Читать книгу Superhummeln - Bedrohte Stars am Bestäuberhimmel - Antje Arnold - Страница 8
ОглавлениеKapitel 1
Bienenleistung – Alles Honig oder was?
Leistung will gesehen werden
Jeder, der Leistung erbringt, möchte dafür Wertschätzung erhalten. Dazu muss sie zunächst einmal wahrgenommen werden und in unser Bewusstsein vordringen. Erst dann kann sie zur echten Leistung in unserer Leistungsgesellschaft aufsteigen und die verdiente Anerkennung dafür bekommen. Am besten funktioniert das Wahrnehmen bei uns Menschen über das Sehen. Auch wenn es um Leistungen aus der Tierwelt geht.
Pandabären haben es da recht leicht. Sie sind groß. Sie sehen knuffig aus und wecken mit ihren vorgetäuschten Kulleraugen Beschützerinstinkt und Zuneigung – bei ihren Mamas und selbst bei uns Homo Sapiensern. Sie punkten über positive Emotionen. Sie leisten was für unser gutes Gefühl. Tiger, Eisbären und Elefanten machen das genauso. Auch sie haben ihre niedlichen Babys mit Knopfaugen ausgestattet. Kindchenschema geht immer. Als Säugetiere ähneln sie uns: im Körperbau, in der Größe, vom Wesen. Ähnlichkeit zu uns gilt als hervorragende Leistung und erzeugt Gemeinsamkeit, Identifikation und Zugehörigkeitsgefühl. Deshalb tun sich manchmal Vertreter unserer Spezies mit gleichem Anliegen zusammen und unterstützen sich gegenseitig: in Vereinen, Gewerkschaften oder auf Tinder.
Bienenmaden, Raupen und Schmetterlingskokons sind dagegen einfach gar nicht niedlich. Einige Raupen von Nachtfaltern besitzen zwar ein Hörnchen. Das hätte durchaus Potential - man denke nur an das fabelhafte Horn eines Einhorns. Es ist aber ein Analhörnchen. Das macht die ganze Sache nicht gerade besser. Obendrein agieren die meisten Wildbienen und viele weitere Insekten geradezu unsichtbar, weil sie sich so einzeln, so versteckt, so geheimnisvoll entwickeln. Man bekommt schlichtweg nichts mit von ihnen. Sogar als erwachsene Wildbienchen sind sie öfter schon mal so winzig geraten, dass sie damit durch das Sieb unserer Wahrnehmung flutschen.
Aber selbst der fleißigen, jedoch stillen Bürokollegin kann es durchaus passieren für den Chef unsichtbar zu sein. Deshalb gehört klappern schlichtweg zum Handwerk, wenn es um Leistung geht. Tue Gutes und rede darüber. Aber Wildbienen und Insekten haben es nicht nur wegen Andersseins, Unsichtbarkeit und mangelnder Sprachfertigkeiten schwerer als Säugetiere. Denn selbst wenn sie in unsere Wahrnehmung rücken, dann meist nur deshalb, weil sie uns viel öfter in die Quere kommen als Eisbärenbabys und einfach nur nerven. Als lästige Mücken, als Pflaumenkuchendiebe, als Erntevertilger, als bedrohlich brummende Hummeln oder als Kopfläuse. Damit gehören Insekten von Haus aus eher zur Abteilung „igitt!“. In knallharter Business-Sprache entsprechen diese alles leider nur Negativleistungen. Da hingegen liegt die positive Leistung eines knuffigen Stoffpandas klar auf der Hand. Es ist eben beruhigender und förderlicher für einen guten Schlaf sich mit ihm das Bett zu teilen als mit einer Bettwanze.
Nicht zuletzt aber funktioniert Wahrnehmung genau so. Vieles ist eine Frage der Sinnesorgane, aber alles wird zur Frage der Betroffenheit. Juckt uns der Flohbiss, nehmen wir den Floh wahr, falls nicht, wissen wir gar nichts von seiner Existenz.
