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Zweites Kapitel

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Mit dem nächsten Morgen begann für das Haus Grothe ein kritischer Tag erster Ordnung.

Reinhart v. Loos war für die Nacht von Frau Jenny in dem Fremdenzimmer untergebracht worden.

„Es ist zwar nicht ganz korrekt,“ hatte sie zu Elisabeth gesagt. „Aber es gibt Fälle, in denen man nach seinem Gefühl handelt. Ich bekomme es nicht übers Herz, ihm zu sagen, er soll sich irgendwo ein Unterkommen suchen. Die erste Nacht wenigstens bleibt er hier.“

Reinhart v. Loos folgte wie ein Kind, dem man ein Märchen erzählt. Was hier geschah und mit ihm vorging, erschien so unwahrscheinlich, daß er es nicht für wirklich nahm und es für einen jener Fieberträume hielt, die er oft in Afrika gehabt hatte. Die Erinnerung daran und die Hoffnung auf Wiederkehr war es gewesen, die ihn immer wieder vor dem letzten Zusammenbruch bewahrt hatte. So fürchtete er auch heute, als Elisabeth ihm gute Nacht sagte und Frau Jenny ihn auf sein Zimmer brachte, daß diesem Traum am nächsten Morgen ein verzweifeltes Erwachen folgen werde.

Frau Jenny war von dem Zusammenbruch Reinharts so erschüttert, daß sie für Elisabeth zunächst kein Wort des Trostes fand. Erst gegen Mitternacht ging sie zu ihrem Kinde, das, wie sie es erwartet hatte, noch auf war und vor dem Bilde Reinharts saß. Es war die letzte Photographie, bevor er ins Feld ging. Ein Bild blühender Kraft und Jugend.

„Du mußt das nicht tun,“ sagte Frau Jenny und legte den Arm um ihr Kind. „Wenn du ihn lieb hast ...“

„Mutter!“ fiel sie ihr ins Wort und wandte den Kopf.

„Ich weiß! ich weiß!“ erwiderte die. „Und eben darum, Kind, mußt du vergessen, wie er aussah. Nur wenn du es überwindest, kann er überwinden.“

Elisabeth begriff.

„Es ist ja nicht meinetwegen, Mutter!“ sagte sie. „Ich werde ihn, wenn das möglich ist, nun noch lieber haben. Aber, wie er so weiterleben soll, das weiß ich nicht. — Wenn ich doch von heut auf morgen zwanzig Jahre älter werden könnte!“

„Du brächtest es fertig und tätest es!“

„Ich würde Gott auf Knien dafür danken.“

„Nein, mein Kind, das entgegengesetzte Verfahren ist das natürliche. Reinhart wird wieder jung werden.“

„Mutter! wenn das wäre!“

„Es wird sein! — Aus einem Fünfzigjährigen kann man keinen Jüngling machen. Man kann ihm die Haare färben und ihn in die Kleider eines jungen Mannes stecken — er wird darum nicht um einen Tag jünger. Aber ein Mensch von sechsundzwanzig, der überwindet, erholt sich und vergißt — zumal, wenn die Liebe seinen Willen stärkt.“

„Das glaubst du wirklich?“ fragte Elisabeth.

„Ich bin davon überzeugt. — Und was für Reinhart gilt, das gilt für alle, denen es geht wie ihm. Es sind Tausende, Hunderttausende! Es ist das ganze deutsche Volk, das krank ist an Körper und Seele. So nur darfst du beurteilen, was dich so bedrückt und was du siehst — nicht nur hier im Hause — überall ist’s so und noch schlimmer. Ein kranker Körper, der gesunden wird, wenn nur ein paar Hundert Menschen den Willen und die Kraft haben, zu heilen und zu helfen. Jeder muß mitwirken für sein Teil! Jeder muß, was er tut, für’s Ganze tun! Reinhart ist, wie jeder andere, nur ein Teil des Ganzen. Der Eine hat, wie er, mehr seelisch und körperlich gelitten; andere wieder, wie Ediths Mann, moralisch. Pflicht derer, die gesund geblieben sind, wie du und ich, ist es, zu heilen.“

„Du hast recht, Mutter! Und gerade wir Frauen können da helfen.“

„Vielleicht! — vielleicht auch nicht!“ fügte sie resigniert hinzu. „Bei deinem Vater ist es mir bisher nicht gelungen.“

Draußen ging die Tür.

