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KAPITEL 3

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Vera bemerkte den BMW, als sie noch einmal im Rückspiegel nach Nina sah, die vor Fabios Restaurant am Straßenrand stand und ihr nachwinkte.

Der Fahrer des BMW schien ein ganz interessanter Typ zu sein. Vera hatte das Gefühl, ihn von irgendwoher zu kennen, und ging in Gedanken ihren Bekanntenkreis durch. Wer fuhr einen roten BMW? Es fiel ihr niemand ein.

Vera fuhr langsamer als sonst, obwohl sie es eilig hatte. Was machte es, sie war ohnehin zu spät dran. Mußte eben Chris, der zehnjährige Sohn ihrer Tagesmutter, eine halbe Stunde auf Nikki aufpassen. War ja nicht das erste Mal. Wenn noch Kundschaft im Laden war, konnte sie die auch nicht so einfach vor die Tür setzen, weil sie Nikki abholen mußte.

Da. Jetzt sprang die Ampel auf Rot. Vera trat auf die Bremse und hielt. Ob der Typ ausstieg und sie ansprach? Jetzt war die Gelegenheit. Doch nichts passierte.

Es reizte sie zu erfahren, wer der Mann war, der ihr offensichtlich folgte. Eine andere Möglichkeit gab es gar nicht. Was hätte er schon in dieser ruhigen Wohngegend am Stadtrand zu tun? Das konnte kein Zufall sein.

Früher wäre sie mutiger gewesen, hätte den Wagen abgewürgt und eine Panne vorgetäuscht. Natürlich war das Unsinn. So etwas täte sie heute nicht mehr. Oder doch? Vera, nun mal ernsthaft, mahnte sie sich, was gedenkst du zu tun? Denk nach.

Sie parkte vor dem Haus der Tagesmutter. Der BMW hielt dicht hinter ihr. Vera holte noch einmal tief Luft. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Sie stieg aus, wobei sie zähneknirschend bedauerte, keinen kurzen Rock, sondern Hosen zu tragen, und ging zielstrebig auf den BMW zu.

»Sie sind mir gefolgt. Stimmt’s?« Richtig, Vera. Angriff ist die beste Verteidigung.

»Möglicherweise. Aber ich bin nicht von der Kripo.«

Die Stimme des Mannes kam ihr bekannt vor. Wer, um Himmels willen … Da erkannte sie ihn.

»Sie? Was machen Sie denn hier? Ich dachte, Sie wären nach München gezogen.«

Dr. Jan Benda lachte leise. Vera spürte ein vertrautes Ziehen unterhalb des Bauchnabels.

»Ich war in München. Seit einem halben Jahr bin ich zurück und arbeite jetzt vorübergehend bei einem Kollegen in der Praxis. Herzinfarkt. Ich war mir nicht sicher, ob Sie es sind, als ich Sie vor dem Restaurant sah.«

»Und da wollten Sie sich vergewissern, ob ich ich bin?«

»Mmmh. Ich denke ja.«

»Und wer hat 'nen Herzinfarkt? Sie?«

»Nein. Noch nicht.« Er lachte wieder. »Mein Kollege. So was soll ja auch Ärzten zustoßen.«

»Aha.« Mehr brachte Vera nicht hervor.

Der Mann, der einerseits so lässig den Arm über den Beifahrersitz seines Wagens gelegt hatte und sie anlächelte, während er andererseits einen etwas verlegenen Eindruck machte, war mal zwei Krankenscheine lang ihr Gynäkologe gewesen. Sie war nur zweimal in seine Sprechstunde gegangen. Nachdem er ihre Schwangerschaft feststellte und sie sich in ihn verliebte, war es ihr peinlich, sich von ihm untersuchen zu lassen. Alle Souveränität war wie weggeblasen. Dieser Mann sollte nicht sehen, wie ihr Bauch immer dicker wurde, sie womöglich Schwangerschaftsstreifen und Krampfadern bekam. Sie hatte seiner Sprechstundenhilfe vorgelogen, daß sie fortziehen würden, und sich einen neuen Arzt gesucht. Eine Ärztin, um weitere Komplikationen auszuschließen.

»Und Sie? Sie sind gar nicht fortgezogen, oder?« Konnte er Gedanken lesen?