Alles Honig oder was?
Nun aber zur eigentlichen „Bienenleistung“. Was fällt Ihnen bei diesem Stichwort ein? Na klar, als erstes ein Sonntagmorgen mit honiggelbem Sonnenschein und Butterbrötchen. Darauf der Honig, der über den Rand tropft – hmmm, lecker! Gläser voll mit Honig, und natürlich der treusorgende Imker. Das ist kulturell verankert. Honig sieht man, schmeckt man und spürt man. Dieses Direkte und Unmittelbare liebt unser Gehirn und brennt es bei sich ein. Als köstlich zähes, manchmal kristallines, fast schon beißend süßaromatisches Elixier, enthält es zwar richtig viel Zucker, aber auch zahlreiche, gesundklingende Inhaltsstoffe wie Vitamine und Inhibine. Letztere wirken sogar antibiotisch, weshalb bei Erkältungen gerne Lindenblütenhonig zum Lindenblütentee gereicht wird. Kalt gelutscht statt totgebrüht. Für die reinen Genussmenschen unter den Honigkonsumenten aber hält er bis zu 120 Aromastoffe parat, je nachdem an welchen Blüten seine Sammlerinnen geschleckt haben. Kein Wunder, dass es schon professionelle Honigsommeliers gibt. Und kein Wunder, dass diese Bienenleistung spürbar ist.
Aber wie so oft, ist hier nicht das das Wichtigste, was Augen oder Zunge an die Hirnzellen funken. Dazu ein konkretes Beispiel zum Sehen und Schmecken: ein frisch gewachsener Kiefernsteinpilz beim Waldspaziergang. „Wow, was für ein Glückspilz bin ich denn?!“ Der nächste Gedanke: „Wunderbar, den brate ich mir gleich mit Knoblauch als köstliche Vorspeise“. Und vielleicht noch: „Hoffentlich wurmfrei!“. Keine einzige Hirnzelle denkt daran, dass dieser Steinpilz nur die kleine sichtbare Frucht eines riesigen, unterirdisch weit verzweigten Organismus mit vielfältigsten Aufgaben darstellt. Einer seiner wichtigsten Jobs: Dealen. Und das läuft so: Unser Pilz, der wegen seiner Zuckersucht - hier Geschmacksrichtung „Kiefer“- gerne unter Kiefern wächst, dealt mit ihren Wurzeln für unsere Augen verborgen im Geheimen. Mineralien gegen Zuckerlösung. Symbiose nennen Biologen das. Etliche Nebenbeziehungen unterhält er ferner mit Bakterien und anderem Lebendigen. Seine Leistung für das Ökosystem ist es, ein nützliches und wichtiges Mitglied dieses wunderbaren und wundersamen Geflechts zu sein und nicht das Produkt in der Bratpfanne eines einzelnen Homo Sapiensers aus der Fraktion der Feinschmecker. Deshalb niemals nach Kiefernsteinpilzen unter Buchen suchen. Sonst hat man was Grundlegendes nicht verstanden. Und ganz ähnlich verhält sich das auch mit der Bienenleistung.
Bestäubung: Die wichtigste Nebenwirkung auf der Welt
Bienen liefern ihre wichtigste Leistung eher ganz lässig nebenbei ab. Gerade aber dieser Nebenjob schwingt sich zu einer der wichtigsten Nebenwirkungen der Welt auf - die Bestäubung der Blüten. Schließlich ist in Zeiten des Zuckerüberflusses Honig als Energielieferant mittlerweile von gestern und nur noch reines Genussmittel. Früher lief das verständlicherweise anders. Denn bis zur Züchtung der Zuckerrübe um 1700, vermutlich durch Zuckerjunkies, blieb Süßkram für die meisten unerschwinglich und Honig damit wirklich wichtig.
