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4.

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Auf dem Klostergrundstück wurde in rasender Eile gearbeitet. Geld ist Macht, Geld kann Wunder schaffen. Die früheren Klostergebäude wurden zu Werkstätten und Hallen umgebaut. Wo einst die engen Zellen der frommen Schwestern gewesen, weiteten sich luftige Büroräume, die mit hellen, praktischen Möbeln ausgestattet wurden, und dort, wo der grosse Speisesaal die Nonnen zu einfacher Mahlzeit vereint, entstand die Kantine, in der derbe Arbeiter für wenig Geld eine kräftige Mahlzeit erhalten würden, aber auch gutes, schäumendes Bier oder ein Schnäpschen, damit die Arbeit besser voranginge. Im Betsaal, wo einst manch frommes Miserere zum Schöpfer emporgedrungen, sollten Drehbänke installiert werden. Eins der Gebäude wurde zur Montagehalle umgebaut, ein anderes war für den Karosseriebau vorgesehen.

Herbert Willmann hatte viel zu tun; er hielt sich ganze Stunden lang in dem Bereich des ehemaligen Klosters auf, und da er dafür gesorgt hatte, dass sein Büro zuerst fertig wurde, sass er meist dort und leitete von dort aus die Arbeiten, deren Fäden in seinen Händen zusammenliefen, obwohl die Ausführung einem Architekten des Städtchens übergeben war. Es gab da zu viel, was nur der Herr des Werkes, das hier entstand, anordnen konnte.

Gisa arbeitete nun schon seit sechs Wochen als Sekretärin Herbert Willmanns; aber sie erhielt immer noch dieselben Aufgaben. Hatte sie einen Artikel aus einer französischen Fachzeitung übersetzt, sah ihr Chef ihn flüchtig durch, lächelte: „Ausgezeichnet, Komtesse, Sie sind eine geradezu ideale Hilfe für mich!“ und gab ihr eine neue Uebersetzung — zur Abwechslung aus einer englischen oder italienischen Fachzeitung. Ihr stand jetzt eine schöne, funkelnagelneue Schreibmaschine zur Verfügung. Gisa übte auf diese Weise Englisch, Französisch, Italienisch und Schreibmaschine; auch eignete sie sich allerlei Fachkenntnisse an über den Automobilbau und alles, was damit zusammenhing, und was für sie noch vor kurzem böhmische Dörfer gewesen. Sie wunderte sich nur zuweilen ein bisschen, dass die Uebersetzungen, die sie machte, von so grosser Wichtigkeit waren, dass Herbert Willmann sie in solchen Mengen für seine Ingenieure und Meister anfertigen liess. In Deutschland wurden doch auch viele Autos gebaut und zwar, wie sie in den fremdsprachlichen Artikeln las, ausgezeichnete. Wurde denn da in den deutschen Fachzeitungen gar nichts von alledem geschrieben, was man im Ausland schrieb? Aber sie zerbrach sich nicht weiter den Kopf darüber. Grundlos würde ihr Herbert Willmann die Arbeit nicht geben, für die er sie bezahlte.

So sass sie denn jeden Wochentag von zehn bis eins an dem schönen, breiten Schreibtisch in dem luftigen, hübschen Schlosszimmer, dessen Fenster nach dem kleinen Park hinausgingen, und übersetzte. Herbert Willmann begrüsste sie stets in der Halle. Er hielt daran fest, ihr entgegenzukommen; aber er blieb jetzt selten länger als eine Viertelstunde bei ihr sitzen, wenn sie arbeitete. Dann ging er in sein Klosterbüro. Aber die Viertelstunde verbrachte er damit, sie anzusehen und ihr schönes Bild immer fester in sich aufzunehmen. Hätte er länger bei ihr gesessen, würde er dem heissen Verlangen, sie an sich zu reissen, kaum noch haben widerstehen können.

Doch er sagte sich noch immer, er dürfte nichts Unüberlegtes tun, wenn er sich nicht das Glück, Gisa Wergenheim einmal sein zu nennen, verscherzen wollte.

Sie wurde allmählich immer zutraulicher. Manchmal fragte sie ihn nach fachmännischen Dingen, die ihr bei den Uebersetzungen aufgefallen, und bat ihn um eine Erklärung.

