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I. Olaf Jaspersen

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Olaf Jaspersen hob in seinem Wiener Hotelzimmer zögernd das Sprachrohr des Telephons ab und nannte, vor ihr tief errötend, dem unsichtbaren Telephonfräulein eine Nummer.

Vielleicht ahnte das Telephonfräulein dieses Erröten, diese zitternde Erwartung. Sie tat etwas Ungewöhnliches: Sie stellte sofort die richtige Verbindung her. »Hallo?« sagte in der Ferne Frau Julia Amberg.

Als Olaf Jaspersen Julia Ambergs Stimme hörte, sang er in der ersten Aufwallung ins Sprachrohr hinein: »Ist dort Julia?« – und besann sich erst eine Sekunde später auf seine wohlerzogene nordische Höflichkeit und einiges andere. Er setzte nochmals an, um »gnädige Frau« zu sagen, schloß aber dann, rot im Gesicht und schwer atmend, einen Kompromiß mit seiner Seele und sprach ins Rohr: »Hallo, sind Sie dort Frau Julia? Hier ist Olaf Jaspersen!«

Die Antwort, obgleich durchaus in einem Ton freudiger Überraschung, schien ihn ein wenig zu verstimmen. Eine andere Julia hätte vielleicht doch anders ins Telephon gesprochen, wenn Romeo eins gehabt hätte. Olaf Jaspersens glattes Knabengesicht wurde rot, seine Seele verkroch sich hinter ihre nordische Wohlerzogenheit, die nächsten Fragen galten sittsam dem Befinden Frau Julias und der ganzen werten Familie. Aber Julias Stimme unterbrach die Formalitäten. Julia kannte ihr Telephon, ein gräßliches Wiener Sechs-Minuten-Telephon und wußte, daß die Verbindung sofort abschnappen würde; so erbat sie sich die sachlichen Auskünfte: »Woher so plötzlich? Wie lange bleiben Sie in Wien?«

Olaf Jaspersen erstarrte förmlich. Seine Stimme wurde immer höflicher. »Woher? Nun aus Amerika, über Genua. Wie lange? Ja, leider, Verehrteste – «

Er hätte vielleicht unter Umständen etwas anderes gesagt. Er sagte: »Ja, leider, Verehrteste, muß ich morgen früh schon wieder abreisen. Die Redaktion der »Ny Eidende« rüstet eine Grönlandexpedition aus und ich soll mit. Ich muß so rasch wie irgend möglich nach Kopenhagen – «

Seine graublauen Augen leuchteten plötzlich auf, Julia hatte ihn heftig unterbrochen, gegen einen so kurzen Aufenthalt protestiert, ja, sicher in dem alten herzlichen Ton. Was, nur so wenige Stunden? Unsinn! Und warum telephonierte er erst, warum kam er denn nicht direkt in die Cottagegasse? Rasch ein Auto nehmen, man wartet auf ihn mit dem Nachtmahl!

Leider riß das Telephonfräulein nicht in diesem Augenblick schon die Verbindung auseinander, sondern erst drei Sekunden später; und Julia sagte rasch noch einen Satz, der Olaf Jaspersen unglücklich machte.

Julia sagte: »Dr. Hofmann wird sich auch riesig freuen, er ist gerade bei mir und – «

Das Telephon gluckste, man hörte nichts mehr. Olaf Jaspersen behielt das Rohr in der Hand und starrte es lange an.

Olaf Jaspersen war jung, kaum in den ersten Dreißigern und schien viel jünger zu sein. Er war blond und bartlos, sein Gesicht wäre kindlich hübsch gewesen, ohne die eigentümliche Nase. Sie war wie aus hartem Holz geschnitzt und dem Schnitzer war das Messer abgerutscht; es war eine zu kurze, eine zu spitze und zu scharfe Nase herausgekommen. Vielleicht hätten auch die Lippen fleischiger sein können. Kinn und Stirn waren gut, die Augen außerordentlich klar; Olaf Jaspersen trug seit Menschengedenken immer einen kornblumenblauen Anzug, peinlich gebürstet mit lächerlich weiten Hosen. Er sah aus wie ein Marinekadett in Zivil, vielleicht auch, wenn man seine Hände in Betracht zog, wie ein Musiker; er sah ganz gewiß nicht aus, wie Olaf Jaspersen, der vielerfahrene Reise-Sonderberichterstatter der »Ny Eidende«, ordentlicherweise hätte aussehen müssen.

