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Aarons erster Schultag

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Die Sonne war gerade über dem Meer aufgegangen und verlor sich in einem leichten morgendlichen Dunst von einigen Schleierwolken, die am Himmel entlang zogen. Ein prächtiges Farbspiel tauchte das Meer in ein geheimnisvolles Licht und ließ es verlockend glitzern. An einem solchen Morgen würde Paul normalerweise gleich nach dem Aufwachen an den Strand herunterfahren und, noch bevor andere Urlauber kamen, auf den Wellen reiten, zwischen Himmel und Wasser, dort, wo er sich am wohlsten fühlte, seine Sprünge üben. Es kribbelte in seinen Fingern unter der heißen Kaffeetasse, aber er bezwang sein Verlangen. Er musste Aaron aufwecken, er musste ihn zu seinem ersten Schultag bringen, kurz: er musste ein guter Daddy sein.

Gestern hatte Marie Aaron bei Paul abgegeben. Auch wenn Marie der Abschied merklich schwer von Aaron fiel, war die Unterhaltung zwischen ihr und Paul kurz und einsilbig ausgefallen. Marie war immer noch wütend auf Paul, dass er sie damals verlassen hatte und beschränkte die Unterhaltung mit ihm immer aufs Nötigste, wenn sie Aaron bei ihm ablieferte.

Marie sah fantastisch aus, die Geburt eines Kindes hatte keine Spuren an ihrem wohlgeformten Körper hinterlassen. Nur ihr Blick, der war seltsam hart geworden – es konnte jedoch auch daran liegen, dass Marie sich die eigentlich blonden Haaren schwarz gefärbt hatte, was sie blasser erschienen lies. Auch schminkte sie sich zu stark, wie Paul fand – es gab einen harten Kontrast zwischen ihrem puppenhaften Gesicht und den mausgrauen Kostümen, die sie aufgrund ihrer Arbeit als Managerin in einem international agierenden Unternehmen immer öfter trug. Fast gestresst hatte sie Aaron auf die Stirn geküsst, ihm „sei ein braver Junge“, zugeflüstert und dann Paul an die Hand gegeben, bevor sie mit ihrem silbrigen und sportlich geschnittenem BMW abgefahren war, wie immer zu schnell. Aaron schien allerdings das Neue seiner Lage nicht ganz zu begreifen – er verbrachte gerne die Tage bei seinem Daddy, allerdings war es für ihn immer Urlaub gewesen und nie hatte er in den Kinderhort gemusst. Daher war seine Verwunderung deutlich zu spüren, als Paul ihn sanft an der Schulter anfasste, um ihn aus seinen Jungenträumen zu wecken.

„Aaron komm, du musst aufstehen“, sagte er mit weicher Stimme, „hast du vergessen, dass heute dein erster Schultag ist?“

Es war ihm nicht leicht gefallen, den Sohn aus seinen Träumen zu reißen – auch er war als Kind gerne lange im Bett gelegen, obwohl er sonst schon immer den Tag gerne draußen gespielt und am Meer verbracht hatte. Das frühe Aufstehen war ihm erst mit der Zeit leichter gefallen. In diesem Verhalten erkannte er sich in Aaron wieder, der ansonsten eine interessante Mischung aus seiner Mutter und seinem Vater geworden war. Das blonde wuschelige Haar hatte er ganz klar von Marie, auch wenn sie es jetzt schwarz trug – die mandelfarbenen Augen waren dagegen Pauls. Paul konnte sich nie an der Schönheit des Jungen sattsehen, vor allem wenn dieser ruhig schlief, und er konnte nicht glauben, dass Marie und er so etwas Schönes zustande gebracht hatten. Aber sie waren auch sehr verliebt gewesen und erst schleichend, nach der Geburt von Paul, war ihr Glück gebröckelt. Für Marie war es nicht hinnehmbar gewesen, dass für Paul sein Sport das Ein und Alles war, auch wichtiger als seine Familie, wie es schien. Dabei konnte sie nicht ahnen, wie sehr Paul Aaron liebte – für ihn hätte er vielleicht sogar seinen Sport aufgegeben, allerdings war er froh, nun nicht mehr vor diese Entscheidung gestellt zu sein.