Er dachte, es könne ja nichts schaden, wenn sie etwas von Automobilen verstand. Er würde ihr später einen extraschönen Wagen bauen, den sie selbst steuern sollte. Denn seine Frau musste Autofahren können.

Der Justizrat überzeugte sich gelegentlich, wo sein Mündel als Sekretärin untergebracht war, und fand die Stellung geradezu glänzend, in die Gisa Wergenheim hineingeschlüpft war.

Herbert Willmann aber hatte sich inzwischen nach einer zweiten Sekretärin umgesehen; denn zum Diktieren und Briefeschreiben benötigte er eine geübte Kraft, mit der er durch lange Erläuterungen keine Zeit zu vertrödeln brauchte. Er hatte ja nun sein eigenes Büro im Kloster, in dem die Dame ihren Platz finden sollte. Er hatte auf die Empfehlungen eines Bekannten in Stuttgart eine junge Dame mit ausgezeichneten Zeugnissen engagiert, und heute erwartete er sie. Sein Bekannter hatte scherzend in seinem Empfehlungsbrief geschrieben: Wenn du Betty Hartung siehst, halte dein arg eindrucksfähiges Herz fest, alter Don Juan, denn die Kleine ist bildhübsch!

Er hatte über den Satz gelächelt. Wer täglich eine Gisa Wergenheim bewundern durfte, dem konnte so leicht kein weibliches Wesen mehr gefährlich werden. Immerhin sah er dem Erscheinen der neuen Sekretärin doch mit Neugier entgegen.

Es war ein sehr heisser Tag, und seit den frühen Morgenstunden hatte es schon von ferne leise gedonnert, ohne dass das Gewitter näherkam. Der Himmel war bis vor kurzem über dem Städtchen noch blau gewesen; aber allmählich drängten sich die Wolkenbänke zusammen, schoben sich vor das lichte Blau des Julihimmels.

Im Schloss sass Gisa und übersetzte, doch sie kam heute nur langsam vorwärts. Das drohende Wetter, die schwüle Luft, die vom Park ins Zimmer drang, versetzten sie in jene eigentümliche Stimmung, die viele Menschen vor starken Gewittern überfällt.

Herbert Willmann empfand eine ähnliche Stimmung, die er aber, ärgerlich auf sich selbst, abzuschütteln suchte. Es klopfte. Er rief fast barsch herein. Karl Schneider trat ein, der Bürodiener, der seit ein paar Tagen Dienst tat. Er war ein dürftiges Männchen mit grauem Haar und wichtigem Gesichtsausdruck — ein früherer Schulpedell, der würdevoll tat wie ein alter Lehrer aus Grossmutters Tagen. Er meldete:

„Fräulein Betty Hartung wünscht, sich vorzustellen!“

„Lassen Sie das Fräulein rein“, erwiderte Willmann ein bisschen brummig, denn er kämpfte noch immer mit der seltsam beengenden Stimmung. Er hatte im Augenblick gar keine Lust, sich mit der Bürodame zu unterhalten, wollte es aber kurz machen und dann ins Schloss eilen; denn Gisa Wergenheim fürchtete sich vielleicht vor dem Gewitter. Es war eine gute Gelegenheit, sich einmal wieder ein bisschen anders mit ihr zu unterhalten als in dem trockenen Ton des Chefs, den sie ja von ihm verlangt hatte.

Eben öffnete der Bürodiener die Tür weit, um die junge Dame, die hinter ihm auftauchte, an sich vorüber ins Zimmer treten zu lassen, als ein Blitzstrahl niederfuhr, der alles in sein starres, blendendes Licht tauchte und der Eintretenden das Aussehen einer Wachsfigur gab. So standen sie sich ein paar Herzschläge lang gegenüber, der Chef der zukünftigen Willmann-Werke und die Kontoristin Betty Hartung. Ein Donner folgte dem Blitz, der wie tolles Maschinengewehrfeuer klang, und die zwei, die sich bei Blitz und Donner zum ersten Male gesehen, atmeten auf und blickten einander — vielleicht noch unter dem Eindruck des grellen Blitzes und des betäubenden Donners — unwillkürlich schärfer und forschender an, als sie es vielleicht sonst getan hätten.

Herbert Willmann reichte dem sehr schlanken, etwas mehr als mittelgrossen Mädchen die Hand.

