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Die Polaritäten des Lebens

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Als Individuum bin ich der Endlichkeit und damit der Gegensätzlichkeit, den Polaritäten bzw. der Dualität des Lebens unterworfen. In dieser Dualität gibt es Freude und Leid, Erfolg und Misserfolg, Gelingen und Misslingen und die daraus resultierende Freude bzw. das Leid. Auch wenn ich sehen kann, dass Misslingen genau so wie Tod ein notwendiger Pol in der Dualität ist, dass es Leben nicht ohne Tod und Erfolg nicht ohne Misserfolg geben kann, leidet das Individuum darunter. Aber im Unterschied zu einem Ich kann es den Tod, Misslingen, Misserfolg annehmen und zerbricht nicht daran. Darin scheint mir der entscheidende Unterschied zu liegen: Im Ich-Zustand ärgert man sich darüber, ist wütend und zornig, wenn Dinge nicht so geschehen, wie man es sich vorgestellt hat und wie man es gern hätte, im Zustand des transzendierten Ichs - also als Individuum - weiß man, dass es immer wieder im Leben so ist, wie man es nicht will, und fügt sich, nimmt das Schicksal an und zerbricht nicht daran. Auch im transzendierten Zustand ist man nicht begeistert, ist traurig über Misslingen und freut sich über Erfolg, aber man ist sich bewusst, dass beides letztlich nicht von einem selbst abhängt und dass man es einfach nicht in der Hand hat. Das ist sehr schön im Sport zu sehen: Im Ich glaubt man, den Erfolg sich selbst zu verdanken, weil man sich so gut vorbereitet hat, und ärgert sich, wenn man Misserfolg hat und glaubt, nur etwas nicht richtig gemacht zu haben. Wer sein Ich transzendiert hat, weiß, dass er den Sieg nicht sich zu verdanken hat, dass es dazu immer glücklicher Umstände bedarf, auch wenn er sich gut vorbereitet hat, und bei einem Misserfolg weiß er, dass er nicht immer siegen kann, weil das Leben aus Sieg und Niederlage besteht. Wenn er verliert, ist er vielleicht traurig, aber niemals verärgert! Ärger ist immer und ausnahmslos eine Einstellung des Ichs, das die Polaritäten des Lebens nicht annehmen kann, weil es für sich immer nur die positive Seite, nur siegen, gewinnen und Erfolg haben will und Niederlage und Misserfolg ablehnt. Genau so wie es den Tod ablehnt.

In dieser verschiedenen Einstellung zum Leben liegt der entscheidende Unterschied zwischen Ich und Individuum.

Gut hat das Balsekar dargelegt, wenn er sagt: „Der denkende Verstand weigert sich zu akzeptieren, dass Polaritäten nun mal zum Leben gehören. So wird aus Leben und Tod der Gegensatz von Leben und Tod, aus Gut und Böse der Kampf des Guten gegen das Böse“ (KW 152) (zitiert Ramesh S. Balsekar, Kein Weg Kein Ziel Nur Einheit, Seite 152).

Der im Ich befindliche Mensch will immer nur das für ihn Positive und lehnt das vermeintlich Negative ab. Gerade in Bezug auf den Tod ist leicht zu zeigen, wie verheerend es wäre, wenn es Tod nicht gäbe, denn das würde sich ja auf alles Leben beziehen! Dann dürfte es auch keine Geburt geben. Neues Leben ist nur möglich, wenn altes vergehen kann.

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