Irgendein anderer junger Mann hätte sich jetzt, um seine Nerven zu beruhigen und um vor sich selbst eine Pose einzunehmen, eine Zigarette angezündet, ein rauher Weltbummler aber eine kurze Shagpfeife. Olaf Jaspersen öffnete zerstreut eine Schublade, kramte mit zitternden Fingern darin und brachte Kolumbia-Pastillen zum Vorschein, Pfefferminz mit einem Schokoladenüberguß. Er naschte wie ein kleines Mädchen und rauchte niemals. Mit spitzen Fingern schob er die Pastillen in seinen Mund, dann kam eine kleine rosige Zunge zum Vorschein und leckte die Mundwinkel aus, das Näschen schnupperte den Pfefferminzgeruch ein, in dem glatten Gesicht mischten sich Genuß und Liebesgram, Liebesgram und Pfefferminzschokolade.

Olaf Jaspersen dachte:

Der Doktor Hofmann! Ich habe es die ganze Zeit gewußt, daß der Kerl sich jetzt an Julia heranmachen wird. –

Oh, dachte Olaf Jaspersen, warum bin ich denn so lange weggeblieben, ein ganzes Jahr! Ich lief davon, weil ich es nicht ertragen konnte, sie mit ihrem Mann zusammen zu sehen, mit diesem Schwein, diesem Amberg. Als sie mir nach New-York schrieb, daß die Scheidung vollzogen war, hätte ich mit dem nächsten Schiff zurückkommen müssen, aber sie hätte mir doch schreiben sollen: Komm! Ich hätte sie nie verlassen dürfen, sie ist schwach, sie muß sich immer an jemand anlehnen, sogar an den Amberg hat sie sich angelehnt, als zufällig sonst niemand in der Nähe war. Ich habe sie verloren, gewiß habe ich sie verloren. Nein, die Stimme klang zuerst gar nicht herzlich. Später, als ich sagte, ich wollte nicht in Wien bleiben, taute sie förmlich auf. Soll ich gar nicht hingehen? Blumen schicken und einen Entschuldigungsbrief? Ermüdet von der Reise und so?

Sein Hirn entwarf blitzschnell den Brief. Es wäre ein zarter, feiner Brief gewesen, jene Mischung von Sentiment und leichter Ironie, die Olaf Jaspersens Leser lieben. Aber er zerriß den Brief im Geiste. Nicht hinzugehen, rasch weguzufahren, direkt nach Grönland, irgendwohin, wäre das richtigste gewesen, aber unhöflich; und man hätte den Abend einsam in irgendeinem Lokal verbringen müssen. Das bloße Grauen davor, vor belanglosen Wiener Bekannten in einem Café, trieb Olaf Jaspersen die Hoteltreppe hinab. Jetzt stand er in der Halle neben der Drehtür, mit einem kleinen Plüschhütchen schief auf dem Kopf, und war zu schüchtern, um dem Hotelportier nach einem Auto zu schicken. Immer wenn Olaf Jaspersen an den Portier herantreten wollte, kam ein anderer Gast zuvor, sprach den Vielumworbenen an. Olaf Jaspersen wurde ganz rot vor Unbeholfenheit, seine Nase aber wurde ganz bleich und immer spitzer, er hatte beide Hände in den tiefen Taschen seiner zu weiten kornblumenblauen Hosen. Wer ihn kannte, der hätte gewußt, daß er jetzt verschüchtert weggehen würde oder aber den Portier mit unerhörter Arroganz anschnauzen. Er ging, verhaspelte sich in dem Mechanismus der Drehtür, so daß ein Herr, der in dem Sektor hinter ihm stak, grob zu werden begann. Olaf Jaspersen, tief beschämt, zog den Hut vor dem Herrn, stotterte eine Entschuldigung. Dann stand er endlich draußen auf der Ringstraße, maß ihr Menschengewühl ganz erschreckt. Dieser scheue und weltfremde junge Mann tat offenbar übel daran, in so einer gefährlichen großen Stadt ganz allein auszugehen, wenigstens das Auto nicht vor die Hoteltür vorfahren zu lassen, ein gut geschlossenes Auto ohne Zugluft. Wie sollte er denn quer über die Straße gelangen? Man sah ihm genau an, daß er sich verlaufen konnte wie im Urwald. Es gab in Europa und Amerika keine Straße und in den Tropen keinen Urwald, in denen sich Olaf Jaspersen schon einmal verlaufen hätte. Das merkwürdigste war, daß er sich schließlich zwar nicht immer in den Hauptstraßen Europas und Amerikas zurechtgefunden hatte, aber immer im Urwald oder in der Wüste. Eines Tages kam er bestimmt am anderen Ende wieder heraus, mit einem verwirrten und zerstreuten Blick, mit der letzten seiner Pfefferminzpastillen zwischen seinen Lippen, mit den Händen in den tiefen Taschen seiner kornblumenblauen Hosen, und mit den denkbar genauesten Informationen in seinem Kopf über die letzten und interessantesten Ereignisse in diesem Urwald oder in dieser Wüste, zum Entzücken der Leser der »Ny Eidende« und der vierzig Weltblätter, die sich jeden Reisebericht Olaf Jaspersens sofort aus dem Dänischen übersetzen ließen.

