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b) Die Auflösung freundschaftlicher Beziehungen

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Eine weitere Schwierigkeit bietet die Frage, ob man ein Freundschaftsverhältnis zu Leuten ohne Beständigkeit lösen soll oder nicht. Hat es irgend etwas Befremdliches, daß man eine Verbindung mit Leuten, die man um des Nutzens oder der Annehmlichkeit willen seiner Freundschaft würdigt, auflöst, wenn sie das nicht mehr gewähren, wessen man sich zu ihnen versehen hat? Hier galt die Zuneigung doch diesen Dingen, und blieben sie aus, so ist es ganz verständlich, daß auch die Zuneigung erlischt. Einen Vorwurf könnte man daraus nur dann ableiten, wenn einer, während seine Anhänglichkeit tatsächlich in der Aussicht auf Nutzen oder Annehmlichkeit wurzelt, doch so täte, als liebte er die Persönlichkeit um ihrer inneren Beschaffenheit willen. Denn, wie wir gleich zu Anfang gesagt haben, die meisten Zwistigkeiten erheben sich zwischen Freunden in dem Falle, wo das Band zwischen ihnen nicht die Begründung in Wirklichkeit hat, wie sie es sich vorstellen. Täuscht sich einer hierin und lebt er in dem Wahne, er werde um seiner Persönlichkeit willen geliebt, ohne daß der andere zu solcher Täuschung etwas beiträgt, so wird er die Schuld sich selber zuzuschreiben haben. Ist er dagegen durch die Verstellung des anderen in die Täuschung versetzt worden, so hat er ein Recht, sich über den Urheber seines Irrtums zu beklagen, und das weit mehr als über einen Falschmünzer, je mehr das durch solchen Frevel verletzte Gut an Wert höher steht als im letzteren Fall.

Nimmt man aber den anderen für einen ehrenhaften Charakter, während er ein schlechter Mensch wird und sich auch als solcher erweist, soll man ihm dann auch noch die Freundschaft bewahren ? Oder ist das nicht vielmehr unmöglich, wenn doch nicht alles Gegenstand der Zuneigung ist, sondern nur das Gute? Ein schlechter Charakter verdient keine Zuneigung, und man soll sie ihm auch nicht gewähren. Man soll kein Freund des Bösen sein, noch sich dem niedrig Gesinnten gleichstellen. Oben haben wir gesagt, daß zwischen gleich und gleich Freundschaft herrscht. Soll man also die Verbindung auf der Stelle lösen? oder nicht in jedem Fall, sondern nur mit denjenigen, deren schlechter Charakter keine Aussicht auf Besserung gewährt? Ist es nicht eine weit höhere Pflicht, denjenigen, die einer Besserung noch fähig sind, zu ihrer Charakterbildung seinen Beistand zu leihen, als sie bloß in ihren äußeren Verhältnissen zu fördern ? Und das um so mehr, je mehr dies letztere eine edlere Handlungsweise bedeutet und wahrer Freundschaftsgesinnung in höherem Sinne entspricht? Indessen, wer das Band löst, von dem kann man doch nicht sagen, daß er etwas Ungehöriges tue. Galt doch seine Freundschaft nicht einem Menschen von dem Charakter, den er jetzt zeigt, und läßt er doch von seiner Gesinnung nur deshalb ab, weil er den Entfremdeten nicht wieder auf die rechte Bahn zu bringen vermag.

Bleibt nun aber der eine, wie er ist, und bessert sich der andere in seinem Charakter so sehr, daß er jenen in sittlicher Haltung weit überragt, muß er ihn dann als Freund behandeln, oder verbietet sich ihm das als unmöglich? Wird der Abstand sehr groß, so tritt die Schwierigkeit am deutlichsten hervor; so bei Knabenfreundschaften. Bleibt der eine in seiner geistigen Entwicklung ein Knabe, während der andere zu einem Manne von besonderer Auszeichnung heranreift, wie könnten sie dann noch Freunde sein? Haben sie doch weder an denselben Dingen ein Gefallen, noch den Anlaß zu Freude oder Schmerz gemeinsam. Auch in ihrem gegenseitigen persönlichen Verhältnis werden sie nicht das gleiche empfinden, und ohne das, sagten wir, ist es unmöglich, befreundet zu sein, weil ein Zusammenleben unmöglich ist. Davon haben wir oben gesprochen. Muß man sich also zu dem andern in kein anderes Verhältnis stellen, als zu einem, zu dem man niemals freundschaftliche Beziehungen unterhalten hat? Oder soll man an der Erinnerung des dereinstigen vertrauten Umgangs festhalten, und so, wie wir meinen, Freunden mehr als Fremden entgegenkommen zu müssen, so auch dereinstigen Freunden um der früheren Freundschaft willen ein Zugeständnis machen, falls nicht durch einen besonders hohen Grad boshafter Gesinnung die völlige Trennung geboten ist?

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