Читать книгу Der gestohlene Mord - Arno Alexander - Страница 5

2. Kapitel

Оглавление

21 Uhr. Eric nahm aus der Tasche ein kleines Lederetui. Neun vielstrahlige winzige Goldsterne waren mit heißem Eisen dem grünen Saffian aufgepreßt. Es enthielt einen kleinen Schlüssel. Eric öffnete die Tür zur Wohnung von Bless Dorlon.

Sie liebte solche kultivierten Spielereien. Es lebte noch etwas vom Geschmack eleganter Damen aus Königszeiten in dieser Art, dem Liebhaber den Schlüssel zur eigenen Wohnung in einem solchen kunstvollen Futteral zur Verfügung zu stellen. Bless war nur ein paar hundert Jahre zu spät geboren. Sie wäre die Frau gewesen, mit Intelligenz, Gift und Liebe einen Thron ins Wanken zu bringen.

Sie begrüßte ihn nur mit einem flüchtigen Lächeln, beugte sich über eine kleine Bar und mischte vorsichtig einen eisgekühlten süßen Mokka mit reinem Weingeist zu einem Likör, den sie liebte, weil er ermunternd und betäubend zugleich wirkte.

Bless trug einen langen Rock aus weinrotem Samt, eine durchscheinende Bluse mit Pluderärmeln und viel Stickerei. In dieser Wohnung hätte man glauben können, die letzten zwei Jahrhunderte hätten nicht stattgefunden. Geschwungene zierliche Möbel mit blankem Lack und funkelnden Messingbeschlägen, das Kuriosum eines achteckigen Kristallspiegels, der ihr Bild verdoppelte. Fürstliche Embleme auf dem alten Teppich, der die Schritte verschluckte — wer weiß, welcher Marquis ihn in Lyon hatte weben lassen —, und aus dem Fenster der Blick über die alten Platanen des Jardin du Luxembourg auf die strenge Architektur des Palais’ gleichen Namens. Und dazu diese Frau mit dem roten Samtrock und dem Profil, das sie einer hellenischen Skulptur gestohlen hatte.

Sie legte ohne Kommentar einen Umschlag vor Eric auf den Tisch und ging zu ihrer Bar zurück.

„Ein Liebesbrief?“

„Sourettes letzte Grüße.“

„Fabelhaft!“ Er blätterte in dem Inhalt des Umschlags. Er enthielt nach oberflächlicher Schätzung eine halbe Million Francs. „Sourettes Nachlaß ist eine Wohltat.“

„Er wird sich schnell in einen Alptraum verwandeln. Die Sûreté weiß bereits, daß auf seinen Konten zwölf Millionen fehlen.“

„Formidable! So schnell arbeiten Polizisten?“

„Nein. Ich habe es ihnen gesagt.“

„Warum? War das nötig?“

„Ja.“

Sie brachte zwei Gläser mit reichem, feinem Schliff. Auch diese Gläser gehörten, wie alles hier, nicht Bless, sondern dem Inhaber der Wohnung. Diese Wohnung war mit all ihren geschmackvollen Kostbarkeiten nichts anderes als ein vermietbares Appartement in einer „Maison meublée“. Das war Paris. Paris war bereit, jedermann den kompletten Luxus der Pompadour, Voltaires oder Chateaubriands zur Verfügung zu stellen, stilrein bis zum Eierbecher — wenn dieser Jedermann nur bereit war, zu bezahlen. Bless bezahlte für diese drei Zimmer am Jardin du Luxembourg etwas mehr, als ihr Gehalt bei Sourette ausmachte.

„Ja, es war nötig. Als wissende Sekretärin hatte ich bei dem Kriminalkommissar sofort einen Stein im Brett. Ein reizender Mann übrigens. Breitschultrig, wortarm, raucht Pfeife.“

Eric war weder breitschultrig noch wortarm, und er verabscheute Pfeifenrauch. Bless hatte eine scheußliche Art, jemand zu verletzen; man wußte nie, ob sie es tückisch oder vielleicht nur ganz harmlos meinte.

„Ich habe ihm gesagt: wenn Sourette nicht ausgerechnet einen eingeschlagenen Hinterkopf hätte, würde ich an einen Selbstmord glauben. Wegen der zwölf Millionen nämlich, die sich in seinen Fingern in Rauch aufgelöst hatten.“

Sie goß das schwarzbraune, dickflüssige Getränk in die Gläser.

Eric kicherte.

„Wohl mehr in deinen und meinen Fingern, scheint mir.“ Sie überging das, wie man ein Wort eines ungezogenen Kindes überhört.

