Читать книгу Gesternland - Antje Maria T. Frings - Страница 5
3.Expat-Enklave: Arabian Ranches
Оглавление„Ich hätte fast nicht mehr mit Dir gerechnet“, ruft Nina von ihrem Liegestuhl und beobachtet wie Nadja blitzschnell mit einem Fuß die massive Tür zum Pool vor dem Zufallen bewahrt und sich seitwärts in voller Größe und mit eingezogenem Bauch dagegen presst. Zwei Jungs drängeln sich an ihrer sperrigen Umhängetasche und einem aufgeblasenen Schwimmtier vorbei und rennen zum Planschbecken.
„Noch habe ich es nicht geschafft.“ Nadja lacht. „Du könntest mir ja mal helfen!“
In zackigem Gang kommt Nina auf sie zu, durchtrainiert und athletisch. Ihr Körper hat seine Turner-Vergangenheit nicht vergessen. Im selben Moment ertönt erst ein Platschen, dann ein Schrei. Alexander scheint konzentriert abzuwägen, ob er es mit seiner kurzen Hose noch eine weitere Stufe tiefer ins Wasser des Planschbeckens wagen kann und reicht seinem Bruder schließlich die Hand. Fred lässt sich lachend zum Rand ziehen und setzt sich klitschnass auf eine Stufe. Bevor der Lifeguard am anderen Ende des Schwimmerpools überhaupt etwas bemerkt, ist Nadja bei ihren Kindern. Fred schlägt abwechselnd die Füße auf die Wasseroberfläche des knietiefen Beckens und johlt, wenn die Spritzer Alexander erreichen. Vorwurfsvoll schaut Alexander seine Mutter an. „Ab jetzt passe ich nicht mehr auf“, und läuft zum Ausgang zurück. Nadja streckt ihren Hals und sieht Alexanders Freund Fin an der Tür stehen und Alexander zu sich winken. Sie nickt, hockt sich neben Fred und lässt sich bespritzen. Fred gluckst vor Vergnügen, reißt seine wenigen Klamotten herunter und springt ins Becken zurück.
„Nein, erst eine Badehose anziehen. Komm wieder raus, Fred.“ Noch während sie spricht geht sie zu ihrer hektisch abgeworfenen Badetasche und kramt nach passenden Badesachen. „Muss doch hier irgendwo drin sein“, murmelt sie. Während sie sucht, planscht Fred vergnügt im Becken und quietscht vor Freude. „Was ist eigentlich dabei, einen kleinen Jungen nackt planschen zu lassen? Der geht schon auf Klo, wenn er muss. Aber nun gut…“. Nadja schimpft vor sich hin und sucht immer noch nach einer Badehose. „Ein bisschen eng vielleicht…mittlerweile“, brummelt sie, zieht eine Badeshorts hervor und legt sie auf die Steinfliesen. Aufgerichtet zeigt sie mit dem Finger auf den Boden. „Fred, anziehen!“. Sie schwingt den Taschenhenkel über ihre Schulter und steuert auf die freie Liege zu, die Nina gerade dichter an ihre rückt. Nadja setzt sich. „So, der Nachmittag kann beginnen.“
Nina nickt mit dem Kopf zum Planschbecken. „Ungewohntes Bild, übrigens.“
„Dass er nackt in den Pool springt?“
„Dass er sich selbst anzieht.“
„Ich bitte Dich, er ist vier Jahre alt“, murmelt Nadja. „Nur weil andere von ihren Maids angezogen werden...." Sie schüttelt den Kopf.
„Hi. Fred is all right?“ Der Lifeguard steht etwas unschlüssig vor ihnen.
„Because of his jump into the water half an hour ago you mean? You’re the lifeguard on duty today?” Herausfordernd grinst Nadja ihn an. „Hi Mohamad, how’re you? How’s your everyday life here without the most welcome family?“
„Al-Hamdu’lillah, thank you, kullu tamam – everything is fine.“ Nadja zieht ein Badelaken aus ihrem Korb, zieht ihr Trägerkleid über den Kopf und macht es sich auf der Liege bequem. Mohamad schaut erst auf den Fliesenboden, dann in die Bougainville-Büsche hinter dem schmiedeeisernen Zaun, nickt schließlich Nina und Nadja zu und verdrückt sich an seinen Platz unter dem verblichenen Sonnenschirm.
Nina schaut hinterher. „Ist irgendwie auch ätzend den ganzen Tag hier in der Hitze am Pool.”
