Читать книгу Katzenjunge - Antje Marschinke - Страница 7

Оглавление

Der Berglöwenrat

Es war die Zeit der kalten Winde und bald würde der Schnee fallen. Kenjo hatte mittlerweile zwei Schneefälle in den Bergen erlebt und die Wurflinge hatten sich zu kräftigen Halbwüchsigen entwickelt. Kenjo wirkte neben ihnen auf den ersten Blick klein und schwach. Doch wer genau hinsah, konnte erkennen, dass der Knabe für sein Alter erstaunlich kräftig und sehnig war. Keine kindliche Rundung war mehr zu erkennen und das Gesicht war schmal, fast hager. Aus seinen Menschenkleidern war er längst herausgewachsen. Miam und Moon hatten lange hin und her überlegt, wie sie den nackten Menschenkörper vor der eisigen Kälte der Nordberge schützen konnten. Irgendwann kam Nuur aus dem Süden mit einem Bündel Felle im Maul angetrabt. Ein Pelzjäger hatte seinen Weg gekreuzt und war schlau genug gewesen, alles stehen und liegen zu lassen, als der Berglöwe sich in voller Größe vor ihm aufgebaut hatte. Moon hatte ihm amüsiert hinterher gesehen. Normalerweise vermied er es, von Menschen gesehen zu werden, doch diese Gelegenheit durfte er sich nicht entgehen lassen. Zwar kam es ihm nicht richtig vor, dass man sich das Fell eines anderen Tieres um den Körper legte, doch war es die einzige Möglichkeit, Kenjo vor der Kälte zu schützen.

Und so schlang sich Kenjo mithilfe der Schnüre, die das Fellbündel zusammengehalten hatten, die Pelze um den Leib. Seine Geschwister rümpften anfangs zwar die Nase, doch bald gewöhnten auch sie sich an die fremden Gerüche. Immerhin hielten diese stinkenden Felle ihren Wurfbruder am Leben.

Noch bevor der nächste Schnee fiel, beschlossen Moon und Miam, die Jungen vor den Rat zu bringen. Sie hatten alle bereits ihre erste Beute erlegt und damit ihr Jagdgeschick unter Beweis gestellt. Nun waren sie soweit, um vor den Rat zu treten und zu Junglöwen ernannt zu werden.

Aber was sollte mit Kenjo geschehen?

Ich werde auch Junglöwe, forderte Kenjo trotzig.

Du bist ein Mensch, wies Moon in zurecht.

Kenjo zog unglücklich den Kopf ein. Er hatte mehr als einmal Moons Tadel in Form von Prankenhieben kennen gelernt und entsprechend Respekt davor. Sein Unglück war deutlich zu spüren und Miam fauchte Moon an.

Er ist zwar Mensch, aber mein Wurfling - und auch deiner. Du selbst hast ihm das Jagen beigebracht, und er ist ein guter Jäger. Er gehört zum Wurf.

Moon brummte.

Der Rat wird ihn abweisen. Er ist ein Mensch. -

Dann soll der Rat es entscheiden!

Also zog die Familie nach Norden. Es war eine lange Wanderung, zumal Kenjo die Reisegeschwindigkeit herabsetzte. Aber daran waren alle gewöhnt. Unentwegt rannte er neben seinen Geschwistern her und mühte sich redlich mitzuhalten.

Es war Moon, der ihn ab und zu zurecht wies und ihn ermahnte, seine Kräfte nicht zu verschwenden.

Nach einer halben Mondphase näherten sie sich ihrem Ziel. Je näher sie ihm kamen, desto deutlicher war zu erkennen, dass sie nicht die einzigen waren, die den Löwenrat zum Ziel hatten. Zunächst waren vereinzelte Rufe, Willkommens- oder auch Drohgebrüll zu hören, dass sich durch die Felsenschluchten fortpflanzte und es unmöglich machte, den genauen Standort des Löwen zu orten. Doch dann trafen sie vermehrt auf die Wanderer. Es waren vielfach Einzelgänger, aber auch Jägertrupps, bestehend aus 2 oder 3 Katzen. Ab und zu kreuzten auch Familien ihren Weg. Miam und Moon beäugten interessiert die fremden Wurflinge und stellten stolz fest, dass ihre Jungen kräftig und gut geraten waren und sich mit Sicherheit gegenüber den anderen Wurflingen behaupten würden.

Kenjo erregte natürlich einiges Aufsehen. Misstrauisch wurde er von allen Seiten beschnuppert und beäugt. Nur wenige waren bereit, mit ihm zu reden. Er konnte aber deutlich spüren, dass seine Nähe ihnen unangenehm war.

