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VON OSTUNI ÜBER LATIANO NACH TARANTO

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23. BIS 25. AUGUST 2008

Ich liebe es, wenn mich frühmorgens die Vögel mit ihrem sanften Gesang vom Schlaf erlösen. Es ist herrlich, wie hunderte verschiedene Töne zu einer Sinfonie zusammen gezaubert werden. Eine Improvisation der Natur und das, bevor ich überhaupt die Augen geöffnet habe. Es ist schön so aufzuwachen.

Ich stehe auf und gehe zuerst mit den Hunden Gassi, Sabine soll noch eine Weile schlafen. Der gestrige Tag war sehr anstrengend für sie.

Der ganze Rummel war auch für die Kleinen nicht so toll, aber ich denke, sie werden sich an neue Situationen gewöhnen. Es wird alles neu sein.

Jeden Tag ständig wechselndes Terrain, neue Leute, neue Gerüche, neue Schlafplätze und auch der Tagesablauf hat nichts gemeinsam mit dem, was sie von zu Hause her kennen.

Aber sie sind sehr flexibel. Es sind glückliche und zufriedene Tiere, solange sie uns und ihr Futter haben. Ganz egal wo das ist. Mehr verlangen sie nicht.

Sie spüren unsere Gefühlslage. Bei Freude spielen und freuen sich mit uns und bei Traurigkeit schmiegen sie sich an. Das sind Anpassungskünstler. Für sie ist diese Abenteuerfahrt das Aufregendste, was ihnen passieren konnte.

Das Frühstück schmeckt uns an diesem schönen Sommermorgen besonders gut. Wir haben das Gefühl, dass wir alle gestern optimale Arbeit geleistet haben. Alles was wir gemacht haben, war nahezu professionell. Dabei haben wir nichts davon geprobt.

Die Filmaufnahmen zum Beispiel oder das Auftreten vor einem Publikum, die Interviews vor laufender Kamera. Selbstbewusst die vielen Fragen der Leute und Reporter beantwortet.

Es ist unglaublich, was man alles schaffen kann, wenn man seine Ideale mit einer gewissen Leidenschaft, Ehrgeiz und Erfolgsdurst durchsetzen will.

Man fühlt sich stark. Man merkt plötzlich, wie viel Potenzial in einem steckt! Ich glaube, diese Reise hat noch mehr Überraschungen für uns parat.

Es geht auf einem geteerten Feldweg weiter, meine „Ragazza“ strampelt sich warm durch die sehr farbenprächtige Campagna, dann schaut sie kurz zu mir nach hinten und leicht hechelnd sagt sie:

„Im Gegensatz zu gestern sind die Gespanne etwas schwerer geworden oder?“

Ich erlaube mir einen Witz und antworte ihr:

„Du hast bestimmt den Anker noch nicht rein geholt!“

In der nächste Sekunde, ganz unangekündigt, legt sie eine Vollbremsung hin, so dass ich, der ja die ganze Zeit über direkt hinter ihr, quasi Stoßstange an Stoßstange fuhr, nicht mehr reagieren kann und es kommt wie es kommen muss.

Ich fahre schon seit meinem achtzehnten Geburtstag Fahrzeuge verschiedenster Art und Größe, bestimmt schon einige Millionen Kilometer weit.

Das ist aber mein erster Auffahrunfall!

Ich bin sprachlos, sogar schockiert, oder habe ich ein Auffahrunfall-Trauma? Wie soll ich mich jetzt rechtfertigen? Soll ich mich überhaupt rechtfertigen oder habe ich gar keine Chance?

In Carovigno machen wir kurz am Brunnen im Stadtpark halt und waschen uns etwas von den Schweiß ab.

Sabine hält mir immer noch Vorträge, wie schlecht meine Reaktion doch ist! Sie meint, meine Fahrweise lässt zu wünschen übrig. Ich solle mir an ihr ein Beispiel nehmen!

Ich bin ruhig und gelassen, dabei denke ich, dass sie eine Frau ist und DNA-bedingt immer Recht hat. Also kaue ich an meinem Stück Brot und singe in Gedanken „La Paloma“, mit der Hoffnung, dass sie noch vor der französischen Grenze mit den Vorwürfen aufhört!

Hier waren wir schon während der Trainingszeit. Daher kennen wir die Strecke gut und wissen genau, wo die streunenden Hunde sind.

Das ist aber nicht unbedingt von Vorteil, denn man kann ihnen nicht ausweichen. Wir können nur hoffen, dass sie sich während unserer Durchfahrt woanders aufhalten. Einfach um uns etwas Ärger zu ersparen.