„Fünfzehn Stunden lang.“
„Wie lange?“
„Der Pool öffnet morgens um halb Acht und schließt abends um halb Elf.“
„Aber da gibt es doch einen Schichtwechsel.“
„Klar und einen Betriebsrat.“
„Wer kann es denn fünfzehn Stunden bei über 45 Grad draußen aushalten?“
„Auf den Baustellen gibt es keine Sonnenschirme.“
„Von seinen Arbeitszeiten wusste ich nichts. Aber ich bin auch nicht so konsequent morgens, mittags und abends am Pool wie Du. Zumindest früher.“ Sie wartet auf eine Reaktion. Aber Nadja döst. Nach einer Weile fragt sie schläfrig, „bist Du heute eigentlich schon geschwommen?“
„Halbherzig. War so voll als ich kam… Naja, und auch heiß. Also eher heiß als voll.“ Sie lacht und fährt fort, „tatsächlich war nur die disziplinierte Italienerin im Pool und zog eisern in sengender Hitze ihre Bahnen. Mindestens vierzig.“
„Die, die sich mal über Mohamads Beten am Pool beschwert hat?“
„Die Story kenn‘ ich gar nicht.“
„Echt nicht? Mohamad hat früher immer irgendwann seinen Gebetsteppich da hinten am Zaun ausgerollt und gebetet. Und sie hat ihn dann gefragt, ob Gott in der Zeit ein Auge auf die Nichtschwimmer hätte.“
Nina kann sich vor Lachen kaum auf der Liege halten. „Ist aber auch eine berechtigte Frage.“
Nadja grinst. „Klar. Aber es gibt in der fünfzehn- Stunden-Schicht auch keine Pausen. Da fallen dann, lass mich überlegen, Dhur, Asr, Mahgrib und Isha, also bis auf das Sonnenaufgangsgebet eigentlich alle Gebete während seiner Arbeitszeit an.“
Nina bläst ihre Wangen auf und dreht sich um. „Wo sind Fin und Alexander überhaupt?“
Durch die rotblühenden Bougainville und die dahinter beginnende Abtrennung des Tenniscourts sieht sie ihren Sohn einen Tennisball mit der Hand übers Netz schlagen. Auf der gegenüberliegenden Seite erkennt sie Alexander, der den Ball annimmt und zurückschlägt. Nadjas Blick kreist zum Kinderbecken. Fred plantscht zusammen mit einem britischen Jungen unter der Aufsicht einer Maid. Sie dreht sich zu Nina und gibt das Startsignal: „Wir können ungestört schwimmen!“
„Na, dann los.“
Sie haben das Becken fast für sich allein und schwimmen ihre Bahnen. Jede in ihrem Tempo und ohne Gequatsche – so war es immer schon. Mohamad steht am Beckenrand und kommentiert, „good Swim-Style, Nadja!“ Nadja streckt ihren Kopf kurz aus dem Wasser. „Thank you – thanks for having taught me.“
Wieder geht die schwere Tür zum Pool-Bereich auf. Rebecca. Sie ist allein. Ihr dunkles Gesicht und ihr ledriges Dekolleté bezeugen ihre tägliche Beschäftigung: das Chillen am Pool. Sie stellt sich an den Beckenrand. „Nadja! So eine Überraschung! Hattest Du Heimweh?“
„Ich fühle mich, als wäre ich nie weggewesen.“
Nadja schwimmt zur Treppe und setzt sich auf eine der unteren Stufen.
„Wie ist es denn in Mirdif? Habt ihr euch schon eingelebt?“
„Es ist okay. Nicht mit dem Komfort hier zu vergleichen, aber in Ordnung. Das einzige, was echt nervt, ist der Fluglärm. Du kannst Dich auf unserer Einweihungsparty davon überzeugen.“
„Oh cool. Wann denn?“
„Erstes Wochenende im Oktober.
„Ich weiß nicht, ob Stefan dann schon zurück ist, aber mich und meinen Beitrag zum Buffet kannst Du fest einplanen.“
„Gekochtes, Gebackenes oder Eingelegtes von Dir! Eine gesunde Party!“
Rebecca grinst. Sie rutscht eine Stufe tiefer und steckt ihre Füße in das Becken. „Das mit dem Fluglärm sagen ja viele. Aber das verändert sich doch, oder? Das hängt doch mit der Windrichtung zusammen. Dachte ich zumindest.“
„Kann ich mir nicht vorstellen, dass der Wind bei unserer Lage noch etwas ausrichten kann. Die Flieger gehen über unserem Pool runter. Die Jungs finden es super, die Nummern der Emirates-Maschinen lesen zu können. Alexander hat schon mit einer Art Flugtagebuch angefangen.“ Nadja schaut über sich in den blauen, flugzeuglosen Himmel. Alles ist hier größer, freundlicher, angelegter. Vielleicht kultivierter? Mirdif ist dagegen schäbig.
Mohamad schlurft langsam um den Pool und steuert scheinbar zufällig auf sie zu. „Hi Rebecca. How’re you? Where have you been this morning?“
Nadja guckt ihn irritiert an. So viel Vertrautheit. Macht er das absichtlich? Meint er, er könne mich eifersüchtig machen, in dem er sich für die nächste interessiert?“
„Svea had to see the doctor. Nothing serious but it took its time.”
„Svea?“, wiederholt er. „She’s all right, I hope.”
„As I’ve said, nothing serious. Just a check-up.”
Nadja mustert ihn von Kopf bis Fuß. Wieviel Neugier. Was geht es Dich an, welche Töchter hier wann zum Arzt gehen? „Hopefully she’s not pregnant“, wirft Nadja amüsiert ein. Sie grinst, als sie in Mohamads versteinertes Gesicht schaut. Rebecca wirft lachend den Kopf zurück. „Better not. I don’t want to become a Grandma that early!“
Mohamad starrt Nadja einen Moment direkt und trotzdem regungslos an, nickt dann in Rebeccas Richtung und geht weiter.
