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b) Abarten

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Inhaltsverzeichnis

Dies also ist das eigentliche Wesen der Mannhaftigkeit. Indessen gebraucht man das Wort auch noch für anderes, und zwar in fünf verschiedenen Bedeutungen. Voran steht hier die Mannhaftigkeit des Staatsbürgers als diejenige, die mit dem oben Charakterisierten die nächste Verwandtschaft hat. Die Staatsbürger unterziehen sich den Gefahren im Hinblick auf die vom Gesetze bestimmten Strafen, auf Schande und auf Ehrenerweisungen. Deswegen gelten diejenigen als die mannhaftesten, bei denen die Feiglinge ehrlos, die Tapferen hochgeehrt sind. So in der Schilderung Homers, z.B. von Diomedes und Hektor. Da heißt es:

Schimpf wird allen voran auf mich Pulydamas häufen;

und wiederum:

Hektor wird dereinst im Kreise der Troer sich rühmen:

Vor mir ist der Tydide geflohn.

Die Ähnlichkeit zwischen dieser Art der Mannhaftigkeit und der oben erwähnten ist deshalb die größte, weil auch sie aus edler Gesinnung entspringt, aus dem Ehrgefühl, dem Streben nach einem wirklich Wertvollen, nämlichnach Ehre, und aus der Scheu vor der Schande, die wirklich etwas Häßliches ist. Eben dahin darf man denn auch das Benehmen derjenigen rechnen, die von ihren Befehlshabern zum Standhalten genötigt werden; nur verdienen sie insofern ein minder günstiges Urteil, als sie zwar das gleiche wie jene leisten, aber nicht aus Ehrgefühl, sondern aus Furcht, und als ferner das was sie scheuen nicht sowohl das Unwürdige der Handlung, als die schmerzlichen Folgen sind. Die Anführer nämlich üben Zwang in der Weise wie Hektor:

Wen ich fern vom Gefilde der Schlacht sich duckend erblicke,

Dem bleibt's nimmer erspart, ein Fraß der Hunde zu werden.

Und wenn die Befehlshaber die Weichenden schlagen, und ebenso wenn sie den Leuten ihren Posten vor einem Graben oder in einer ähnlichen Stellung anweisen, so ist es ganz dasselbe Verfahren; alles das ist geübter Zwang. Mannhaft sein aber soll man nicht aus Zwang, sondern weil es sittlich geboten ist.

Der Mannhaftigkeit stellt man weiter auch die Haltung auf Grund der Erfahrung gleich, die man auf den einzelnen Gebieten erworben hat, und Sokrates war deshalb geradezu der Meinung, Mannhaftigkeit sei ein Wissen. Erfahrung haben nun verschiedene in verschiedenen Dingen; die Kriegsknechte haben sie in dem was der Krieg mit sich bringt. Manche Gefahr die einem im Kriege begegnet ist bloß eingebildet, und damit wissen die Kriegsleute am besten Bescheid; sie machen dann den Eindruck die Mannhaften zu sein, weil die anderen die wirkliche Beschaffenheit der Lage nicht so wie sie durchschauen. Jene sind durch ihre Erfahrung auch dazu am besten in den Stand gesetzt, Hiebe auszuteilen und keine zu erleiden, da sie ihre Waffen zu gebrauchen gelernt haben und eine Ausrüstung von der geeigneten Beschaffenheit besitzen, um zu treffen und abzuwehren. So stehen sie denn im Streite wie Bewaffnete Waffenlosen und wie Fechter des Fechtens Unkundigen gegenüber. Wo es sich um einen Wettstreit von dieser Art handelt, sind die am besten für den Kampf geeigneten nicht die tapfersten, sondern die kräftigsten Leute mit der besten körperlichen Ausbildung. Aber die Kriegsknechte werden mutlos, wenn die Gefahr übergroß wird und sie an Zahl und Ausrüstung zurückstehen; dann sind sie die ersten zu fliehen, wo Bürgerheere sich noch auf ihrem Posten erschlagen lassen, wie es beim Tempel des Hermes der Fall war. Denn für diese ist Flucht eine schimpfliche Tat und der Tod willkommener als eine um diesen Preis erkaufte Rettung. Jene haben sich im Anfang in dem Glauben an ihre Überlegenheit in die Gefahr gestürzt; nachher, wenn sie eines besseren belehrt sind, geben sie Fersengeld, weil sie den Tod mehr fürchten als ein unwürdiges Leben. Da ist die Art des Mannhaften allerdings eine andere.