Jenen Nebenjob erledigen weltweit bis zu 30.000 Bienen- und Hummelarten und bestäuben mehr als 70 Prozent aller Nutzpflanzen. Gemüse, Obst und weitere nützliche Pflanzen wie Baumwolle und Klee gehören mit zur Partie. Und daher sind sie für uns unverzichtbar. Angeblich sagte Einstein einmal: „Stirbt die Biene, stirbt der Mensch“. Klar, könnten wir uns zur Not nur von Getreide ernähren, dem zur Bestäubung der Wind reicht. Aber das wäre auf Dauer mindestens genauso langweilig für den Geschmack wie ständig Käsepizza ohne Tomate zu essen. Auf Dauer weder lecker noch gesund, weil viele sekundäre Pflanzenstoffe fehlen wie ätherische Öle, Anthocyane und so weiter.
Diese 70 Prozent Bestäuberleistung aller Bienenarten kann man umrechnen, in Euro oder meinetwegen auch in Dollar. Das verstehen dann die Allermeisten und selbst Banker. Die weltweiten Zahlen verschiedener Quellen schwanken zwar zwischen 150 und 500 Milliarden Euro pro Jahr enorm. Dennoch entspricht das nicht mehr nur simpler Nahrung, sondern auch knallharten Wirtschaftsfakten. Bienen sind also auch für Kohle zuständig und besetzen damit eine Schlüsselstellung der landwirtschaftlichen Produktivität.
Weil die meisten Menschen aber immer noch gerne alle 20.000 bis 30.000 Bienenarten für etwas ukelig geratene Honigbienen halten, wird die Honigbiene mittlerweile als drittwichtigstes Nutztier gehandelt. Nach Rindern und Schweinen kommt sie sogar noch vor dem Federvieh und ist die am meisten gefeierte Biene im Sprachkosmos des Menschen. Begriffe wie bienenfleißig, die Blüten-Bienen-Geschichte, Fleißbienchen zur Hausaufgabenmotivation, ein Kuchen Namens Bienenstich, Biene Maja, das Honigkuchenpferd und jemandem Honig ums Maul schmieren, aber auch der Honeymoon oder „honey“ als Kosename der Liebsten. Und immer dreht es sich dabei um die Honigbiene und ihren Honig. Zugegebenermaßen bietet sie im Gegensatz zu den meisten Wildbienen noch eine weitere große Attraktion.
Sie ist ein soziales Wesen. Und zu der Zeit als man das entdeckte, schien deren Organisation ein Stück weit dem ehemals gültigen Gesellschaftssystem zu ähneln. Das konnte man ihr prima überstülpen. Und irgendwie wirkte das ganze Gefüge aus damaliger Sicht praktischerweise auch noch absolutistisch. Die Königin an der Spitze schien mit Macht nach unten zu dirigieren. In Wirklichkeit läuft es zwar anders, aber weil sich diese staatstragenden Metaphern so in den Menschenköpfen festgesetzt haben, bleibt man der Einfachheit halber im traditionellen Vokabular von Königin, Arbeiterin, Staat und Volk. Später entdeckte man, dass Bienen sogar sprechen können. Über einen Schwänzeltanz berichten sie von Klatsch und Tratsch und mitunter auch von wichtigen Ereignissen außerhalb des Stocks. Deshalb schienen sie uns immer ähnlicher und damit menschlicher zu werden.
Wildbienen hingegen flogen lange unterm Radar unserer Wahrnehmung durch. Denn sie liefern weder sichtbare Beweise ihrer Leistung in Form von Honig noch leben sie derart auffällig sozial oder verhalten sich so geschwätzig wie unsere Honigbiene. Aber genauso wenig wie Zitronenfalter die berühmten Zitronen falten, produzieren alle Bienen Honig. Wildbienen sind eben für andere Dinge zuständig: Artenvielfalt, stabile Ökosysteme und damit die Lebensgrundlage des Menschen.