„Sie sehen, welch einen festlichen Empfang Ihnen das Städtchen Wernersruhe bereitet, Fräulein Hartung. Sie werden hoffentlich zufrieden sein.“

Er betrachtete dabei immer noch die vor ihm Stehende, die ihre Hand flüchtig in die seine legte.

„Ja, ich wurde sehr festlich empfangen“, lächelte ein Mund, der vielleicht zu gross war, um schön zu sein, aber so blendend weisse Zähne aufwies, dass er förmlich aufreizend wirkte. Das Gesicht war pikant unregelmässig und von jener Weisse, die man oft an Rothaarigen bewundert.

Auch Betty Hartung hatte rotes Haar; ein paar Löckchen schauten unter dem schwarzen, kappenförmigen Strohhut hervor. Die Augen waren grünlich und etwas schmal, die Aussenwinkel zogen sich leicht zu den Schläfen hinauf. Schwarze, strichdünne Brauen standen darüber.

Ob Betty Hartung bildhübsch war, wie sein Bekannter geschrieben, darüber war Willmann sich noch nicht klar; jedenfalls war sie sehr apart.

Er wies auf einen Stuhl.

„Nun will ich Ihnen kurz Bescheid sagen, Fräulein Hartung. Die Gehaltsfrage ist ja bereits brieflich erledigt worden.“

Betty Hartung setzte sich, und während sie mit dem Gürtel ihres grünen Regenmantels spielte, hörte sie an, was ihr neuer Chef ihr über ihre Stellung und seine Ansprüche erklärte. Er schloss:

„Wenn Sie noch keine Unterkunft hier haben, rate ich Ihnen, sich an den Bürodiener Schneider zu wenden. Er ist ein Einheimischer und wird Ihnen gern ein passendes Zimmer besorgen.“

Blitz und Donner schienen sich von der besonderen Anstrengung vorhin ausgeruht zu haben. Es war fast zehn Minuten ganz still gewesen. Doch jetzt brach ein solcher Tumult los, und der Regen prasselte in so breiten Strömen nieder, dass Herbert Willmann nicht daran denken konnte, ins Schloss zu gehen. Er musste bleiben, wo er war. Er konnte doch Betty Hartung auch nicht in das furchtbare Wetter hinausschicken. Er sagte:

„Machen Sie es sich bequem; denn so bald scheint das Unwetter nicht aufzuhören.“

Das junge Mädchen zog den Mantel aus, und Herbert Willmann sah, sie hatte eine prachtvolle Figur; auch war sie hübsch und geschmackvoll angezogen. Sie trug ein schwarzes Kleid aus dünnem Tuch mit weissen Tüllmanschetten und um den Hals einen Tüllkragen, dessen Enden in Form eines Fischüs über die Brust fielen.

Nun nahm sie den Hut ab, und sofort sprühte das kurze, gelockte Haar hervor wie köstlicher Brand. Keine andere Haarfarbe hätte zu diesem schmalen, weissen Gesicht so gepasst wie das eigenartige Rot, das zu grell war, um Mahagoni genannt zu werden.

Ganz ungeniert lachte Betty Hartung ihren neuen Chef an.

„Gelt, ich bin ein schrecklicher Rotfuchs, Herr Direktor? Aber ich kann ja nichts dafür.“

Er musste auch lachen. Diesen blinkenden Zähnen konnte er nicht widerstehen.

Auf ein Klingelzeichen seines Herrn trat der Bürodiener ein. Er sollte der Sekretärin ein Glas Wasser bringen; sie hatte darum gebeten. Als Karl Schneider wieder draussen auf dem Flur stand, brummelte er in sich hinein:

„Brandrote Haare hat sie und grüne Augen und fletscht die Zähne wie eine Negerin.“

Er schüttelte sich, den Rothaarigen traute er nun mal nicht.

Herbert Willmann aber war mit Betty Hartung ins Plaudern gekommen. Er fand sie amüsant und ihm fiel eigentlich erst jetzt auf, er war hier in der kleinen Stadt etwas schwerfällig geworden. So ein frischer, kleiner Wind von draussen tat ihm gut. Mit Gisa musste er umgehen wie mit einem Porzellanpüppchen. Sie sollte sein werden und die Herrin seines Hauses; aber um dieses Ziel nicht in Gefahr zu bringen, durfte er keinen Augenblick vergessen, dass sie ein ganz abseits alles grossen Lebens aufgewachsenes Komtesschen war, das die Rücksichten einer Dame mit patriarchalischer Vergangenheit verlangte.

