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KAPITEL 2
ОглавлениеD ie ersten zwei Tage hatte sich Nina mit Feuereifer in die Gartenarbeit gestürzt, Berge von Unkraut gejätet, Erde geschleppt und Büsche beschnitten. In den kurzen Verschnaufpausen, die sie sich gönnte, hatte sie manchem Pflänzchen gut zugeredet, das unter vertrocknetem Gestrüpp zum Vorschein kam. Nun je doch, fand Nina, war es an der Zeit, wieder einmal zivilisierte Kleidung anzuziehen und Schuhe zu tragen, die keine Erdkrumenspur nach sich zogen. Ein Bummel ins Stadtzentrum war angesagt.
Zuerst wollte sie Vera, die Freundin von früher, besuchen. Veras Laden in der Nähe des Rathauses war schnell zu Fuß zu erreichen.
»vera« stand mit schwungvoller Schrift auf dem dunkelroten Schild über dem Laden. Nina hätte nie gedacht, daß Vera jemals eine Vorliebe für Dunkelrot entwickeln könnte.
Vera Freytag. Sie hatten sich lange nicht gesehen. Zuletzt, irgendwann in den Sommerferien, die sie damals als Teenager gemeinsam in Eiscafés, Diskotheken, Kinos und im Freibad oder am nahegelegenen Baggersee verbrachten. An Vera war ein Junge verlorengegangen. Kein Baum war ihr zu hoch, kein Junge zu groß und zu stark, um es nicht mit ihm aufzunehmen. Sie zog zwar ab und zu den Kürzeren, aber das machte ihr nichts weiter aus.
Vera Freytag mit den wilden, kurzen, schwarzen Haaren, durch die sich Hennasträhnen zogen, den verschossenen T-Shirts und der zerfetzten Jeans … Wie sie wohl heute aussehen mochte? Vera Freytag, die Raubtierdompteurin werden wollte und am liebsten einen Tiger als Haustier gehabt hätte. Der sollte selbstverständlich auf den Namen Ali hören. Bis der Tiger kam, nannte sie ihr Fahrrad Ali. Das war nicht einfach nur ein Fahrrad, das war ein schwarzer Hengst. Später bekam sie vom Vater zum Geburtstag ein Meerschweinchen geschenkt. Schwarz mit einer braunen Halskrause. Ali.
Während Nina von der anderen Straßenseite aus hinüber zum dunkelroten Ladenschild schaute, versuchte sie sich daran zu erinnern, welchen Namen Veras Hengst trug, nachdem das Meerschweinchen Ali hieß. Doch es fiel ihr nicht mehr ein.
Die schlanke Frau in dem eleganten Hosenanzug, die im Laden auf einer Leiter balancierte, um einen florentinischen Leuchter mit zarten Blütenblättern in rosa und bleu von der Decke zu holen, war Nina fremd, bis sie ihre Stimme hörte. »Dieser Leuchter ist ein Einzelstück. Wenn Sie noch ein paar Besorgungen zu erledigen haben …? Ich kann ihn in der Zwischenzeit abstauben und fest verpacken, damit Sie ihn gut transportieren können. Er soll doch ein Geschenk sein, sagten Sie?«
Die Frau sah kurz zu der Kundin hinunter, die nickte und sich brav anschickte, den Laden zu verlassen.
»Ich bin gleich für Sie da.« Nina wurde nur flüchtig in Augenschein genommen. »Sehen Sie sich doch schon um.«
Sie bastelte wieder an der Halterung des rosa-blauen Leuchters herum, der wahrscheinlich bald sein verspieltes Licht in irgendeinem Schlafzimmer verbreiten würde. Nina hoffte, daß der Leuchter dimmbar war. Ihr wäre so ein Schwulst unter der Schlafzimmerdecke zuviel des Guten – ein ziemlich wirksamer Lustkiller. Mit so einem Ding an der Decke könnte ich ES nur noch im dunkeln tun, dachte sie schmunzelnd. Dann dachte sie, daß ES im Moment sowieso nicht auf dem Programm stand, fluchte leise auf Oliver und schlenderte langsam durch den Laden. Gediegen war wohl der richtige Ausdruck für Dinge wie den Leuchter, einige vergoldete, unnütze, aber schmückende Enten und Erpel, Schälchen und Kerzenhalter und anderen Nippes. Daneben gab es ein paar wirklich hübsche Bilder, Spiegel, Kissen und Gläser, die mehr nach Ninas Geschmack waren. Besonders die Bilder, die sie an die »Jungen Wilden« erinnerten, gefielen ihr spontan.
