Читать книгу Erwarte das Unerwartete - Anthony Fauci - Страница 13
ОглавлениеFauci verbrachte seine frühe Kindheit im Viertel Bensonhurst in Brooklyn, New York. Er beschreibt die Nachbarschaft als zu 99,9 Prozent italoamerikanisch. Seine vier Großeltern waren alle via Ellis Island aus Italien eingewandert. Seine Eltern lernten sich in New York kennen und heirateten dort. Sie zogen mit ihrer Familie dann von Brooklyn auf die Lower East Side von Manhattan.
Im Sommer, wenn die Fenster offen standen, waren überall Gerüche, meist roch es nach kochender Tomatensoße und Würsten. Das wurde zu einem Teil von mir. Wann immer ich das jetzt rieche, Jahrzehnte und Jahrzehnte und Jahrzehnte später, habe ich sofort einen Flashback. Es versetzt mich zurück an die Ecke 79th Street und New Utrecht Avenue, ich kann dem gar nicht entkommen. Es gab so ein bestimmtes Gefühl von Freiheit, frischer Luft und Sonnenschein, davon, draußen in den Straßen Brooklyns zu sein.
Es war der sicherste Ort der Welt, da alle Ladeninhaber auf kleinen Stühlen vor ihren Läden saßen und die vorbeikommenden Kinder beobachteten. Niemand kam in seinen kühnsten Träumen auf die Idee, einem dieser Kinder Angst zu machen, denn die gesamte Nachbarschaft war wie eine Art Schutztruppe. Wir fühlten uns die ganze Zeit absolut sicher. Es war eine höchst glückliche Kindheit.
DIE LEBENSPHILOSOPHIE DER EINWANDERER BEHERRSCHTE ZWEIFELLOS VIELE DER FAMILIEN, UNTER DENEN ICH AUFWUCHS. DAS STREBEN NACH SPITZENLEISTUNG WAR GANG UND GÄBE. NICHTS WURDE ALS SELBSTVERSTÄNDLICH ANGESEHEN.
LIEBE DIE ERWARTUNGEN
Ich war ein Kind aus Brooklyn, ging aber in Manhattan auf die Highschool – ein interessanter Drahtseilakt.
Die Kids in Brooklyn ließen sich von niemandem etwas gefallen; sie rauften genauso schnell, wie sie zusammen Stickball spielten. Und dann kommst du in diese hochintellektuelle Umgebung, diese Highschool, die von Kerlen in schwarzen Soutanen geführt wird, den Jesuiten. Das war eine völlig andere Kultur.
Viele Leute um mich herum hatten Erwartungen. In Brooklyn waren es die Erwartungen meiner Mutter an mich. In der Schule waren es Erwartungen anderer: »Du hast Glück, dass du hier bist; jetzt musst du Leistung bringen.« Ich liebte es. Was für ein großartiger Ort, wenn man sich auszeichnen möchte.
NIMM AKTIV ANTEIL
In den Jahren 1982 und 1983 war ich als Forscher und Arzt mit Aids befasst, musste aber auch aus dem Labor raus und herausfinden, womit ich es da eigentlich zu tun hatte. Bei einem Besuch in New York schnappte ich mir ein Taxi nach Greenwich Village, um die Szene zu erkunden.
Während meiner Highschoolzeit waren wir immer wieder mal dort gewesen, manchmal in einer Bar, genauso später in meiner Zeit als Student, als Assistenzarzt, als Oberarzt und als Chefarzt. Wir gingen wegen der Lebendigkeit des Viertels nach Greenwich, wegen dieser unglaublichen Mischung aus Musik, Essen und Flair.
Meinen ersten Besuch nach dem Auftreten von HIV erlebte ich wie in Trance, als würde ich einen Film sehen. Ich hatte bereits mit Aids-Patienten zu tun gehabt, einige davon waren im sehr fortgeschrittenen Stadium, wie wir es heute kaum noch sehen. In dieser Nacht ging ich die Straßen entlang und dachte: »Der Kerl hat Aids. Der Kerl hat Aids. Der hier hat auch Aids. Der Kerl hat ein Kaposi-Sarkom.« Man sah, wie sie sich Pullover anzogen – das Zittern, die Blässe, die purpurnen Flecken im Gesicht. Was war aus meinem schönen Greenwich Village geworden? Es war vernichtet.
Das war ein bewegendes, aber verstörendes Erlebnis. Wir waren nicht in einem Krankenhaus oder Labor. Wir waren auf der Straße. Da wurde mir klar – über den einzelnen Patienten, über die Forschung für Medikamente hinaus –, was diese Krankheit mit unserer Gesellschaft machte.
BRING OPFER FÜRS ALLGEMEINWOHL
Ich kapiere diese Anti-Experten-, Anti-Wissenschaft-, Anti-Masken-, Anti-alles-Haltung einfach nicht. Ich verstehe, dass wir vom Pioniergeist unserer Vorväter, der Gründer dieses Landes, geprägt sind. Das verstehe ich alles. Aber hier wird diese Haltung ins unvernünftige Extrem getrieben.
Es ist offensichtlich, dass das Tragen einer Maske dem Wohl der allgemeinen Gesundheit dient, und trotzdem wird daraus sofort ein Eingriff in die Bürgerrechte gemacht. Das ist in sich widersprüchlich. Sind Ihre Bürgerrechte eingeschränkt, wenn Sie einen Sicherheitsgurt anlegen? Oder wenn Ihnen mitgeteilt wird, dass Sie im Flugzeug nicht rauchen dürfen? Wo ist da der Unterschied?
Ihnen wird gesagt, dass es eine Pandemie gibt – mit pro Tag 200 000 Fällen, 2000 Toten und mehr als 100 000 Einweisungen ins Krankenhaus – und meine Bitte, eine Maske zu tragen, schränkt Ihre Bürgerrechte ein? Ich verstehe das nicht. Ich tu’s einfach nicht.
WENN MICH JEMAND NACH DER ENTWICKLUNG MEINES LEBENSPLANS FRAGT, DANN ANTWORTE ICH, DASS ICH UNBEDINGT ETWAS MACHEN WOLLTE, DAS MIT MENSCHEN ZU TUN HAT UND IHNEN DIENT.