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1944 Frühlingssonne

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Eva-Maria van Gessel

Nach der Landung der West-Alliierten in der Normandie im Juni 1944 begannen sie ihre Invasion in Richtung Reichsgebiet.

Meine Großeltern, die „van Gehsels“, wohnten zu der Zeit mit ihrer Tochter Anneliese und ihrem Sohn Wilhelm in einer Werkswohnung der Rheinischen Stahlwerke, Aegidistraße 23. Schräg gegenüber befand sich die Bäckerei Scheuer. Dort war Wilhelm, gerade sechzehn Jahre alt, noch in der Lehre.

Am 10. Januar musste er zur Notgesellenprüfung, weil er am 13. Januar 1945 nach Sülbeck bei Stadthagen zum Militärdienst eingezogen wurde.

Anfang Februar war er dienstlich im Zug nach Münster unterwegs, nutzte die Gelegenheit und machte einen Abstecher nach Bottrop. Er wollte seine Familie noch einmal besuchen, denn er fürchtete, sie sonst nie mehr wieder zu sehen.

Das „unerlaubte Entfernen von der Truppe“ fiel jedoch auf und Wilhelm wurde zu einer Woche verschärften Arrest verurteilt. Er saß dann vom 15. Februar bis zum 22. Februar in einer Einzelzelle bei der Tagesration von einem Kanten Brot und Wasser in Hameln Obernkirchen ein.

Am 12. März wurde er aus der vormilitärischen Ausbildung entlassen, um später wieder bei der Wehrmacht eingesetzt zu werden.

Die deutschen Truppen mussten zu dem Zeitpunkt bei Wesel nun auch ihren letzten linksrheinischen Brückenkopf aufgeben. Britische, kanadische und US-Luftlande- und Bodentruppen überschritten dann im Raum Wesel-Dinslaken auf breiter Front den Rhein. So geriet auch Bottrop unter Artilleriebeschuss.

Am 24. März 1945 (Wilhelm war wieder im ehemaligen Lehrbetrieb tätig) sollte Stuten gebacken werden. Wilhelm schickte Heinz, den Sohn des Bäckermeisters, los, um die noch fehlende Margarine für den Stutenteig zu besorgen. Heinz stieg aufs klapprige Fahrrad und fuhr bei herrlich sonnigem Wetter los. Er dachte noch: „So ein schöner Frühlingstag!“

Plötzlich kam das Dröhnen eines Aufklärers näher und das Flugzeug überflog den Ortsteil Boy. Als Heinz in Höhe der Hühnerfarm Wittstamm war, hörte er ein Heulen, dann schlug eine Granate in deren Nahbereich ein und er stürzte vor Schreck mit seinem Fahrrad um. An die Margarine dachte er nun nicht mehr, sondern fuhr so schnell er konnte zur Backstube zurück.

Dort waren inzwischen die von diesem Überraschungsangriff aufgeregten und verstörten Anwohner aus den umliegenden Häusern in den Innenhof der Bäckerei gelaufen, ebenso auch Wilhelms Mutter, die natürlich nach ihrem Sohn sehen wollte.

Als um 9.13 Uhr das Hinterhofgebäude getroffen wurde, befand sich das Hausmädchen Mathilde auf der Kellertreppe aus Sandstein und wurde schwer verletzt. Wilhelm und Heinz suchten schnell Schutz hinter den gestapelten Mehlsäcken in der Backstube. Lautes Aufschreien und das Heulen der Granaten war zu hören und die beiden zuckten zusammen, als wieder eine in direkter Nähe einschlug.

Kurz danach stürmte Herr Eisenkopf, ein Mieter aus dem Hinterhaus, herein und rief: „Willi, Willi, komm schnell! Deine Mutter!“

Wilhelm, panisch vor Angst, rannte zu ihr und stolperte über Körperteile. Aus den Augenwinkeln heraus registrierte er den abgerissenen Arm des Fräulein Salomon, sowie das Bein von Frau Pawlinski, das er an ihrer zuvor getragenen Sandale erkannte, die noch an den Fuß geschnallt war.