„Warum reagiert er denn jetzt so beleidigt?“
Nadja zuckt mit den Schultern. „Man muss ihn ja mal konfrontieren dürfen. Mit dieser Scheinheiligkeit, Doppelmoral, Bigotterie….“
„Ach, Du meinst, er ist echauffiert, weil wir ‚keinen Sex vor der Ehe‘ so leichtfertig abtun?“
„Auch. Obwohl ich das durchaus respektiere. Aber diese Maßstäbe sollten für ihn genauso gelten.“
„Habt ihr eigentlich einmal über diesen Vorfall in Sharjah gesprochen?“
Nadja schüttelt den Kopf. „Wir tun beide so, als wäre nie etwas gewesen. Klappt ganz gut, wie man sieht.“
„Er war verwirrt damals, oder? Er konnte deine freundliche Geste nicht von einem unmoralischen Angebot unterscheiden, nicht wahr?“
Nadja zuckt erst mit den Schultern und dreht sich dann zu ihr. „Willst Du seinen versuchten Übergriff etwa entschuldigen?“ Nadja beobachtet Mohamad auf der anderen Seite des Beckens. „Rebecca, eines Tages werde ich ihm noch einmal einen Spiegel vorhalten.“
Nina kommt zu den Treppenstufen geschwommen. „Sag mal, was ist eigentlich mit eurer Einweihungsfeier?“
„Ach ja, da waren wir stehen geblieben. Also, am Freitag in zwei Wochen. Dann wären wir, hoffe ich zumindest, soweit fertig… Ich meine, wenigstens soweit, dass man Gäste einladen kann.“
„Klingt gut, ist notiert. Was können wir mitbringen?“
„Ganz ehrlich, alkoholische Getränke. Wir haben unser Kontingent bei African + Eastern ausgereizt, als Hennis Vater neulich da war.“
Nina lacht. „Ich erinnere mich. Die lieben Schwiegereltern haben den sorgsam angesammelten Wein-Vorrat in kürzester Zeit dezimiert.“
Nadja schüttelt den Kopf. „Als wäre es Traubensaft! Und wir rationieren streng das ganze Jahr. Sparen für besondere Gelegenheiten. Und dann so etwas. Unsere Alkohol-Lizenz setzt uns einen recht strengen Rahmen…bei Hennis Einkommen.“
Rebecca blickt von ihren frisch lackierten roten Fußnägeln auf. „Ist das einkommensabhängig, wie viel man kaufen darf?“
Nadja nickt.
Nina setzt ihre Schwimmbrille ab. „Kein Problem. Jochen kommt bis dahin noch mindestens zweimal am Duty Free vorbei. Das ist ja auch eine Option an Alkohol zu kommen.“
„Dann kann ich über diesen Vertriebsweg auch gleich noch zwei, drei Flaschen Prosecco bei Dir bestellen?“
Nina hält abrupt inne. „A propos Prosecco kaufen, wie spät ist es eigentlich?“ Nina schaut auf ihr Handy und fährt erschrocken zusammen. „Was? Schon dreiviertel sechs? Ich dachte, es wäre höchstens vier Uhr!“
Nadja lacht. „Wie spät ist es eigentlich genau um dreiviertel sechs?“
„Witzig. Ich muss Jochen vom Flughafen abholen. Der kommt aus Doha zurück!“
„Dann kann er gleich die ersten beiden Flaschen mitbringen.“
„Deshalb fiel es mir doch ein!“ Nina springt auf und ruft in Richtung der Tennisplätze ihren Sohn, der nicht antwortet.
„Ich bring ihn Dir nachher rum“, sagt Rebecca.
„Ich trete auch demnächst meine Rückreise nach Mirdif an. Könnte Dir daher anbieten, deinen Mann abzuholen, falls er nicht schon in unserem Pool gelandet ist.“
Nina grinst und wendet sich an Rebecca. „Es wäre hilfreich, wenn Du Fin fährst. Er weiß, wo ein Schlüssel liegt, falls wir noch nicht zurück sind.“ Hektisch stopft sie ihre Badelaken ein und verschwindet mit einem „bis bald dann.“ Sie schüttelt den Kopf und kichert vor sich hin. „Hätte ich doch fast meinen Mann vergessen!“ Bis die Tür mit einem metallischen, dumpfen „Klock“ ins Schloss fällt.
Nadja setzt sich zu ihrem Sohn ins Wasser und begießt ihn mit einem Wasserstrahl aus einem Sandförmchen, das im Pool schwimmt. Fred juchzt. Könnte ich doch auch gleich zu Fuß in unsere Villa zurückgehen. Weiterhin in Nachbarschaft mit Rebecca. Sie taucht ins Wasser ein, saugt Wasser in ihren Mund und zielt es in einem geraden, starken Strahl mitten in Freds Gesicht. Fred schüttet sich aus vor Lachen. Der britische Junge ist mit seiner Maid schon nach Hause gegangen. It’s tea-time.