„Sie kommen!“ sagte Elisabeth.

Frau Jenny schüttelte ungläubig den Kopf, sah nach der Uhr und sagte:

„Um zwei Uhr? Das wäre seit Monaten das erstemal, daß Papa so früh nach Hause kommt.“

Es war Erich, der mit Mantel und Hut erregt ins Zimmer stürzte. Noch in der Tür rief er:

„Gut, daß du noch auf bist, Elisabeth! Ich muß dich sprechen.“

„Mitten in der Nacht?“ fragte Frau Jenny. „Wo sind die andern?“ Und besorgt fügte sie hinzu: „Es ist doch nichts passiert?“

„Die baden in Sekt,“ erwiderte Erich. „Als ich fortging, stieg eine Filmdiva in dem soeben errungenen Schönheitspreis, einem Seal im Werte von hunderttausend Mark, auf den Tisch und hielt eine Rede: ‚Kinder!‘ sagte sie, ‚ihr habt, indem ihr mir den Schönheitspreis — übrigens mein elfter Pelz! — gabt, entschieden Geschmack entwickelt. Mein Freund‘ — und neben ihr stand ein dickbäuchiger Börsianer mit taubeneigroßen Perlen im Frackhemd — ‚ehrt euern Geschmack, indem er für jeden Tisch eine Flasche Sekt spendet.‘ — Beifallsbrüllen und Getrampel war die Antwort. — ‚Deutschen oder französischen?‘ schrie grell die Stimme eines Mannes, die mir bekannt schien. Unter Pusten ließ sich der dicke Börsianer auf den Tisch heben, legte den Arm um die Diva und sagte: ‚Sieht die Frau nach deutschem Sekt aus?‘ — Dabei wies er auf die Stelle, wo die Diva zufälligerweise etwas anhatte, wies auf den Kopfschmuck, die Schuhe und Strümpfe, hob den kurzen Rock, so daß man ihr spitzenbesätes Seidenhöschen sah, und sagte: ‚Vom Kopf bis zum Zeh, alles, was Sie sehen und was Sie nicht sehen, stammt aus Paris!‘ — ‚Eine Schande!‘ rief irgendwer, wurde einem Sipo übergeben und flog an die Luft. Der dicke Börsianer aber lachte laut, hielt sich den dicken Bauch und rief: ‚Vergebt ihm, denn er weiß nicht, was er tut — er spekuliert vermutlich in Mark!‘ — Ein höllisches, höhnisches Gelächter war die Antwort. Auf dem Nebentisch stand plötzlich ein breiter Amerikaner, der wie eine Bulldogge aussah, griente und die Zähne zeigte. ‚Ruhe!‘ schrie man, und der Amerikaner brüllte: ‚Meine lieben Germans. Ich will wechseln eine Pfund und noch eine Pfund und will davon bezahlen alles, was ihr tut trinken bisher und was ihr trinken hinterher.‘ — Man jubelte ihm zu. Und tausend Stimmen schrien: ‚Es lebe der Dollar!‘ Vater ließ den Amerikaner hochleben.“

„Schändlich!“ schalt Elisabeth, und Frau Jenny schloß die Augen und sagte:

„Schamlos!“

Erich aber, der einen roten Kopf hatte und noch immer im Mantel stand, fuhr fort:

„Die Kapelle spielte irgendeinen blöden Niggersong, die blöde Gesellschaft hielt es für die amerikanische Nationalhymne, sprang auf und sang mit Hingabe und Begeisterung die Melodie mit.“

„Und der Amerikaner?“ fragte Frau Jenny.

