Читать книгу Die aus dem Hause Villalta - Anny von Panhuys - Страница 5
2. Kapitel.
ОглавлениеProfessor Bürgel, der berühmte Maler, bewohnte drunten am Flusse ein hübsches, bequemes Haus. Weit über Deutschlands Grenzen kannte man seinen Namen, und Künstler und Kenner nannten ihn mit Ehrfurcht. In allen grösseren Bildergalerien hingen seine frischen, lebenswarmen Porträts, und mancher vornehmen, reichen Dame oder schönen Künstlerin dünkte es das erstrebenswerteste Ziel, von ihm gemalt zu werden. Ihm zum Bild sitzen zu dürfen, galt als Gunst und Auszeichnung.
In den letzten Jahren konnten sich nur wenige dieser Auszeichnung rühmen, denn er war längst nicht mehr der fleissige, schöpfungsfrohe Künstler von einst.
Versonnen und verträumt ging er durch die Tage, selten nur, dass ihm ein auffallend interessanter oder schöner Frauenkopf den alten Eifer und Enthusiasmus an seinem Schaffen wachrief. Er, der Frauenreiz und Grazie zu schätzen wusste wie kaum ein zweiter.
Er, der sowohl als Mann wie als Künstler eine der schönsten Frauen sein eigen genannt, die je mit reinem Fuss über irdische Wege schritt.
„Wen Gott lieb hat, den lässt er jung sterben!“ damit hatte ihn oft die immer liebevolle, anteilnehmende Frau von Scholz zu trösten versucht, wenn ihm das Leben nach dem Tod der jungen Gattin zuweilen gar so öde und wertlos schien. Sie und ihr Mann zeigten in jener schmerzlichen Zeit, dass sie wahre, treue Freunde waren.
Wie ein zärtliches Elternpaar um den Sohn trauert, ging ihnen sein Kummer nahe, und ihr Beistand stärkte ihn, so dass er seiner Kunst treu blieb. Seine Künstlerschaft reifte am Leid.
Als man die berühmt schöne Frau Bürgel einsenkte auf dem Friedhof, weit draussen, wo der Grossstadt hohe Häuser sich in immer weiteren Abständen verlieren, da meinte er, nun sei für immer Freude und Glück dahin. Doch da führte ihm Frau von Scholz den kleinen Buben zu, sein Kind, für das er in den Tagen der Krankheit seiner Gattin keinen Blick gehabt. Und das Bürschchen legte die schmalen Arme um seinen Hals und sein Stimmchen sprach: „Nicht traurig sein, Väterchen, Tante Scholz sagt, Mamacita ist im Himmel und bittet den lieben Gott, dass du ein grosser Künstler wirst und ich ein braver Mensch.“
„Die gute Mamacita soll den lieben Gott nicht vergebens bitten,“ entgegnete er bewegten Tones und drückte den Kleinen an sich.
Die Worte der Frau von Scholz, die sie ihm durch den Mund des Kindes sagte, erschütterten ihn und machten ihn stark. Rastlos ging er an seine Arbeit, und die Kunst wurde ihm, wie allen, die sich ihr ganz weihen, zum heilsamen Balsam, der sich mild auf seine Herzenswunde legte. Er ward berühmt. Der Professortitel ward ihm zuteil und bald galt er als einer der ersten Porträtisten Deutschlands. Doch das schönste Gesicht, das sein Pinsel je auf die Leinwand gebannt, war lange, lange geschaffen, ehe sein Ruhm begann. Das war seine Gattin gewesen, die schöne Kastilianerin Maria Villalta, die er mit heimgebracht als herrlichste Ausbeute seiner spanischen Studienzeit.
In schwerem, prunkvollem Rahmen hing das Bild im Wohnzimmer Professor Bürgels, und immer, wenn ihm ein neues Werk gelungen, das seinen Ruhm weiter hinaustrug in die Welt, dann trat er davor hin und erzählte Maria von seiner Freude und Befriedigung.