»Nein.«

»Was ist es denn geworden? Ein Mädchen oder ein Junge?« Ob Ärzte sich wohl an alle Patienten erinnerten? Sie erzählte ihm kurz von Nikki.

»Sie sind geschieden.« Er stellte das so sachlich fest, als wäre er der Richter, der das Protokoll vorlas.

Verdammt! Was war das? Seit wann war Hellsichtigkeit unter den Männern ausgebrochen?

»Ja, ich bin geschieden. Und wenn ich jetzt nicht in das Haus gehe, um Nikki bei seiner Tagesmutter abzuholen, kann ich mich bald nach einer neuen umsehen.«

»Gut. Ich warte hier. Bis gleich«, rief er ihr nach.

Kopfschüttelnd ging Vera den kurzen Plattenweg zum Haus. Sie spürte seinen Blick. Ihr Nacken kribbelte.

Nikki öffnete seiner Mutter aufgeregt plappernd die Tür und sprang wie ein Äffchen in ihre ausgebreiteten Arme.

»Chris hat aufgepaßt. Aber dann hat er mir den Laster weggenommen und mir bloß das doofe Polizeiauto gegeben. Da kann ich keinen Sand einladen.«

Vera besänftigte ihren Sohn. Sie wollte Chris, der nun auch in der Tür erschien, gerade fragen, wann sein Vater nach Hause kam, als der dröhnend mit seinem Motorrad vorfuhr. Den Helm unterm Arm, ging er mit geschmeidigen Bewegungen auf Vera zu. Die geschnürte schwarze Lederhose umspannte seine schmalen Hüften, und die unvermeidliche Lederjacke, deren Rücken eine grünrotgestreifte Pyramide schmückte, steigerte noch sein verwegenes Aussehen.

Vera hatte Chris’ Vater noch nie in anderen Sachen als der Lederkluft gesehen. Die Jacke mit der Pyramide gefiel ihr besonders. Sie traute sich aber nicht, nach der Bedeutung des Emblems zu fragen. Sie spürte, daß Andy Voigt nur eine kleine Ermutigung brauchte, um sich ausdauernd an ihre Fersen zu heften. Sie fühlte seine gierigen Blicke auf ihrer Haut und roch sein Verlangen.

Männer wie er waren gefährlich. Unter den breiten Rädern ihrer schweren Maschinen schmolz der Asphalt. Die Straßen, die sie berühren, führten in Wüsten oder verlassene Städte. Der Straßenbelag dampfte und flirrte magnetisch am Horizont in der gleißenden Sonne. Frauen fielen diesen Männern in den Schoß, gaben sich ihnen hin und wurden von ihnen nach dem Liebesakt fallengelassen. Doch keine der Geliebten nahm es ihnen übel.

Andy Voigt war ein Desperado. Frau und Sohn paßten nicht in sein Leben. Und er gehörte nicht in diese Straße. Er war auf dem Sprung. Vera Freytag war eine reizvolle Beute.

»Hallo«, grüßte Vera. »Gut, daß Sie kommen. Ihre Frau ist zum Elternabend, und ich wußte nicht, ob ich Chris allein lassen kann.«

Andy Voigt sagte nichts.

»Na, jetzt sind Sie ja da. Ich muß los.« Vera zerrte Nikki am Arm mit sich und war direkt froh, daß Jan Benda da war.

»Gehen wir ein Eis essen, Mami?« krähte Nikki.

»Es ist Abendbrotzeit, Schatz. Wir können eine Pizza essen. Hast du Lust?«

»Ja. Pizza und Eis.«

Vera ging mit Nikki auf dem Arm rasch zu ihrem Wagen.

Jan Benda lehnte am BMW und beobachtete sie beide. Ein kurzer Blick zeigte Vera, daß sie nicht aus der Parklücke herauskam, wenn er nicht seinen Wagen fortfuhr.

»Haben Sie Lust auf Pizza und Eis? Mein Sohn verlangt danach.« Mit Schmetterlingen im Magen wartete sie auf seine Antwort.

»Okay? Warum nicht? Wollen Sie vorfahren?«

»Wie gehabt. Fahren Sie mir nach.«

»Schon unterwegs«, murmelte Jan und stieg in seinen Wagen.

Restaurantbesitzerin Jenny begrüßte ihre Stammgäste herzlich und wuschelte Nikki liebevoll durchs Haar. Zögernd betrachtete sie Jan.