„Der tanzte plötzlich auf dem Tisch den Niggertanz, wurde auf die Schultern gehoben und unter Jubel durch den Saal getragen.“

„Dem Volk ist nicht zu helfen,“ sagte Elisabeth. Frau Jenny widersprach:

„Es ist nicht das Volk! Es ist minderwertiges Gesindel von Schiebern und Spekulanten, die auf solche Feste gehen und sich so aufführen.“

„Es ist die neue Gesellschaft!“ erwiderte Elisabeth, „die nach Zehntausenden zählt.“

„Aber es gibt auch Tausende, die das anekelt, wie es uns anekelt, die wie wir fühlen, daß Deutschland ein Trauerhaus ist, in dem man nicht tanzt, solange noch ein belgischer oder französischer Soldat als Polizist im Lande steht.“

Erich zuckte die Achseln und sagte:

„Als wenn es das wäre!“

„Was ist es denn?“ fragte Frau Jenny.

„Das Kapital!“ erwiderte der.

„Was hat denn das damit zu tun?“

„Es ist schuld an allem!“

„Seit wann sprichst du so?“ fragte Elisabeth.

Erich erschrak und verbesserte schnell:

„Das war nur so dahingesagt.“

„Aber, wenn du das Gefühl dafür nicht hast,“ erwiderte Elisabeth, „warum bist du dann so erregt davongelaufen?“

Erich sah seine Mutter an und sagte:

„Nimmst du es übel, Mama, wenn ich mit Elisabeth allein ...“

Frau Jenny lächelte und sagte:

„Durchaus nicht! Du bist bei ihr genau so gut aufgehoben wie bei mir. Und ich wäre sehr froh, wenn du dich ihr in allem anvertrautest.“ Sie sagte ihren Kindern gute Nacht und ging.

Erich, knapp zwanzig, aber wichtig, als habe er ein Ministerportefeuille zu verwalten, stellte sich vor Elisabeth, deren Gedanken während des ganzen Gespräches bei Reinhart gewesen waren, hin und sagte:

„Du wirst staunen.“

„Nanu?“ erwiderte die.

„Ich bin nicht der, für den du mich hältst.“

„Was bedeutet das?“

„Also, für was hältst du mich?“ fragte er bedeutungsvoll.

„Für den verzogenen Sohn eines sehr reichen Vaters, der nichts anderes gelernt hat, als gut tanzen, Geld ausgeben und sich wichtig zu machen.“

„Danke!“

„Verzeih meine Offenheit, aber du weißt, ich kann nicht heucheln.“

„Ich aber habe es bisher getan.“

„Inwiefern?“

„Ich bin Kommunist!“

Elisabeth mußte lächeln.

„Du weißt, scheint’s, nicht, was das ist.“

Erich entwickelte mit Pathos das kommunistische Programm. Elisabeth hatte die Augen halb geschlossen und dachte an Reinhart. — Als Erich zu Ende war, sagte sie:

„Und die Nutzanwendung?“

„Die durfte ich im Interesse der guten Sache nicht ziehen.“

„Durftest es nicht? Wer hat es dir verboten?“

„Wilhelm Fürst.“

„Dacht’ ich’s mir doch.“

„Er ist unser geistiger Führer.“

„Der streng nach dem Programm lebt?“ fragte Elisabeth. —

Erich schwieg.

„Oder tut er es etwa nicht?“

„Wie kommst du zu der Frage?“ rief Erich erregt. „Du weißt etwas!“

„Er gefällt mir nicht.“

Da widersprach Erich und setzte sich lebhaft für Fürst ein.

„Er opfert sich,“ beteuerte er. „Du hättest ihn sehen sollen.“

„War er etwa auch auf dem Filmball?“

„Allerdings — das heißt beruflich.“

„Dann hat er wohl auch beruflich Champagner getrunken und Foxtrott getanzt?“ fragte Elisabeth, die für Augenblicke Reinhart vergaß.