Wilhelm entdeckte seine Mutter Anna in einer Blutlache – sie lag schwerstverletzt von Granatsplittern getroffen im Hof. Der rechte Oberschenkel war zerfetzt, der andere lag verdreht neben ihr. Wilhelm und Heinz sahen schockiert, wie ihr das Blut pulsierend und schnell aus dem Rumpf floss. Die Mutter war nicht mehr ansprechbar. Wilhelm schrie verzweifelt: „Mutter, verlasse mich nicht!“ Es gab aber keine Möglichkeit ihr noch zu helfen – sie verblutete an Ort und Stelle.

Wilhelm zog zitternd seine Bäckerschürze aus, breitete sie über seine Mutter aus, saß lange noch weinend und regungslos da.

Eine weitere Granate schlug in unmittelbarer Nähe des Hauses, Aegidistraße 5 / Ecke Blankenstraße, ein und Willi Schnitzler kam dabei ebenfalls ums Leben.

Der Pfarr-Rektor Anton Vohs war gerade in der Nähe, eilte herbei und spendete den Opfern die letzte Ölung.

Die wärmende Frühlingssonne vermochte nun niemanden mehr zu erreichen.

Am Nachmittag, gegen drei Uhr, heulten die Sirenen und Wilhelm, Heinz und die anderen Überlebenden vom Vormittag rannten verzweifelt zum Schutzbunker an der Kreuzung Aegidistraße / Ecke Tannenstraße.


So wollte auch der Pfarr-Rektor Anton Vohs sich in Sicherheit bringen, zuvor hatte er noch am Pfarrhaus den Drahtfunk abhören können: „Achtung, Achtung, feindlicher Fliegerverband!“

Doch zeitgleich wurde der Kirchturm von St. Peter mit einem Volltreffer zerstört. Anton Vohs sprang reflexartig in den Kellerabgang des Pfarrhauses – auch er wurde, wie noch weitere Menschen, bei diesem letzten Angriff auf die Ortsteile Boy und Batenbrock getötet.

Die nachfolgenden Tage verbrachten Wilhelm, Heinz und ihre überlebenden Angehörigen überwiegend in ihren Kellern, weil die Alliierten Streitkräfte immer näher kamen und den Artilleriebeschuss ostwärts fortsetzten. Man hörte, wie die Granaten über Bottrop hinweg in Richtung Gelsenkirchen gelenkt wurden. Niemand wusste, was noch geschehen würde. Wilhelm und seine Schwester Anneliese beobachteten durch die Kellerfenster, wie die inzwischen von vielen Bürgern gefürchteten Nazis Kontrollfahrten durchführten und nachschauten, wo eventuell schon weiße Laken hingen – das war eine sehr gefährliche Situation. Die Parteigetreuen trugen goldgelbe Uniformen und wurden spöttisch „Goldfasane“ genannt.

Am 29. März liefen einzelne Wehrmachtssoldaten die Straße entlang (die Truppe hatte sich wohl aufgelöst) – da wussten die Anwohner, dass sie nicht mehr lange in ihren Kellern ausharren müssen.

Am Karfreitag, den 30. März, hörte man von weitem so etwas wie Kettengerassel und ein Dröhnen. Die „Goldfasane“ waren nun nicht mehr zu sehen. Frau Klinger, die direkte Nachbarin der „van Gehsels“ kam aufgeregt herüber: „Hört ihr das auch? Das sind bestimmt die Alliierten. Nun sind wir doch vogelfrei!“, schrie sie verängstigt. „Wir haben so viel Schreckliches erleben müssen, werden wir nun auch noch erschossen?“

Das donnernde Geräusch kam immer näher und die Anwohner hängten schnell weiße Tücher heraus.

Die Amis waren inzwischen mit ihren Panzern von Kirchhellen durch den Ortsteil Eigen gefahren und kamen nun auch die Aegidistraße entlang.

Wilhelm und Heinz waren (wie viele andere auch) vom Geschehen traumatisiert, aber für den Rest des Lebens befreundet.

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