»So. Das wäre geschafft«, stellte die elegante Frau erleichtert mit tiefer Stimme fest. »Kann ich Ihnen helfen? Suchen Sie etwas Bestimmtes?« Eine kleine Falte erschien zwischen ihren Augenbrauen, als sie Nina zum erstenmal genauer ansah.
Ihr dämmert etwas. Sie weiß nur noch nicht was, dachte Nina.
»Dich, Vera. Ich suche dich. Ich bin’s. Nina. Hab ich mich so verändert, daß du mich nicht mehr erkennst?«
Veras Unterkiefer klappte tatsächlich zwei Sekunden herunter. Darin riß sie die Freundin früherer Tage völlig undamenhaft in die Arme und drückte sie herzlich.
»Mensch, Nina, du bist’s. Ich weiß auch nicht, aber irgendwas kam mir so vertraut an dir vor – und dann auch wieder nicht. Deine Haare sind heller und kürzer, glaube ich. Und dann deine Sonnenbrille – die ist es überhaupt. Hast du die nicht schon früher getragen?« Vera lehnte sich an den Verkaufstresen. »Na, das is'n Ding. Wie kommt’s? Hab dich Jahre nicht gesehen. Gehört hat man auch nichts von dir. Nur gelesen. Mein Sohn Nikki besitzt ein paar deiner Kinderbücher. Das mit dem Hasen hat er am liebsten. Er ist aber kein großer Leser vor dem Herrn. Deswegen hat er kaum welche, die meisten hast du geschrieben.« Sie zuckte entschuldigend die Schultern und goß dann Kaffee in zwei zerbrechlich wirkende dunkelrote Täßchen mit Goldrand.
»Es gibt nur elf Kinderbücher von mir«, überging Nina den tadelnden Blick Veras, als sie Zucker nahm.
»Na, prima.« Vera begann, den Leuchter zu entstauben und dann in Seidenpapier und einen Karton zu verpacken. »Wenn die Kundin ihn abgeholt hat, mache ich den Laden zu, und wir gehen zu Fabio.«
Sie wies mit dem Kopf flüchtig zur anderen Straßenseite. Dort gab es wohl den typischen Hausitaliener von der Ecke, vermutete Nina.
»Okay. Hat Fabio ein gutes Tiramisu?«
»Cerrrrto«, war Veras Antwort, die sie mit einer typisch italienisch-französischen Geste (drei Finger der rechten Hand an den Lippen) unterstrich. Nina kam der Verdacht, daß Vera möglicherweise nicht nur die italienische Küche liebte. So ein Restaurantitaliener auf der anderen Straßenseite, vorausgesetzt er war nicht der dicke Padrone Mitte Fünfzig, konnte in vieler Hinsicht seine Vorzüge haben …
Vera und die Männer. Die entdeckte sie, als sie die Ferien nicht mehr mit Nina verbrachte. Solange Nina sich erinnern konnte, war Vera ein Spätentwickler in Bsandalen! ezug auf das andere Geschlecht gewesen. Nina selbst hatte sehr viel früher begriffen, daß Jungens noch für anderes gut waren, als sie auf Bäume zu jagen. Aber hatte sie das etwa weitergebracht? mußte sie sich heute fragen.
»Ich weiß noch, wie du dich über Jungens lustig gemacht hast. Besonders den Tobias Gehrke fandest du total blöde.«
»War er auch. Und ist der heute noch.« Vera schüttelte sich.
»Wieso? Gibt’s den noch?« Nina sah den großen, schlaksigen rotblonden Jungen mit Sommersprossen auf der Nase wieder vor sich.
