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Den Körper reizen, um Schmerzen zu lindern?

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Dass unsere Vorfahren bei der Behandlung von Krankheiten nicht zimperlich waren, zeigt sich nicht nur bei den Kräuterpasten, sondern auch in der Reiztherapie. Hier wurde versucht, mit diversen Reizen – die meist selbst schmerzhaft waren – Schmerzen zu lindern. Anwendung fand die Reiztherapie vor allem bei verschiedenen Entzündungen und Schmerzen. Hierzu wurden in unmittelbarer Nähe der betroffenen Stelle (beispielsweise eines schmerzenden Gelenkes) hautreizende Stoffe wie Senfpulver oder ein Pulver aus Spanischer Fliege auf die Haut aufgetragen und mit einem normalen Pflaster für 24 Stunden fixiert. Damit erzeugte man bewusst die Bildung von Blasen, aus denen das vermeintlich schädliche Körpersekret abfließen sollte. Die Therapie war schmerzhaft und bei dem anschließenden Öffnen der Blase bedurfte es strengster Hygiene, um eine Infektion und bleibende Narben zu verhindern. Neben Gelenkerkrankungen wurde diese Reiztherapie auch bei Tinnitus, Schwindel, Nervenschmerzen und Kopfschmerzen angewandt. Die Applikationsstelle des Pflasters richtete sich nach dem betroffenen Areal. So wurde das Pflaster beispielsweise bei Schwindel und Kopfschmerzen im Genick und bei Gelenkschmerzen in der Nähe des schmerzenden Gelenkes aufgetragen.

Die Reiztherapie entstammt der mittelalterlichen Säftelehre und war in Europa jahrhundertelang etabliert. Der Grundgedanke bestand in einer Ausleitung schlechter, krank machender Säfte. In früheren Jahrhunderten glaubten die Menschen nämlich, dass Schmerzen und Krankheiten im Allgemeinen aus einem schlechten Mischungsverhältnis der vier menschlichen Säfte Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle entstehen. Ist der Mensch gesund, sind diese im Gleichgewicht. Ist man dagegen krank, überwiegen einer oder mehrere dieser Säfte. Dementsprechend sollen verschiedene Heilmittel, eine besondere Diät oder Ausleitungsverfahren das Gleichgewicht wiederherstellen. Typische Ausleitungsverfahren waren der Aderlass, das Schröpfen, die Einnahme diverser Abführ- und Brechmittel, Schwitzkuren sowie die Reiztherapie.

Mit der Entdeckung des Blutkreislaufes im 17. Jahrhundert kamen die Vorstellungen der Säftelehre zunehmend ins Wanken. Ende der 1920er-Jahre erlebte die Reiztherapie zwar durch den Wiener Arzt Bernhard Aschner nochmals eine Renaissance, verschwand dann aber in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts endgültig aus dem Therapiekanon der Schulmedizin. Das Provozieren von Wunden wurde nämlich zunehmend als „Rosskur“ angesehen. Zudem fehlt dieser Therapieform bis heute ein wissenschaftliches Konzept, mit dem man sie auch nach modernen Gesichtspunkten erklären könnte.

Tipp: Milde Reiztherapie mit frischen Brennnesseln

Eine besonders milde Form der Reiztherapie ist übrigens auch das nach wie vor in der Volksmedizin bekannte Aufschlagen von frischen Brennnesseln. Diese noch im 19. Jahrhundert von Ärzten empfohlene Therapiemöglichkeit wird bis heute bei rheumatischen Beschwerden angewandt. Hierzu werden die frischen Brennnesseln in der Tradition der Reiztherapie auf die schmerzenden Gelenke aufgeschlagen, worauf Bläschen und Hautrötungen entstehen. Nach Abklingen des anfänglichen Brennens sollten sich die Schmerzen bessern.

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