„Wann beginnt meine Arbeitszeit morgen?“ fragte Betty Hartung.

„Um neun Uhr“, gab er zurück. „Hoffentlich kann Ihnen Schneider bald ein Zimmer besorgen, sonst müssen Sie ein paar Tage im „Adler“, wo Sie abgestiegen sind, wohnen bleiben.“

Das Wetter hatte sich ausgetobt, und Herbert Willmann rief den Bürodiener, dass er sich der neuen Sekretärin annehme. Er selbst eilte nach Hause. Wenn er Gisa Wergenheim noch im Schloss antreffen wollte, war es die höchste Zeit.

Sie war gerade dabei, ihre Arbeit zusammenzulegen, als er ins Zimmer trat. Er lobte wie immer ihren Fleiss; sie aber sah ihn ernst an.

„Ich meine manchmal, Herr Willmann, die Arbeit, mit der ich jetzt schon seit Wochen beschäftigt bin, ist vorläufig gar nicht so sehr wichtig. Sie haben mir noch keinen einzigen Brief diktiert oder mir Arbeiten gegeben, die mit der Fabrik direkt zu tun haben.“

Er machte sein harmlosestes Gesicht.

„Die Artikel, die Sie übersetzen, sind, ich erklärte es Ihnen schon öfter, ungemein wichtig für mich. In einigen Wochen fängt die Fabrik an zu arbeiten, dann sind die schon längst engagierten Ingenieure und Meister hier, und ich brauche die Uebersetzungen; sie müssen dann alle bereit sein.“ Er dachte, er müsste ihr auch etwas von Betty Hartung sagen, damit sie sich nicht etwa zurückgesetzt fühlte. „Für die laufenden Arbeiten habe ich ein Bürofräulein aus Stuttgart engagiert, das ich mit dem Kleinkram belasten will.“

Gisa ward sehr rot.

„Aber ich habe doch noch die ganzen Nachmittage frei und werde überreich bezahlt!“

Er kam ein bisschen in Verlegenheit.

„Ich bezahle jeden nach seinem Können, Komtesse. Ihre Sprachkenntnisse fordern ein gutes Gehalt.“

Sie verstand viel zu wenig vom Geschäftlichen und konnte nichts darauf erwidern. Er begleitete sie durch die Halle, und als er zurückging, blieb er unwillkürlich vor dem Bilde des so lebensfroh dreinblickenden Erbprinzen Otto stehen. Er dachte an das, was Gisa gesagt hatte; der Mund des Erbprinzen hätte Aehnlichkeit mit seinem Mund. Er lächelte. Vielleicht war der Erbprinz ihm ähnlich gewesen im Charakter! Er hatte das wohl beim ersten Betrachten des Bildes empfunden, und daher rührte auch die merkwürdige Sympathie, die er für den fühlte, den das Bild darstellte.

Eigentlich fiel ihm erst jetzt so richtig auf, es war fast mehr als Sympathie, was er für den Kavalier im blauleuchtenden Rock mit dem graziösen Spitzenjabot und dem gepuderten Haar empfand.

Er lächelte, und ihm war, als hänge sich das Lächeln starr und fest um seine Lippen, als drücke sich leiser Spott in die Mundwinkel, und er sann: Wenn ein Bild etwas spüren könnte, müsste es dasselbe spüren, wie er jetzt. Ach, Unsinn! Es war ja verrückt, was er sich da einredete! Bild ist Bild und spürt nichts! Er sagte lachend: „Sicher warst du ein so genussfroher Kerl wie ich, Erbprinz!“

Herbert Willmann wich erschreckt einen Schritt zurück; er meinte deutlich gesehen zu haben, dass der im blauen Rock den Kopf neigte.

Aergerlich wandte er sich von dem Bilde ab.

Nach dem Gewitter hatte sich die Sonne wieder herausgewagt aus ihrem himmlischen Versteck, und der zitternde Lichtstreif, der über das Gesicht des Erbprinzen huschte, hatte die Illusion hervorgerufen, als habe der Rokokokavalier den Kopf geneigt.

Schritte in der Nacht

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