Читать книгу Flammen um Margot - Anny von Panhuys - Страница 5

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Frau Werner wurde beerdigt. In tiefe Trauer gehüllt, stand Margot am Grabe der Mutter, ihre Augen brannten von den vielen Tränen, die sie vergossen. Als die Feier vorüber war, blieb sie zurück. Sie hatte alle gebeten, sie noch ein paar Minuten hier ganz allein zu lassen. Ihr Auto wartete vor dem Friedhof.

Da stand sie nun und starrte auf den frisch aufgeworfenen Hügel, unter den man die eingebettet, die ihr das Leben gegeben.

„Mutter, liebe, liebe Mutter!“ flüsterte sie — „lebe wohl, Mutter — nein, auf Wiedersehen!“

Sie blickte zum blauen Frühlingshimmel auf, der heute so wundervoll rein und klar war, an dem die Sonne wie ein goldener, strahlender Ball hing. Der herrliche Himmel paßte nicht zu dem Gedanken an Tod und Vergehen.

Wie aus dem Boden gewachsen, stand plötzlich ein Mann neben ihr. Zärtlich klang seine Stimme:

„Nun stehst du allein in der Welt, Margot, und brauchst wieder einen Menschen, der zu dir gehört, mit dem du dich aussprechen kannst. Ich schwöre dir, ich will dir fortan die Hände unter die Füße legen. Sei wieder mein! Ich flehe dich an. Ich gehe zugrunde vor Sehnsucht nach dir!“

Sie wendete sich mit Widerwillen ab und ging, ohne ihn auch nur einer Antwort zu würdigen, dem nahen Ausgangsportal zu.

Er blieb an ihrer Seite.

„Wenn mir etwas zustößt, trägst du die Schuld und die Verantwortung“, raunte er ihr zu.

Erregt erwiderte sie: „Zerstöre mir durch deine Gegenwart nicht die Trauerstimmung um meine geliebte Mutter. Ich will nie und nimmermehr etwas von dir wissen.“

Er blieb jetzt zurück, rief ihr aber nach:

„Was nun Böses geschieht, ist dein Werk! Vergiß das nicht, Närrin!“

Sie beeilte sich, den Ausgang des Friedhofes zu erreichen. Dort wartete Dr. Breitschwert, der den Autoschlag vor ihr öffnete und nach ihr in den Wagen stieg.

Er schien Fred von Lindner nicht bemerkt zu haben und sagte sanft:

„Denken Sie an Ihr Kind, und seien Sie stark, liebe gnädige Frau.“

Margot fuhr sich mit dem Tuch über die Augen.

„Sie haben recht, Herr Doktor, ich will an mein Kind denken, nur an mein Kind!“

Damit schob sie den letzten Gedanken an ihren Mann zurück. Nach einem Weilchen meinte sie:

„Wenn ich nur das Rätsel der beiden Schreie lösen könnte! Immer noch liegt mir ihr Klang marternd im Ohr.“

Er schüttelte den Kopf.

„Ich muß wohl an die Schreie glauben, gnädige Frau, weil Sie nicht die einzige sind, die sie vernahm. Schade nur, daß der Chauffeur Stefan und seine Mutter, die in dem angebauten Garagenhäuschen wohnen, nichts hören konnten. An schreiende Geister glaube ich nicht. Es muß sich jemand einen Unfug erlaubt haben.“

Margot macht eine verneinende Bewegung.

„Das ist völlig ausgeschlossen, Herr Doktor, beim ersten Schrei befand sich die Köchin, beim zweiten auch das Hausmädchen bei meiner Mutter und mir im Eßzimmer. Das Kinderfräulein hatte ein paar Stunden Urlaub erbeten und kam erst nach Hause, nachdem Mutter schon gestorben war. Ins Haus aber kann sich niemand heimlich einschleichen, es wird streng verschlossen gehalten. Sogar der Chauffeur Stefan und seine Mutter müssen klingeln, wenn eins von beiden Einlaß begehrt.“

Dr. Breitschwert wußte nichts darauf zu erwidern, er murmelte nur nochmals, was er vorhin laut gesagt: „An schreiende Geister glaube ich nicht!“

Die Tage vergingen. Margot verbrachte sie sehr einsam und zurückhaltend. Selbst ihre besten Bekannten bat sie, ihr jetzt keine Besuche zu machen. Sie mußte erst ein wenig über den großen Verlust, der sie betroffen hatte, hinwegkommen.