Wilde Hummeln: Grundpfeiler vieler Ökosysteme und Booster für die Vielfalt
Wildbienen und Hummeln können zwar keinen Honig, aber sie können bestäuben – und wie! Sie können mit allerlei charmanten Marotten brillieren – und wie! Sie können süß und plüschig sein – und wie! Alles einwandfreie Bienenleistungen. Wir müssen nur genau hinschauen. Deshalb ist das schlichtweg Diskriminierung, wenn immer noch Bücher allgemeine Bienentitel tragen, die „Wie leben unsere Bienen?“ ähneln, um dann ausschließlich von der Honigbiene zu reden. So, als ob sie die einzige Bienenart unter der Sonne sei, anstatt nur eine von bis zu 30.000. Und so wie die Bettwanze alle anderen weltweiten 40.000 Wanzenarten überstrahlt, ist es die Honigbiene, die zum Platzhirsch aller Bienen geworden ist. Auch deshalb glauben immer noch viele Menschen alle Bienen seien Honigbienen. Dabei gibt es doch allein in Mitteleuropa über 800, in Deutschland 580 unterschiedliche Bienenarten. Das ist astreines Mobbing. Jeder Gleichstellungsbeauftragte aus der Bestäuberzunft würde da mitziehen. Als Wildbiene sollte man hier wirklich protestieren und auf die Straße gehen.
Unsichtbare Leistung kann zwar unsere fleißige Bürokollegin vor einer Gehaltserhöhung schützen, aber leider keine einzige Wildbiene vor dem Aussterben. Im Gegenteil. Sie wird ihnen sogar lebensgefährlich, weil Unsichtbarkeit häufig mit Unwissenheit gepaart daherkommt. Ungute Kombination. Viele Wildbienen stehen deshalb mit ganz vorn dran, wenn Rote Listen sich mit affenzahnartiger Geschwindigkeit füllen. Rote Listen nennt man die Hitlisten der aktuell ausgestorbenen Lebewesen oder derjenigen, die kurz davorstehen und als gefährdet gelten. Mehr als die Hälfte unserer heimischen Bienenarten - nämlich 293 - stehen inzwischen für Deutschland drauf und sterben wie die Fliegen. Bereits 39 Arten davon sind unwiederbringlich verschwunden und weiteren Arten droht das gleiche Schicksal, wenn wir hier nicht schleunigst gegensteuern. Das Überleben der Honigbiene erscheint wichtig. Das Überleben der Wildbienen ist jedoch aus Sicht des Arten- und Naturschutzes und damit auch unseres Schutzes deutlich wichtiger und damit systemrelevant.
Einer der wesentlichsten Gründe ihrer Gefährdung: Viele Wildbienenarten sind absolute Spezialisten in Sachen Bestäubung. Das bedeutet, sie folgen einem exakten kulinarischen Fahrplan und sammeln Pollen nur von wenigen oder im Extremfall sogar von nur einer einzigen Pflanzenart und bestäuben dabei. Naschen vom Nachbarteller ist da nicht drin. Das würde grässlich schmecken und zu Schlimmerem als nur zu banalen Durchfallattacken führen. Andersherum benötigt diese Pflanzenart eben genau diese eine Wildbienenart, um bestäubt zu werden, wegen der speziellen Anatomie des jeweiligen Blüten-Bienen-Paares. Wie Schlüssel-Schloss. Fällt Frau Bestäuberin aus, steht Miss Pflanze gleich mit auf der Roten Liste und umgekehrt. Und schon sind wir mittendrin im Artensterben. Und weil immer weniger blühende Wildpflanzen existieren, wird es zunehmend für Hummeln und Co. eng.
Honigbienen nehmen es da längst nicht so genau. Keine einzige Pflanze oder Pflanzenfamilie wird allein von ihr bestäubt und ist damit von ihr abhängig. Zwei Beweise: Die Wikinger hielten bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts Honigbienen. Als es dann aber wegen einer Kälteperiode für Honigbienen zu ungemütlich wurde, verschwanden sie unbemerkt. Erst um 1750 führte man sie wieder ein. Wildpflanzen haben diese Honigbienenpause nicht einmal bemerkt. Auch Amerika war vor Kolumbus honigbienenfrei. Kein Problem für vielfältige Blütenpflanzen sich dennoch zu entwickeln.