In einem kleinen Geschäft kaufe ich eine italienische Fahne ein und stecke sie hinten an mein Wägelchen an. So flattert sie im Fahrtwind und erfüllt gleich zwei Funktionen. Die Autofahrer sehen uns besser und man weiß, aus welchem Land man kommt.

Auch heute stehen große Artikel in den Tageszeitungen über uns. Viele Leute haben uns im Fernsehen gesehen. Das merken wir, weil sie uns zuwinken und grüßen.

Gegen Mittag kommen wir in San Vito dei Normanni an und würden uns gerne kurz auf der Piazza aufstellen.

Aber es ist Mittagszeit. Das heißt, alle Geschäfte sind schon geschlossen. Folglich sind keine Leute mehr unterwegs und obendrein ist es sehr heiß. 36 Grad zeigt das Thermometer an. Das ist auch für uns zu heiß, deswegen flüchten wir regelrecht aus der Stadt raus und machen eine lange Pause mit Siesta unter einem Olivenbaum.

Um 18 Uhr kommen wir in Latiano an. Vor dem Touristenbüro wartet ein Empfangskomitee auf uns.

Die Delegation der Stadt setzt sich aus einigen Assessoren zusammen. Der Leiter des Touristenbüro Prof. Galasso hat die Ehrung initiiert, zusammen mit Signor Zizzi, dem Bürgermeister, der aber leider nicht kommen konnte.

Ich kenne diese Leute persönlich. Letztes Jahr haben sie mich für meine Fahrradreise durch Europa 2006 mit einem Pokal geehrt. Unser Weg führt nicht zufällig durch diese Stadt, die sich nochmal geehrt fühlt, uns auf unserer neuen Reise begrüßen zu dürfen.

Das ist der Satz, den Professor Galasso bei den Interviews immer wieder ausspricht. Sicher machen sie Werbung für sich und ihre Partei, aber wir haben auch unsere großen Auftritte in den Medien und das ist es, was wir immer anstreben werden. Nur so kommt unsere Botschaft an die Masse.

Sie haben einen großen Tisch mit kaltem Buffet und Getränke aufgestellt. Die Assessoren Zucchero, Nigro, Prof. Galasso und einige andere heißen uns willkommen. Ich gebe dem lokalen Fernsehsender ein Interview ab. Dann wird angestoßen und etwas gegessen.

Man redet über die Reise, die Botschaft, über Radsport und über die neue Möglichkeit, die sich für die Hunde bietet, am Fahrrad mitlaufen zu dürfen. Diese Variante ist nämlich in Italien und ganz besonders hier im Süden, noch unbekannt und folglich umstritten.

Wir bekommen eine Urkunde und eine Spende, machen ein paar Fotos und müssen schon wieder weiter. So bedanken wir uns und fahren gleich los, denn ein Nachtlager ist nur auswärts möglich.

Heute starten wir etwas früher, denn gegen 12 Uhr werden wir in Francavilla Fontana erwartet. Ein Veterinär wird unsere Hunde im Auftrag der Tierschutzorganisation untersuchen und ihnen Blut abnehmen. Aus diesem Grund fahren wir auch diesmal ohne nennenswerten Halt durch Oria.

So kommen wir pünktlich wie eine Schweizer Uhr am Treffpunkt im Stadtpark an, ohne unterwegs gehetzt zu haben.

Nach einigen Minuten kommen vier Personen zu uns, stellen sich vor, während sie die Hunde streicheln. Die zwei Männer sind ein Tierarzt und ein Delegat der Tierschutzorganisation. Die beiden Frauen, Mitglieder des lokalen Tierschutzvereins.

Die Gespräche sind locker, aber gezielt auf die Hunde und ihren gesundheitlichen Zustand gerichtet. Wir unterhalten uns lange, während wir gemeinsam den Stadtpark verlassen und einige hundert Meter zur Tierarztpraxis laufen.

Aus diesen Gesprächen geht hervor, dass die Meinungen über unsere Reise auseinander gehen. Der Tierschutzbeauftragte findet zwar unsere Aktion nobel, aber er kann sich nicht vorstellen, dass diese "normalen Haushunde" eine so lange Reise überstehen können. Ich vermute, dass sie sich in Wirklichkeit Sorgen um ihr Image machen und weniger um die Hunde.

Wir tragen schließlich ihr Logo und wenn wir scheitern sollten, dann schadet das ihrem Ruf! Sie haben wahrscheinlich große Hunde erwartet.

Ich weiß nicht, Huskys für die Hundeschlitten oder Windhunde, Bären oder vielleicht sogar Elefanten? Selbstverständlich sind das "normale Haushunde", was denn sonst? Mit dem Unterschied, dass sie für große Distanzen am Fahrrad laufen, trainiert sind.