„Allerdings!“

„Das lasse ich mir gefallen. Auf die Methode möchte manch einer Kommunist sein.“

„Du hast keinen Grund, ihn zu verhöhnen.“

„Im Gegenteil! Ich bewundre ihn.“

„Ich sah ihn mit ein paar Damen in einer Loge und suchte ihn auf.“

„Er war wohl sehr überrascht, dich auf dem Ball zu sehen?“

„Offen gesagt, ich genierte mich.“

„Und er?“

„Er sagte leise zu mir, damit die Damen es nicht hörten: ‚Was glaubst du, wie mich das hier anekelt? Aber ich muß die Bourgeoisie da aufsuchen, wo sie am aufdringlichsten und frechsten ist.“

„Warum muß er?“ fragte Elisabeth.

„Weißt du es wirklich nicht? Ich hätte dich für klüger gehalten! Um Studien zu machen — wozu wohl sonst? Man muß doch kennen, was man bekämpft.“

„Ich finde, man sollte mit gutem Beispiel vorangehen, wenn man sich als Menschenbefreier und Weltbeglücker aufspielt.“

„Aber Elisabeth, dadurch, daß er in die Volksküche geht, bekehrt er doch diese Menschen nicht.“

„Gewiß nicht! Aber wenn er auf die Rede des Dollarkönigs erwidert hätte: Wir haben der Entente so viel Opfer zu bringen, daß wir uns nichts vergeben, wenn wir das Angebot des Amerikaners annehmen. Dafür aber soll jeder die Hälfte seiner Zeche, die der Amerikaner übernimmt, für notleidende deutsche Kinder opfern — so hätte er damit ein gutes Werk getan.“

„Das hat ja nichts mit Kommunismus zu tun!“ erwiderte Erich überlegen.

„Aber mit Menschlichkeit — und die steht höher als eure Parteiprogramme.“

„Das sind Kompromisse! Davon wollen wir nichts wissen. Sie führen nur zur Verbürgerlichung des Proletariats. Und die ist der Tod des Kommunismus. Ohne Gewalt geht es nun einmal nicht.“

Elisabeth lächelte und sagte:

„War es das, worüber du mit mir reden wolltest?“

Erich wurde etwas kleinlaut und sagte:

„Ich wollte dich um tausend Mark bitten.“

„Mitten in der Nacht?“

„Es ist nicht für mich.“

„Etwa für Fürst?“

„Ja! — Er forderte es von mir.“

„Er forderte es? — Ja, mit welchem Recht?“

„Nach unserem Parteiprogramm muß jeder, der hat, dem, der nichts hat, geben.“

„Ja, du hast doch aber nichts.“

„Ich persönlich nicht — aber Vater — und das ist dasselbe — sagt Fürst.“

„Sagt Fürst,“ wiederholte Elisabeth. „Und was Fürst sagt, ist für dich Gesetz.“

„Parteidisziplin ist oberstes Gesetz.“

„Sieh einmal an, wie du plötzlich gelernt hast, dich unterzuordnen. Auf der Schule tatest du das nicht.“

„Ich bitt’ dich, Elisabeth, was sind das für Vergleiche!“

„Nun, in bezug auf Unfreiheit scheint mir der Unterschied nicht allzu groß zu sein.“

„Ich bitte dich! die Penne und der Kommunismus, das sind doch so weltverschiedene Dinge wie ...“

„Wie was?“ fragte Elisabeth.

„Na, wie ein Frosch zum Elefanten oder die Müggelberge zum Himalaja.“

„Und was will Fürst mit dem Geld?“

„Weitergeben!“

„Heut nacht noch?“

„Ja! — Er sagt, ich könnte mir gar keine Vorstellung davon machen, wie toll es die Bourgeoisie treibt. Bis in den Tag hinein.“

„Der Aermste! Er opfert sich also geradezu für seine Ueberzeugung, und die Damen, die er bei sich hat, vermutlich auch.“

„Also bitte, gib mir das Geld!“ drängte Erich.