Acht Tage waren seit der Beerdigung verflossen, als die Bewohner des Nonnenhauses eines Nachts — die Uhr ging schon auf zwölf — von Feuerlärm geweckt wurden. Vom obersten Stockwerk sah man ferne den Schein eines Feuers in der Umgebung der Stadt.

Alle Bewohner des Nonnenhauses waren wach geworden von dem nervenzermarternden Geheul der Feuersirenen.

Margot stand am geöffneten Bodenfenster und fragte die neben ihr stehende Köchin:

„Wo mag das Feuer nur sein?“

Die behäbige Alte erwiderte etwas gepreßt:

„Ich glaube fast, es brennt auf Gut Lindenhof.“

Margot erschrak doch. Wenn sie auch nichts mehr von Fred wissen wollte, so hatte sie ihn doch einmal geliebt, obwohl sie das kaum noch begreifen konnte. War er ihr jetzt auch widerwärtig, so wünschte sie, im Andenken an glücklichere Tage, doch nicht, daß sein Besitz Schaden erleiden sollte. Lindenhof war ein so schönes kleines Gut, und sie dachte in diesem Augenblick fast mit Sehnsucht an das hübsche weiße Herrenhaus mit der breiten Freitreppe, auf der zwei steinerne Panther Wache hielten.

Man hörte die Tür der Garage gehen. Margot fragte hinunter:

„Sind Sie es, Stefan?“

Der Chauffeur gab Antwort:

„Ich wollte mal sehen, wo es brennt, gnädige Frau.“

Sie rief ihm zu:

„Nehmen Sie das Auto, und bringen Sie bald Nachricht, wo das Feuer ist.“

Fünf Minuten später fuhr Stefan vom Hofe.

Betty schlief im Zimmer bei dem Kinde. Auch sie war aufgestanden; der Feuerlärm hatte sie aufgeweckt, wie die anderen Hausbewohner. Sie fragte nicht, wo es brannte. Sie hatte es nicht nötig, danach zu fragen. Sie wußte es schon. Aber sie war sehr aufgeregt. Tausend wirre Gedanken schossen ihr durch den Kopf.

Ob der Plan glücken würde?

Der Lindenhof war gut versichert. Hoffentlich gelang alles planmäßig. Dann war Fred mit einem Male alle seine drängenden Gläubiger los.

Ein stolzes Lächeln glitt über ihr hübsches Gesicht. Dann wurde sie Fred von Lindners Frau. Er hatte es ihr versprochen, fest versprochen. Und er würde sein Wort halten, er liebte sie ja — liebte sie anders als die verwaschene blonde Frau, deren Scheidung von ihm vor der Türe stand.

Die Köchin kam leise und flüsterte, um das Kind nicht zu wecken:

„Es scheint auf dem Lindenhof zu brennen. Die Gnädigste ist ganz aufgeregt.“

Betty antwortete so ruhig, wie sie nur konnte:

„Ich verstehe nicht, wie sich die Gnädige darüber aufregen kann. Der Lindenhofer Herr geht sie doch gar nichts mehr an.“

„Sie ist aber noch nicht geschieden. Sie hat es noch nicht schwarz auf weiß“, entgegnete die alte Köchin.

Sie ging wieder nach oben. Der Blick vom Bodenfenster war interessanter als die Unterhaltung mit Betty.

Eine Stunde später hörte man ein Auto sich nähern. Margot sagte dem Hausmädchen Bescheid, Stefan solle, sobald er in den Hof gefahren, zu ihr ins Zimmer kommen. Sie suchte ihre Wohnstube auf, setzte sich dort in einen der hohen Ledersessel und wartete.

*

Stefan, ein junger Mensch von vierundzwanzig Jahren, trat ein. Er blieb an der Tür stehen, die Mütze in der Hand.

„Das Feuer ist auf dem Lindenhof, gnädige Frau. Zwei Scheunen sind abgebrannt und zwei große Ställe. Das Vieh ist mit Mühe und Not gerettet worden. Auch das Herrenhaus brennt. Alles soll gleich an verschiedenen Stellen lichterloh in Flammen gestanden haben. Die Leute munkeln, es handele sich um Brandstiftung.“

Er senkte den Kopf, sichtlich verlegen und verwirrt.

