Читать книгу Fremder Mann an der richtigen Tür - Arno Alexander - Страница 5

II

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Werner hätte später nicht zu sagen vermocht, wie er wieder ins Speisezimmer gekommen war. Er tat etwas, er sagte etwas; aber was er tat, was er sagte, das wußte er nicht. Alles vollzog sich wie unter Zwang. Es gab kein Zurück, es gab kein Ausweichen mehr… Er kam erst wieder etwas zur Besinnung, als er am Tisch saß — rechts neben sich die Frau, links den Onkel Gotthelf — und rechts und links, wo er auch hinblicken mochte, in ein glückliches Augenpaar sah.

„Gerd! Wie ist das möglich? Wie ist das nur möglich?“ fragte die Frau.

Man muß antworten! dachte Werner und versuchte die nötigen Worte zu dieser einfachen Antwort zu finden. Es war aber viel schwerer, als er geglaubt hatte. „Ja —“, sagte er endlich nach einer langen Weile, „gute Führung, siehst du… Eineinviertel Jahr wurden mir geschenkt…“

„Wie wunderbar!“ rief sie, und ihre schmale Hand berührte gleichsam ängstlich seine Rechte.

Er hielt den Blick gesenkt und wagte nicht, aufzusehen. Der alte Gotthelf hatte ihn nicht erkannt, hatte den Betrug nicht durchschaut, doch konnte er ja auch den wahren Leiner nicht so gut kennen, wie die Frau ihn kannte. Werner hatte das schreckliche Gefühl, als müsse er schon beim ersten Blick geheimen Einverständnisses versagen.. Ich muß weg von hier! grübelte er und starrte das Muster des Tischtuches an. Ein Kreis, ein Rechteck, noch ein Rechteck… Weg von hier, so schnell wie möglich! Dreidreiviertel Jahr wogen leicht gegen die Qual dieser Minuten… Aber wie kam man von hier weg? Warum war er nicht fähig, aufzuspringen und davonzurennen? Übrigens war das gar nicht nötig. Er konnte einfach aufstehen und sagen: „Sie irren sich, gnädige Frau! Ich habe wohl für ihren Mann fast vier Jahre abgesessen, aber ich bin nicht der — nein, nein…“

Die drückende Stille wurde durch den alten Onkel Gotthelf unterbrochen.

„Jetzt mache ich Tee!“ rief er und erhob sich.

„Nein, nein — ich will nichts trinken!“ widersprach Werner schnell. Jetzt mit dieser Frau allein bleiben —?

Gotthelf aber ließ sich nicht beirren. Er wußte, daß man ein Ehepaar in solchen Fällen allein zu lassen habe. Und mit einem verschmitzten Lächeln drückte er sich zur Tür hinaus.

„Gerd!“ flüsterte sie. „Wie hab’ ich diesen Augenblick herbeigesehnt —! Wie hab’ ich mich darauf gefreut —! Gerd!“

Er faßte nach ihren Händen, um sie von seinen Schultern zu nehmen, doch da fühlte er, wie ihre kleinen, spitzen Fingernägel sich in seine Hände einkrallten, er sah ihr Gesicht sich dem seinen nähern, spürte ihren Atem und einen leichten Veilchenduft, der von ihr ausging — für eine Sekunde erschien sie ihm wie die Verkörperung der Sehnsucht vieler schlafloser Nächte, und er schloß erschöpft die Augen.

Als er aber ihre weichen Lippen auf den seinen fühlte, schoß ihm jäh der Gedanke durch den Kopf, wie diese Frau ihn verachten müßte, wenn sie einmal erführe, daß er ihr Vertrauen so schmählich mißbraucht hätte. Mit einem kaum unterdrückten Stöhnen riß er sich los. „Nein, Änne, nein!“ stieß er hervor. „Auf keinen Fall… Nein…“

Sie starrte ihn nur an — fassungslos — nichts begreifend. „Du liebst mich nicht mehr?“ fragte sie still.