Elisabeth schüttelte den Kopf und sagte:

„Nein! Weder gebe ich dir einen Pfennig für deine politischen Zwecke — du bist ja viel zu ungebildet und unreif, um dich überhaupt politisch zu betätigen, und wenn du jetzt auf den Kommunismus schwörst, so ist das nichts weiter, als die bei deiner Jugend natürliche Reaktion auf den Luxus, der dich hier umgibt — noch gebe ich dir einen Pfennig für diesen sonderbaren Heiligen, der deine Gutmütigkeit ausnutzt.“

„Du hast keine Ideale, Elisabeth!“ rief Erich. „Ich habe mich schwer in dir getäuscht.“

„Du wirst zu mir zurückfinden, Erich!“ erwiderte sie in aller Ruhe ihrem Bruder, der sie gekränkt verließ und nach hinten ging bis zur Tür, hinter der die Köchin schlief. Dort klopfte er energisch.

Eine verschlafene Stimme rief:

„Wa ...?“ Und als er immer weiter klopfte: „Ja doch! wo brennt’s denn?“

„Minna!‘ rief Erich. „Machen sie auf!“

„Jesses! der junge Herr! mitten in der Nacht.“

„So öffnen Sie schon!“

Minna lachte laut und rief:

„Nee, Herr Erich, müssen Sie aber einen zu sitzen haben! — Ich bin des Nachts nicht schöner als am Tage — und jünger auch nicht. — Achtundfünfzig auf den Kopf, damit Sie’s wissen.“

„Sie sind verrückt! Wer denkt an so was? Ich habe Wichtigeres im Kopf! Parteisache!“

„Jroßer Gott! jeht es los?“

„Bald!“

„Ich komme! ich komme!“

Die Tür ging auf, und was jetzt erschien, war undefinierbar. Nicht Frau, nicht Mann, überhaupt nichts, was an einen Menschen erinnerte. Aber unter einer Haube, an der eine Art Rattenschwanz herabhing, glotzten ein Paar scharfe, leuchtende Augen hervor. Und ein Mund, dessen Zähne in einem Glas Wasser auf dem Nachttisch standen, tat sich auf, der in Form und Umfang an einen Frosch erinnerte.

„Die Handgranaten liegen noch unter der Matratze. Ich habe mir schon den Rücken wundgelegen. Gott sei Dank, daß es endlich losgeht und ich die verfluchten Dinger loswerde. Jede Nacht träume ich, ich gehe in die Luft.“

„Reden Sie nicht so viel, Minna! handeln Sie! Die Sache duldet keinen Aufschub. Die Bourgeoisie erhebt ihr Haupt immer frecher.“

„Bande!“ rief die Köchin und ballte die Faust. „Wird das also heute die Bartholomäusnacht, von der Sie mir erzählt haben?“

„Noch nicht! aber bald!“

Minna war enttäuscht. Erich war ins Zimmer getreten und hatte ihre Hand ergriffen.

„Stehen Sie noch zu uns?“ fragte er ernst.

„Aber feste!“ erwiderte sie. „Wo mir doch die Jnädige die Jehaltserhöhung verweigert hat.“

„Da haben Sie’s! Ausbeutung bis aufs Blut. — Also, Minna, ich brauche tausend Mark.“

„Ta .. ta .. tausend .. Mark — Herr Erich —?“ und sie fuhr sich mit der Hand über das Gesicht — „träume ich?“

„Ich muß sie haben, die gute Sache verlangt’s.“

Minna, deren Füße in irgend etwas steckten, was früher einmal Stiefel des Herrn Generaldirektor Grothe waren, schlüpfte zu einer Kommode, zog unter ihrer Haube einen Schlüssel hervor, schloß auf, warf sämtliche Wäsche heraus und hob eine alte Tasche auf, in der sie ihre Ersparnisse aufbewahrte. Hastig zählte sie:

„Eins, zwei, drei, vier, fünf, fünfzig, siebzig, achtzig, fünf, sechs, sieben — fünfhundertsiebenundachtzig Mark — das ist alles, was ich habe.“

„Geben Sie her, Minna!“

Sie überlegte nicht lange und gab ihm das Geld. Dabei sagte sie:

„Aber es bleibt dabei, was mir Herr Fürst versprochen hat?“

„Was?“ fragte Erich.