„Was haben Sie sonst noch gehört?“ fragte Margot. „Sie sehen aus, als möchten Sie noch etwas sagen.“

Der junge Chauffeur druckste. Es fiel ihm sichtlich schwer, zu antworten.

Margot redete ihm zu:

„Warum wollen Sie mit irgend etwas hinter dem Berge halten? Sie wissen doch so gut wie alle, die mich kennen, daß ich mit meinem Mann in Scheidung liege.“

Stefan drehte verlegen seine Mütze.

„Man sagt, Herr von Lindner wäre mitverbrannt, und man hätte ihn bereits gefunden!“

Margots Gesicht war entsetzlich blaß geworden. Diese Mitteilung hatte sie nicht erwartet; das traf sie doch wie etwas Elementares, Überwältigendes und Furchtbares.

Sie winkte dem Manne, er möge sich entfernen. Zu reden vermochte sie nicht.

Als Stefan gegangen war, falteten sich ihre Hände, und sie betete leise und innig:

„Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern!“

Sie dachte jetzt milde und versöhnend über alles, was Fred von Lindner ihr angetan. Er tat ihr leid, und Tränen drängten sich in ihre Augen. Der Vater ihres Kindes war eines grausamen und jammervollen Todes gestorben.

Mit einem Male aber fielen ihr die Worte ihres Mannes ein, die er zu ihr gesagt, als er sie, nach dem Begräbnis ihrer Mutter, auf dem Friedhof mit der Bitte behelligte, sich wieder mit ihm auszusöhnen. Silbe für Silbe war in diesem Augenblicke wieder da und fand sich zusammen zu dem Satz: „Wenn mir etwas zustößt, trägst du die Schuld und die Verantwortung!“

Der Satz beschwerte sie, setzte ihren armen Nerven böse zu.

Als Betty durch Marie von dem Geschehenen erfuhr, brach sie beinahe zusammen; die alte Köchin mußte sie stützen. Erst nach geraumer Zeit gab sie den hilfreichen Arm frei; sie sah entsetzlich bleich aus. Doch auf Maries teilnehmende Fragen antwortete sie nur:

„Mir fehlt nichts, gar nichts! Es ist nur zu gräßlich, das mit dem Verbrennen.“

Marie schüttelte den Kopf.

„Wenn es auch noch so gräßlich ist, wundert mich doch, daß Sie bei der Nachricht beinahe zusammenbrachen.“

Marie machte sich ihre eigenen Gedanken. Herr von Lindner hatte ja kein hübsches Mädchen in Ruhe lassen können. Betty gehörte wahrscheinlich auch zu denen, die Gnade vor seinen Augen gefunden hatten — vor seinen oft so leichtsinnig und übermütig blitzenden Augen.

Aber Betty tat ihr nicht so leid wie ihre junge Herrin. Der hatte die Unglücksbotschaft fast einen schwereren Schlag versetzt als der jähe Tod der Mutter. Sie schien völlig abwesend, als sänne sie ständig über etwas nach, was sie nicht fassen konnte.

Marie hatte richtig beobachtet, Margot von Lindner grübelte fortwährend, ob sie die Schuld daran trug, daß ihr Mann so entsetzlich geendet hatte.

Die letzten Worte, die er an sie gerichtet, waren zu lebendig in ihr. Sie quälte sich mit ihnen herum: Wenn mir etwas zustößt, trägst du die Schuld und die Verantwortung.

Stunde auf Stunde sann sie darüber nach: Hatte er die Gutsgebäude angezündet und freiwillig den Tod in den Flammen gesucht? Hatte er sie, trotz allem, doch vielleicht so sehr geliebt, daß er das Leben ohne sie nicht mehr ertragen konnte?

O, wer ihr diese marternde Frage beantwortet hätte! Aber sie wußte niemand, mit dem sie darüber hätte sprechen können.

In ihrer Not fiel ihr der Justizrat Dr. Lenz ein. Sie fuhr zu ihm und klagte ihm mit Tränen in den Augen, was sie so sehr bedrängte.

Die beiden saßen einander im Privatbüro des Justizrats gegenüber, und dieser hörte aufmerksam zu, was ihm Margot von Lindner erzählte.

Als sie zu Ende war, machte er mit der Rechten eine Bewegung der Abwehr.