Natürlich! Was lag näher als diese Annahme? Nur so konnte sie sich sein merkwürdiges Benehmen erklären. Und wenn er nun einfach sagte, er liebe sie wirklich nicht mehr — würde er dadurch nicht eine Menge Schwierigkeiten aus dem Wege räumen? Ja, ja, das war die richtige Antwort… „Ach“, sagte er, „lieben?“ Dann sah er sie an, zwei, drei Sekunden lang, diese Frau, der jener Gerhard Leiner alles genommen hatte bis auf eines: die Liebe. Um dieses einen willen hatte sie mutig und ohne zu klagen, alles Leid ertragen, das er ihr zufügte. Und nun kam er, Werner, und sollte ihr diesen letzten Lichtblick in ihrem zerstörten Leben nehmen — ein Glück, das nur in ihrer Einbildung bestand, aber ein Glück, das ihr alles war? „Vielleicht habe ich dich noch nie so geliebt wie in diesem Augenblick“, sagte er langsam und fühlte jäh, daß diese Lüge keine Lüge war. Das heiße Mitleid mit ihr und diese hoffnungslose Sehnsucht nach ihrer Liebe — konnte Leiner das je empfunden haben? Niemals. Sonst hätte er diese Frau nicht so gleichgültig ihrem Schicksal überlassen und wäre nicht nur um sich und sein Fortkommen besorgt gewesen.

„Und warum dann — —?“ begann sie zögernd.

Er ließ sie nicht zu Ende sprechen. „Ich habe über das alles viel nachgedacht — all die Jahre…“

„Ich weiß“, unterbrach sie ihn leise, „du hast viel über unsere Ehe nachgedacht…“

„Ja, und ich bin zu dem Entschluß gekommen. Ich muß deine Liebe erst verdienen — muß ihrer erst würdig werden… Ich habe hier so vieles gutzumachen…“ Er sah sie an, und an ihrem Blick erkannte er, daß sie ihm kein Wort glaubte. Natürlich! Solche Worte hatte sie von Leiner sicherlich nie zu hören bekommen.

„Aber Gerd“, flüsterte sie unsicher, „es ist doch alles gut! Niemand macht dir Vorwürfe…“

„Ist es denn nötig, Vorwürfe laut werden zu lassen?“ rief er heftiger, als er gewollt. „Ist die Tatsache, daß du am späten Abend erst von der Arbeit kommst, nicht ein Vorwurf? Ist die Tatsache, daß ihr beide euch vor mir, der euch betrogen und um allesgebracht hat, daß ihr euch vor mir fürchtet — ja, fürchtet! — kein Vorwurf?“

Sie erwiderte nichts. Mit langsamen, müden Schritten ging sie aufs Sofa zu und setzte sich. In jeder ihrer Bewegungen war etwas Mutlos-Ergebenes, und es war nicht nötig, daß sie den Kopf senkte, um ihn spüren zu lassen, wie weh er ihr getan hatte… „Wenn ich etwas falsch gemacht habe, Gerd“, sagte sie endlieh tonlos, „so geschah es nicht mit Absicht…“

Werner hatte das ohnmächtige Gefühl, als kämpfe er gegen Schattenbilder. Das war etwas Entsetzliches: Zuschlagen — ins Leere! Leiner hatte in seinem Hause alle Widerstände beseitigt. Für immer. „Es ist gut, Änne!“ Werner bemühte sich, einen nachlässigen, väterlichen Ton anzuschlagen. „Ich bin dir nicht böse…“

Sie stand auf, ihr Gesicht glättete sich, und aus den Augen war der furchtsame Ausdruck gewichen. Mit den letzten Worten — mit diesem höhnischen Ton — hatte Werner also das richtige getroffen… Sie trat auf ihn zu, faßte ihn am Arm. „Komm!“ sagte sie. „Ich will dir dein Zimmer zeigen!“

Widerstrebend folgte er ihr über den kleinen Vorraum. Sie öffnete eine Tür und drehte Licht an. Er sah ein kleines, behaglich eingerichtetes Zimmer mit Arbeitstisch, Sofa, einigen Sesseln und — was ihm auffiel — nur ein Bett. Leiner mußte die Gewohnheit gehabt haben, nicht im gleichen Zimmer mit seiner Frau zu schlafen. Werner atmete auf. Es war die erste Gewohnheit Leiners, die ihm sympathisch war.

Die Tür von der Küche öffnete sich. Werner sah den alten Gotthelf mit zwei Kannen hereinkommen.