»Jan Benda. Ein alter Freund. Sozusagen«, stellte der sich grinsend vor und gab Jenny, wie Nikki es hätte tun sollen, wohlerzogen die Hand.

»Ich habe einen schönen Tisch in der Ecke für euch. « Jenny legte lächelnd ein Malbuch vor Nikki, der sich sofort damit beschäftigte.

»Geht es Ihnen gut?« wollte Jan unvermittelt wissen.

»Wieso fragen Sie? Sehe ich etwa krank aus?«

»Nein. Krank nicht. Aber ein wenig unzufrieden, vielleicht auch unglücklich?«

»Gehörte Psychologie auch zu Ihren Fächern?«

Vera hatte das Gefühl, in die Defensive getrieben zu werden, und das gefiel ihr gar nicht.

Jan, der merkte, daß dies die falsche Taktik war, schüttelte auf ihre Frage nur lächelnd den Kopf und wandte sich dann Nikki zu, den er bei der Farbauswahl beriet. Nikki begann gerade, den durch einen brennenden Reifen springenden Löwen orangerot auszumalen.

»Löwen sind beige oder hellbraun«, erklärte er dem Jungen leise belehrend.

»Natürlich sind Löwen beige«, stellte Nikki mit ernstem Gesicht fest. Erwachsene waren manchmal echt blöd. »Aber wenn der Löwe durch den Feuerreifen springt, wirft das Feuer gelbes und rotes Licht auf sein Fell, verstehst du? Und deswegen kann ich den Löwen nicht beige malen. Ist doch klar!«

Als Nikkis Pizza kam, fiel er heißhungrig darüber her. Tomatenpüree zierte seine Oberlippe, und er pulte bald mit den Fingern die letzten Stücke Schinken von der Pizza. Er aß den Schinken ohne Teig und fragte seine Mutter, wann denn nun endlich das Eis käme.

Jan beobachtete den Jungen. Er verstand beim besten Willen nicht, wie eine so elegant auf tretende Frau wie Vera so wenig Wert auf die Tischsitten ihres Sohnes legte. Ihm selbst war so etwas als Junge nicht gestattet worden.

Als Arzt und auch im privaten Bereich legte Jan strengsten Wert auf Sauberkeit und Ordnung. Er runzelte die Stirn, als Nikki nun gelangweilt mit dem Strohhalm Blasen in seinen Saft blubberte und dabei die übrigen Gäste beobachtete. Er zappelte am Tisch herum, und natürlich passierte es: Das Glas kippte um, der Saft ergoß sich über den Tisch.

»Himmel! Nikki! Kannst du nicht ein Mal ordentlich trinken?«

Sie versuchte mit den Papiersets der klebrigen Überschwemmung Frau zu werden. Dann lächelte sie wieder Jan Benda zu. Und der vergaß prompt seine Mißstimmung.

Nach der Pizzaschlacht lud Vera Jan zu sich ein.

»Ich bringe Nikki rasch zu Bett. Dann können wir noch ein Glas Wein trinken.«

Ganz wohl fühlte sie sich in ihrer Haut nicht, als sie diesen Vorschlag machte, aber sie wollte Jan auch nicht so schnell wieder gehen lassen. Wer wußte, ob sie ihn so rasch wieder traf?

Während sie Nikki beim Schlafengehen half, dachte sie flüchtig an ihre vergangenen Liebesbeziehungen. Die waren alle irgendwie verkorkst gewesen. Da gab es die Männer, die sie finanziell ausnutzen wollten, solche, die nur die schnelle, unverbindliche Befriedigung ihrer Bedürfnisse suchten, oder die Erfolgssucher, die einfach die Geschäftsfrau in ihr bewunderten, und zuletzt war da Fabio gewesen, der immer mal rasch mit einem Espresso, einer halben Portion Pasta oder einem Fruchtsalat auf einen Sprung zu ihr herüberkam. Sein Temperament und seine Bewunderung hatten sie schwach werden lassen, was sich schon bald als Fehler entpuppte. Fabio war besitzergreifend, fand aber überhaupt nichts dabei, mit allen seinen auch nur halbwegs attraktiven weiblichen Gästen zu flirten und mehr.