„Liebe gnädige Frau, verzeihen Sie, aber Sie verrennen sich in Einbildungen. Sie müssen sich selbst Halt gebieten.“ Er sah Margot teilnehmend und freundlich an. „Man soll über Tote nur Gutes reden. Aber das geht manchmal nicht, wenn sie keine guten Menschen waren. Fred von Lindner war ein durch und durch selbstsüchtiger Charakter, der nur seine eigene Person liebte. Wenn er sich freiwillig das Leben nahm, geschah es aus schwerwiegenden Gründen. Dann muß er nicht mehr ein und aus gewußt haben. Aber aus Verzweiflung, weil Sie nichts mehr von ihm wissen wollten, geschah es bestimmt nicht. Sie haben ja leider die traurige Erfahrung gemacht, daß er nur Ihr Geld liebte. Sie dürfen keinen Gedanken mehr an Ihre Einbildung verlieren. Was er Ihnen auf dem Friedhof zugerufen hat, war eine Drohung, um Sie zu erschrecken, damit Sie nachgeben oder sich mindestens schwere Gedanken machen sollten.“

Margot atmete auf. Sie fühlte sich etwas erleichtert.

Der Justizrat meinte: „Die Scheidung braucht nun aber nicht mehr ausgesprochen zu werden. Das ist zum Vorteil Ihres Kindes. Ihre Tochter braucht später niemals zu erfahren, wie unglücklich ihre Mutter in der Ehe gewesen ist. Sie sind dann keine geschiedene Frau, und das macht immerhin etwas aus.“

Margot neigte den Kopf.

„Sie haben recht, Herr Justizrat, und wenn sich das noch einrichten läßt, wäre es mir lieb.“

„Ich werde gleich die nötigen Schritte tun“, versprach der Justizrat. „Sie werden dann natürlich die Erbin des Toten; aber ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie sich dann mit seinen Gläubigem einigen müssen. Da offenkundig Brandstiftung vorliegt und schon jetzt, wie ich hörte, alles zu beweisen scheint, daß Fred von Lindner selbst der Brandstifter gewesen, wird die Versicherungsgesellschaft kaum etwas zahlen. Ohne Klage bestimmt nicht. Und von einer solchen rate ich dringend ab.“

Margot lächelte traurig:

„Es ist doch selbstverständlich, daß ich keinen solchen Schritt tun werde. Das wäre ja, als wollte ich den Vater meines Kindes noch nach seinem Tode an den Pranger stellen, ihn laut als Brandstifter beschimpfen — ich, die ich seinen Namen trage.“

Schon am nächsten Tage konnte der Justizrat Margot die Mitteilung machen, daß ihrer Bitte vom Scheidungsrichter sofort entsprochen worden sei. Der Tod Fred von Lindners habe die letzten Formalitäten überflüssig gemacht. Die Scheidungsakten seien null und nichtig.

*

Margot war nun die ungeschiedene Witwe Fred von Lindners und sorgte für die Vorbereitungen zum Begräbnis, als sei ihr der geliebteste Mann gestorben. Sie tat es besonders um ihres Kindes willen. Niemals sollte in späteren Jahren jemand zu Hedi sagen dürfen, ihre Mutter hätte sich nicht darum gekümmert, auf welche Weise ihr Vater ins Grab gebettet worden, nur fremde, bezahlte Hände hätten sich gemüht. Nein, das sollte nicht geschehen. Sie kümmerte sich, obwohl sie oft am Zusammenbrechen war, selbst um alles; nichts war ihr gut und teuer genug, um die Feierlichkeit der Beerdigung zu heben durch äußeren Pomp.

Hätte sie allerdings ihren Empfindungen nachgegeben, so wäre Fred von Lindner zu stiller Nachtstunde in die Erde gebettet worden, und niemand hätte dabei sein dürfen als ein Pfarrer, der Totengräber mit seinem Helfer und sie. Wenn droben am Himmel die Sterne wie ferne silberne Lichter aufgegangen und der Mond mit seinem geheimnisvollen fahlen Schein auf den Kirchhof niedergesehen, wäre die rechte Stunde gewesen, den unseligen Menschen ins letzte Bett zu tragen, den unseligen Menschen, den sie doch einmal, vor noch nicht allzu langer Zeit, geliebt. Tief hatte sie ihn verachten gelernt; an ihrer Verachtung war ihre schöne, warme Liebe rasch zugrunde gegangen.