Aber selbst in Sachen Landwirtschaft können manche Wildbienenarten Pluspunkte gegenüber Honigbienen verbuchen. Eigentlich dachte man bis vor kurzem, dass Honigbienen für die Landwirtschaft völlig ausreichend seien. Das stellte sich jedoch für bestimmte Trachten als falsch heraus. Wildbienen bestäuben nämlich deutlich effektiver, da Honigbienen so manch schlechtes Benehmen an den Tag legen. Zum einen sind Honigbienen oft sortenstetig. Das bedeutet, dass sobald die Späherbiene ihren Kameradinnen via Schwänzeltanz von einem blühenden Obstbaum erzählt, fliegen alle nur noch auf diesen Baum. Dabei kommen seine Blüten kaum in den Genuss des Pollens anderer Sorten. Viele sind jedoch mittlerweile sortensteril und können sich nicht selbst bestäuben. Das ist bei der Züchtung irgendwann mal aus Versehen passiert und hat was mit Genetik zu tun. Konkret führt es dazu, dass die Williams Christ Birne unbedingt Pollen von Sorten benötigt, die auf solch herrliche Namen hören wie Clapps Liebling, Gräfin von Paris, Köstliche aus Charneu. Sonst gibt es Willi weder für die Skifahrer auf der Hütte noch für die Stammtischbrüder des Schützenvereins. Ausschließlich mit Honigbienen gestaltet sich das schwierig.
Deshalb engagiert man zur Bestäubung von Obstplantagen mittlerweile gerne eine Wildbiene namens Rote Mauerbiene, indem man Nester mit Brut in die Plantagen stellt. Im Frühjahr schlüpfen die Bienen, bestäuben und bauen neue Nester in bereitgestellte Unterkünfte. Damit legen sie den Grundstein für eine neue Generation im nächsten Jahr. Da Mauerbienen das typische Leben von Einsiedlerinnen leben und sich ihr Futter selbst suchen, müssen sie hier kreativer vorgehen. Gerne fliegen sie schon mal fröhlich im Zickzackkurs von einem Baum zum nächsten und tragen dabei Pollen von Baum zu Baum. Ihr zweiter Pluspunkt: Sie sammeln den Pollen trocken per Bauchbürste. Landen sie damit auf einer anderen Blüte, bleibt direkt etwas vom Pollen auf dem klebrigen Stempel hängen und – bang! Die Befruchtung hat funktioniert.
Unsere Honigbienen fahren da eine andere, etwas egoistischere Strategie. Sie feuchten den Pollen mit Nektar an und kleben diesen Brei an die Sammelkörbchen ihrer Hinterbeine. Wie magnetisch wird dadurch noch mehr Pollen angezogen, anstatt zur Bestäubung freigegeben. Glück für die Honigbienen, Pech für die Blüten. Dazu kommt, dass trockener Pollen viel potenter ist als feuchter Pollen. Potenz gibt es also auch bei Pflanzenpollen und bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit einer Befruchtung wächst. Der dritte Pluspunkt ist, dass Mauerbienen pelzig behaart sind. Da bleibt im Gegensatz zu den recht nackten Honigbienen viel mehr Pollen im Wuschelhaar hängen und die Quote der Bestäubung steigt. Viertens teilen Honigbienen sich die Arbeit so stark auf, dass es unter ihnen Sammelspezialistinnen für Nektar oder für Pollen gibt. Nektarsammlerinnen vermeiden gerne den Kontakt mit Pollen und verweigern damit ihren Dienstleisterjob aus dem Symbiosedeal „Befruchtung gegen Nektar“. Obwohl ein Honigbienenvolk aus sehr vielen Individuen besteht, sammeln dennoch prozentual recht wenige Bienen Pollen und übernehmen damit eine echte Bestäuberfunktion. Bei den Mauerbienen agiert aber jede Biene als eine effektive Bestäuberin. Denn als solitär lebende Bienenart sorgt jede Einzelne selbst für ihre eigenen Nachkommen und interessiert sich deshalb für Pollen. Pollen ist schließlich die Hauptzutat für besten Bienenbabybrei. Fünftens reagieren Wildbienen nicht so zimperlich auf Kälte und fliegen schon bei kühleren Temperaturen als Honigbienen. Das gewährleistet Bestäubung, auch wenn das Wetter mal nicht so toll ist.