»Den gibt’s noch. Der ist verheiratet, hat zwei Kinder und ein Reihenhaus bei deiner Tante um die Ecke. Und er mäht jeden Samstag den Rasen, bevor er den Grill auf der Terrasse anheizt.«
»Ist es zum Grillen nicht noch zu früh? Von der Jahreszeit her, meine ich?«
»Die deutsche Reihenhausfamilie hat ein Anrecht auf ihr samstägliches Grillwürstchen, nachdem der ›Vatta‹ den Rasen gemäht hat. Das steht irgendwo in den Menschenrechten, oder so«, klärte Vera sie auf und schnaubte verächtlich. »Hör mir bloß damit auf. Das hab ich selbst vier Jahre lang erlitten. Dann hab ich’s nicht mehr ausgehalten und mich scheiden lassen.«
Sie trank ihren Martini aus und stellte das kleine Blumengesteck und den Aschenbecher auf den Nachbartisch, um Platz für ihre dampfenden Maccheroni al arabiata zu machen, die Fabio mit einer Geste heranbalancierte, als zelebriere er Hummer und Kaviar.
»Willst du damit allen Ernstes sagen, daß du dich wegen solcher Banalitäten von deinem Mann getrennt hast?« Nina schwankte zwischen Ironie und Ernst. »Du warst ja früher schon ziemlich exzentrisch. Aber für eine Scheidung muß es doch noch zwei oder drei andere Gründe gegeben haben?« Sie drehte die Spaghetti und schüttelte ihr weises Haupt. »Gibt es denn tatsächlich keine intakten Ehen mehr?«
»Es gab hoch ungefähr fünfzig andere Gründe, mich scheiden zu lassen.« Vera lachte laut und hob ihr Glas. »Nein, jetzt mal im Ernst. Die Männer, selbst die gebildeten, von denen man annimmt, sie seien in ihrer Entwicklung weiter, fühlen sich nur wohl, wenn wir Frauen ihnen das Gefühl geben, für sie dazusein, wenn wir zu ihnen aufblicken. Sie messen unsere Liebe in so profanen Einheiten wie Küchen-, Koch- und Zuhördienst.
Ich mach das aber nicht mit. Ich bin kein kostenloses Cateringunternehmen, und ich höre mir auch nicht stundenlang den ganzen Büromist an, mit dem zum Beispiel ein Banker sich herumschlägt. Es reicht doch, wenn er sich zu Tode langweilt.«
Nina zog die linke Augenbraue hoch.
»Okay. Vielleicht tauge ich ganz einfach nicht zur Ehe. Vielleicht war ich auch noch nicht einsam genug, nicht tief genug am Boden. Vielleicht bin ich ja eines Tages bereit, alles zu tun, bloß um nicht länger allein zu sein.«
Vera malträtierte verbissen die Tomatenstücke auf ihrem Salat, als wäre es möglich, ihnen Blutstropfen statt Wasser zu entlocken.
Erschöpft holte sie Luft: »Auf uns freie Frauen!«
Sie leerte ihr Glas in einem Zug. Nina war schon darauf gefaßt, daß Vera es über die Schulter warf. »Nina, ich wette, du gehörst auch bald zum Club der freien Frauen.«
Soviel zum Thema Ehemänner und andere Fremde, dachte Nina. Ob Vera in die Zukunft schauen konnte? Geradezu telepathisch wechselte sie das Thema.
»Chantal sieht deine Zukunft in den Karten. Erinnerst du dich noch an sie? Selbst wenn, sie hat sich total verändert. Wie wir alle, oder? Allerdings sage ich ihr immer wieder, daß sie bei der Wahl ihrer Männer vorsichtiger sein soll. Seit sie sich von Thomas getrennt hat, der eine echte Pfeife war, habe ich manchmal den Verdacht, daß sie mit jedem Schwanz und Bums ins Bett geht. Ich würde sie nie länger als fünf Minuten mit meinem Freund allein lassen. Nicht, wenn ich ihn für mich behalten wollte. Aber eigentlich ist Chantal schon in Ordnung. Ich glaube auch nicht ernsthaft, daß sie einer Freundin den Mann wegschnappen würde. Ich lade euch beide mal zum Kaffee ein. Dann könnt ihr euch beschnuppern. Und später lassen wir uns von ihr die Karten legen.«
Nina zögerte, war sich nicht sicher, ob sie wirklich in die Zukunft schauen wollte. Wer wußte schon, ob ihr gefallen würde, was in den Karten stand. Andererseits konnte es ja vielleicht interessant sein, Chantal nach all der Zeit wiederzusehen. Sie mußte sich wirklich sehr verändert haben, wenn sie jetzt so ein Männerfresser war. Früher war sie eher schüchtern gewesen und in sich gekehrt.