Als Vera die Beziehung zu ihm beendete, war er anfangs tief beleidigt, doch jetzt hatten sie sich vordergründig auf ein relativ neutrales Verhältnis einigen können. Trotzdem bewachte er sie noch eifersüchtig, wo sich die Gelegenheit dazu ergab. Seine Spione trugen ihm zu, wenn Vera sich von einem Mann in ein Restaurant ausführen ließ oder ein Tanzlokal besuchte. Dann tauchte er auch dort auf und beobachtete mißbilligend.

Mit einer Flasche Gavi trat Vera ins Wohnzimmer, nahm Gläser aus dem Schrank und ging dann auf ihren Balkon hinaus, wo Jan es sich in einem der weißen Korbsessel bequem gemacht hatte. Die Augen geschlossen, die Hände entspannt im Schoß liegend, saß er still da. Wie sie ihn so ansah, schoß es Vera durch den Kopf, daß es ihr möglicherweise gefallen würde, wenn er sich ab und zu zwischen dem Hibiskus, dem Zitronenbäumchen und den wild rankenden Feuerbohnen auf ihrem Balkon einfand. Sie suchte ja nicht unbedingt den Mann fürs Leben. Aber einen, der immer mal vorbeikam, seine und ihre Kleider vom Flur in Richtung Schlafzimmer verstreute, einen, den man genießen konnte, weil man nicht zuviel von ihm wußte …

Das gluckernde Geräusch des Gavi weckte Jan aus seinen Gedanken.

»Schläft dein Sohn schon?« Wie selbstverständlich duzte er sie.

»Noch nicht. Aber gleich. Er ist total erschöpft.«

Jan ließ sich von Vera erzählen, wie sie es schaffte, Geschäft, Haushalt und Kindererziehung unter einen Hut zu bringen. Das erforderte einiges Organisationstalent. Wenn sie auf den Messen in Frankfurt oder Mailand war, blieb ihr Sohn bei der Tagesmutter. Und dann gab es noch eine Haushaltshilfe, die alle zwei Wochen die große Vierzimmerwohnung auf Vordermann brachte. Vera war es wichtig, am Abend Zeit für ihren Sohn zu haben. »Wenn er mich später mal fragt, wo ich denn gewesen sei, als er dieses oder jenes Problem hatte, dann will ich nicht sagen müssen, daß ich im Laden war oder Fenster putzen mußte. Ich versuche, jede freie Minute für ihn dazusein. Wenn er schläft, räume ich sein Spielzeug weg oder mache die Buchführung. Und danach falle ich scheintot ins Bett.«

Ihr Lachen klang ein wenig verlegen. Hastig leerte sie ihr Glas und schenkte Jan und sich nach. Redete sie zuviel? Vielleicht sollte sie ihn auch mal zu Wort kommen lassen.

Die elegante Vera mit den schmalen Handgelenken und langen Fingernägeln konnte also durchaus zupacken und hatte ihr Leben fest im Griff. Jan fragte sich, ob sich in ihrem Terminkalender überhaupt Platz für einen Mann finden ließe. Sie machte einen sehr selbständigen und auch zufriedenen Eindruck, wenn sie von ihrem Lehen sprach. Die Scheidung schien sie überwunden zu haben. Ob es seither wirklich keinen Mann in ihrem Leben gegeben hatte?

Er schätzte Vera als temperamentvoll, wenn nicht sogar heißblütig ein … Sie hatte ihn gleich damals gereizt, als sie als Patientin zu ihm kam. Aber erstens war sie verheiratet gewesen und zweitens eine Patientin, also drittens tabu. Dann hatte er von seiner Sprechstundenhilfe erfahren, daß sie fortgezogen war. Bis er sie vorhin vor dem Restaurant stehen sah, hatte er nicht mehr an sie gedacht. Doch plötzlich war der Reiz, den diese Frau schon vor ein paar Jahren auf ihn ausübte, wieder sehr stark. Und da saß er nun mit ihr in der Abenddämmerung, trank einen ausnehmend guten Wein – die wenigsten Frauen verstanden etwas davon – und spürte, wie er langsam innerlich immer unruhiger wurde. Er wollte sie berühren, wollte sie auf der Stelle lieben. Hier. Auf dem Balkon …

Jan hatte ihre letzte Frage nicht beantwortet. Überhaupt glaubte Vera, daß er nicht mehr recht bei der Sache war. Das machte sie unsicher. Langweilte sie ihn? Nervös nippte sie am Wein und verfluchte die Idee, ihn noch zu sich einzuladen. Sie wußte doch, daß die wenigsten Männer Frauen mochten, die die Initiative übernahmen. Nun bekam sie also die Rechnung. Bravo, Vera. Das hast du wieder schön hingekriegt.

