Читать книгу Kritische Anmerkungen zu spirituellen Denkern - Anton Weiß - Страница 7
Vom Wert der Erfahrung
ОглавлениеViele Denker erliegen der Gefahr, die eigene Erfahrung absolut zu setzen und auf andere zu übertragen und als allgemein gültig anzusehen. Jemand, der eine für ihn absolut entscheidende Wahrheit erfahren hat, hat sie in seinem Denkhorizont gemacht, durch den er geprägt ist. Das können viele nicht sehen und glauben, dass die von ihnen erfahrene Wahrheit absolut ist und auch für andere gilt. Davon ausnehmen muss ich natürlich U. G. Krishnamurti, dem dies völlig klar ist. Bei Nisargadatta bin ich mir da nicht so sicher. Viele können die Erfahrung und den Denkhorizont, innerhalb dessen diese Erfahrung gemacht wurde, nicht auseinanderhalten. Und nun glauben sie, dass diese Erfahrung nur innerhalb dieses Denksystems erfolgen kann, und versuchen, anderen dieses Denksystem nahezubringen. Diesen Eindruck habe ich bei Nisargadatta, und ich halte es für wichtig zu erkennen, dass die Erfahrung eine Sache ist und der Denkhorizont, innerhalb dessen die Erfahrung gemacht wird, eine andere und dass man beides auseinanderhalten muss.
Über den Stellenwert der Erfahrung gehen die Meinungen auseinander:
Aus meiner Sicht ist die einzig gültige Bestätigung für das, wie sich einem die Welt, auch die spirituelle Welt, zeigt, die direkte Erfahrung. Das vertritt auch Nisargadatta an manchen Stellen: „Versuchen Sie nicht, vom Verstand eine Bestätigung dessen zu bekommen, was jenseits des Verstandes ist. Die einzig gültige Bestätigung ist die Erfahrung (Hervorhebung von mir)“ (II/214). Dem gegenüber behauptet U. G. Krishnamurti: „Alles, was Sie erfahren, ist aus dem Denken geboren. Deshalb ist alles, was Sie erfahren oder erfahren können, Illusion“ (MM 129). „Das Wirkliche kann nicht erfahren werden“ ebd. Oder: „Alle spirituellen, mystischen Erfahrungen entspringen dem Denken“ (MM 61). Da wird es schwierig, sich zu verständigen.
Aber auch bei U. G. Krishnamurti finden sich Belege dafür, dass Erfahrung das Entscheidende und nicht einem anderen mitteilbar ist: „Sie können Ihre Erfahrung nicht mit anderen teilen“ (MM 110), worin er natürlich recht hat, dann setzt das aber die Möglichkeit von Erfahrung voraus. „Ich erzähle Ihnen das alles aus eigener Erfahrung“ (MM 173) bestätigt meine oben gemachte Auffassung, während er schon auf der nächsten Seite sagt – in durchaus vergleichbarem Zusammenhang! – „Es ist überhaupt keine Erfahrung“ (MM 174), oder, 182: „Es ist keine Erfahrung und kann deshalb nicht übermittelt werden“. Wenn U. G. Krishnamurti sagt: „Es ist keine Erfahrung, die man mit anderen teilen kann. Es ist überhaupt keine Erfahrung. Es ist eine Katastrophe“ (MM 174), will er offensichtlich die Ungeheuerlichkeit seines Erlebens ausdrücken. Aber es deshalb nicht als Erfahrung zu bezeichnen, leistet das nicht. Auch eine Katastrophe ist eine Erfahrung!
Wenn U. G. Krishnamurti sagt: „Es ist keine Erfahrung und kann deshalb nicht mitgeteilt oder übermittelt werden“ (MM 182), scheint diese Aussage zwei Dinge durcheinander zu bringen bzw. miteinander zu verquicken: 1. die erschütternde Erfahrung des Todes, 2. dass sie nicht mitteilbar ist. Aber sie deshalb nicht als Erfahrung zu bezeichnen, weil sie nicht mitteilbar ist, kann ich nicht als Argument sehen, denn schon einen einfachen Schmerz, z. B. den Stich einer Nadel, kann man nicht mitteilen, und dennoch ist es eine Erfahrung! Etwas deshalb nicht als Erfahrung zu bezeichnen, weil es nicht mitteilbar ist, halte ich nicht für legitim.
Ich weiß nicht, warum sich U. G. Krishnamurti dagegen sperrt, das erschütternde Erlebnis der Ich-Transzendierung, das er kennt, als Erfahrung zu bezeichnen. Allerdings, wenn man diesen Begriff dahingehend einschränkt, dass man Erfahrung mit Denken verquickt (MM 39) – wofür ich keine Notwendigkeit sehe -, dann hat man sich selbst ein Bein gestellt und verstrickt sich zwangsweise in Widersprüche und Ungereimtheiten.
Auch bei Nisargadatta findet sich diese Widersprüchlichkeit: Einerseits vertritt er, dass „das Reale erfahren werden [muss]“ (II/164), „… dass es eine Realität gibt, die man im Bewusstsein finden und erfahren kann“ (II/189), andererseits ist für ihn das „Selbst … jenseits aller Erfahrung“ (II/139). Überboten wird das noch von seiner Aussage: „Ich bin jenseits aller Erfahrungen“ (III/35) (zitiert Sri Nisargadatta Maharaj „Ich bin, Teil III, Seite 35).
Da kann ich nur sagen: Das ist mir nicht zugänglich, damit kann ich nichts anfangen; ich erachte solch eine Behauptung in keiner Weise wesentlich für den Transformationsprozess.