Aber was, wenn Chantal zum Beispiel in den Karten sah, daß Oliver sie wirklich nicht mehr liebte und bei dieser Tussi bleiben wollte? Vielleicht stand ja auch in den Karten, ob sie selbst Oliver überhaupt noch liebte. Nina war sich da wirklich nicht sicher.
»Woher willst du überhaupt wissen, daß ich mit meinem Mann Trouble hab? Ich meine, wie kommst du drauf, daß ich auch bald eine freie Frau sein werde?«
»Dafür habe ich einen siebten Sinn«, stellte Vera trocken fest und konzentrierte sich auf ihr Essen.
»Erzähl mir von deinem Ex-Mann und deinem Sohn. Kenn ich deinen Ex? Ist er von hier?«
»Ach, du liebe Güte«, stöhnte Vera, »dir das zu erzählen dauert Stunden, wenn nicht Tage.«
»Ich hab Zeit«, meinte Nina nur.
Vera hatte nicht übertrieben. Sie vertilgten die Pasta, Tiramisu und Zabaione – dann rief Vera ihre Aushilfe an, die für den Nachmittag einsprang – tranken jeder einen halben Liter Soave und drei Espressi – erst dann war Vera so ziemlich am Ende ihrer gescheiterten Ehe angekommen.
Seit einem Jahr war sie von Uwe, dem Direktor der örtlichen Sparkasse, geschieden. Uwe tröstete sich bereits mit seiner neuen Sekretärin. »Wie das in diesen Kreisen so üblich ist«, erklärte Vera schulterzuckend.
»Wieso hast du überhaupt einen Banker geheiratet? Gab es keinen Aufregenderen?«
Vera lachte ironisch. »Ich war total verliebt, völlig hingerissen von seinem Charme – rosaroter Blick, du weißt schon. Er versprüht Witz und Geist – dachte ich. Und ich fand ihn gutaussehend. Er trug immer Anzug, teure Hemden und Krawatten – so was halt. Das gefiel mir. Ich konnte doch nicht ahnen, daß er gleich nach der Hochzeit nach Feierabend nur noch in Jogginganzügen oder Shorts, verwaschenen Uralt-T-Shirts aus seinen Fußballerzeiten und Sandalen rumlaufen würde, sandalen! Und für so einen Typen habe ich mein BWL-Studium abgebrochen. Blöd war ich, darf gar nicht dran denken …«
»Und wie war das mit dem Rasenmähen?«
»Na, das war die Krönung! Kein noch so mickriges Unkrautpflänzchen durfte in seinem Garten wachsen. Von seinen Eltern hatten wir zur Hochzeit ein Reihenhaus geschenkt bekommen. Das war ein Danaergeschenk. Ständig kamen sie zu Besuch und redeten uns – nein, hauptsächlich mir – in alles rein. Welche Gardinen im Wohnzimmer am besten aussähen, welche Sträucher und Blumen sich im Garten am besten machen würden und so weiter und so fort. Mein Ex-Schwiegervater hat übrigens den gleichen Haß auf Unkraut wie mein Ex-Ehemann. Die beiden waren echt die Gartenausgabe des Kommandos ›Verbrannte Erde‹.«
Nina nickte atemlos. Bei Vera klang selbst eine Gartengeschichte wie eine griechische Tragödie.
Dann fragte Nina nach dem Grillen.