Macht man sich die Mühe und zählt die Anzahl der Blütenbesuche der beiden Bienenarten in einer Stunde, wird man feststellen, dass die einzelne Mauerbiene mehr Striche bekommt als die einzelne Honigbiene. Manchmal passiert es sogar, dass Honigbienen den nahe gelegenen Apfelbaum ganz verschmähen. Sie haben viel mehr Bock auf die viel weiter entfernte Löwenzahnwiese, weil sie mehr Nektar bietet. Honigbienen fliegen zum Sammeln einen Radius von bis zu vier, zuweilen sogar zehn Kilometern. Das kann für den Obstbauern, der den Bienenstock extra zur Bestäubung in seiner Plantage platziert hat, bisweilen ärgerlich werden. Wildbienen verhalten sich da deutlich bodenständiger und vermeiden es, sich mehr als einen Kilometer vom Nest zu entfernen. Schließlich wäre dann ja keiner mehr zu Hause, der Haus und Hof verteidigen könnte.
Auch Erdbeerkulturen profitieren von einer Bestäubung durch die Wilden. Roter, süßer und schöner werden die Früchtchen. Sie besitzen ein ausbalanciertes Säure-Zucker-Verhältnis und lassen sich besser lagern. Die Verantwortung für diese Qualitätsverbesserungen tragen die Wildbienen zu zwei Dritteln. Ihre Arbeit scheint eine spezielle Hormonproduktion bei den Erdbeeren anzuregen, die zu mehr Wohlgestalt und Wohlgeschmack führt. Honigbienen beteiligen sich daran nur zu einem Drittel. Dass Wildbienen wild auf Leistung sind und effektiver bestäuben als Honigbienen, zeigt sich mittlerweile in vielen Anbausystemen auf der ganzen Welt. Egal, ob in Südafrika die Sonnenblumen, in Brasilien die Mangos, in ganz Südamerika die Kürbisse, in Mittelamerika der Kaffee, in Australien die Macadamia–Nüsse oder in Niedersachsen die Kirschbäume. Überall bestätigt es sich, dass Honigbienen die vielfältige Wildbienengemeinschaft in Sachen Bestäubung nicht ersetzen können. Wildbienen spielen deshalb selbst in der Landwirtschaft eine deutlich größere Rolle als bisher geglaubt.
Einige Wildbienenarten, vorn dran die Hummeln, beherrschen eine ganz besondere Bestäuberkunst - die Vibrationsbestäubung. Das ist nichts Anrüchiges, sondern ein hochfrequentes Gesimmse, statt des üblichen Gesummses. Die Hummel erzeugt den Ton, indem sie sich an die Pollensäckchen bestimmter Pflanzen festbeißt und ganz schnell daran rüttelt und ruckelt. Nur mit dieser Technik wird der Pollen freigegeben. Als berühmteste Pflanzenfamilie, die ihren Pollen nur an solch Vibratoren abgibt, muss man die Familie der Nachtschattengewächse mit ungefähr 1400 Arten hervorheben. Dazu gehören Kartoffeln, Tomaten, Auberginen, Physalis – alle bekannten Nutzpflanzen. Honigbienen würden sich hier beim Versuch Pollen zu sammeln die Zähne ausbeißen. Kartoffeln müssten zwar nicht unbedingt bestäubt werden, schließlich interessieren uns nur die Knollen auf unseren Tellern, aber bei Tomaten würde eine Welt und nicht nur Italien zusammenbrechen. Allein europäische Tomatenbauern produzieren knapp 20 Millionen Tonnen dieser Früchte jährlich. Das würde schon wehtun – auch jenseits der Pizza. Wie wichtig Tomaten mittlerweile sind, sieht man daran, dass sie bereits einen Krieg ausgelöst haben. Einen Tomatenkrieg - zwischen der Europäischen Union und Australien.