Da die anderen Löwen schneller wandern konnten, gelangte die Kunde von dem Menschenkind schon lange vor ihrer Ankunft zum Rat und löste dort heftige Verwirrungen und Streitereien aus.

Als Moon und Miam mit ihrer Familie beim großen Rat eintrafen, lag eine spürbare Spannung in der Luft.

Kenjo fühlte das auch, und sein Mut und sein Trotz verflogen, angesichts der vielen misstrauischen und auch feindseligen Blicke, schnell. Er musste sich sehr zusammennehmen, um sich nicht hilfesuchend an Miam zu klammern. Aber das durfte er nicht. Immerhin wollte er Junglöwe werden und dazu gehörten Mut und Selbständigkeit. Also ballte er die Fäuste und schritt kerzengerade zwischen Nuur und Mier. Mier brummte aufmunternd in seine Richtung.

Keine Sorge, du bist unser Bruder.

Und sie fletschte die Zähne in Richtung eines älteren Löwen, der Kenjo unfreundlich anstarrte.

Der Altlöwe fuhr erst unwillkürlich zurück, aber dann trat er mit einem empörten Knurren vor. Mier quiekte erschrocken und sträubte die Nackenhaare. Moon und Miam drehten sich um und beobachteten das Geschehen mit gemischten Gefühlen. Mier war alt genug um zu wissen, dass man einem Altlöwen nicht respektlos gegenübertrat. Und zu einem Junglöwen gehörte auch, dass er sich an gewisse Regeln hielt.

Kenjo sah erschrocken zu, wie Mier sich ängstlich duckte und den Altlöwen anfauchte. Dieser sprang immer noch empört mit weit aufgerissenem Maul auf sie zu. Kenjo überlegte nicht lange und stellte sich vor Mier, seinen Stock fest in den Händen. Nuur war sofort neben ihm und auch Murr stellte sich dazu. Gemeinsam fauchten sie den Altlöwen an. Dieser stoppte verblüfft seinen Angriff und betrachtete mit schräg gelegtem Kopf das ungewöhnliche Bild. Schließlich stieß Moon ein tadelndes Gebrüll aus. Sofort kehrte Ruhe ein. Die Wurflinge duckten sich und zogen den Schwanz ein. Auch Kenjo zog den Kopf zwischen die Schultern und senkte den Blick.

Der Altlöwe trat nahe zu ihm heran und stieß ihm sein breites Maul ins Gesicht.

Du bist mutig, dachte er nur. Danach berührte er Miers Schnauze.

Und du bist ungezogen.

Dann schritt er würdevoll davon. Die jungen Löwen und Kenjo sahen ihm erleichtert hinterher. Dann blickten sie reumütig zu Moon. Dieser war sichtlich verärgert, aber auch er war froh, dass der Altlöwe nicht unbesonnen reagiert hatte. Mit einem auffordernden Knurren drehte er sich um und führte seine Familie weiter.

Der Löwenrat fand immer in der Zeit der kalten Winde statt. Hier trafen sich Familien und Einzelgänger, um Informationen auszutauschen und paarungswillige Gefährten zu finden. Das Volk der Berglöwen war nicht sehr groß und umfasste nur wenige hundert Individuen, die sich weit im Nordgebirge verteilten. Daher war die Chance, in der Wildnis auf einen ansprechenden Partner zu treffen, sehr gering, und die Familien standen alleine gegen Gefahren, Krankheiten und Hunger. Entsprechend groß war der Verlust an Wurflingen, und Moon und Miam waren mit Recht stolz über ihren Wurf.

Der Rat beschloss, ob ein Wurfling überlebensfähig war und somit ein Junglöwe werden durfte. Für gewöhnlich war das kein Problem. Schwächliche Wurflinge starben bereits in den ersten beiden Lebensjahren. Aber es kam manchmal vor, dass ein Wurfling sich nicht an die Regeln hielt und schon in jungen Jahren Unfrieden verbreitete. Meistens wurde ihm bis zum nächsten Rat eine Chance zur Besserung gewährt. In diesem Jahr ruhte seine Ausbildung und der Wurfling musste sich in einer fremden Familie bewähren. War er unverbesserlich, bedeutete dies den Ausschluss aus der Gemeinschaft und der Familie - und damit normalerweise den Tod. Selten überlebte ein Ausgeschlossener die Verbannung. Zwar waren die riesigen Katzen vom Naturell her eher Einzelgänger, doch die Nordberge waren so unwirtlich und lebensfeindlich, dass die Löwen sich gerne zu zweit oder auch zu dritt zusammenschlossen, um gemeinsam zu jagen. Unausgebildete Jungtiere hatten kaum eine Chance, sich alleine zu behaupten. Waren die Wurflinge aber als Junglöwen akzeptiert, so konnten sie sich als Jäger beweisen und erlangten damit die Fähigkeit, eine Familie zu ernähren.