„Morgen“, murmelte Aaron verschlafen und streckte sich. Er blinzelte lange, bevor seine schönen braunen Augen neugierig in die Welt blickten, und richtete sich auf, „bekomme ich einen heißen Kakao, Daddy?“

„Alles, was du willst, mein Schatz.“ Paul ging wieder nach unten und bereitete das Frühstück für seinen Sohn vor. Dessen Kleider für den ersten Schultag – ein bunt geringeltes T-Shirt, eine blaue Strickjacke, dazu eine beige sommerliche Hose – hatte er ihm schon am Tag zuvor rausgelegt. „Brauchst du Hilfe beim Anziehen, Schatz?“, rief er nach oben, ein trotzig-kindliches „Natürlich nicht!“, antwortete ihm. Aaron war erst sechs Jahre alt, trotzdem bestand er auf seine Selbstständigkeit. Einen Moment später kam Aaron nach unten. Das T-Shirt hatte er verkehrt herum angezogen, Paul lachte und half ihm, es zu wenden. Dann bürstete er ihm kurz über die Haare, er tat es ungeschickt und Aaron jammerte ein wenig. In solchen Momenten wünschte sich Paul tatsächlich eine Frau oder zumindest eine Freundin, die diese Dinge sicherlich lieber tun würde als er. Aber so war es nun mal, wenn man Mummy und Daddy gleichzeitig sein musste. Dann servierte er Aaron den heißen Kakao, dazu Cornflakes und Milch. „Nimm einen Apfel, Aaron“, sagte er, aber Aaron schüttelte den Kopf. Paul seufzte, schnitt ihm den Apfel in mundgerechte Stücke und legte es zu dem Pausenbrot, das er für Aaron vorbereitet hatte.

Das Hupen und der Lärm der Autos ließ Susann wie öfter früh aufwachen. Sie hatte die Augusthitze nicht länger ertragen und schlief daher in der Nacht bei geöffnetem Fenster, obwohl sie an einer Hauptverkehrsstraße im Zentrum Guidels wohnte. Das Gebäude, in dem sich ihre Wohnung befand, war schön, aber äußerst renovierungsbedürftig und schnell stand Susann auf, um barfuß über die gesplitterten nackten Kacheln zu laufen, die Vorhänge zurückzuziehen und das Fenster zu schließen. Draußen tönte, trotz der frühen Uhrzeit, das alltägliche Leben der Kleinstadt.

Susann tappte weiter über den Fußboden hin zu ihrer Anrichte, auf dem neben geerbten Schmucksachen auch der große verzierte Spiegel stand, den sie ebenfalls von ihrer Großmutter geerbt hatte, nebst einem Foto der im letzten Herbst verstorbenen alten Dame. Susann hatte ihre Großmutter sehr gern gehabt, sie war nach dem tödlichen Autounfall ihrer Eltern bei ihr aufgewachsen. Die alte Dame hatte auch den klaren Blick und die Meeresaugen an ihre Enkelin weitervererbt, aber mit dem Schmuck und dem Spiegel waren das die einzigen Hinterlassenschaften gewesen. Die Großmutter hatte zeit ihres Lebens hart in einem Gemüse- und Obstladen gearbeitet – die Rente war trotzdem gering ausgefallen. Umso wichtiger war es ihr gewesen, der Enkelin eine gute Ausbildung zu ermöglichen, damit sie den Beruf ihrer Träume ergreifen konnte: Grundschullehrerin. „Danke, Granny“, flüsterte Susann wie jeden Morgen dem golden eingerahmten Bild zu und berührte die verblichene Fotografie sanft mit ihren Fingern. Dann galt es sich zu beeilen: Heute würde Susann ihre neue Klasse bekommen, 20 ABC-Schützen, und sie wollte trotz des allmorgendlichen Staus überpünktlich in der école elementaire de Guidel auftauchen. Sie zog sich ihr weißes leicht durchscheinendes Spitzennachthemd über den Kopf und lief zum Bad, um sich kurz kalt abzubrausen. Die Geräusche von der Straße drangen bis in die Dusche und sie machte das Radio an, um sich von dem morgendlichen Lärm abzulenken und noch kurz entspannen zu können.

Wieder zurück im Schlafzimmer wählte sie aus einem alten Eichenholzschrank ein bunt geblümtes Kleid für den Tag aus, ihr Lieblingskleid. Sie wollte für ihre jungen Schüler freundlich aussehen, vertrauenserweckend. „Manchmal kommt es mir vor, als würdest du dich nur für deine Schüler schön machen wollen und für niemanden sonst“, hatte Kathleen Susann manchmal geneckt.