„Daß ich bei die Sowjets dem Ernährungskommissar beigegeben werde.“

„Hat Fürst Ihnen das zugesagt?“

„Auf mein Wort! wörtlich so hat er’s jesagt. Ich hab’s mir schwarz auf weiß notiert.“

„Dann stimmt es.“

Er nahm das Geld und eilte hinaus, während Minna fein säuberlich ihre Wäsche wieder in die Kommode legte. Dabei schmunzelte sie und dachte an die Männer, die ihr in ihrer Lebens-Maienzeit die Ehe versprochen, sie dann aber genau so hatten sitzen lassen, wie alle Späteren, die sie mehr ihrer Kochkunst als ihrer körperlichen Reize wegen begehrt hatten. — Sie alle sollten, war sie in Sowjetdeutschland erst die rechte Hand des Ernährungskommissars, vor ihr auf den Knien rutschen und um ein Stück Brot betteln.

Erich stürzte in das Auto, das er vor der Tür hatte warten lassen, und fuhr zum Filmball, wo er Fürst mit den beiden aufgetakelten Damen bereits in der Garderobe antraf. Er schob ihm diskret das Geld in die Hand und sagte:

„Mehr konnte ich nicht auftreiben,“ worauf Fürst erwiderte:

„Schäm dich! — Wenn ich nicht den Baron von Bleichwanger angezapft hätte, wäre die Nacht für mich zu Ende.“ — Dabei sah er nach der Uhr und stellte fest, daß es kurz nach halb drei war.

„Gehört denn Baron Bleichwanger auch zu uns?“ fragte Erich erstaunt. „Dieser Protz und Millionär?“

Fürst legte den Finger auf den Mund und sagte:

„Ja! — Wenn vermutlich auch nicht aus Sympathie.“

„Warum sonst?“

„Aus Furcht!“

„Feigling! Das sollte man nicht zugeben.“

„Jede Revolution kostet Geld; und ob sie glückt, ist letzten Endes eine Frage der Finanzierung.“

„Der Finanzierung?“ fragte Erich erstaunt. Fürst, der unter dem Einfluß des Alkohols stand, sich daher vergaß und mehr aus sich herausging als sonst, lachte.

„Nun ja! sie ist ein Geschäft wie jedes andre. Einen Menschen wie Bleichwanger macht man mit Sekt besoffen, die Massen mit Phrasen — beides kostet Geld. Für nichts ist der Tod. Und die Provokateure, durch die wir die Massen aufhetzen, werden alle Tage unverschämter.“

Erich faßte sich an den Kopf, und Fürst fuhr fort:

„Sie haben zwei Walzen, die sie im Schlafe herunterspielen, und wenn man sie schlecht bezahlt, so gehen sie einfach zur Konkurrenz.“

„Zur Konkurrenz? Wer ist das?“

„Die Deutschnationalen! Sie setzen an die Stelle des Wortes Kapital das Wort Juden und halten im übrigen genau dieselben Reden. Auf die Massen wirkt eins so stark wie das andre. — Wer am besten bezahlt, hat sie.“

„Du weißt nicht, was du sprichst!“ rief Erich. „Du bist betrunken!“

Fürst, dem sich die beiden Frauen rechts und links an den Arm gehängt hatten, lachte und sagte:

„Möglich! denn, wenn ich nicht be — trunken wäre — dann — dann — wäre ich — nüchtern.“

„Schäm dich!“ schalt Erich.

