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IV

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Inhaltsverzeichnis

Eines Nachmittags kam er zu mir außer Atem gelaufen sagte:

»Komm, deine Schwester ist da.«

Ich ging hinaus. Vor dem großen Hause hielt tatsächlich eine Stadtdroschke. Meine Schwester war mit Anjuta Blagowo und einem Herrn in Militäruniform gekommen. Als ich näher kam, erkannte ich ihn: es war Anjutas Bruder, der Militärarzt.

»Wir sind zu Ihnen zu einem Picknick gekommen,« sagte er: »Ist es Ihnen recht?«

Meine Schwester und Anjuta wollten mich wohl fragen, wie es mir hier ginge, aber beide schwiegen und sahen mich nur an. Auch ich schwieg. Sie wußten, daß es mir hier nicht gefiel; meiner Schwester traten Tränen in die Augen, und Anjuta Blagowo wurde rot. Wir gingen in den Garten. Der Militärarzt schritt voran und rief begeistert:

»Das nenn' ich eine Luft! Heilige Mutter Gottes, ist das eine Luft!«

Er sah noch ganz wie ein Student aus. Er sprach und bewegte sich wie ein Student, und auch seine grauen Augen blickten lebhaft, einfach und offen wie bei einem guten Studenten. An der Seite seiner stattlichen und schönen Schwester erschien er schmächtig und klein; sein Bärtchen war dünn, ebenso seine nicht unangenehme Tenorstimme. Er diente bei irgendeinem Regiment und war auf Urlaub zu den Seinen gekommen. Im Herbst wollte er nach Petersburg gehen, um dort das Doktorexamen zu machen. Er hatte schon Familie – eine Frau und drei Kinder; er hatte früh, im vierten Semester, geheiratet, und in der Stadt erzählte man sich, daß es eine unglückliche Ehe sei und daß er von seiner Frau getrennt lebe.

»Wie spät ist es jetzt?« fragte meine Schwester unruhig »Wir wollen früh heimkehren, Papa erlaubte mir nur bis sechs Uhr hier zu bleiben.«

»Ach, Ihr Papa!« seufzte der Doktor.

Ich bereitete den Samowar. Auf einem Teppich vor der Terrasse des großen Hauses tranken wir Tee, der Doktor schlürfte ihn kniend aus einer Untertasse und behauptete, er fühle sich selig. Tscheprakow holte dann den Schlüssel, sperrte die Glastür auf, und wir traten alle ins Haus. Hier war es halbdunkel und geheimnisvoll, es roch nach Pilzen, und unsere Schritte hallten, als wenn sich unter dem Fußboden ein Keller befände. Der Doktor berührte stehend die Tasten des Klaviers, und dieses antwortete mit einem schwachen, zittrigen, heiseren, aber doch harmonischen Akkord; er versuchte seine Stimme und begann ein Lied, die Stirne runzelnd und geärgert mit dem Fuße stampfend, wenn irgendeine Taste versagte. Meine Schwester hatte es nicht mehr so eilig, nach Hause zurückzukehren, sondern ging erregt im Zimmer auf und ab und sprach:

»Mir ist so lustig zumute! So furchtbar lustig!«

In ihrer Stimme klang Erstaunen, als ob es ihr selbst ganz unwahrscheinlich schiene, daß sie einmal lustig sein, könnte. Zum erstenmal in ihrem Leben sah ich sie so lustig. Sie sah sogar auf einmal hübscher aus. Ihr Profil war nicht schön, Nase und Mund standen hervor und hatten den Ausdruck, als ob sie vor sich bliese, sie hatte aber wunderschöne dunkle Augen, einen blassen, sehr zarten Teint und einen rührenden Ausdruck von Güte und Trauer; wenn sie sprach, schien sie recht anmutig und sogar hübsch. Wir beide, sie und ich, waren unserer Mutter nachgeraten und waren breitschultrig, kräftig und ausdauernd; aber ihre Blässe war krankhaft, sie hustete oft, und in ihren Augen beobachtete ich manchmal den Ausdruck, den die Menschen haben, die ernsthaft krank sind, es aber aus irgendeinem Grunde verheimlichen. In ihrer plötzlichen Lustigkeit lag etwas Kindliches und Naives; es war, als ob die Lustigkeit, die man in uns in unserer Kindheit durch strenge Erziehung unterdrückt hatte, jetzt in ihrer Seele erwacht und mit Gewalt zum Ausbruch gekommen wäre.

Als aber der Abend anbrach und der Wagen vorfuhr, wurde sie wieder schweigsam, klappte zusammen und setzte sich in die Droschke mit einer Miene, als ob es eine Anklagebank wäre.

