Читать книгу Flammen um Margot - Anny von Panhuys - Страница 4
1.
ОглавлениеDer Sühnetermin war ergebnislos verlaufen. Margot von Lindner hatte auf alle Vermittelungsversuche des Richters geantwortet:
„Ich kann mit meinem Mann nicht länger zusammen leben, er macht mir das Dasein zur Hölle. Ich kann nicht mehr und will nicht mehr!“
Endlich durfte sie das Gerichtsgebäude verlassen. Ihr Anwalt, Justizrat Doktor Lenz, begleitete sie ein Stück des Weges. Er sagte zufrieden:
„Die Scheidung wird nun ausgesprochen werden, gnädige Frau, dann sind Sie wieder frei. Alles wird gut gehen. Ihr Mann bekommt Unrecht, und das Kind bleibt bei Ihnen.“
Sie sah ihn groß an.
„Natürlich muß ich das Kind behalten. Sonst wäre das Leben ja gar nicht zu ertragen.“
Er blieb stehen.
„Verzeihung, gnädige Frau, daß ich mich jetzt empfehle. Ich habe noch einen Termin wahrzunehmen.“
Margot von Lindner reichte ihm die Hand, und beide verabschiedeten sich voneinander.
Margot ging langsam weiter. Ihre Gedanken waren noch bei dem Sühnetermin, und sie erinnerte sich mit leichtem Frösteln an den seltsamen Blick ihres Mannes, der sie getroffen, als sie am Schluß noch ziemlich scharf geantwortet: Lieber spränge ich mit meinem Kind in den Waldsee, als daß ich zu ihm zurückkehrte!
Sie hatte einen ziemlich weiten Weg. Ihre verwitwete Mutter wohnte draußen vor der Stadt, und sie hatte das Auto weggeschickt. Sie wollte laufen. Dabei hoffte sie frei zu werden von der Erregung der vergangenen Stunde. Die Häuser wurden seltener; die leicht aufwärts führende Straße näherte sich dem Friedhof.
Margot dachte daran, wie glücklich sie im Anfang ihrer Ehe gewesen war, und wie sich dann doch bald alles so ganz anders gestaltete, weil ihrem Mann jedes hübsche Mädchengesicht gefiel.
Immer wieder betrog er sie, machte sie schließlich lächerlich.
Erst weinte sie und bat ihn, vernünftig zu sein, und er versprach das Blaue vom Himmel herunter; schließlich aber blieb ihr doch nichts weiter übrig, als zu ihrer Mutter zurückzukehren. Wie schön, wie wunderschön war der Anfang einer Ehe gewesen, die nun schmutzig geworden — o, so häßlich und schmutzig!
Sie hatte den Friedhof erreicht.
Hinter den dichten Büschen trat ein schlanker Mann hervor, stand an ihrer Seite, ehe sie sich recht besinnen konnte. Er hatte ein schönes, ebenmäßiges Gesicht und dreiste Augen.
Margots Atem ging hörbar.
„Weshalb lauerst du mir hier auf, Fred? Laß mich in Frieden! Wir beide haben einander nichts mehr zu sagen.“
„Wir beide haben einander noch sehr viel zu sagen“ gab er zurück, und seine braunen Augen blitzten.
Plötzlich wurde sein Blick weich und seine Stimme war voll Zärtlichkeit:
„Versuche es noch einmal mit mir, Margot, ich bitte dich flehentlich. Und wenn ich dich betrog, verzeihe es mir. Trotz aller Torheiten, die ich beging, geliebt habe ich doch nur eine einzige — dich, Margot, dich! Du bist das Glück meines Lebens, und wenn du nichts mehr von mir wissen willst, gehe ich zugrunde.“
Sie kannte den zärtlichen Tonfall, den warmen, bittenden Blick und glaubte längst nicht mehr daran.