Damit hatte Kathleen nicht ganz unrecht; Susann war extrem wählerisch mit ihren Dates, nur selten rang sie sich dazu durch, einen Mann zu treffen und dann waren diese Treffen fast immer ein Reinfall. Susann war nun 27 Jahre alt und stand in der Blüte ihrer Schönheit; wenn sie früher mit ihrer Großmutter Kaffeetrinken gegangen war, in einem der zahllosen Kaffees an der Promenade Guidels, dann hatte die alte Dame mit einem weinenden und einem lachenden Auge Susanns Schönheit bewundert:

„Du bist so schön, Kind, und hast immer noch keinen Mann! Es ist wirklich eine Schande.“

Susann kamen die Tränen, wenn sie an diese Klage ihrer geliebten Granny dachte – zu gerne hätte sie ihr ihren letzten Wunsch erfüllt und noch zu deren Lebzeit geheiratet! Aber dafür war es nun zu spät. Susann berührte noch einmal zum Abschied das Bild der Großmutter, ehe sie ihre braune Ledertasche über die Schultern schwang, in die rosa Ballerinas schlüpfte und die Tür mit einem so lauten Krachen hinter sich zuwarf, dass die alte Madame Sagnet, ihre Nachbarin, die gerade die Treppen putzte, erschrocken zusammenzuckte. Susann entschuldigte sich höflich, wünschte noch einen schönen Tag und lief leichtfüßig die Treppe herunter, vorbei an der immer noch verdutzten Madame Sagnet, die den Putzlumpen weiterhin in der Hand hielt.

„Ihnen auch einen schönen Tag, Mademoiselle Dumont“, krächzte sie etwas heiser hinterher und lächelte angesichts des schönen Anblicks, aber Susann hörte schon nicht mehr.

„Hast du alles?“, fragte Paul Aaron und wuschelte ihm kurz durch die Haare, ehe ihm einfiel, dass er damit Aaarons so schwer kämmbaren Schopf wieder durcheinanderbrachte.

„Ja, ich glaube schon.“

„Pausenbrot?“

„Ist eingepackt.“

„Na, dann fahren wir.“

Paul rangierte seinen chromfarbenen Landrover sachte aus der Garage und bedeutete Aaron zur Feier des Tages vorne einzusteigen. Normalerweise hätte er ihn auf den Rücksitz verfrachtet, aber dies war ein besonderer Tag für Aaron und Paul fand, dass er dafür angemessen belohnt sein sollte. Das ließ sich der Junge nicht zweimal sagen. Paul musste ihm zwar helfen, die schwere Tür des Landrovers aufzustemmen, aber dann krabbelte der Junge begeistert die großen Stufen alleine hoch und ließ sich glücklich in den Ledersitz sinken.

„Boah, ist das hier alles weit oben!“, staunte Aaron, während Paul ihm beim Anschnallen half. Dann fuhren sie schnell den Schotterweg, der zu Pauls Maisonette führte, herab; Paul nahm dabei extra schnittig die Kurven, so dass Aaron vor Vergnügen quietschte. Einmal in der Stadt angekommen, drosselte Paul das Tempo; es war der allmorgendliche Stau, Stress und Hektik herrschte und die Autos standen fast oder kamen nur im Schritttempo voran. Passanten hasteten mit Einkaufstüten oder Aktentaschen beladen durch die Lücken zwischen den Wagen.

Putain“, fluchte Paul, „die müssen wirklich mal diese Umgehungsstraße bauen.“ Aaron sah ihn mit großen Augen an.

„Mummy hat gesagt, dass man nicht fluchen soll.“

„Soll man auch nicht, Aaron“, versuchte sich Paul vor seinem Sohn zu verteidigen, „aber guck dir doch mal diesen Drecksstau da an! Da kann man doch nicht anders, das ist doch scheiße!“

Als Paul bemerkte, wie viel er allein in den letzten zwei Sätzen geflucht hatte, schwieg er erst erschrocken und begann dann, schallend zu lachen. Aaron lachte mit und Paul konnte nicht umhin, ihm noch einmal durchs Haar zu wuscheln, so dass seine ordentliche Frisur jetzt endgültig dahin war. „Mach das bloß nicht wie dein Daddy!“

„Mach ich nicht, Putain!

„Und vor allem nicht in der Schule! Vor der Lehrerin, hörst du?“

Aaron schüttelte den Kopf und grinste dabei.

Auch Susann war mittlerweile bei ihrem Peugeot angekommen und rangierte nun geschickt aus der viel zu kleinen Parklücke heraus. Monsieur Dechard, ein schnauzbärtiger Kioskverkäufer, bei dem sie manchmal die Zeitung holte, schloss gerade seinen nahegelegenen Kiosk auf.