Aber sie durfte nicht tun, was ihrem Herzen sympathisch gewesen wäre. Fred Lindner mußte am hellen Tage beerdigt werden, mit allem Drum und Dran, das zu einer großen Beerdigung gehörte. Jedermann sollte sehen, daß sie am Grabe ihres Mannes stand, daß sie dem Toten die letzte Ehre erwies als sein Weib, als die Mutter seines Kindes!

Fred von Lindner würde auf dem Friedhof des Dorfes begraben werden, zu dessen Amtsbezirk Gut Lindenhof gehörte. Margot fürchtete nicht, daß Schwierigkeiten sich dem Begräbnis entgegenstellen könnten; aber der Dorfpfarrer, den sie aufsuchte, weigerte sich, den Toten einzusegnen.

Margot saß vor dem Geistlichen in dessen Amtszimmer.

Er schüttelte langsam den Kopf, um den das silbergraue Haar einen Lockenkranz bildete, der über den scharfen, großen Zügen wie ein seltsamer Heiligenschein lag. Er sagte mit seiner warmen, milden Stimme:

„Nennen Sie mich altmodisch, gnädige Frau, oder wie Sie wollen. Aber ich führe den Namen Gottes nicht unnütz im Munde. Es geht mir gegen meine Anschauungen, am Grabe eines Menschen Gottes Wort zu reden, der die übergroße Sünde beging, sich das Leben zu nehmen.“

Margot richtete sich etwas auf.

„Es steht mir nicht zu, Hochwürden, Ihrer Ansicht die meine entgegenzusetzen, aber ich bitte Sie recht sehr und von ganzem Herzen, dem Begräbnis beizuwohnen. Bedenken Sie, es ist durch nichts und niemand erwiesen, daß mein Mann wirklich Selbstmord beging. Man sagt das. Aber wieviel haben Menschen schon behauptet von ihren Mitmenschen! Mein Mann war nicht die Natur, sein Leben hinzuwerfen wie ein Nichts, besaß nicht den Mut, einen so grauenhaften Tod zu suchen. Ein Zufall, den wir nicht kennen, spielte da mit. Sein Tod ist ein düsteres Verhängnis, aber kein Selbstmord.“

Sie schwieg vor Erregung sekundenlang und fuhr dann fort:

„Ich weiß genau, Hochwürden, man nennt meinen Mann nicht nur einen Selbstmörder, sondern auch einen Brandstifter. Ich möchte ihn auch dagegen verteidigen; aber wenn ich ganz offen sein will, kann ich das nicht. Ich muß zu Ihnen ehrlich sein, wenn ich auch anderen gegenüber so tun werde, als glaube ich nicht daran, daß mein Mann ein Brandstifter war. Aber Selbstmörder war er wohl nicht, und einem Unglücklichen, einem Verunglückten, einem in entsetzlicher Weise ums Leben gekommenen Mann werden Sie Gottes Wort nicht versagen.“

Der Pfarrer rang mit sich. Allgemein hieß es, Fred Lindner hätte selbst den Tod gesucht; aber wenn er sich das meist vergnügte, lachende Gesicht des Gutsherrn vom Lindenhof vergegenwärtigte und an seine Daseinsfreude dachte, schien auch ihm unmöglich, daß Fred Lindner dem Tode vorgegriffen haben sollte.

Er schob an seiner Brille herum.

„Verehrte gnädige Frau, Sie verwahren sich für den Verstorbenen so bestimmt gegen das Wort ‚Selbstmörder‘, daß Sie mich zu Ihrer Ansicht bekehrt haben. Ich werde meine Pflicht tun als Seelsorger.“

Da löste es sich wie ein schwerer Bann von Margot, der sie gedrückt und beengt, seit sie die Nachricht von dem grausigen Tod ihres Mannes erhalten. Nun würde der Vater ihres Kindes doch nicht eingescharrt werden wie ein armes, am Wege verendetes Tier, nun würde über seinen entseelten Körper doch Gottes Wort hinklingen, ihm den Weg leicht machen in die Ewigkeit.

Sie reichte dem Pfarrer die Hand.

„Ich danke Ihnen, Hochwürden, auch im Namen meines Kindes, dessen Vater so traurig endete.“

Der Pfarrer lächelte ein ganz klein wenig.

„Sie haben keinen Grund, mir zu danken, gnädige Frau. Für einen armen Verunglückten tue ich gern, was ich einem Selbstmörder hätte verweigern müssen.“

Margot verließ das Pfarrhaus.