Sein Kuß überraschte sie, doch sie widersetzte sich nicht, sondern genoß und forderte mehr. Das Ziehen in ihren Brüsten wurde stärker. Sie wußte, daß er wußte … Das störte sie nicht. Schon spürte sie, wie sich das wohlbekannte und ersehnte weiche Gefühl in ihrem Unterleib ausbreitete. Alles in ihr pochte und fieberte dem entgegen, was unweigerlich folgen würde. Gleich würde sie mit ihrem Ex-Gynäkologen »Liebe machen«, wie Fabio es nannte. Allerdings, würde das hier, zwischen Jan und ihr, nichts mit Liebe zu tun haben. Es würde elementar und heftig sein.

Eine Sturmflut, ein Erdbeben, ein Feuerwerk, aber Liebe …?

Wenn er mir sagt, daß er mich nie vergessen hat oder daß er mich liebt, dann ist alles aus, dachte Vera.

Da zog Jan ihr das Seidentop über den Kopf und schob Hose und Höschen geschickt ihre Schenkel hinab. Dann hob er sie hoch. Sein Kuß wurde heftiger.

Nicht schlecht, ging es Vera durch den Kopf.

»Wo ist das Schlafzimmer?« murmelte Jan. Vera wies mit dem Kopf in die Richtung. Kurz darauf lag sie auf ihrem Bett und sah ihm dabei zu, wie er sich mit hastigen Bewegungen auszog. Sein kräftiger, straffer Körper wies an den richtigen Stellen Muskeln auf. Nicht zu viele, aber gerade genug, um sich von ihnen beschützt zu fühlen. Seine Brust war behaart, und ein feiner dunkler Strich wies ihrem lüsternen Blick den Weg. »Gut«, flüsterte sie leise, so daß er es nicht hörte. Sie war erfahren genug, den Tag nicht vor dem Abend zu loben.

Jan machte sich nicht mehr die Mühe, seine Lust zu verstecken. Seine Hände griffen ihre Brüste, seine Zunge wanderte ihren Hals hinab, umkreiste ihre Brustwarzen, lutschte, sog und spürte, wie die milchkaffeefarbenen Knospen in seinem Mund wuchsen und hart wurden.

Vera wand sich unter seinem Körper, rieb mit ihren Schenkel seine Hüften entlang, klammerte, kniff, krallte und biß.

Sie heizten sich gegenseitig unter Stöhnen an. Als Jan dann endlich in sie eindrang, brachte Vera nur noch wimmernde Geräusche hervor. Ihr Inneres umschloß ihn so fest, daß ihm für einen Augenblick die Vorstellung durch den Kopf ging, sie habe dort eine verborgene Hand.

Obwohl Jan sie erregte und Vera mehrmals glaubte, sie würde sich zu einer Pfütze verschiedener Säfte und Flüssigkeiten auflösen, hatte sie keinen Orgasmus.

Ein bißchen enttäuscht gönnte sie ihm eine kurze Verschnaufpause. Mit kurzen, kleinen abgehackten Schlenkern und Kreisen ihres Beckens gab sie ihm zu verstehen, daß sie selbst den Gipfel noch nicht erreicht hatte.

Und als er sie daraufhin zärtlich und mit viel Einfühlungsvermögen durch Streicheln und Lecken zu ihrem Recht kommen ließ, konnte sie immer nur denken, daß sie mit einem Gynäkologen im Bett war, der eben genau wußte, wie man eine Frau auch ohne Zuhilfenahme des Penis zum Höhepunkt brachte. Außerdem kannte ein Gynäkologe noch Gebärmuttersenkungen, Mammacarzinome, Myome, Zysten und Bauchhöhlenschwangerschaften! Und weil sie das immerzu denken mußte, erlebte sie ihren Orgasmus nur körperlich. Kopf und Herz blieben unberührt.

Am Morgen schien Nikki nicht im mindesten überrascht zu sein, Jan am Frühstückstisch vorzufinden. Das gab Jan zu denken. Nikki hangelte sich, noch im Schlafanzug, auf den dritten Barhocker am Tresen und fiel hungrig über seine Cornpops her.