„Ich mußte dem Kommissar überhaupt eine Lektion über Verbandswirtschaft erteilen. Er fragte, wie es denn komme, daß Sourette die Gelder seiner Klienten verwaltete und sogar das Zeichnungsrecht hatte.“

„Offen gestanden, ich weiß es auch nicht.“

„Was weißt du denn schon überhaupt, mon Petit?“

„Ich weiß, daß du sehr feurig werden kannst, wenn erst einmal das Licht aus ist.“

„Die Wirtschaftsverbände pflegen sich für Kampfzeiten eine stille Reserve zu schaffen, von denen ihre eigenen Aufsichtsräte nichts wissen. Dieses Geld legt man dem Syndikus auf ein verschwiegenes Konto —“

„Wahnsinnig interessant“, sagte er und tat, als ob er gähnen müsse.

„Trink, Kleiner! Vielleicht regt das deinen Verstand an. Du wirst ihn brauchen.“

„Ich brauche ihn schon, um herauszubekommen, wo an deiner raffinierten Bluse die Knöpfe versteckt sind.“

„Versteckspielen nützt nichts, Eric. Die guten Zeiten sind vorbei.“

„Ja, ja, vorbei!“ Er trank und nickte trübselig. Maitre Sourette war tot. Sie hatten auf seine Kosten in der letzten Zeit nicht schlecht gelebt. Eric ging dieser Tatbestand bis jetzt nicht sehr nahe. Bless war eine ungemein kluge Frau. Er zweifelte nicht, daß sie einen neuen Weg finden würde, um zu Geld zu kommen. Darin hatte er recht. Er sah nur noch nicht, worin dieser Weg bestand, sonst hätte er die Sache etwas anders betrachtet.

„Bitte unterschreib die Quittung“, sagte sie sachlich.

„Du mit deinen komischen Quittungen!“ Er zog eine Grimasse, suchte in seiner Jacke einen Kugelschreiber und in dem Umschlag mit dem Geld eine Quittung, die er dann unterschrieb, mit Vor- und Nachnamen. Er hatte in den letzten Monaten eine beträchtliche Menge Geld von Bless bekommen; er hatte es nicht zusammengezählt und gab sich über die Summe keine Rechenschaft. Aber sie hatte ihn jedesmal eine Quittung unterschreiben lassen. Jedesmal maulte er von neuem, wenn er diese Quittung sah. Aber Bless war in diesem Punkt wie ein Stück Granit. Ohne Quittung kein Geld. Und er brauchte das Geld. Er hielt es für eine Marotte, daß sie sich Quittungen geben ließ. Er hatte nie darüber nachgedacht, was sie damit wollte.

Sie nahm das unterschriebene Papier und betrachtete es nachdenklich.

„Sechs Millionen, Eric.“

„Was? Sechs — wunderschön! Wo sind sie?“

„In deiner Brieftasche sind sie im Laufe der Zeit verschwunden. Meine Sammlung deiner Quittungen geht jetzt über sechs Millionen. Die Hälfte von den zwölf, die Monsieur Sourette abhanden gekommen sind. Brüderlich geteilt.“

„Wozu von Verflossenem reden?“ sagte er unbehaglich.

„Für dich verflossen — für mich die Zukunft. Denn siehe da, Maitre Sourette wurde durch einen plötzlichen Todesfall dahingerafft —“

„Hä hä hä —“

„Ja — und jetzt werde ich Geld brauchen.“

Sie hatte sich ihm gegenüber auf ein altertümliches Taburett gesetzt und neigte sich plötzlich auf ihn zu. Er sah einen Augenblick in ihre ockerfarbenen Augen, die streng auf ihn gerichtet waren, dann irrte sein unsteter Blick ab und klammerte sich an der Wand fest.

„Es wird die höchste Zeit, daß du reich wirst, Eric!“ Er dachte an seinen Vater, und im gleichen Augenblick fiel ihm die Urkunde ein, nach der Philippe gefragt hatte. Sein eben noch bekümmertes Gesicht wurde hübsch durch ein kleines, triumphierendes Lächeln. Er war beinahe zehn Jahre jünger als sie, in diesem Augenblick sah man es deutlich.

„Wie ich höre, brauchst du Geld“, sagte er. „Warum nicht? Hast du vielleicht im Geldschrank von Maitre Sourette ein gewisses Papier gefunden?“

„Was für ein Papier?“

„Ein Protokoll, oder was weiß ich — unterschrieben unter anderem von einem Monsieur Ponti —“

„Doktor Ponti.“

„Ah — du kennst ihn?“

„Selbstverständlich. Und was ist mit dem Papier?“

„Mein Vater möchte es kaufen.“

Sie stand auf und ging in ruhigen Schritten zur Musiktruhe hinüber. Ein Tango in seinem Rhythmus beherrschter Leidenschaft klang auf. Eric bewunderte ihren bewußten, bis in jede Faser kontrollierten Gang. Aber es ärgerte ihn, daß sie keine Spur von Überraschung zeigte.

Sie kreuzte die Arme auf der Brust und blieb am Musikschrank stehen, sie wippte auf den Zehen kaum merkbar im Takt des Tanzes.

„Fünfhunderttausend kostet es.“

„Mon Dieu! Aber laß den Alten doch zahlen, zwanzig Prozent für mich?“

„Kannst du eigentlich noch tanzen?“

Er wurde rot und federte hoch, auf sie zu.