Sie sah sich um. Niemand war in der Nähe und so erwiderte sie rauh und hart:
„Befreie mich von deiner lästigen Gegenwart. Nach dem, was ich in der Ehe mit dir durchgemacht, graut mir vor dir!“
Sie bereute schon, nicht das Auto benützt zu haben.
Er bettelte: „Mache mich nicht für das ganze Leben unglücklich, Margot.“
Sie wußte ja, seine Bitten waren Lüge; ihm lag nur daran, sich ihren Reichtum zu erhalten. Seine Liebe war falsch gewesen von Anbeginn; nur hatte er sich im Anfang der Ehe gut zusammengenommen.
Sie stieß ihn beiseite. Dabei glitt er aus und stürzte, die Straße war feucht von dem Regen, der nachts gefallen war. Fred von Lindner erhob sich mit beschmutztem Paletot und großen Flecken an den Beinkleidern.
Margot kannte seine übertriebene Eitelkeit und als er den heruntergefallenen, ebenfalls schmutzig gewordenen Hut aufnahm, konnte sie nicht anders, sie mußte lachen, so wenig ihr sonst der Sinn danach stand.
Er maß sie von oben bis unten mit Blicken voller Wut.
„Das Lachen sollst du hundertfach bereuen, das schenke ich dir nicht, und die Blamage beim Sühnetermin auch nicht! Nichts schenke ich dir, nichts! Du wirst noch an mich denken!“
Verachtung kräuselte ihre Lippen. Sie ging hastig weiter. Jetzt hatte sich der Mann gegeben, wie er wirklich war.
Ekel empfand sie vor ihm und Widerwillen.
Er starrte ihr nach, und sein schön geschnittenes Gesicht war vor Wut verzerrt.
*
Margot von Lindner kam, zu Tode erschöpft von der Begegnung mit ihrem Manne, zu Hause an. Ihre Mutter war eine liebe, gute Frau, schleppte aber schon seit Jahren ein schweres Herzleiden mit sich herum. Schonung brauchte sie, immer wieder Schonung.
Margot erzählte ihr nun von dem Sühnetermin, doch nichts von der Begegnung mit Fred. Wozu die arme leidende Mutter mit der Wiederholung der Drohung ängstigen, die der Abscheuliche ausgestoßen, dessen Namen sie trug?
„Alles wird gut gehen, Mutter“, erklärte sie. „Der Justizrat meinte, ich werde nun bald frei sein.“
Die Frau mit dem milden Gesicht und dem ergrauten Haar nickte.
„Wenn es nur erst so weit wäre, Margot! Ich will Gott auf den Knien danken, wenn du all das Häßliche hinter dir hast, was mit deiner Ehe zusammenhängt.“
Später ging Margot in das Kinderzimmer, und beim Ankleiden ihres herzigen kleinen Mädelchens schwand alles, was sie quälte und verwirrte. Sie nahm die Kleine zärtlich auf den Arm, hauchte einige Küsse auf das niedliche Gesichtchen. Wundervolle tiefblaue Augen hatte Klein-Hedi. Von jenem seltenen Blau, das dem der Veilchen gleicht. Sie hatte die schönen Augen ihrer jungen Mutter.
Das Kinderfräulein war eine hübsche, üppige Person mit dunklen Augen und dunklem Haar. Sie war schon von der Geburt des Kindes an bei Margot in Stellung und hatte im Haushalt der jungen Eheleute manches Unerquickliche mitangesehen und mitangehört. Daß sie selbst ebenfalls Fred von Lindners Küsse geduldet hatte, davon ahnte Margot nichts, und sie ahnte auch nicht, daß Betty Fellner sich heimlich mit ihrem Manne traf — ahnte nichts von den ehrgeizigen Träumen des dunkelhaarigen Mädchens.
Als Betty jetzt fragte: „Haben Sie mit dem heutigen Gang zum Sühnetermin nun alles Unangenehme hinter sich, gnädige Frau?“ hörte sie nur Anhänglichkeit, Treue und Ergebenheit aus der Frage heraus; das Lauernde, das hinter den Worten stand, hörte sie nicht.