Dass ihre Pfoten härter sind als Balkon- oder Sofa-Hunde. Diese Tiere sind abgehärtet. Das sind Athleten! Es ist so wie bei den Menschen. Es gibt Stubenhocker und Sportler. Ich versuche ihm zu erklären, dass auf dieser Fahrt keiner von ihnen jemals rennen wird. Das ist die Voraussetzung, die wir uns gestellt haben, damit wir alle diese weite Reise unbeschadet bewältigen können. Schließlich veranstalten wir kein Rennen!

Es sind glückliche Tiere und sie sind mit einer großen Begeisterung dabei, weil sie diese großartige Abenteuerreise mit uns zusammen machen dürfen. Eine einmalige Chance, die nicht jeder Hund in seinem Leben bekommt. Wir haben nicht vor sie zu strapazieren, sondern die Reise genießen zu lassen.

So werden nacheinander unsere Racker untersucht und ihnen Blut abgenommen. Der Tierarzt meint, dass die Tiere im ersten Blick gesund und munter aussehen. Jetzt müssen wir nur noch auf die Blutanalyse warten.

Sie werden sich in den nächsten Tagen bei uns melden. Eine der Frauen gibt uns einen Sack hochwertiges Hundefutter mit. Sie versprechen uns, einen Futtersponsor für unsere kleinen Athleten zu finden.

Als ich diese Organisation vor einigen Monaten anschrieb, erhoffte ich mir für unsere Hunde nur eine tierärztliche Unterstützung, die periodisch verteilt auf unserer Strecke stattfinden sollte. Von Vorteil wäre auch eine spendierfreudige Hundefutterfirma, die uns unterwegs versorgt.

Sie haben uns prominente Paten versprochen! Denn gute Werbung auf nationaler Ebene, würden wir brauchen für unser Anliegen. Bisher hat man uns jedoch nur mit leeren Versprechungen hingehalten. Die heutige Untersuchung war ihre erste Aktivität.

Wir ziehen etwas nachdenklich weiter. Machen wie üblich unter einem Olivenbaum lange Mittag und als es kühler wird, fahren wir weiter auf der Nebenstrecke der Schnellstraße SS7 in Richtung Taranto.

Gegen 18 Uhr 30 schlage ich das kleine Zelt unter einer großen Pinie neben einem unbewohnten Landhaus auf. Das ist unser heutiges Nachtlager.

Als wir dann am nächsten Morgen durch Grottaglie fahren, ruft mich Enzo an. Er will sich ein letztes Mal mit uns treffen, bevor wir uns zu weit entfernen. So sehen wir uns kurz vor San Giorgio Jonico, sitzen im Schatten der Olivenbäume und analysieren den Starttag.

Er sagt, dass die Politiker, die an dem Tag da waren, dem Club finanzielle Unterstützung für uns zugesagt hätten. Nur wüssten sie noch nicht im welchen Umfang und wann die Gelder zur Verfügung stünden.

Na ja, eigentlich erzählt er mir nichts Neues. Ich kenne dieses Spiel. Es ist nicht das erste Mal, dass Menschen der Politik mir was versprechen. Wir werden uns später noch mit diesem Punkt befassen.

Wir verabschieden uns mit einer freundschaftlichen Umarmung.

"Ciao. Seid vorsichtig. Lasst bei mir kurz am Handy läuten, wenn ihr mich braucht. Egal was, egal wann. Ich ruf euch dann zurück. Okay?".

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir jetzt erst recht allein sind und letztendlich doch alles von mir abhängt.

Neben einem Wasserwerk in einem kleinen Eukalyptuswald machen wir Mittagspause. Die Angestellten dort bieten uns, nachdem wir uns eine Weile unterhalten haben, einen Wasserhahn und eine Duschmöglichkeit an.

Man trifft zum Glück immer wieder auf nette, zuvorkommende Menschen, die spontan Obst, Trinkwasser oder manchmal leckere Panini oder einen Lagerplatz anbieten. Wir sind dankbar dafür und hoffen, dass diese Gastfreundschaft uns weiterhin auf unserem Weg erhalten bleibt, denn davon hängt die Reise mehr ab, als die leeren Versprechungen der Politiker.

Als wir durch die Vororte von Taranto radeln, stoßen wir auf viele herrenlose Hunde. Die meisten sind nicht aggressiv. Viele haben sogar Angst vor den Menschen, weil sie möglicherweise negative Erfahrungen mit ihnen hatten. Sie folgen uns, weil wir sie durch unser Auftreten neugierig machen und weil sie unsere Hunde sehen.