»O Gott, diese Grillerei. Ich hasse Gegrilltes. Es ist ungesund, krebsfördernd, und ich bekomme jedesmal Sodbrennen. Aber das interessierte Uwe nicht. Am ersten Wochenende im April wurde die Grillsaison eröffnet. Und Abgrillen war dann Ende September. Dazu wurden die netten Nachbarn, Geschäftsfreunde und natürlich meine Schwiegereltern eingeladen. Die ganze frohe Spießer schar.« Schlussakkord, dachte Nina, der Vorhang fällt.
»Und dein Sohn? Hat dein Mann den so einfach hergegeben?« fragte sie.
»mein Sohn. Ganz recht, er gehört mir. Und er hat Gott sei Dank wenig Ähnlichkeit mit seinem Vater. Nikki ist toll. Ein ganz süßer Bengel. Und Charme hat er. Er lebt bei mir.«
»Und wo läßt du ihn tagsüber?« wollte Nina wissen und erinnerte Vera damit an die Zeit.
Sie verabschiedeten sich gleich vor dem Restaurant. Vera hatte ihren Wagen dort geparkt, und Nina wollte zu Fuß nach Hause gehen.
»Hast du Sonntag Zeit?«
Nina nickte.
»Gut, dann ruf ich Chantal an und lade euch zum Kaffee ein. Dann lernst du auch Nikki kennen. Wenn Chantal ein bißchen später kommt, hast du vorher reichlich Zeit, mir von dir zu erzählen. Birkenkamp 15 wohn’ ich. Drüben am Fluß. Findest du schon. Ciao.« Sie warf kurz ihre dunklen Haare in den Nacken, rückte die Designersonnenbrille zurecht und startete dröhnend.
Der Typ, der ihretwegen gerade eine Vollbremsung mit seinem bmw machen mußte, hupte nicht und schimpfte nicht. Er folgte ihr langsam in seiner roten Limousine, und Nina sah ihn schon an der nächsten Ampel mit Vera flirten.
Nina schlenderte gemächlich nach Hause und betrachtete neugierig die Reihenhäuser in der Nähe. Dort wohnte also Tobias Gehrke. Nina hatte ihn gemocht. Auch wenn Vera ihn blöd fand. Und jetzt wohnte er im Reihenhaus, hatte Ehefrau und zwei Kinder und mähte Rasen. War es möglich, daß irgend etwas in ihrem Leben falsch lief?
Andererseits – eine Trennung oder eine Scheidung war die Chance zu einem Neubeginn. Oder nicht? Manchmal fühlte Nina sich wieder wie achtzehn, als sie noch an ihren ganz persönlichen Liebesroman glaubte. Jetzt schien wieder alles möglich. Es lag bei ihr, etwas daraus zu machen.
Wie war ihr Leben bisher verlaufen? Sie brauchte doch nur an das vergangene Jahr zu denken. Dreimal war sie mit Oliver nach Rom geflogen. Zwei Freunde aus seiner Studienzeit planten dort ein futuristisches Einkaufszentrum. Olivers Know-How war gefragt. Schließlich war er Spezialist im Entwerfen, Planen (und Verwerfen) von Einkaufszentren.
Während die Männer planten, rechneten und wahrscheinlich doch jahrelang durch die italienische Bürokratie am Bauen gehindert würden, schlenderte Nina allein oder mit den römischen Gattinnen durch die, vorerst noch nicht überdachten, Einkaufsstraßen. Später bummelte sie allein durch Gäßchen, ruhte sich auf brunnen- und säulengeschmückten Plätzen in Cafés aus und schloß sich schon mal heimlich der einen oder anderen geführten Reisegruppe an.
Mit Oliver war man immer unterwegs. Sonntagabend kam ein Anruf, und schon fand sie sich ein oder zwei Tage später im Flieger nach New York oder Paris wieder.
»Andere Frauen wären froh darüber, wenn sie ihre Männer begleiten könnten. Nina! Zieh nicht so ein Gesicht.«
Nein, sie hatte wohl nicht wirklich Grund, sich zu beklagen. Es war ihr doch sehr gut gegangen. Oder etwa nicht? Die meisten Frauen würden sich freuen und Olivers Kreditkarte so oft gebrauchen, bis das Gold abgegriffen war – die meisten Frauen – viele Frauen –, aber eben nicht seine Frau.