Sie wiegte das einjährige Kind zärtlich im Arm hin und her, während sie antwortete:
„Ich habe mich auf keinen Versöhnungsversuch meines Mannes eingelassen und werde bald frei sein.“
„Gott sei Dank, daß Sie dann endlich Ruhe bekommen werden, gnädige Frau!“ kam es teilnehmend über die Lippen Bettys. In ihren Augen glomm es freudig auf. Sie selbst liebte Fred von Lindner; sie gönnte ihn keiner anderen.
Die Lösung dieser Ehe war ihr Herzenswunsch. Sie fragte:
„Darf ich heute gegen Abend ein Stündchen ausgehen, gnädige Frau? Meine Freundin hat sich verlobt, und wir hängen sehr aneinander. Ich möchte mich doch einmal mit ihr über ihren Verlobten unterhalten.“
„Natürlich dürfen Sie ausgehen, Betty. Aber kommen Sie nicht zu spät wieder.“
Betty dachte gar nicht daran, eine Freundin zu besuchen, sondern traf sich, als es Abend wurde, mit Fred von Lindner in einer abgelegenen Gegend der kleinen Stadt.
Es war ein stürmischer Frühlingsabend, und Fred von Lindner hatte den Rockkragen aufgeschlagen, die Mütze tief in das Gesicht gezogen. Niemand erkannte in ihm den Gutsherrn von Lindenhof. Es regnete etwas; doch die beiden eifrig miteinander Sprechenden störte das nicht. Wohl eine Stunde lang gingen sie durch abgelegene Straßen, ehe sie sich endlich trennten, nachdem der Mann das verliebte Mädchen in einer dunklen Ecke fest an sich gezogen und geküßt hatte.
Die kleine Stadt besaß eine elektrische Straßenbahn, doch fuhr sie nur jede Stunde einmal vom Bahnhof bis zum Friedhof. Betty benutzte sie. Vom Friedhof an mußte sie gehen. Aber sie war nicht furchtsam. Und bald kam auch schon das Nonnenhaus in Sicht, in dem Frau Werner mit ihrer Tochter, Frau von Lindner, wohnte.
Der große langgestreckte Bau hieß noch immer das Nonnenhaus, weil er einmal das Hauptgebäude eines Nonnenklosters gewesen. Das Gebäude, das man als Lagerhaus benützte, war vor etwa hundert Jahren von einem reichen Fabrikbesitzer namens Werner der Stadt abgekauft und in ein Wohnhaus umgewandelt worden. Seitdem lebten die Werners im Nonnenhaus wie in einem alten Schlosse. Lange verzweigte Gänge gab es darin und tiefe geheimnisvolle Keller, Nischen mit den Heiligenfiguren und sogar noch einige Klosterzellen, die der Bauherr in ihrem früheren Zustand gelassen. Es war interessant, das alte Nonnenhaus, in dem man trotz allem Alten und Spukhaften doch so bequem und traulich wohnte.
Und eine Sage gab es im Nonnenhaus auch, eine Sage aus jener längst verschollenen Zeit, als noch grau gekleidete Nonnen hier durch lange Gänge geschritten oder vor den Heiligenbildern um gnädigste Fürsprache im Himmel gefleht. Es ging die Sage, daß eine Nonne, von irdischer Liebe zu einem Manne erfaßt, aus dem Kloster habe fliehen wollen und daß sie auf diesem Wege etwas Furchtbares gesehen haben müsse. Sie habe zweimal einen markerschütternden Schrei ausgestoßen und sei dann tot umgesunken.
Es hieß nun, sie fände keine Ruhe im Grabe, und zuweilen in stiller Nacht ertönten wieder ihre gellenden Verzweiflungsschreie durch das Nonnenhaus, wie einstmals vor fast dreihundert Jahren.