Jetzt, während er unsicher und wie in einem unruhigen Schlaf die Ringstraße kreuzte, zehnmal in Gefahr, überfahren zu werden und immer in der letzten Sekunde durch einen flinken Sprung, eine verwegene Wendung gerettet und am Leben erhalten, kam Olaf Jaspersen an einer Plakatsäule vorbei, auf der ein gewisses Plakat klebte. Das Plakat rief auf eine kotzengrob sentimentale Weise das Mitleid des »Goldenen Herzens« von Wien für hungernde Kinder an; es sollte eine große Tanzerei veranstaltet werden. Olaf Jaspersen blickte eben nur einen Augenblick hin, aber eine Woche später las man in »Ny Eidende« den wörtlichen Text dieses Plakates; Olaf Jaspersens Augen photographierten Objekte besser als eine Kamera, und sein Film bewahrte eine einmal belichtete Platte lange, lange auf. Verblüffende Wahrheit des kleinsten Details und unanfechtbar wahrscheinliches Lügen machten Olaf Jaspersens Artikel so ungemein lesenswert. Es war wie ein Kodak mit einer wilden Phantasie.

Der große Reisende suchte die Kärntner Straße hartnäckig, aber vergeblich an einer Stelle, wo sie keineswegs einmündet, versuchte zweimal in schon besetzte Autos einzusteigen, ging mit der Absicht Rosen zu kaufen, statt in einen Blumenladen in ein daneben liegendes Papiergeschäft, kaufte aus purer Verlegenheit eine Kassette Briefpapier und ließ sie dann listig auf dem Tisch des Blumenladens stehen, sehr zum Vergnügen der kleinen Verkäuferin, denn es war ein sehr feines überseeisches Leinenpapier. Schließlich stieg Olaf Jaspersen, mit einem wunderbaren Rosenstrauß in der Hand, vor dem Haus Cottagegasse 14 aus einem Auto, keine Minute früher oder später als zu der Zeit, zu der zu kommen er der Frau Julia Amberg versprochen hatte.