»Du hast deinen Hasen noch nicht gefüttert.« Vera schob ihm eine Packung Trockenfutter und zwei Möhren hin. »Bevor du frühstückst, bekommt erst der Hase etwas. Das weißt du doch.«

Nikki brummelte zustimmend. Dann rutschte er von seinem Hocker und tappte barfuß in sein Zimmer.

»Ich denke, ich fahr dann mal. Ich hab heute noch kurz was in der Praxis zu erledigen. Schreibkram.« Jan, der als einziger vollständig angezogen war, beobachtete Vera, die einen kobaltblauen Seidenkimono trug – über dunkelblauer Spitzenunterwäsche, wie er wußte – und frische Ananas aß.

Sie sah auf, doch ihr Blick verriet nichts. »Wir gehen später zum Einkaufen auf den Tarpenbekmarkt. Es gibt dort samstags immer einen ausgezeichneten Fischstand.«

Sie goß sich eine zweite Tasse Kaffee ein. »Mittags sind Nikki und ich dann in der kleinen Kneipe gegenüber vom Brunnen.«

»Dort gibt es die besten Eierpfannkuchen der Welt. Die schmecken echt geil«, erklärte Nikki, der seinen Tierhalterpflichten nachgekommen war.

»Wohl wahr. Du weißt aber, daß ich DIESES Wort nicht hören möchte.«

»Jaaahh, tschuldigung. Klaus heißt der Mann, der die Pfannkuchen macht«, erklärte Nikki schnell.

»Und Pizza ißt du nur bei Jenny. Richtig?«

Jan hatte den Verdacht, daß Nikki von seiner Mutter zu sehr verwöhnt wurde. Das war ja bekanntlich häufig bei berufstätigen Müttern der Fall.

»Mmh«, bestätigte Nikki vollmundig.

»Na, vielleicht schau ich später auch bei Klaus vorbei und probier die Eierpfannkuchen«, sagte Jan vage.

Er wuschelte Nikki durch das Haar und ging zur Wohnungstür. Im Vorbeigehen strich er Veras Wirbelsäule entlang. Sie folgte ihm mit einem komischen Gefühl in der Magengrube zur Tür. Das war doch hoffentlich kein One-Night-Stand gewesen? Doch der leidenschaftliche Kuß, mit dem er sich von ihr verabschiedete, beruhigte sie etwas.

»Bis später dann.« Mehr sagte sie nicht aus Angst, ihre Stimme könnte zittern.

»Bis dann«, antwortete er und zog die Tür hinter sich ins Schloß.

Wunderbar, Vera. Das hast du nun davon. Wenn der dich jetzt für leicht zu haben hält, hast du selbst schuld. Welche vernünftige Frau geht schon gleich am ersten Abend mit ihrem Ex-Gynäkologen ins Bett? Ich frage dich, Vera, welche Frau tut so was? Du mußt bescheuert sein!

Ihre Gedanken überschlugen sich. Wenigstens hätte sie ihm einen Orgasmus vorspielen können. Nicht einmal das hatte sie getan. Nein, sie hatte mal wieder die emanzipierte, sexuell freie, alleinerziehende Mutter und erfolgreiche Geschäftsfrau abgeben müssen. Als wäre sie nicht schon oft genug damit auf die Schnauze gefallen. In komischer Verzweiflung trommelte Vera mit den Fäusten auf den Eßtresen. Dabei quietschte sie gepreßt und schnaubte wütend.

»Toll, Mami! Mach das noch mal«, gluckste Nikki.

Später telefonierte Vera mit Chantal.

»Du mußt unbedingt in die Karten schauen. Was steht da für mich in bezug auf meinen Ex-Gynäkologen?«

»Deinen ex-was? Hast du Gynäkologe gesagt? Sagmal, spinnst du? Es ist gerade zehn vorbei. Hast du überhaupt eine Ahnung, wann ich ins Bett gekommen bin? Um fünf. Ich kann jetzt nicht die Karten legen. Ich würde sie nicht einmal finden. Außerdem solltest du langsam wissen, daß das per Telefon auch nur mit deiner Hilfe möglich ist. « Hier war ein herzhaftes Gähnen und Recken zu hören. »Ooch, Mensch Vera. Es ist Samstag, und ich wollte mal ausschlafen.«