Dieser und jener behauptete, früher die Schreie gehört zu haben; aber alle, die jetzt im Nonnenhaus wohnten, lächelten über die alte Sage. Niemand von ihnen glaubte daran.
*
Frau Werner und Margot saßen beim Abendbrot und redeten darüber, daß sie, sobald die Scheidung ausgesprochen, nach Nauheim reisen wollten. Der Arzt hatte der alten Dame dringend geraten, auch in diesem Jahr eine Kur in Nauheim zu machen, wie seit langem alljährlich.
„Die Kur wird dir bestimmt gut tun, Mutter“, meinte Margot; „du wirst dich in Nauheim sehr erholen. Doktor Breitschwert sagte auch letzthin, wenn du vor großem Schreck und vor Aufregungen bewahrt bleibst, sei dein Leiden gar nicht gefährlich.“
Frau Werner lächelte dankbar.
„Du hältst mir ja alles Erregende fern, meine liebe Margot, und wachst äußerst sorgfältig darüber, daß mein Leben glatt und ruhig verläuft.“
Das unregelmäßige, feine, nur etwas zu blasse Gesicht der jungen Frau rötete sich.
„Ich konnte dir leider den Schmerz meiner unglücklichen Ehe nicht ersparen, Mutter, aber jetzt liegt das alles hinter uns. Ich freue mich schon darauf, mit dir und Klein-Hedi nach Nauheim zu reisen. Betty nehmen wir natürlich mit. Sie ist anhänglich und zuverlässig.“
Die grauhaarige Frau zuckte leicht die Achseln.
„Ich möchte Betty kein Unrecht zufügen; aber sie ist mir nicht besonders sympathisch.“
Margot schüttelte den Kopf.
„Betty ist treu und zuverlässig, Mutter, glaube mir, und sorgt für das Kind, als sei es ihr eigenes.“
„Du wirst schon recht haben, Margot“, gab Frau Werner zu, „aber man hat manchmal gegen jemand ein Vorurteil, ohne erklären zu können, weshalb. So geht es mir in diesem Fall wohl auch.“
Fast im gleichen Augenblick horchten beide Frauen auf und wechselten entsetzte Blicke.
Ein Mark und Bein durchdringender Schrei gellte durch das Haus, aus allernächster Nähe scheinbar, draußen auf dem Gange, hallte schaurig von den Mauern wider.
Frau Werner kannte die alte Sage; ihr Verstand glaubte nicht daran; aber ihr Herz schlug plötzlich ganz toll, um danach beinahe stillzustehen. Angst überfiel und schüttelte sie.
Ihre Linke zuckte nach dem Herzen.
Margot war aufgesprungen. Sie beugte sich über die Mutter und flüsterte angstvoll:
„Was ist dir, liebes, gutes Mütterchen? Sei ruhig, bitte! Ich hole dir deine Tropfen.“
In diesem Augenblick klopfte es an die Tür.
Sie rief mechanisch herein.
Die Köchin trat ein und fragte erregt
„Ich wollte nur sehen, was es gibt. Sie haben so furchtbar laut geschrien, gnädige Frau.“
Margot schüttelte den Kopf.
„Ich habe nicht geschrien, Marie, und meine Mutter auch nicht. Aber jetzt halten Sie mich nicht auf. Meiner Mutter ist nicht wohl. Ich muß ihre Tropfen holen. Bleiben Sie indessen bei ihr.“
Sie verließ schnell das Zimmer.
Man hatte im Erdgeschoß gegessen, und die Schlafzimmer lagen im ersten Stock. Von dort holte Margot die Tropfen, die ihre Mutter einnehmen mußte, wenn das Herz zu sehr erregt war. Sie flog förmlich die Treppe hinauf und wieder hinunter.
Die Mutter saß jetzt mit geöffneten Augen da, lächelte ihr entgegen.