Der purpurne Mund in dem feinen, kameenzart geschnittenen Oval, über das ein matter Elfenbeinschimmer lag, lächelte süss und lieb, und es war, als ob die mandelförmigen schwarzen Augen, über die sich schmal und gerade die dunklen Brauen zogen, aufleuchteten in stolzem Glück. Das waren seine schönsten Stunden. Seinem Sohn war er ein liebevoller Vater, der an allem, was ein Knabenherz quält oder beseligt, teilnahm. Ein älterer Freund und Kamerad wurde er seinem Jungen, der prächtig heranwuchs und sich, da die Zeit der Berufswahl nahte, für den Juristenstand entschied. Er arbeitete zur Zeit in Berlin und war vor kurzem Assessor geworden. Der Professor hatte eine verwaiste Nichte bei sich, die er als kleines Mädchen zu sich nahm und die nun, da sie erwachsen war, seinem Haushalt vorstand. Charlotte Synitz besass ein grosses Vermögen, doch war sie einfach und anspruchslos.
Der Professor lebte in seinem stillen Heim, sich um Welt und Menschen wenig kümmernd. Seit Frau von Scholz, die gütige, mütterliche Freundin, ein so schreckliches Ende fand, ging er nur noch wenig aus.
Das seltsame, menschenscheue Wesen, das er in der letzten Zeit angenommen, seit er seine Malerei fast aufgegeben hatte, vertiefte sich mehr und mehr, und Charlotte Synitz fand ihn beinahe immer vor dem Bilde seiner toten Gattin.
Lange Gespräche hielt er mit dem Bild und gab ihm Antworten, als hätte es Fragen gestellt.
Wenn das junge Mädchen dann zuweilen ins Zimmer trat, sah er gar nicht auf und redete weiter, schier unheimlich wirkte das.
Eine angenehme Unterbrechung brachten nur die kurzen Besuche Ernst Bürgels, da ward der Professor, der mit seinen vierundfünfzig Jahren schon einem müden, alten Manne glich, wieder elastisch und lebensfroher, doch sobald der Sohn nach Berlin zurückkehrte, fiel er wieder zusammen.
Auch Charlotte Synitz freute sich, wenn die schlanke, vornehme Gestalt des Vetters von Zeit zu Zeit heimkehrte in das Häuschen, an dem mit leisem Murmeln der Fluss vorüberzog.
Ein frohes Lachen klang dann wohl von ihren Lippen, und in ihre kühlen, blauen Augen trat Jugendglanz.
Allzuoft aber kam Ernst nicht, in Berlin war’s lustiger, da konnte man sich mit gleichgesinnten Kollegen vergnügen und mit amüsanten, kleinen Mädchen Spässe treiben. Hier dagegen — der Vater mühte sich lustig zu sein, und man merkte ihm doch den Zwang an, und die hübsche Kusine —, du lieber Gott, die wusste nicht viel davon, wie es draussen im Leben aussah. Die konnte nur Bücherweisheit verkunden, und ihre Augen hatten manchmal etwas so Unbequemes, Forschendes, besonders, wenn er den Vater um ein paar braune Scheine gebeten hatte.
Es war, als ahnte sie, welche Gespräche er mit dem Vater in dessen Zimmer führte, wenn er mit neckendem „Bleib’ draussen, Kusinchen, ich muss dem Vater eine kleine Beichte ablegen,“ dem Professor folgte. Der Vater verlor nie ein Wort über diese kleinen Beichten, er fand es scheinbar selbstverständlich, dass ein flotter, junger Mann sein Dasein genoss.
Der Vater verfügte auch über reichliche Mittel, seine Gattin, die graziöse Komtesse Maria Villalta, brachte ihm ja dereinst ein bedeutendes Vermögen mit in die Ehe, ganz abgesehen von dem Geld, das ihm seine Kunst eingetragen. Unter so günstigen Umständen wäre es wahrlich eine Schande gewesen, hätte „der reiche Bürgel“, wie man Ernst in seinem Bekanntenkreis nannte, sich nicht beteiligt an allem, was Vergnügen und Zerstreuung hiess.
„Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Narr sein Lebelang,“ sang er einmal und wollte Charlotte umfassen, doch die hatte sich losgerissen und vorwurfsvoll gesagt: „Du hast vergessen, das Spiel zu nennen, das muss wohl das Allerschönste sein!“
Er lachte: „Meinst du?“
„Ja, sonst würden doch nicht so viele Menschen Glück und Ehre verspielen. Unsagbaren Jammer haben die Karten schon in die Welt gebracht!“
„Ach so, Lottchen,“ wehrte er ab, „das soll wohl ’ne Moralpauke sein? Merkwürdig, wie übertrieben so ein Frauenkopf die harmlosesten Dinge beurteilt. Hast natürlich gehört, dass ich dem Vater erzählte, ich hätte ein paar Mark im Spiel verloren. Aber, Herzchen, das darfst du nicht tragisch nehmen. Das gehört so quasi für unsereinen mit dazu.“
„Nein, Ernst, das sollst du nicht sagen, das klingt hässlich,“ brauste sie auf, und eine leichte Röte stieg ihr in das sonst so blasse Antlitz. „Ich bin nicht prüde und zimperlich, und Muckertum ist mir verhasst, ich bestreite niemandem einen Genuss, mag jeder seine Jugend nützen, doch finde ich es wenig standesgemäss, wenn die Herren in durchwachten Nächten dem eklen Spielteufel Hunderte und Tausende opfern, mit denen man armen Menschen das Leben erleichtern könnte. Wieviel Tränen vermöchte man damit zu trocknen! Und so mancher spielt und vergisst, wie schwer oft Elternhände das Geld herbeischafften, das sie fiebernd auf ein Kartenblatt setzen. O, Ernst, ich bitte, ich beschwöre dich,“ ihre Stimme sank zu leisem Flüstern herab, „lass ab vom Spiel, sonst kommt auch dir der Tag, da du es verfluchst. Der Onkel gibt dir Unsummen, um deiner Leidenschaft zu frönen, und er bleibt gleichmütig dabei, es ist, als begriffe er nicht, dass er dir damit schadet. Er lebt ja längst nicht mehr in der Wirklichkeit. Sein Geist weilt in ferner Vergangenheit, immer sitzt er vor dem Bilde deiner seligen Mutter und vergisst die Gegenwart. Darum, Ernst, da er dir keinen Einhalt gebietet,“ beschwörend klang es, „so höre auf mich, entsage dem Spiel, es führt dich zum Verderben! Die Karten hat Beelzebub selbst in bösester Stunde gezeichnet.“
Sie wollte weitersprechen, doch er unterbrach sie rauh und brüsk: „Nun schweige endlich davon, Charlotte, und verekle mir das Vaterhaus nicht.“
Sie blickte ihn gross an, so schroff war er noch nie zu ihr gewesen. Ihre entsetzten Augen entwaffneten ihn, sein Aerger verflog, und lächelnd ihre Hand ergreifend, sagte er: „Was wärst du für ein liebes Geschöpf, wenn du etwas weniger tragisch sein würdest.“
Er hatte vielleicht recht, sie nahm alles viel zu schwer. Sie mühte sich gleichfalls ein Lächeln ab, und im Ohr klang es ihr: Verekle mir das Vaterhaus nicht!
Nein, nein, das wollte sie nicht, er musste wiederkommen, oft, recht oft, brachte er doch einen Strom von Frohsinn mit sich und gab ihr davon, ohne dass er es wusste. Sie hatte ihn gern, den lebenslustigen Ernst, der niemals daran dachte, in ihr etwas anderes zu sehen, als eine hübsche, ein wenig pedantische Base.