Die Stadtdurchfahrt von Taranto ist durch den Stressreichen Verkehr problematisch für die Hunde und somit auch für uns. Da wir nun auch unter Zeitdruck geraten sind, verschlechtert sich unsere Laune. Nervosität macht sich breit.

"Es wird gleich dunkel. Wo gedenkst du hier ein Nachtlager finden zu können?",

faucht mich Sabine an.

Ich weiß, dass sie Recht hat, aber ich konnte in den Vororten nichts Passendes finden. Taranto ist eine große Stadt. Es ist schwierig, einen Platz zu finden, der unseren Kriterien entspricht. Deswegen wagen wir die Durchfahrt der Stadt in der Hoffnung, außerhalb einen Zeltplatz zu finden.

Nun sind wir im Industriegebiet und der ist relativ groß. Es ist schon ziemlich dunkel geworden. Das heißt, sehr gefährlich, auf dieser Schnellstraße weiter zu fahren. Einen anderen Weg gibt es hier leider nicht. Ich entscheide mich, rechts an einer großen Tankstelle zu halten.

Wir dürfen nicht weiterfahren. Hier müssen wir auf jeden Fall das Zelt irgendwo aufschlagen. Ich entdecke eine kleine Wiese neben einem abgestellten Wohnwagen zwischen zwei Parkplatzbereichen. Das wäre meiner Meinung nach ein passender Notplatz für die Nacht.

"Was Besseres bekommen wir heute nicht. Bist du mit dem Platz hier einverstanden?"

Sabine schaut auf die kleine Wiese, dann auf die Hunde, die sich schon auf den Rasen breit gemacht haben und mit ihren Blicken zu sagen scheinen „bitte sag ja“, dann dreht sie sich wieder zu mir und mit einem einsichtigen Gesichtsausdruck nickt sie mit dem Kopf.

"Hauptsache, ich kann hier aufs Klo!",

sagt sie mit einem resignierten Ton.

Ich gehe zum Tankwart, der auch die Bar nebenan leitet, stelle mich vor, zeige auf den Platz und auf meine müde Gefolgschaft, erkläre ihm unsere Notlage, frage anschließend, ob wir dort für diese Nacht unser Zelt aufschlagen dürfen. Wir würden morgen in der Früh weiter ziehen.

Gott sei Dank hat er nichts dagegen. Wir können bleiben, weist uns aber darauf hin, dass es nachts durch die Lkw laut werden kann und wenn wir noch was von der Bar brauchen oder auf die Toilette müssen, dann sollten wir das jetzt tun, da er bald alles schließen wird.

Wir sind erleichtert, auch wenn dieser Platz nicht das "non plus Ultra" ist. Sind wir doch dankbar im letzten Moment was gefunden zu haben. Wir sind sehr flexibel und das muss man bei einer Abenteuerreise auch sein.

Also machen wir das Beste daraus. Das Zelt wird aufgebaut, der Gaskocher angemacht und ich brate uns zur Feier des Tages zum ersten Mal ein Stück Fleisch, das wir vorher in der Stadt gekauft haben, während Sabine die Hunde versorgt und füttert.

Nun essen wir genüsslich das wohlschmeckende Schnitzel mit Tomatensalat und die Anspannung von vorhin löst sich in Luft auf. Wir sind wieder entspannt und haben den Stress vom Tag vergessen. Niemand stört uns und der Lärm vom vorbeiziehenden Auto- und Lkw Verkehr ist uns beiden nicht fremd. Schließlich sind wir viele Jahre Lkw gefahren und haben sehr oft auf Parkplätzen übernachtet. Daher stört uns diese hohe Lautstärke nicht sonderlich.

Taranto war die erste größere Stadt auf unserem Weg durch Europa.

Die nächste wird Salerno sein, in der Region Kampanien, also an der tyrrhenischen Küste. Laut meiner Rechnung werden wir sie erst in etwa elf Tagen erreichen. Vorher müssen wir jedoch über die Apenninen. Voraussichtlich über zwei hohe Pässe. Das wird sehr anstrengend werden, besonders für Sabine, und gleichzeitig wird das der allerletzte Test für uns alle sein. Erst wenn wir diese schwierige Hürde überstehen, dann schaffen wir alle weiteren auch. Im Klartext ausgedrückt, wenn wir sicher über diese Berge kommen, dann sind wir auch in der Lage, alle anderen Berge und Pässe, die auf unserer langen Strecke sind, zu bewältigen.

Lange Bergstrecken mit Steigungen sind das einzige, was wir nicht geprobt und trainiert haben, da es bei uns im Salento keine Berge gibt.


Tag 9 - km 234

23. bis 25. August 2008


Abb. 10- Taranto. Notschlafplatz auf einem Parkplatz.

MIT 6 EURO DURCH EUROPA

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