Wie hell die Sonne draußen schien! Wie die Büsche um Gut Lindenhof in so wundersam leuchtendem Grün standen! Das Schloß selbst war wenig beschädigt worden von dem Feuer; nur das Arbeitszimmer ihres Mannes war fast ausgebrannt. Darin hatte man den Toten gefunden, bis zur Unkenntlichkeit verkohlt.

Nur seine Ringe, Teile seines Anzuges waren von dem lockeren Lebemann Fred Lindner übriggeblieben.

Margot wurden die Augen feucht, als sie sich vorstellte, wie er gewesen in der Bräutigamszeit am Anfang ihrer Ehe.

Frühling war es, grün- und golddurchwirkter Frühling! Sie atmete, lebte, durfte sich an Sonne und Wärme freuen; er aber, der vor dem Altar gelobt, ein guter Gatte zu sein, war ausgelöscht aus dem Frohsinn des Lebens. Wie in einer Woge von Mitleid bewegte sich Margots Denken, und mitleidig gegen den Mann wollte sie handeln — seine vielen Schulden bezahlen, damit ihm kein böses Wort ins Grab folge.

Der Tag des Begräbnisses kam heran. In dem Saale des Schlosses, der vom Feuer völlig unberührt geblieben, stand der Sarg, und von dort trugen die Knechte des Gutes ihn hinüber nach dem Friedhof. Der Pfarrer schritt hinter dem Sarge, und neben ihm, in lange, düstere Schleier gehüllt, ging Margot. Der Gang wurde ihr sehr schwer. Ihr war, als könne sie die traurigen Reste des Verunglückten durch die Sargwände hindurch sehen, und ihr Herz krampfte sich zusammen vor Mitleid.

Fast das ganze Dorf hatte sich eingefunden, um dem Begräbnis beizuwohnen, auch Leute aus dem Städtchen. Neugierde, Gutmütigkeit und Sensationslust waren versammelt, und alle die vielen Augen schienen sich nur auf die schwarzgekleidete schlanke Frau zu richten, die am offenen Grabe den Schleier zurückschlug und ihre schmalen, feinen Züge ernst allen Blicken preisgab.

Man sah in ihr blasses junges Antlitz und hörte den Pfarrer beginnen mit seiner Rede. Er sprach nicht lange, aber sehr eindringlich und legte seiner Rede das Bibelwort zugrunde: Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet!

Da war manchem, der noch kurz zuvor verächtlich von dem Entseelten gesprochen, als würde alles in ihm wach, was er selbst je Unrechtes getan, und das Urteil über den Toten milderte sich.

Weil Fred Lindners Frau, obwohl er sie abscheulich behandelt, an seinem offenen Grabe stand, und weil der Pfarrer so gütig und hinreißend redete, dachte man plötzlich anders als eben noch über den Toten, den man „Brandstifter“ und „Selbstmörder“ genannt. Ein paar Dorffrauen konnten ihre Rührung nicht unterdrücken; sie schluchzten laut auf; die Taschentücher kamen in Bewegung.

Margot hielt sich mit aller Kraft aufrecht, die feierliche Handlung riß an ihren ohnedies nicht mehr widerstandsfähigen Nerven. Und ihr schien, als schwelle die Stimme des Geistlichen zu unerhörter Stärke an ihr Ohr: Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet!

Sie schwankte ein wenig, aber sofort hatte sie sich wieder in der Gewalt. Nur den Neugierigen kein weiteres Schauspiel geben!

Die Beerdigung war zu Ende. Margot mußte viele Händedrücke des Beileids über sich ergehen lassen, bis sie endlich ihr Auto besteigen durfte. Mit einem tiefen Seufzer sank sie in die Kissen. Dem Himmel sei Dank! Jetzt lag wohl das Schwerste hinter ihr. Sie konnte zufrieden sein. Der Vater ihres Kindes war gut und christlich in die Erde gekommen. Sie nahm sich vor, fortan alle bitteren Gedanken an ihn nach Möglichkeit zu verbannen. Sein furchtbarer Tod war eine große, eine übergroße Strafe für die Sünden, die er begangen.

Die Grabrede klang in ihr nach, schien sich in ihr festzuklammern wie mit schmalen, harten Fingern: Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet!

Flammen um Margot

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