Bei einem ganz bestimmten Job können wir auf Honigbienen tatsächlich aber nicht verzichten: für die Bestäubung spezieller Massentrachten der industrialisierten Landwirtschaft. Gerade überdimensionale, riesige und nur zwei Wochen lang blühende Rapsfelder taugen schlichtweg nicht für die Lebensweise der Wildbienen. Die Nektar- und Pollenquelle blüht zwar heftig, aber viel zu kurz. Zudem existieren nicht mehr genügend Nistmöglichkeiten an diesen Feldrändern. Unter diesen Umständen bringen Wildbienen ihren Nachwuchs nicht mehr durch und kapitulieren hier.
Im Gesamtdurchschnitt verdoppeln Wildbienen den wirtschaftlichen Ertrag, der durch die Honigbienen entsteht. Weitere Bestäuber wie Käfer, Fliegen und Schmetterlinge leisten noch mal den gleichen Beitrag. Unterm Strich ergibt das zwei von drei Punkten für die Fraktion der Wilden und nur ein erstaunliches Drittel für die Domestizierten. Denn entscheidend für die Bestäubung ist nicht nur, wie viele Blüten die Tiere anfliegen, sondern auch, ob sie den richtigen Pollen an der richtigen Stelle abliefern. Das ist wie bei der Postzustellung. Es nützt nichts, Briefe und Pakete gleichmäßig über die Anwohner eines Hochhauses zu verteilen, sondern der Postbote sollte unbedingt auf die Namen an den Briefkästen achten. Wildbienen platzieren den Blütenstaub passgenau auf der Narbe der richtigen Adressblüte und befruchten daher sehr effektiv. Effektiver als ihre etwas lockereren Cousinen aus dem Imkerstock.
Eine weitere Bienenleistung nimmt direkten Einfluss auf die Gesundheit von Nutztieren. Bei ihren Blütenbesuchen bestäuben Bienen nicht nur, sie übertragen auch die sogenannte Nektarhefe von Blüte zu Blüte. Je mehr Blumen eine Wiese beherbergt, desto mehr Nektarhefe gibt es. Die Nektarhefe ist für die Wiederkäuer unter den Nutztieren ein äußerst nützliches Wesen. Rinder, Schafe und Ziegen können mit ihrer Hilfe im Pansen ganz bestimmte Eiweiße aufbauen. Diese wiederum sorgen dafür, dass eigentlich unverdauliche Heu-, Stroh- und Grashalme trotzdem verwertet werden können. Gleichzeitig kümmern sie sich darum, dass keine schädlichen Mikroorganismen wie sporenbildende Bakterien, Schimmelpilze und Strahlenpilze aufkommen können. Das wirkt sich positiv sowohl auf das Wachstum und die Fruchtbarkeit der Tiere als auch auf die Milch- und Wollerzeugung aus. Deshalb ist Heumilch für uns gesünder und wird dementsprechend angepriesen.