„Pfui! Du weißt doch, daß ich im vorigen Jahr im Turnier ...“

„Aber dir bekommt das Geld nicht. Seither bist du faul geworden.“

„Ja, du hast mich verwöhnt.“

„Ja, ich habe dich verwöhnt.“

Sie tanzten, aneinandergepreßt wie zusammengeschmolzen. Sie hatte ihn auf einem Tanzturnier kennengelernt. Er dachte, daß er durch seine Tanzkünste ihre Aufmerksamkeit gewonnen hatte. Er wußte nicht, wie lange Bless sondiert, geforscht und überlegt hatte, bis sie das richtige Opfer gefunden hatte — einen jungen Mann mit schwachem Herzen und reichem Vater, mit einem herzkranken Vater aus der oberen Pariser Geschäftswelt. Es gab nur wenig Söhne, wie Bless sie brauchte.

„Wie war der Alte heute?“

„Ah — er hat mich behandelt wie ...“

„... wie du es verdienst.“

„Bless! Du darfst mich aufziehen, aber du darfst mich nicht verletzen.“

Sie löste sich im Tanz ein wenig von ihm. Sie berührte ihn nur mit den Händen und mit der Brust. Das war schlimmer als das Aneinandergedrängtsein. Er spürte das Kribbeln, als sei seinem Blut in den Adern plötzlich Kohlensäure zugesetzt.

Sie sagte ironisch: „Er wird dir zum vierzigsten Geburtstag ein Schaukelpferd schenken.“

„Aber Bless! Was kann ich denn tun?“

„Nichts. So wie du bist, kannst du gar nichts tun. Ich fürchte, ich werde für dich etwas tun müssen.“

Er sah sie für eine Sekunde aus ängstlichen rehbraunen Augen an. „Meinst du denn, daß du etwas tun kannst?“

„Warum nicht?“

„Du würdest dich beeilen müssen. Er sagte heute, daß man dabei ist, ihn als Präsidenten abzuschießen, und ...“

„Ich weiß.“

„Du — natürlich! Du weißt alles.“

„Wenn man ihn aus dieser Stellung verdrängt“, meinte sie, „wird es auch mit eurer Firma bergab gehen. Das wolltest du doch sagen?“

„Ja — ich verstehe zwar nicht viel davon, aber ...“

Sie ließ ihn stehen, ging an den Musikschrank und hob die Nadel von der Platte. Die plötzliche Stille wirkte wie ein Schock, und Eric wie ein Fisch, den man auf den Sand geworfen hat. Mit der Musik war die laue, tragende Stimmung mit einem Schlag verschwunden.

„Setz dich!“ sagte sie und füllte die Gläser. „Man muß darüber reden.“

Er ging zögernd zu seinem Sessel zurück.

„Wenn du etwas tun könntest; aber ich bitte dich, nur kein Krach! Dadurch wird alles noch viel schlimmer!“

„Man muß es so machen, daß er keine Wahl hat. Man muß ihn vor vollendete Tatsachen stellen. Er muß von zwölf Uhr bis Mittag in die Lage geraten, daß er gar keinen Krach mehr machen kann.“

„Genial gesagt. Aber wie um alles in der Welt willst du das anstellen?“

„Ich werde nachdenken. Zunächst ist es nötig, daß ich in eurer Firma angestellt werde.“

Er hatte sein Glas schon erhoben, jetzt vergaß er zu trinken.

„Du willst — das wäre fabelhaft! Das heißt —“ Er wiegte den Kopf hin und her. „Wenn ich denke — eine Frau wie du in diesem Rattennest von unansehnlichen Tanten, die mein Vater sich aussucht —“

„Diese Mädchen interessieren mich nicht.“

„Ich weiß nur nicht, wie ich das machen soll. Wenn ich meinem Vater eine Sekretärin empfehle, ist das für ihn der beste Grund, sie zur Hölle zu schicken.“

„Schwachkopf. Ich denke, er will das Papier aus Sourettes Geldschrank kaufen?“

„Ja — und?“

„Es kostet fünfhunderttausend Francs. Die Verbindung dahin kann dir ein Mädchen schaffen, das dafür eine Anstellung in der Firma deines Vaters verlangt. Nun?“

„Manchmal habe ich Angst vor dir, Bless.“

„Manchmal? Du sollst immer Angst haben.“

Sie stand auf und ging zu der ganz niedrigen, großen, quadratischen Couch hinüber. Im Hinlegen streifte sie die Schuhe von den Füßen. Dann faltete sie die Hände unter dem Kopf. „Mach die Stehlampe aus!“

Gehorsam löschte er sie. Es brannte nur noch eine entfernte Wandleuchte. Das lackierte Holz der Möbel wurde zu ungewissen Formen, in deren Glätte hier und da ein Lichtblitz sich spiegelte, und die Messingbeschläge blitzten in der Dunkelheit auf. Er setzte sich neben sie.

Der gestohlene Mord

Подняться наверх