„Der Tee ist fertig!“ rief er munter. „Bitte, Platz zu nehmen!“

Werner fühlte deutlich, daß Änne etwas von ihm erwartete. Er mußte irgend etwas sagen. „Ich danke dir, Änne!“ meinte er zögernd.

Freundlich sah sie zu ihm auf. „Ja? Gefällt es dir hier?“

„Sehr gut.“

„Du wirst dich hier wohlfühlen… Der Tisch ist noch derselbe, der Vorhang am Fenster auch. Das konnte ich zurückkaufen. Sieh, und dort ist die Klingel! Wenn du etwas brauchst, klingelst du — wie früher. Nur haben wir jetzt keine Dienerschaft. Der Onkel macht aber alles sehr gut…“

Sie hatte ihren Arm in den seinen gelegt. So gingen sie langsam ins Eßzimmer zurück. Und diese unwichtigen, alltäglichen Dinge, über die sie sprachen, brachten es Werner deutlicher als alles bisher zum Bewußtsein, daß er jetzt ein Bestandteil dieser kleinen, gemütlichen Wohnung geworden war und daß diese Frau, die sich wie selbstverständlich im Gehen leicht gegen seine Schulter lehnte, sich ganz als zu ihm gehörend betrachtete. Es war etwas Besonderes in dieser Hingabe, in jeder ihrer Bewegungen — etwas, das er noch nicht kannte. Und die ruhige Selbstverständlichkeit, mit der sie es tat, war daran schuld, daß er fast einen gewissen Besitzerstolz fühlte und für einen kurzen schönen Augenblick vergaß, wie wenig Berechtigung er dazu hatte…

Als sie dann zu dritt am Teetisch saßen, wandte sich das Gespräch wieder den kleinen Sorgen der Familie zu.

Gotthelf berichtete ausführlich darüber, wie sie aus der schönen Wohnung in der Sedanstraße hatten ausziehen müssen und sich dann nach und nach hier eingerichtet hatten. Auch hierbei war ihnen Liegnitz behilflich gewesen.

Liegnitz! Werner hörte nun schon wieder diesen Namen, und er begriff, daß er sich über Leiners Verhältnis zu diesem Manne so genau wie möglich unterrichten mußte, wenn er vermeiden wollte, daß Liegnitz ihn sofort durchschaute. „Ja“, meinte er nachdenklich, „Liegnitz war immer ein treuer Freund.“

„Gewiß“, fiel Gotthelf wieder ein, „ich hab’ es Änne immer wieder gesagt, aber sie wollte es nicht wahrhaben. Es hat lange gedauert, bis auch sie einsah, was für ein Prachtmensch er ist.“

Werner horchte auf. Also war Änne nicht immer von diesem Liegnitz eingenommen gewesen? Das gab zu denken. Das. Gefühl einer Frau witterte manchmal dort die Wahrheit, wo der Verstand des Mannes versagte…

„Was hattest du eigentlich gegen ihn?“ fragte er hamlos und spielte dabei mit seinen Streichhölzern.

Sie überlegte erst ein wenig, ehe sie zögernd antwortete: „Ich weiß nicht — aber ich glaubte früher immer, gerade der Einfluß dieses Liegnitz habe dich so weit gebracht… Nein, Gerd, du sollst dich nicht ärgern! Ich habe nichts mehr gegen Liegnitz. Er hat mir bewiesen, wie sehr ich mich in ihm täuschte. Geradezu beschämend war es für mich, als er sich meiner annahm, zumal er doch wußte, wie ich früher über ihn gedacht hatte…“

„Erst in der Not erkennt man seine wahren Freunde!“ warf Werner hin. Das verbrauchte Wort widerte ihn an. Aber was anderes als Plattheiten konnte er vorbringen, wenn er sprechen wollte, ohne dabei etwas zu sagen? „Auch Großfeld —“ er merkte, wie Änne unruhig wurde, „— auch er ist treu geblieben?“

Etwas hastig erzählte Änne: „Großfeld hat es inzwischen zu etwas gebracht. Sein Onkel ist nämlich gestorben. Ja, und mit dessen Geld ging es bei Großfeld gleich bergauf. Er eröffnete ein Atelier im Westen, warf unsinniges Geld für Propagande hinaus, und plötzlich entdeckten alle Damen der Gesellschaft, daß es zum guten Ton gehörte, sich ihre Lichtbilder nur bei Großfeld anfertigen zu lassen. Nun hat er zehn Angestellte und wird doch kaum mit der Arbeit fertig. Du wirst ihn gar nicht wiedererkennen, so fein und vornehm ist er geworden.“

„War er nicht — ein bißchen verliebt in dich, Änne?“ fragte Werner.