Die allergrößte Leistung der Wildbienen zeigt sich jedoch in ihrem immensen Beitrag zur Erhaltung der Vielfalt. Denn nur ihre eigene Vielfalt garantiert die Vielfalt aller Blütenpflanzen, die einen Großteil der gesamten Pflanzenwelt ausmachen. Wildbienen stehen damit als Eckpfeiler für stabile Landökosysteme und sichern Ökosystemdienstleistungen. Denn nur in funktionierenden Ökosystemen reinigen Pflanzen, Tiere, Pilze und Bakterien ohne viel Tamtam Wasser, Luft und Böden und liefern uns Rohstoffe und Wohlbefinden. All diese unentgeltlichen Leistungen sind für die meisten von uns so selbstverständlich wie die aufgehende Sonne und der frische Kaffee jeden Morgen gemäß dem Motto: „war doch schon immer so“. Somit zeigen sich bisher nur sehr wenige zu Zugeständnissen und Gegenleistungen bereit. Folglich muss der bisherige Honigbienenzoom dringend auf Weitwinkel gestellt und Wildbienen mit ins Blickfeld genommen werden. Heraus aus ihrer Unsichtbarkeit, hinein in unser Bewusstsein. Schließlich ist die Honigbiene als gering spezialisierte und bestens von Imkern umsorgte Art keineswegs vom Aussterben bedroht. Deswegen müssen alle Schutzmaßnahmen die wilden Bestäuber in den Vordergrund stellen. Im Sinne des Natur- und Artenschutzes und der Ökosystemdienstleistungen, der Agrarsysteme und gefüllter Teller. Denn Wildbienenschutz ist gleichzeitig Honigbienenschutz. Andersherum wird leider oft kein Schuh draus.
Aber Hummeln und Co. sind nicht nur nützlich, sie sind nicht nur wichtige Bestäuber und sorgen damit für stabile Ökosysteme, sie haben auch Charakter. Sie sie sind charmant und herzerfrischend. Man muss nur genau hinschauen. Hummeln brummen mit weit von sich getreckten Beinchen durch die Luft, quetschen sich in schmale Löwenmaulblüten und kommen gänzlich mit Pollen bepudert wieder heraus. Winzige Bienchen rollen riesige Schneckenhäuser durch die Gegend, um ihrem Nachwuchs ein festes Dach über dem Kopf zu bieten. Blattschneiderbienchen zirkeln Blattstückchen heraus und transportieren sie zusammengerollt unterm Bauch zum Nest. Nur um ein paar Spezialitäten zu nennen. Mit ihrer Unschuld und ihrem emsigen Mühen rühren sie irgendwann an der Seele eines jeden noch so harten Knochens.
Dieses Plädoyer für die Wilden soll jedoch keineswegs dazu führen Wildbienen gegen Honigbienen auszuspielen. Im ganzen Gefüge ist jede Fraktion wichtig - beide gehören in die Bestäuberliga. Lediglich der bisherigen Bevorzugung der Honigbiene als unser verwöhntes Lieblingskind soll gegengesteuert werden, da diese Ungleichbehandlung für Ökosysteme einfach in die falsche Richtung führt.
Die Vereinigten Staaten sind diesbezüglich bereits 2014 aktiv geworden. Obama hat in einem Memorandum im Rahmen einer nationalen Strategie zum Schutz der Bestäuber eine Task-Force gegründet und quer Beet mit Vertretern aller Ministerien wie Verkehr, Wirtschaft, Bildung besetzt. Ebenso Großbritannien. In Deutschland war da von offizieller Seite her noch lange Zeit Funkstille. Und dann kam Krefeld. Die Ergebnisse einer Insektenstudie, die über drei Jahrzehnte von Krefelder Hobbyinsektenkundlern durchgeführt wurde, schlugen 2017 medial ein wie eine Bombe. Dies brachte endlich auch in Mitteleuropa das Thema auf die politische Tagesordnung. Offensichtlich verhallten vorher die Stimmen der Wissenschaftler ungehört und es brauchte dafür Beobachtungen aus der Sparte der Citizen Science, um wachzurütteln und Aufsehen zu erregen. Und schließlich kam auch die EU in die Gänge. Deutschland hat ein Aktionsprogramm zum Insektenschutz verabschiedet und auch mit runden Tischen ist immerhin ein Anfang gemacht.