Als Moons Familie eintraf tagte der Löwenrat bereits seit einiger Zeit. Er folgte keinem strengen Ablauf. Wer ankam, trug sofort sein Anliegen vor. Und so führten auch Moon und Miam ihre Wurflinge gleich in den Ring der Ältesten.

Zehn alte Löwen mit dichter Silbermähne bildeten einen großen Kreis und warteten bereits auf sie.

Moon lenkte die Wurflinge und Kenjo in die Mitte. Miam blieb dicht an seiner Seite.

Gruß den Ältesten, begann Moon. Dies sind unsere Wurflinge. Sie sind bereit, Junglöwen zu werden -.

Gruß an Moon und Miam, antwortete einer der Altlöwen. Wir haben euch bereits erwartet. Eure Ankunft wurde uns angekündigt. Ihr habt einen ungewöhnlichen Wurf und ihr werdet erklären.

Moon neigte zustimmend sein Haupt und begann.

Es war eine lange Erzählung ohne Worte, aber mit vielen Bildern und Gefühlen. Moon berichtete von seinen Wurflingen, von Kenjos Fund und seiner Entwicklung, seinem Wesen und seinem Jagdvermögen. Es war eine Erzählung in der kein Falsch sein konnte, denn Gefühle können nicht lügen.

Die Ältesten lauschten und ebenso viele andere, die auf dieses Zusammentreffen schon einige Tage gewartet hatten.

Kenjo hockte unbehaglich zwischen seinen Geschwistern, und versuchte bei den anderen Löwen Zustimmung zu erkennen. Aber die meisten hielten ihren Geist von ihm abgeschirmt. Der Junge gab sich alle Mühe, seine aufsteigende Unsicherheit nicht zu zeigen. Er war sehr froh, dass er zwischen seinen Geschwistern hockte und nicht alleine den Blicken der Löwen ausgesetzt war. Die Zeit, die Moon mit seinem Bericht verbrachte, dehnte sich für Kenjo in eine kaum zu ertragende Länge.

Als Moon geendet hatte, herrschte einige Zeit nachdenkliche Stille, in der Kenjo ausgiebig taxiert wurde.

Endlich begann der Älteste:

Noch nie lebte ein Mensch unter dem Berglöwenvolk. Mensch und Berglöwe sind nicht unbedingt verfeindet, aber sie gehen sich aus dem Weg. Ein jeder kann dem Anderen gefährlich werden und wir verstehen einander nicht. Warum wird euer Menschen-Wurfling keinen Unfrieden stiften? -

Er hat unsere Sprache gelernt und unsere Sitten und Gebräuche, erwiderte Moon.

Er ist ein guter Jäger, sagte Miam.

Er ist mutig, kam ein überraschender Einwurf. Es war der Altlöwe, der Mier getadelt hatte. Er hockte ebenfalls im Hintergrund.

Wieder trat Stille ein und die Ältesten berieten sich. Die Entscheidung war schnell gefällt.

Eure Fürsprache wird akzeptiert. Aber ein Menschen-Wurfling ist neu. Er muss sich beweisen und im nächsten Jahr wieder vor den Rat treten. Ein Altlöwe soll ihn unterweisen. Wer wird es sein?

Als niemand sich meldete, trat der Altlöwe, der für Kenjo gesprochen hatte, vor.

Noorm wird es sein.

Kenjo blickte eingeschüchtert zu dem Altlöwen hoch.

Noorm war ein prächtiger Löwe. Er war um einige Jahre älter als Moon, und seine Mähne zeigte bereits Silberhaare. Aber er war noch stark und gewandt. Jetzt sah er mit ernsten Augen auf Kenjo herunter.

Du kommst mit mir.

Dann drehte er sich um und ging.

Kenjo hockte wie erstarrt auf dem Boden. Mit einem fremden Löwen gehen? Jetzt sofort?

Moon stieß ihn auffordernd gegen die Schulter.

Geh, befahl er. Hastig rappelte der Junge sich auf und eilte dem Altlöwen hinterher. In seiner Eile vergaß er jeden Abschied, aber da seine Verwirrung offen erkennbar war, nahm niemand ihm diese Unhöflichkeit übel.

Katzenjunge

Подняться наверх