Sie versuchte ein Lachen, doch es klang nicht ganz echt „Ach, das ist er heute noch! Genau so! Eigentlich hätte ich ihm nie so viel Ausdauer zugetraut…“

„Er hat Änne viel Geschenke gemacht“, berichtete Gotthelf. „Blumen, Schokolade, Schmuck und — Möbel!… Aber sie hat nur die Blumen und die Schokolade behalten! Er hat bei sich ein Zimmer eingerichtet — das nennt er Museum. Da stehen und liegen alle die Geschenke herum, die ihm Änne so im Laufe der Jahre zurückgeschickt hat. Sogar ein Klavier ist dabei. Ich habe einmal darauf gespielt; es hat einen wunderbaren Ton. Aber Großfeld spielt nie darauf. Es gehört Änne, hat er gesagt.“

„Eine rührende Liebe!“ bemerkte Werner, als Gotthelf schwieg, und er kam sich dabei wieder unsäglich dumm vor. Wie lange würde er denn dazuverurteilt sein, hier solche platte Weisheiten vorzubringen? Jedes vernünftige Wort konnte ihn verraten.

„Die Uhr ist eins!“ rief Gotthelf erschrocken. Änne — du hast doch morgen um zehn Uhr Dienst!“

„Das macht nichts“, wehrte sie ab. „Wenn ich drei Stunden geschlafen habe, bin ich munter…“

„Nein, nein, jetzt wird schlafengegangen!“ beharrte Gotthelf. „Sag du ein Machtwort, Gerd!“

Werner stimmte ihm zu. Er selbst spürte keine Müdigkeit, doch sehnte er sich danach, mit seinen Gedanken allein zu sein.

Gotthelf wünschte beiden gute Nacht und begann, den Tisch abzuräumen. Änne half ihm dabei.

Auch Werner hätte gern mit zugegriffen, aber er war überzeugt, daß Leiner etwas Derartiges nie getan hätte. So stand er eine Weile tatenlos daneben und begab sich dann langsam in sein Zimmer. Nach einigen Minuten folgte ihm Änne.

Er hatte sich in den Schreibtischsessel gesetzt, etwas seitwärts, so daß er das Zimmer überblicken konnte.

Änne blieb vor ihm stehen. Sie hob die Hände, als wolle sie ihn beim Kopf fassen, aber irgend etwas in seiner Miene veranlaßte sie, statt dessen die Hände auf den Schreibtisch zu stützen. „Darf ich noch ein bißchen bei dir bleiben?“ fragte sie unschlüssig.

Er sah sie an, und ihre Aufregung brachte auch ihn um die mühsam erkämpfte Ruhe. ,Nein, nein‘, hätte er schreien mögen. ,Geh! Geh sofort!‘… „Ja, gewiß!“ würgte er heiser hervor. Verstört, im Innern aufgewühlt, sah er zu, wie sie behend die Schuhe von den Füßen streifte und aufs Sofa kletterte, wo sie sich in die Ecke kauerte. „Weißt du, daß du dich eigentlich sehr wenig verändert hast?“ plauderte sie. „Ich hab’ mir immer gedacht, wenn du kämest, würde ich dich kaum wiedererkennen. Dachte mir, solche. Jahre könnten einen Menschen völlig umwandeln. Aber du siehst aus — — Wenn ich die Augen schließe, dann sehe ich dich wie früher vor mir… Nur deine Stimme klingt irgendwie anders, ja, und etwas schmaler bist du im Gesicht geworden, doch vielleicht sieht das nur so aus, weil dein Haar abgeschoren ist Es muß schnell wieder wachsen, Gerd! So gefällt es mir gar nicht!“