Bonjour, Mademoiselle Dumont!“, rief er ihr fröhlich zu und winkte heftig. Susann winkte über das geöffnete Autofenster freundlich zurück, ehe sie sich in den Verkehr der Stadt einreihte.

Sie war in diesem kleinen Ort aufgewachsen und kannte viele Leute noch aus ihrer Kindheit. Monsieur Dechard zum Beispiel hatte ihr als Kind immer gratis Süßigkeiten aus seinem Kiosk zugesteckt, wenn sie der Großmutter etwas von ihm besorgt hatte. Alle hatten das schöne blond gelockte Kind geliebt, weil es so lieb war und immer höflich grüßte. Außerdem hatten sie von seiner schweren Kindheit und dem tragischen Autounfall der Eltern gewusst.

Die Schule lag etwas außerhalb am Rande der Stadt, ein Stück der Straße führte direkt am Meer und seiner Promenade vorbei. Susann liebte den morgendlichen Blick auf das ruhige und blaue Meer, an dem sich nur wenige Leute tummelten. Sie hatte sich nicht vorstellen können, jemals aus ihrem kleinen Heimatort wegzuziehen. Natürlich hatte sie es fürs Studium kurzzeitig gemusst, weil es in Guidel keine eigene Universität gab. Nächtelang hatte sie dann in ihrem kleinen Studentenzimmer wach gelegen und das Meer vermisst! Nach dem Studium hatte sie alles dafür getan, möglichst schnell wieder an ihren Geburtsort zurückzukehren und war überglücklich gewesen, als es endlich geklappt hatte. Jetzt fuhr sie mit geöffneter Fensterscheibe die Strandpromenade entlang, aus dem Radio ihres Autos tönten leise französische Chansons, sie streckte die langen Finger mit den filigranen Fingerspitzen aus dem Fenster und ließ den Wind an ihnen vorbeigleiten. Möwen schrien, von irgendwo hörte man das lang anhaltende Hupen eines Ozeandampfers – Susann genoss es in diesem Moment sehr auf der Welt, in dieser Stadt zu sein. Im Rückspiegel nahm sie einen großen chromfarbenen Landrover wahr, der sich schnell ihr näherte. Die Küstenstraße war etwas kurvig und Susann ahnte, dass der Fahrer des Landrovers sie sicher überholen wollte. Sie konnte diese Autos nicht leiden, es waren Angeberautos für sie, sicher von einem dieser Idioten gefahren, die auch ihr Leben beim Kitesurfen riskierten. Susann schloss die Fensterscheibe wieder und drückte voll aufs Gas. Ihr kleiner Peugeot ächzte, aber beschleunigte. Den Idioten würde sie nicht überholen lassen. Das konnte er vergessen.

„Was macht denn das Auto da vorne?“, wunderte sich Paul, als er sich dem kleinen Peugeot näherte, „warum beschleunigt es denn so?“

Er hätte das Auto gerne überholt, alleine hätte er es wohl gemacht, aber jetzt kam ein kurviger Teil der Landstraße, und mit Aaron an seiner Seite wagte er dieses riskante Manöver nicht. Also hielt er sich auf Abstand, obwohl seine Finger vor Ungeduld kribbelten. „Wenn wir Pech haben, fährt dieser lahme Typ noch bis zur Schule vor uns her“, sagte er halblaut zu Aaron, der gedankenverloren mit einem mitgebrachten Spielzeugauto auf der Ablage spielte.

Und so war es tatsächlich. Bevor sie auf den Parkplatz der École elementaire de Guidel einbogen, setzte auch der graue Peugeot seinen Blinker und Paul seufzte: „Wird wohl am Ende noch ein zukünftiger Klassenkamerad von dir sein, dessen Mama oder Papa uns so geärgert hat, was Aaron?“ Er wollte gute Miene zum bösen Spiel machen, aber dann parkte der kleine Peugeot auch noch auf einem der größten Parkplätze an der Schule, und Paul musste zwei weitere Runden drehen, bis er einen geeigneten Parkplatz für seinen Landrover fand. Er kochte innerlich, als er ausstieg und die junge Frau erblickte, die soeben aus dem Peugeot gestiegen war. „Tut mir leid“, rief sie ihm schulterzuckend über den Parkplatz hinweg zu, „ich parke eben wahnsinnig schlecht ein und da bevorzuge ich die großen Parkplätze, um niemanden zu rammen.“ Ihre Stimme triefte vor Schadenfreude.