Während des Abendessens war Olaf Jaspersen sehr still, und er aß eigentlich nur von der Schokoladentorte. Julia bemerkte es nicht; ein Jahr früher hätte sie es ganz bestimmt bemerkt. Sie war überhaupt ganz anders geworden; jener Zug von leidvoller Sehnsucht war verschwunden, sie schien fester, selbständiger zu sein, ein klein bißchen laut. Das Gespräch kehrte immer wieder zu einem gewissen Film zurück, den Doktor Hofmann verfaßt hatte und dessen Hauptrolle Julia darstellen sollte. Olaf Jaspersen bat den Doktor Hofmann, ihm den Inhalt des Filmdramas zu erzählen, es hatte sieben Akte und war lang, etwas verwickelt. Jaspersen hörte mit dem höflichsten Interesse zu und verstand kein einziges Wort; er sah über seine Schokoladentorte hinweg den Erzähler an, der ein schöner, schwarzer Herr mit einem weichen Kinnbart und einem horngefaßten Zwicker war, im übrigen von angenehmen Manieren und intelligent. Der Däne sah ihn an, dachte: Liebt Sie ihn? Er fand die Antwort nicht, aber das sah er wohl, daß jener irgendeine Macht über Julia gewonnen hatte. Sie saß da, groß, ernsthaft, von weichen Umrissen. Ihre Haare strahlten wieder jene bläulichen Reflexe aus, die Olaf Jaspersen berauschten. Sie schien Doktor Hofmanns langer Erzählung mit fieberhaftem Interesse zu folgen, obwohl sie den Film längst kennen mußte. Olaf Jaspersen begann zu ahnen, daß es ihr nur um den Film zu tun war und nicht um den Mann, aber das tröstete ihn nicht. Die Leidenschaft in ihren Augen galt nicht ihm, das war genug. Sie würde ihn ruhig nach Grönland fahren lassen oder zu den Botokuden.

Er sagte sofort nach dem Abendessen: »Leider werde ich mich bald empfehlen müssen, Frau Julia, mein Zug geht zeitig früh. Nun ich komme nach meiner Grönlandexpedition bald wieder nach Wien und werde mir dann gewiß gestatten – – – «

Er sah sie durstig an. Sie sagte: »Aber Jaspersen, was für ein Unsinn!« Olaf Jaspersen betete: Wenn sie mich doch nicht reisen ließe, wenn ich mich doch geirrt hätte!

Sie stand auf, legte ihm ihre Hand auf die Schulter, ergriff förmlich wieder Besitz. »Kommen Sie!«, sagte sie und zog ihn ins Nebenzimmer. Doktor Hofmann ging hinter ihnen drein, ein wenig verlegen.

Das Nebenzimmer, Julia Ambergs berühmtes Sitzzimmer, enthielt Sitzgelegenheiten, nur Sitzgelegenheiten. Man konnte sich auf den Fußboden setzten, auf den phantastische Polster gelegt waren, oder auf ganz hohe Aussichtswarten, von deren lederbezogenen Höhe man die Beine herabschlenkern lassen konnte. Es gab Schaukelstühle, Diwane, Klubsessel, gepolsterte Ecken. Julia Amberg wußte sich am schönsten, wenn sie saß, sie brauchte weiche Lehnen, Armstützen, verstand es, mit einem edlen alten Lehnessel in einem guten Umriß zu verschmelzen. Der Doktor Hofmann hatte in dem Film lauter Szenen hineingeschrieben, in denen Julia sitzen mußte oder sich setzen. So schön ist sie, pflegte Olaf Jaspersen von ihr zu sagen, daß sie sogar gut aussieht, während sie sich niedersetzt; die wunderbarsten Frauen sind sonst in diesem Augenblick häßlich.

Jetzt wählte Julia für sich den rechtwinkligen Diwan, der die Zimmerecke füllte; der Doktor Hofmann bekam einen Klubsessel, aber für Olaf Jaspersen wurde auf dem Teppich ein ganzes Nest gebaut, aus seidenen Daunenkissen und vergoldeten Polstern aus geschmeidigem japanischen Leder. Ein niederes türkisches Tischchen stand in der Reichweite seiner Hand, darauf Schalen mit Pralinés und einer Flasche des süßesten Likörs. Mit melancholischer Freude erkannte er, daß Julia es ihm behaglich machen wollte: Will sie doch, daß ich bleibe?

Julia setzte sich, glitt herrlich auf den Sitz. Sie zündete sich eine Zigarette an und sagte:

»So, lieber Jaspersen, jetzt werden Sie die ganze Nacht hier sitzenbleiben und erzählen. Schlafen können Sie auch morgen im Zug. Ich bin gewiß, Sie haben die interessantesten Dinge erlebt! Passen Sie gut auf, Hofmann, Sie werden Stoff für einen neuen Film bekommen!«

Olaf Jaspersen griff zu den Pralinés. Er sah aus, wie ein müdes Kind, das unausstehliche Erwachsenen plagen. Muß im Salon hübsch gerade sitzen und Gedichte aufsagen. Möchte viel lieber fortlaufen und spielen. Um das zu kurze Näschen zuckte ein Wetterleuchten; man hatte diesen Urwaldforscher, diesen Augenzeugen von hundert entsetzlichen Schlachten mehr als einmal öffentlich weinen gesehen, wenn er Ärger erlitten hatte.