Er versuchte zu lächeln. „Ich werde mich damit sehr beeilen, Änne…“

Ihr. schwarzes Kleid hatte sich etwas verschoben und gab ihre Beine bis zu den Knien frei. Hatte sie es nicht bemerkt, oder verharrte sie mit Absicht in dieser Lage? Auch das war denkbar; denn für sie war ja der, der hier saß, der eigene Mann, vor dem sie es nicht nötig hatte, ihre Beine zu verstecken. Für ihn aber war sie eine fremde, eine wunderbar schöne fremde Frau, die er — er fühlte es immer stärker — heiß begehrte und die er doch nicht begehren durfte, sofern er später einmal den Blick ihrer Augen ertragen wollte — später, wenn sie die Wahrheit erfuhr.

„Erzähl mir ein wenig von deinem Leben — dort!“ bat sie. „Wenn es nicht zu sehr schmerzt, meine ich.“

Langsam, mit äußerster Beherrschung seiner Gesichtsmuskeln, streckte er die Hand aus und strich ihr das Kleid über die Beine. Sie lächelte. Ganz natürlich war dieses Lächeln. Dann aber begegnete sie seinem Blick, und jetzt sah er, wie sie tief errötete. Es war etwas so Bezauberndes in ihrer fast mädchenhaften Verwirrung, daß er beinah alle seine Vorsätze vergessen und sie ungestüm an sich gerissen hätte.

Er sprang auf und lief durchs Zimmer. Zur Tür und wieder zurück, noch einmal und immer wieder. Und er begann zu sprechen — anfangs etwas überstürzt — von den Leiden und Sorgen seines Daseins als Strafgefangener, Je länger er sprach, um so mehr beruhigte er sich. Die Erinnerung an diese gleichmäßigen Tage, Wochen, Monate und Jahre versetzte ihn allmählich in den Zustand kühler Gelassenheit.

Auf und ab wanderte Werner, mit unhörbaren Schritten. Der Teppich dämpfte alles ab. Wenn er bei Änne vorbeikam, sah er ihre dunklen Augen im Lampenschimmer leuchten. Er sah es ihrem Gesicht an, wie sie mitlebte, mitlitt und sich mitfreute.

Und plötzlich kam ihm der Gedanke, ob wohl Thea auch so aufmerksam und voller Teilnahme seinen Erzählungen zugehört hätte. Nein! Fast mußte er bei dieser Vorstellung lächeln. Thea — wenn sie wirklich auf ihn gewartet hätte — wäre heute nacht mit ihm losgezogen, seine Befreiung zu feiern. Jetzt, um zwei Uhr, wären sie lachend und trunken in einer Mietdroschke auf dem Heimweg gewesen. Von dem Geld hätte Thea gesprochen und von ihren Zukunftsplänen, nie aber davon, was er gelitten haben mochte, um das zu erreichen. Thea —! War es nicht sonderbar, daß er fast vier Jahre lang ihr Bild stets vor Augen gehabt hatte, wenn er an sie dachte, und daß er sich jetzt vergeblich bemühte, ihr Gesicht und ihre Gestalt vor seinen inneren Blick zu zwingen? Innerhalb weniger Stunden war Thea für ihn gestorben. Und schuld daran war nicht ihre Untreue allein. Die Hauptschuld trug eine blonde, zarte Frau, die einen anderen liebte… Erschrocken blieb Werner stehen. In seinen Gedanken hatte er ganz vergessen, daß Änne ja auf die Fortsetzung seiner Erzählung wartete. Und sie hatte nichts gesagt?

Da sah er sie: sie hatte die Arme auf die Sofalehne gestützt, den Kopf darauf gelegt und — schlief… Er blieb vor ihr stehen, und seine Hand strich leise, damit sie es ja nicht spürte, über ihr weiches Haar. Dann griff er mit seinen kräftigen Armen zu, hob sie auf und trug sie in ihr Zimmer. Als sie aber hier langsam die Augen öffnete und als er sah, wie ihre Arme sich nach ihm ausstreckten, legte er sie auf ihr Bett und ging hinaus.

Erst, als er wieder allein in seinem Zimmer war und den Riegel vorgeschoben hatte, atmete er auf. Dann stand er noch lange an der Tür und wartete, ob es nicht klopfen würde. Aber es klopfte nicht…

Fremder Mann an der richtigen Tür

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