Als sie alle weg waren, wurde es gleich wieder still ... Mir fiel es auf, daß Anjuta Blagowo die ganze Zeit kein einziges Wort zu mir gesagt hatte.

– Ein merkwürdiges Mädchen! – dachte ich mir: – Ein merkwürdiges Mädchen!

In den Petrifasten bekamen wir tagtäglich Fastenspeisen zu essen. Der ewige Müßiggang und die Unbestimmtheit meiner Lage bedrückten mich schwer, und ich trieb mich unzufrieden mit mir selbst, faul und hungrig auf dem Gute herum und wartete nur auf eine passende Stimmung, um von hier fortzugehen.

Eines Abends, als bei uns im Seitenflügel Rettich saß, erschien plötzlich Dolschikow, braungebrannt und über und über mit Staub bedeckt. Er hatte drei Tage auf der Strecke verbracht und war nach Dubetschnja auf einer Lokomotive und von der Station zu uns zu Fuß gekommen. In Erwartung seiner Equipage, die ihn hier abholen sollte, machte er mit seinem Verwalter eine Runde durch seinen Besitz, erteilte mit lauter Stimme Befehle, saß dann eine ganze Stunde bei uns in der Kanzlei und schrieb Briefe; für ihn liefen in einem fort Telegramme ein, die er sofort selbst beantwortete. Wir drei standen vor ihm schweigend und stramm da.

»Diese Unordnung!« rief er angeekelt, in die Tagesberichte hineinschauend. »In vierzehn Tagen kommt die Kanzlei ins Stationsgebäude hinüber, und dann weiß ich wirklich nicht, was ich mit euch anfangen soll, meine Herren!«

»Ich gebe mir die größte Mühe, Euer Hochwohlgeboren,« sagte Tscheprakow.

»Ich sehe ja, wie ihr euch Mühe gebt. Ihr versteht nur, die Gehälter einzustecken,« fuhr der Ingenieur fort, mit einem Blick auf mich. »Ihr hofft immer auf Protektion, um möglichst schnell und leicht faire la carrière. Ich gebe aber auf Protektion gar nichts. Für mich hat sich niemand bemüht. Bevor ich diese Eisenbahn bekam, fuhr ich lange Zeit auf der Lokomotive herum und arbeitete in Belgien als einfacher Wagenschmierer. Und was machst du hier, Pantelej?« wandte er sich an Rettich. »Du trinkst wohl mit ihnen?«

Er hatte die Angewohnheit, alle einfachen Leute »Pantelej« zu nennen; solche aber wie uns, mich und Tscheprakow, verachtete er und titulierte uns hinter dem Rücken mit Sauser, Vieh und Gesindel. Gegen die kleinen Angestellten war er überhaupt grausam: er zog ihnen vom Gehalt Strafgelder ab und jagte sie ohne viele Worte aus dem Dienst.

Endlich kam seine Equipage. Beim Abschied versprach er, uns alle in vierzehn Tagen zu entlassen, nannte seinen Verwalter einen Schafskopf, setzte sich recht bequem in die Polster und fuhr in die Stadt.

»Andrej Iwanowitsch,« sagte ich zu Rettich, »nehmen Sie mich zu sich als Arbeiter.«

»Nun, von mir aus!«

Und wir gingen zusammen in die Stadt. Als die Station und das Gut weit hinter uns lagen, fragte ich ihn:

»Andrej Iwanowitsch, warum waren Sie eigentlich nach Dubetschnja gekommen?«

»Erstens, weil meine Leute hier auf der Strecke arbeiten, und zweitens mußte ich der Generalin die Zinsen zahlen. Vergangenes Jahr habe ich von ihr fünfzig Rubel geliehen und zahle ihr jetzt einen Rubel monatlich ab.«

Der Malermeister blieb stehen und nahm mich am Rockknopf.

»Missail Alexejewitsch, mein Engel,« fuhr er fort, »ich bin der Ansicht, daß jeder einfache Mann oder vornehme Herr, der auch die geringsten Zinsen nimmt, ein Verbrecher ist. In einem solchen Menschen kann die Wahrheit nicht wohnen.«

Der magere, blasse, unheimliche Rettich schloß die Augen, schüttelte den Kopf und sagte im Tone eines Philosophen:

»Läuse fressen das Gras, der Rost – das Eisen, und die Lüge – die Seele. Herr, sei uns Sündern gnädig!«

Die bekanntesten Novellen, Dramen und Erzählungen von Anton Pawlowitsch Tschechow

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