Nina haßte dieses Monopolygefühl, das sich jedesmal in ihren Kopf schlich, wenn sie berühmte Einkaufsstraßen entlangschlenderte. Erklären konnte sie sich das nicht und mit Oliver darüber reden schon gar nicht. Diese Art von Leben erschien ihr so oberflächlich und um sich selbst kreisend, daß sie dabei manchmal fast ein schlechtes Gewissen hatte.
»Andere Frauen würden …« sagte Oliver immer. Andere Frauen. Das war überhaupt sein thema! Seit wann eigentlich?
Elli nahm die Teekanne vom Rechaud und füllte eine hauchdünne Porzellantasse. Sie sammelte mit Leidenschaft Teeservice und besaß mehrere dieser zarten, zerbrechlichen pastellfarbenen Tassen und Teller.
Vorsichtig hielt Nina den Tassenhenkel zwischen Zeigefinger und Daumen und berichtete der Tante von dem dramatischen Pastaessen mit Vera.
»Sie hat sich sehr verändert, oder?« Elli lächelte amüsiert. Sie erinnerte sich noch gut an Vera als Teenager in zerrissenen Jeans, selbstgestrickten Pullovern und Boots. »Hast du sie gleich wiedererkannt?«
»Ihre Stimme hab ich erkannt. Aber sie selbst – du liebe Güte, nein. Wer hätte das gedacht. Wenn sie heute einen Teeladen oder so ’n Bioladen hätte, okay. Aber Veras Nobelnippes … guter Himmel.«
»Sie hat sich scheiden lassen. Hat sie dir das erzählt?«
»Hat sie. Ausgiebig.«
»Das war hier für Wochen Gesprächsthema Nummer eins. Er soll jetzt was mit seiner Sekretärin haben, sagen die Leute.« Elli sah Nina fragend an. Als sie schwieg, fuhr sie fort. »Der Uwe Schäfer war wohl doch keine so gute Wahl für Vera, was? Obwohl er das Haus und einen Mercedes zu bieten hatte.«
Sie trank einen Schluck, stellte die Tasse langsam wieder ab und sagte: »Aber in der Ehe geht es ja nicht nur darum, nicht wahr, Kind?«
Nina verstand die Anspielung auf Oliver. Jetzt mußte sie was sagen.
»Komm schon, Nina, erzähl ein bißchen. Eigentlich möchtest du doch darüber reden. Und du weißt ja, daß ich auf deiner Seite bin. Du mußt doch irgendwelche Pläne machen. Ich meine, willst du dich scheiden lassen?«
Sie sah, daß sich um Ninas Stirn die sprichwörtliche ›dunkle Wolke‹ zusammenbraute, und lenkte rasch ein: »Nun reg dich nicht gleich wieder auf. Es hilft nichts, über kurz oder lang mußt du den Tatsachen ins Auge sehen. Und so wie ich das sehe, wird es unweigerlich auf eine Scheidung hinauslaufen. Vielleicht ist das auch gut so«, fügte sie leise hinzu. »Du bist doch noch nicht zu alt, um einen neuen Anfang zu machen. Schreib ein neues Buch. Und wenn du dir Sorgen machst, wo du wohnen wirst – du weißt doch, daß du solange hierbleiben kannst, wie du möchtest. Ich freu mich, daß du hier bist.«
Ninas Blick suchte das Fenster und die Bäume im Garten. Wie konnte sie Pläne für die Zukunft machen, wenn sie doch mit der Vergangenheit und der Gegenwart noch nicht im reinen war?
Nina wußte, daß die Misere nicht erst mit Miranda begonnen hatte. Die tiefe Kluft, die sich zwischen ihr und Oliver auf getan hatte, war bereits viel früher grabentief gewesen, als Miranda noch nicht einmal am Horizont zu ahnen war. Wahrscheinlich hatte es die ersten Risse, die sie trennten, schon von Anfang an gegeben.
Und wie sollte sie das alles Tante Elli erklären?