„Habe ich dich erschreckt, Margot? Aber der Schrei hat mich so konfus gemacht.“
Die Köchin trat zurück, als Margot in ein halb gefülltes Glas ein paar Tropfen der Medizin mischte und es der Mutter an die Lippen führte.
Aber gerade, als Frau Werner trinken wollte, gellte ein zweiter Schrei auf — ein Schrei, der imstande war, die ruhigsten Nerven aus der Fassung zu bringen — ein Schrei, so entsetzlich, daß die Köchin mit dem Ausruf „Himmlischer Vater!“ in eine Ecke des Zimmers flüchtete, dort Schutz suchend vor einer unbekannten Gefahr. Margot aber mußte das Glas auf den Tisch stellen, um den Inhalt nicht zu verschütten. Auch hatte ihre Mutter fast heftig abgewehrt.
*
Die Tür sprang auf. Das Hausmädchen Else stürzte ins Zimmer wie auf der Flucht, das Kind im Arm. Sie hatte an diesem Abend Betty vertreten und am Bettchen des Kindes gesessen. Sie rief zitternd vor Aufregung:
„Wer hat denn schon zum zweiten Male so furchtbar geschrien? Wer?“
Sie blickte sich ganz verstört um. Die Köchin gab ihr Antwort.
„Niemand von uns, Else, niemand. Es ist die Nonne gewesen. Die alte Sage ist wahr. Gott behüte uns alle! Der Schrei im Nonnenhaus bedeutet Unglück!“
„Unken Sie nicht so törichtes Zeug zusammen, Marie!“ verwies sie Margot, die sich jetzt zusammenriß. Sie fuhr fort:
„Wir werden herausbringen, wer die Schreie ausgestoßen hat.“ Sie nahm das Glas wieder auf. „Trink‘, bitte, Mutter, trinke!“
Sie neigte sich über die Mutter, und dann fiel ihr plötzlich das Glas aus der Hand.
„Mutter!“ rief sie angstvoll, „Mutter, höre mich doch!“
Doch kein Laut antwortete ihr, kein Blick der geliebten Mutteraugen. Starr lagen die Lider darüber. Der Ausdruck des Schreckens hatte sich auf dem Antlitz der Regungslosen festgehängt.
„Mutter! Mutter, bitte, sieh mich doch an! Sprich nur ein einziges Wort zu mir!“ flehte Margot, an allen Gliedern bebend, von einer furchtbaren Ahnung bedrängt.
Die alte Köchin näherte sich langsam und blickte forschend in die regungslosen Züge ihrer Herrin, der sie seit vierzig Jahren eine treue und ergebene Dienerin gewesen. Sie atmete dabei so laut, daß es in der Stille des Zimmers klang, als arbeite ein kleiner Blasebalg. Dann aber sank sie wie niedergerissen in die Knie, schluchzte laut auf und begann zu beten: „Vater unser, der du bist im Himmel!“
Margot faßte sie rauh an einer Schulter.
„Was soll das, Marie? Was soll das?“
Die alte Köchin schluchzte lauter als bisher.
„Lassen Sie mich beten. Tote haben Gebete nötig Der Weg in die Ewigkeit wird einer armen Seele leicht, wenn man hier unten für sie betet!“
Margot fuhr sich mit einer Hand über Stirn und Augen.
Ach, Unsinn! Es war ja gar nicht wahr, was Marie gesagt hatte! Ihre Mutter war nur ohnmächtig, nicht tot! Nein, nicht tot!
Sie stürzte an das Telefon, rief den Hausarzt an. Er war zu Hause und versprach, sofort im Auto zu kommen.
Doch als Margots Blick wieder die Mutter suchte, schwand ihre Hoffnung. Ihr war, als hätte sich das geliebte Gesicht in wenigen Minuten unsäglich verändert. Ein fahler Schein breitete sich darüber aus, wie der Abglanz eines seltsam blauen Lichtes, und der Kopf lag schlaff, kraftlos da.