Vielleicht bewahrte ihn diesmal der Doktor Hoffmann davor. Der zog sachlich eine Füllfeder, den etwaigen Filmstoff zu notieren. Die Literatengebärde hatte einen sonderbaren Einfluß auf Jaspersens Stimmung, sie behob ihm gleichsam die peinliche Realität seines Leides. Er sagte mit einem merkwürdigen Lächeln:

»Filmstoff? Filmstoffe können Sie von mir kriegen. Auch zuviel. Warten Sie, wenn ich erst anfange zu erzählen, dauert es tatsächlich bis morgen früh!«

(Er empfand: Morgen früh nach Grönland, irgendwohin, rasch. Sie wird mich nicht zurückhalten, sie braucht mich nicht. Da ich gerade hier bin, kann ich ihr ja vielleicht einen guten Filmstoff erzählen. Sie ist anders geworden, ich habe sie verloren. Ich glaube, die ganze Welt ist ihr nur noch ein guter Filmstoff, mit einer prächtigen Hauptrolle für Frau Julia Amberg. Gut. Sehr gut. Ich erzähle ihr jene Geschichte von Bimini, die ganze Nacht lang – .)

»Oder wollen sie vielleicht vorlesen?« fragte Julia. »Haben Sie Ihre Reisebereichte schon an ihr Blatt geschickt?«

»Ja,« sagte Olaf Jaspersen, »sie werden gewiß schon zu erscheinen beginnen. Eine Sensation, denke ich, meine Enthüllungen über die unglaublichen Zustände in Bimini.«

»Bimini?« wunderte sich Doktor Hofmann.

»Republica Federal de las Provincias Unidas de Bimini«, sagte Olaf Jaspersen. »Der jüngste der zentralamerikanischen Staaten. Nicht weiter erstaunlich, daß Sie ihn nicht kennen, hier in Europa weiß kein Mensch, was in Mittelamerika vorgeht. Aber doch, lesen Sie denn gar keine Zeitungen? In der letzten Zeit war Bimini sogar einigermaßen aktuell.«

»Nie gehört«, beharrte der Doktor Hofmann. Aber Julia lächelte weise:

»Ich schon. Ich kann Bimini sogar auswendig!«

Sie richtete sich in ihrer Diwanecke auf, wippte mit dem Fuß, rezitierte halb singend Verse von Heine:

»Auf der Insel Bimini

Quillt die allerlieblichste Quelle;

Aus dem teuren Wunderhorn

Fließt das Wasser der Verjüngung.

Nach dem ew’gen Jugendlande,

Nach dem Eiland Bimini

Geht mein Sehnen und Verlangen;

Lebet wohl, ihr lieben Freunde!

Alte Katze Mimili,

Alter Haushahn Kikriki,

Lebet wohl, wir kehren nie,

Nie zurück von Bimini!«

Olaf Jaspersens höfliche Miene gefror und sah aus wie Himbeereis. Diese kokette Rezitation verstimmte ihn. Anders war Julia Amberg. Schon ganz eine Schauspielerin. Er setzte ein strenges Gesicht auf, als ein gestörter Erzähler.

»Bimini«, sagte er, »liegt durchaus nicht nur in den gesammelten Gedichten von Heine, sondern es liegt unter dem fünfzehnten Grad nördlicher Breite und wird begrenzt von Guatemala und Honduras…«

»Kleiner Vogel Kolibri,

führe uns nach Bimini!«

trällerte Julia und sah Olaf Jaspersen lächelnd an, so daß das Wort Kolibri wie ein Kosename klang. Olaf Jaspersen war zu schwach, um sich dieses Lächelns nicht zu freuen, aber er wußte, daß er Julia verloren hatte.

»Gut, nach Bimini!« sagte er, und niemand konnte den Seufzer hören.

Er erzählte die ganze lange Nacht, in seinem weichen Nest aus vergoldeten Kissen, zu Julia Ambergs Füßen, während der Doktor Hofmann für einen fabelhaften Sensationsfilm Notizen machte.

Bimini

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