Paul versuchte sie nicht weiter zu beachten und öffnete Aaron die Tür auf der Beifahrerseite. Der kleine Junge kletterte stolpernd heraus.

„Was sehe ich da? Spinnen Sie? Haben Sie Ihren kleinen Sohn wirklich vorne mitfahren lassen?“ Die Stimme klang näher, die junge Frau eilte auf Paul zu, der ihr den Rücken zudrehte.

„Jetzt langt’s mir aber, warum mischen Sie sich eigentlich…?“

Paul fuhr herum und erblickte Susann, die mittlerweile aufgebracht hinter ihm stand. Der Zorn hatte ihr die Röte auf die Wangen getrieben, ihre blonden Locken flogen um ihren Kopf herum, die blauen Augen blitzten angriffslustig – sie sah wunderschön in diesem Moment aus. Auch der Anblick des sportlichen Pauls, den Susann sofort als den Kitesurfer vom Strand zwei Tage zuvor erkannte, ließ Susann einen Moment lang in ihrer Rage stoppen. Doch dann sammelte sie sich wieder und anstatt den gutaussehenden, aber fassungslosen Mann vor sich anzuschauen, wandte sie sich dem Jungen zu.

„Na, Kleiner, alles okay bei dir? Bist du neu an unserer Schule?“

Aaron nickte, Paul auch.

„Er wird heute eingeschult.“

„Wie heißt du?“, fragte sie Aaron, ohne seinen Vater eines Blickes zu würdigen – sie wäre sonst aus dem Konzept gekommen.

„Ich heiße Aaron.“

„Aaron Lemontre?“

„Ja. Ich bin sein Vater.“ Paul streckte ihr die Hand hin, es störte ihn, wie diese zauberhafte Frau ihn einfach so ignorieren konnte. Nie zuvor hatte er eine derart wunderschöne Frau erblickt. Er sah sie und wusste, dass er sich nie an diesen blonden Locken, an der fein geschwungenen Hüfte, an diesen meeresblauen Augen hätte sattsehen können und doch schien die junge Frau überhaupt nicht an ihm interessiert zu sein. Diese Situation war neu für Paul.

„Das hätte ich mir fast gedacht.“ Die junge Frau reichte ihm kurz die Hand, immer noch ohne ihn wirklich anzuschauen. Ihre Handfläche war angenehm warm und weich wie Seide.

„Susann Dumont. Ich bin die Lehrerin ihres Sohns. Und wenn ich Sie noch einmal dabei erwische, wie Sie Ihren Sohn auf dem Vordersitz mitfahren lassen, schalte ich unverzüglich das Jugendamt ein.“

Mit diesen Worten nahm sie Aaron bei der Hand und lief mit ihm voraus auf das geöffnete Schultor zu, an dem sich schon weitere Eltern mit ihren Kindern versammelten und aufgeregt unterhielten. Paul lief den beiden verdutzt hinterher.

In der ersten Stunde waren die Eltern der Kinder eingeladen, dabei zu sein, damit die kleinen Schulanfänger sich nicht allzu allein gelassen fühlten. Paul stand wie alle anderen an den Wänden des Klassenzimmers und sah fasziniert der strahlenden Susann zu, die nun, mit all ihren neuen Schützlingen, ganz in ihrem Element war. Sie erklärte sowohl Eltern als auch Kindern, was in den nächsten Tagen und Wochen auf sie zukommen würde, und die Eltern schrieben fleißig die Besorgungen auf. Paul hatte vergessen, einen Notizblock mitzunehmen und tippte so alles in sein nagelneues Smartphone ein – was Susann natürlich mit einem despektierlichen Blick bemerkte. Paul war allerdings fast froh um diesen kurzen Augenblick – ansonsten hatte Susann wieder getan als sei er Luft, einer von vielen unter den Eltern.

„Gut“, schloss Susann die Stunde, „dann verabschiedet euch jetzt erst mal von euren Eltern – sie werden euch um Punkt zwölf wieder hier abholen“. Aaron stürmte auf den Vater zu und umarmte ihn kurz, aber heftig. Dann wandte er sich gleich wieder einem neuen Spielkameraden zu, mit dem er sofort, als er in die Klasse gekommen war, Freundschaft geschlossen hatte. Paul war erleichtert, als er sah, wie kontaktfreudig Aaron auf die anderen Kinder reagierte. Er ging mit gutem Gewissen aus dem Klassenzimmer, konnte aber nicht umhin, sich noch einmal nach Susann umzudrehen, die schon wieder geschäftig vor der Tafel am Rotieren war.

Zwei Herzen im Sturm

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