Man sieht ferner einen Zusammenhang mit der Mannhaftigkeit auch in der Heftigkeit. Mannhaft zu sein scheinen auch die von Leidenschaft Getriebenen, die den Tieren gleich auf ihre Angreifer losstürmen, wie denn der Mannhafte in der Tat auch leidenschaftlicher Gemütsart ist. Gefahren entgegenzutreten bietet die Leidenschaft den stärksten Anreiz. Daher das Wort des Homer: »Er [Apollo] flößte dem inneren Kraft ein« oder »er weckte ihm Kraft und Zorn«; oder »er schnaubte scharfen Zorn«; oder »sein Blut siedete«, lauter Ausdrücke für das Erwachen und Fortstürmen der Leidenschaft. Der Mannhafte nun wird tätig um des sittlichen Zieles willen, und die Leidenschaft wirkt dabei nur mit; bei einem Tiere dagegen bildet den Antrieb der Schmerz, etwa weil es verwundet worden ist oder sich davor fürchtet, während es nicht vorgeht, wenn es sich in einem Gebüsch oder Sumpfe befindet. Das Tier nun ist deshalb noch nicht mutig, weil es von Schmerz oder von Leidenschaft getrieben gegen die Gefahr anstürmt, da es ja nichts von dem was ihm droht vorhersieht; denn so wäre ja auch ein Esel mutig, der Hunger hat und sich auch durch Schläge nicht vom Fressen abhalten läßt. Ebenso verüben auch die Unzüchtigen in ihrer leidenschaftlichen Begierde die verwegensten Streiche. Überhaupt darf man ein Wesen nicht mutvoll nennen, das durch Schmerz oder durch Leidenschaft dazu getrieben wird der Gefahr zu trotzen. Der Antrieb der Leidenschaft stammt am meisten aus dem Naturell; erst wenn Vorsatz und bewußte Absicht hinzukommt, darf es für rechten Mannesmut gelten. Der Mensch ist im Zorne von schmerzlichen Gefühlen bewegt; läßt er seinen Zorn aus, so hat er ein Gefühl der Befriedigung. Wer aus solchen Motiven sich in den Streit stürzt, ist zwar streitlustig; aber mannhaft ist er deshalb noch nicht, weil er nicht zu sittlichem Zwecke noch nach vernünftiger Überlegung, sondern in der Leidenschaft vorgeht. Allerdings, eine gewisse Ähnlichkeit ist immerhin vorhanden.

Mannhaft sind weiter auch die Zuversichtlichen nicht. Sie zeigen sich in Gefahren kühn, weil sie vielmals und über viele den Sieg davongetragen haben, und sind den Mannhaften insofern ähnlich, als beide Kühnheit zeigen. Aber das Motiv ist bei den Mannhaften das oben aufgezeigte, bei diesen ist es das Vertrauen auf ihre Überlegenheit und auf ihre Sicherheit gegen üble Erfahrungen: dergleichen aber findet sich auch bei Betrunkenen, die ja auch zuversichtlich sind. Kommt es nun anders als sie dachten, so ergreifen sie die Flucht. Dagegen war das Merkmal mannhaften Sinnes das, dem gegenüber, was einem Menschen bedrohlich ist und bedrohlich erscheint, aus dem Gründe standzuhalten, weil es sittlich geboten und nicht standzuhalten verwerflich ist. Darum möchte es auch in höherem Grade von mannhafter Gesinnung zeugen, wenn man bei plötzlich eintretenden, als wenn man bei vorauszusehenden Schrecknissen sich furchtlos und unerschüttert zeigt; denn jenes stammt in höherem Grade aus befestigter Willensbeschaffenheit und kommt weit weniger daher, daß man vorbereitet ist. Bei dem was vorausgesehen werden kann, kann sich einer auch auf Grund der Berechnung und Überlegung seinen Vorsatz bilden; bei dem plötzlich Eintretenden dagegen benimmt man sich seiner befestigten Sinnesart gemäß.

Endlich erregen den Anschein der Mannhaftigkeit auch solche, die sich im Irrtum über die Lage befinden. Sie unterscheiden sich nicht viel von den Zuversichtlichen, stehen aber darin gegen diese zurück, daß sie die Selbstwürdigung nicht haben wie jene. Jene halten deshalb eine Weile stand; diese dagegen, wenn sie sich getäuscht sehen und die Lage anders finden oder auch nur vermuten, als sie sich vorgestellt hatten, ergreifen die Flucht. So erging es den Argivern als sie meinten, es gehe gegen Sikyonier, und fanden, daß sie es mit Lakedämoniern zu tun hatten.

Damit wäre denn das Wesen der mannhaften Gesinnung ebenso bezeichnet wie die Arten der Gesinnung, die nur scheinbar eine mannhafte ist.

Aristoteles: Metaphysik, Nikomachische Ethik, Das Organon, Die Physik & Die Dichtkunst

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