„Du — du — weißt — nicht — was — du — sprichst — ohne Disziplin — verstehst du — ohne Geld — und ohne — Sekt — da ist das Le — ben — eine — Hühnerbrust.“

„Hühnerleiter!“ verbesserte kichernd eins der beiden Weiber, und die andre sagte:

„Willy, du bist himmlisch!“

„Man — muß nur einen — klaren Kopf — haben,“ erwiderte Fürst, fühlte, wenn auch nur im Unterbewußtsein, daß er sich vor Erich blamiert hatte, suchte die Situation zu retten, schwenkte den stumpfen Zylinder und rief laut:

„Es lebe die Internationale!“

Im selben Augenblick hatte er von einem Herrn eine kräftige Ohrfeige — irgendein anderer schlug ihn mit einem Stock über den Kopf — ein Dritter wieder nahm für ihn Partei und rief:

„Meine Herren! Sie befinden sich auf dem Filmball und nicht in der Berliner Stadtverordnetenversammlung!“

„Maul halten!“ rief ein Hüne. „Schlagt den Juden tot!“

„Unerhört!“ knirschte eine Kokotte: „Sie wollen ein feiner Herr sein!“

„Wir sind alle Juden,“ brüllte der dicke Herr mit den großen Perlen. „Verstanden?“ und wies in den Saal, aus dem jetzt alle auf den Flur strömten — und ihm recht gaben.

„Wer hat hier Jude geschimpft?“ schrien die Weiber, und der dicke Herr, im Schutz der Amazonen, schob seinen Bauch dichter an den Hünen heran und brüllte:

„Frecher Lümmel!“

Da schrie irgendwer:

„Schieber!“

Im selben Augenblick löste sich das Knäuel von Menschen; sie ließen ihre Frauen und das volle Sektglas im Stich, stürmten zur Garderobe und stürzten hinaus.

Im Hintergrunde erschien ein Sipo.

Der Saal war leer.

Einsam thronte der Amerikaner mit seiner Miß und ließ sich den Tisch näher an die Kapelle rücken.

„Eine sonderbare Mensch diese Germans,“ sagte er zu dem Ober. „Uenn ich in Amerika uill wo allein sein mit meine Frau, ich schreien laut: ‚Feuer!‘ und alles stürzen hinaus. In Germany ich schreien ‚Schiber!‘ und ich bin for my.“ —

Draußen auf dem Damm lag Wilhelm Fürst, dem der Hüne noch eine tüchtige Tracht Prügel versetzt hatte, durch die er ganz nüchtern geworden war. Die beiden Weiber hatten ihn verlassen, Erich Grothe mühte sich um ihn.

„So trägt man für seine politische Ueberzeugung seine Knochen zu Markt,“ stöhnte Fürst.

„Was hast du aber auch getan?“ erwiderte Erich.

„Taktik!“ log Fürst. „Du wirst später einmal alles verstehen, was dir jetzt vielleicht sonderbar erscheint.“

Erich richtete den arg zugerichteten Genossen auf — und glaubte ihm.

„Ich bin sehr schwach,“ log Fürst weiter, reichte Erich die Hand und sagte:

„Versprich mir, daß du mein Werk fortsetzt, wenn ich sein Opfer werde.“

Erich war erschüttert und gelobte es.

In einem der vielen vor dem Festsaal wartenden Autos, die am schnellsten in Gang kamen, saß Familie Grothe; Vater, Tochter und Schwiegersohn.

„Man ist seines Lebens nicht mehr sicher!“ sagte der Alte.

„Wenn du schon jammerst, was soll da ich sagen,“ erwiderte Iwan Schiff.

„Wieso?“ fragte der und Schiff erwiderte:

„Sehr einfach! Entweder siegen die Kommunisten, dann bin ich verloren, oder es siegen die Antisemiten, dann bin ich auch verloren. Ich bin also auf alle Fälle verloren und würde mir eine Kugel durch den Kopf jagen, wenn ...“

„Wenn?“ fragte Edith ängstlich und hielt seine Hand.

„Wenn die Devisen nicht so fest wären,“ erwiderte Schiff und holte Atem.

Elisabeth

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