor Bürgel musste ein Verhör über sich ergehen lassen, doch seine Aussage beschränkte sich darauf, dass er — wie schon oft zuvor — bei seiner alten Freundin zum Tee gewesen und sich kurz nach neun Uhr wieder auf den Heimweg gemacht hatte.

Nicht das winzigste Anzeichen ward erspäht, das auf die Fährte des Mörders wies, nur ward die Polizei durch Denunziationen auf alle mögliche falsche, zeitraubende Spuren gehetzt.

Langsam geriet der Mord in der stillen, weissen Villa in Vergessenheit, und auf dem Grab der Ermordeten blühten schon des Sommers leuchtende Rosen, als plötzlich der Name von Scholz bei Gelegenheit der Eröffnung ihres Testaments in den Zeitungen wieder viel genannt wurde. Noch einmal ward in spaltenlangen Artikeln der edle Charakter der auf so fürchterliche Weise Geendeten voll gewürdigt.

Frau von Scholz hatte in ihrem letzten Willen verfügt, dass sie, da sie keine Verwandten besitze, ihr gesamtes Vermögen der Stadt zu wohltätigen Stiftungen vermache. Ihr Haus und Mobiliar möge die Stadt versteigern und den Erlös dafür zum Vermögen schlagen, die Waffensammlung mit dem wertvollsten Stück, dem Morgenstern, den Professor Bürgel so oft bewunderte, hinterlasse sie ihrem lieben, alten Freunde.

Der Morgenstern! Das war ja die alte Waffe gewesen, mit der man sie erschlug. Die Polizei hatte ihn damals an sich genommen, und er lag bei den Akten der Mordsache Scholz.

Professor Bürgel nahm die Waffensammlung, aber auf den Morgenstern verzichtete er freiwillig, rotes Blut, das sich inzwischen dunkel gefärbt, sass ja an dem Kolben und liess den Stern von Nägeln rostig erscheinen. So blieb die rohe Waffe in polizeilichem Gewahrsam, doch der Professor musste oft an den Morgenstern denken, den er noch an dem Abend in den Händen gehalten, da er seine alte Freundin zum letztenmal gesehen.

Die aus dem Hause Villalta

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