»Was soll das? Du kannst doch jeden Tag ausschlafen, dir deine Kundschaft ins Haus bestellen, wann du willst. Daß du meistens erst nach sechzehn Uhr den Damen die Karten legst und nur montags und donnerstags zwischen zehn und zwölf telefonisch für so arme Teufel wie Manager, Prokuristen und andere leitende Angestellte zu sprechen bist, denen du die Entscheidungen via Tarot abnimmst, weiß ich. Aber dies hier ist deine Privatleitung, und hier spricht deine beste Freundin! Ich leg jetzt auf, und du hast genau eine halbe Stunde, dir 'nen Kaffee zu kochen und die Karten aus dem Seidentuch zu wickeln. Dann stehe ich mit Nikki vor deiner Tür. Bis gleich.«

Stöhnend rollte Chantal sich aus dem Bett, schlüpfte in ihre blauroten Chinapantoffeln und schlurfte mit halbgeschlossenen Augen in die Küche. Während sie Teewasser aufsetzte, beobachtete sie Ivo, der seine morgendliche Runde durch den Garten machte und dabei, beinhebend, seine Markierungen auffrischte.

Chantal wohnte erst seit kurzem in der kleinen Fachwerkkate mit dem tief herabgezogenen Reetdach, unter dem es nachts raschelte und pfiff. Daran mußte sie sich erst gewöhnen. Nachdem sie sich von Thomas getrennt hatte, lebte sie mehrere Monate in ihrem Wohnmobil, mit dem sie in Europa herumgegondelt war. Portugal und Spanien hatten es ihr am meisten angetan. Und wenn sie jetzt daran zurückdachte, fiel ihr auf, daß es sie immer wieder an rauhe Küstenflecken gezogen hatte. Mit dem Wohnmobil war sie unabhängig und stöberte am liebsten verschlafene Dörfer auf. Dort versuchte sie dann, mit den Alten des Ortes ins Gespräch zu kommen, was oft nicht nur wegen der Sprachbarriere sehr schwierig war. Wenn es ihr aber gelang, das Mißtrauen, das man der alleinreisenden jungen Frau entgegenbrachte, zu überwinden, wurde sie manchmal sogar herzlich in die Familie eingeladen. Von den alten Frauen aus rauhen und armen Landstrichen gab es viel zu lernen, und es gab viel zu beobachten. Von Kochrezepten über Salben, Kräuter und Heilmitteln. Es war keine Frage, woran Chantal am meisten interessiert war …

Eine aufregende Zeit, an die sie gern zurückdachte. Obwohl das Leben im Reetdachhäuschen sehr angenehm sein konnte, spürte sie doch immer wieder das Fernweh.

Die alte Waltraud Schirmacher war probeweise zu ihrer Tochter nach Hamburg gezogen und hatte Chantal gebeten, in der Zwischenzeit auf ihr kleines Häuschen achtzugeben. Chantal zahlte eine so niedrige Miete, daß sie in den ersten Wochen starke Gewissensbisse plagten. Sie hatte Waltraud Schirmacher zugesagt, daß sie jederzeit in ihr Haus zurückkommen konnte, wenn es ihr bei der Tochter und dem Schwiegersohn nicht gefiel, und sich bereit erklärt, sie dann zu versorgen. Ausschlaggebend für die Absprache war, daß Chantal freudig einwilligte, Ivo, den sechsjährigen Colliemischling von Frau Schirmacher, zu betreuen, während sie in der Kate wohnte. An ihn hatte sich Chantal mehr gewöhnt als an das seßhafte Leben.

Die Möglichkeit, daß es ihr in Hamburg nicht gefallen würde, war laut Waltraut Schirmacher durchaus gegeben.

»Mien Kinner? Och, mien Deern! De luert doch blots op mienen Doot, dormit se duchtig wat arven können. De köönt dat ja kuum noch aftöven, dat sie dat Huus kriegt. Se denkt, ehr Mudder is ooit und tüdelig, un so dummerhaftig, dat se dat nich markt. Wat schaad, dat ik dat denn nich mehr sehn kann, wo dummerhaftig se all ut de Wasch kiekt, wenn dat Testament vörleest warrt.«

Die Karten sagten, daß Waltraud Schirmacher zurückkommen würde. Irgend etwas würde aber mit dem Haus geschehen. Chantal hatte das Gefühl, sie würden später nicht mehr beide in der alten Kate wohnen. Aber wo dann? Die Antwort darauf hatte sie noch nicht finden können.