Sie kniete neben dem Stuhl nieder und weinte fassungslos. Sie zweifelte jetzt nicht mehr daran, daß ihre Mutter tot war.
In einem Stuhl hockte das Hausmädchen mit dem Kinde im Arm. Auch die Kleine fing an zu weinen, als ahne sie etwas von dem Schmerz, der nun in das stille, trauliche Nonnenhaus Einkehr gehalten.
Das Mädchen versuchte Klein-Hedi zu beruhigen, die sie vorhin aus dem Schlaf gerissen, weil der zweite Schrei sie aus dem Zimmer getrieben, nach unten, zu den anderen Hausbewohnern.
Die Klingel am Eingang schrillte, und die Köchin erhob sich langsam.
„Es wird Doktor Breitschwert sein. Ich werde ihm öffnen.“
Sie fragte, ehe sie das tat, erst durch die Haustür: „Wer ist draußen?“
Eine bekannte Stimme gab Antwort. Da öffnete Marie. Es war Betty Fellner, die heimkam. Sie lachte Marie vergnügt entgegen:
„Fein war es bei meiner Freundin. Wir haben uns glänzend unterhalten und —“
Marie legte ihr eine Hand auf den Mund.
„Still, Betty, still! Die alte Gnädige ist eben gestorben. Vor Schreck, glaube ich. Zweimal haben wir vorhin alle einen entsetzlichen Schrei gehört. Sie kennen ja die Sage vom Nonnenhaus! Der furchtbare Schrei hat der alten Gnädigen den letzten Rest gegeben. Ihr Herz war für dergleichen nicht mehr widerstandsfähig genug.“
Betty machte eine Bewegung nach der Stirn.
„Das mit dem Schrei ist doch heller Blödsinn, Marie. Eine Sage ist eine Sage! In Wirklichkeit kann doch kein Mensch den Schrei gehört haben.“
„Zweimal haben wir ihn gehört, wir alle, im Hause“, berichtete Marie eifrig, „und die arme alte Gnädige hat den Tod davon gehabt.“
„Frau Werner ist wirklich tot?“ fragte Betty und klammerte sich an das Treppengeländer.
„Ja, wirklich!“ versicherte Marie. „Und nun wartet die junge Gnädige auf Doktor Breitschwert; er muß gleich kommen.“
Betty sah ganz fassungslos aus.
„Das ist ja schrecklich!“ murmelte sie. „Das ist ja unglaublich!“
Das Ereignis schien ihr sehr nahe zu gehen. Marie sah, wie sie zitterte. Sie klopfte ihr auf die Schulter.
„Zusammennehmen! Sonst regen wir die junge Gnädige noch mehr auf. Gehen Sie, und holen Sie das Kind! Else wird doch nicht so damit fertig wie Sie. Sie ist mit dem Kind auch im Eßzimmer. Dort ist nämlich die alte Gnädige gestorben.“
Man hörte das Anfahren eines Autos. Marie ging öffnen. Es mußte der Arzt sein.
Der alte Doktor Breitschwert trat ein, und Marie erzählte ihm flüsternd unter neuen Tränen, was geschehen war.
Er ging neben ihr den Gang entlang nach dem Eßzimmer.
Betty folgte in Mantel und Hut und trat mit in das Zimmer hinein.
Margot schwankte dem alten Hausarzt entgegen; aber zu sprechen vermochte sie nicht.
Doktor Breitschwert brauchte nur einen einzigen Blick auf das Gesicht der im Lehnstuhl Sitzenden zu werfen, der genügte, den Tod der alten Dame festzustellen.
Er nahm Margots Hände.
„Liebe gnädige Frau, Ihre gute Mutter ist für immer von Ihnen gegangen. Mein herzlichstes Beileid!“
Margot schwankte. Sie hatte nicht mehr an der Wahrheit gezweifelt, daß ihre Mutter tot war, aber eine ganz, ganz winzige Hoffnung war doch noch in ihr gewesen.
Lautlos brach sie zusammen.