Nach der kurzen Katzenwäsche setzte Chantal sich mit einem Becher Kräutertee auf die niedrige Fensterbank in der Küche, nippte hin und wieder an ihrer Tasse und ließ den vergangenen Abend, und besser noch, die vergangene Nacht Revue passieren.

Uwe Schäfer war ihr unverhofft im »Trucks« über den Weg gelaufen. An seinem Arm hing das Blondchen, das jetzt tagsüber in seinem Vorzimmer saß und nachts mit ihm das Bett teilte. Genau diesen Job hatte Chantal vor langer Zeit auch mal gemacht. Bevor Uwe Schäfer durch seine Sekretärin deren Freundin Vera kennenlernte.

Männer konnten manchmal wirklich einfallslos sein. Vor Vera hatte er es mit seiner Sekretärin getrieben, und nach Vera trieb er es wieder mit seiner Sekretärin. Die erste, die auch für die Organisation seiner Nächte zuständig wurde, hatte damals Chantal Lazarre geheißen.

Die Sache damals zwischen Uwe und Vera hatte ihr ganz schön zu schaffen gemacht. Sie hatte nämlich da noch geglaubt, ihren Chef zu lieben. Für immer und auf ewig. Aber diese Zeitbegriffe waren auch nicht mehr das, was sie mal waren.

Nein, es war nicht wirklich die Liebesgeschichte zwischen ihrer Freundin und ihrem Chef-Lover gewesen, die ihr zu schaffen machte, es war die Art, wie Uwe sich ihr gegenüber verhalten hatte. Wie er jeder Aussprache auswich, wie er sie plötzlich nur noch im übertrieben geschäftlichen Ton ansprach. Das Kichern der Kolleginnen am Schalter, die hinter ihrem Rücken lachten und flüsterten, machte sie wütend. Sie kam sich hilflos und ausgenutzt vor. Uwe war so ein verdammtes Arschloch. Vera würde schon sehen, was sie an ihm hatte.

Dann dauerte es gar nicht mehr lange, bis Chantal Uwe zuvorkam und kündigte. Sie hatte noch Urlaub zu bekommen und ließ sich krankschreiben, um ihn nicht mehr sehen zu müssen. Die Wunde saß zu tief. Wer konnte sagen, was sie ihm angetan hätte, wäre sie noch einmal mit ihm allein in einem Raum gewesen?

Doch er geisterte noch lange durch ihre Träume. Von ihrer Liebe zu ihm war nichts mehr übriggeblieben. Seine Briefe hatte sie zu einem Häufchen Asche verbrannt, die sie in einer Schüssel mit Kräutern, zermahlenen Edelsteinsplittern und einigen Tropfen Öl mischte. Was war es gleich noch gewesen, was sie mit in die Paste gerührt hatte, die sie in einer Vollmondnacht in ein Leinensäckchen füllte und unter seinem Bürofenster vergrub?

Von Vera erfuhr sie dann, daß doch nicht alles spurlos an Uwe vorübergegangen war. Nach der Trennung von Chantal bekam er eine Nierenentzündung, einen eitrigen Abzeß am Hals, der operiert werden mußte, außerdem plagte ihn wochenlang eine chronische Erkältung, die sehr viel später von einem erfahrenen Spezialisten in fünfzehn bis zwanzig seltene Allergien aufgeschlüsselt wurde. Vera hatte mit der Sorge um ihren Uwe alle Hände voll zu tun.

Gestern nacht stand also dieser Uwe Schäfer vor ihr und tönte: »Liebste Chantal, wie schön, dich mal wieder zu sehen. Wie geht’s dir denn? Gut schaust du aus.« Dieser Typ war echt grauenhaft. Und mit dem hatte sie mal … Uuaah. Sie schüttelte sich heftig, so daß der Rest lauwarmer Kräutertee auf ihren Kimono spritzte. »Ooh, nein! Verdammter Mist!« Wütend sprang Chantal von der Fensterbank und riß sich auf dem Weg ins Bad den Kimono vom Leib.

Noch bevor der Sportwagen röhrend in die kleine Sackgasse einbog, in der die Reetdachkate stand, und bevor Ivo anschlug, spürte Chantal Vera kommen.

Die Karten lagen bereit auf dem Tisch.

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