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Entschuldigungsbrief
ОглавлениеSamstag, den 22. November
Werter Freund,
zuerst möchte ich mich aufrichtig entschuldigen, dass Sie solange nichts von mir gesehen, gehört oder gelesen haben. Wenigstens komme ich hiermit dem Letztgenannten nach.
Als Grund für meine Säumigkeit möchte ich meinen Drachen nennen. Schmunzeln Sie darüber nicht! Er entschuldigt weder mein Handeln, noch soll er mir als Ausrede dienen, meine sozialen Verpflichtungen zu erfüllen, aber verraten Sie mir: Ist Schweigen Verteidigung oder Eingeständnis?
Warum ich ausgerechnet jetzt begonnen habe zu Schreiben, liegt darin begründet, dass ich seit gestern erwachende Lebenskräfte in mir emporsteigen fühle. Ein innerlicher Frühlingsanfang. Knospen treiben in mir und Krokusse fassen einander mit Schneeglöckchen die Hand. Alles wird leichter und ist leichter. Doch ich prophezeie, dass morgen schon um diese Stunde, die Waage zu meinen Ungunsten aus dem Gleichgewicht fällt. Schuld daran trägt dieses fürchterliche Biest, der Drache. Wenn ich Ihnen dieses Wesen unbeschrieben lasse, dann weil es kein Aussehen mit Umrissen besitzt, trotzdem benenne ich es namentlich, obwohl ich um die Gefahr weiß, in die in mich begebe, wenn ich offen vom Reich der Fantasie berichte. Diese Fantasie, so unglaublich es klingen mag, ist real! Verleugnen Sie den Wind nur, wenn Sie seine Auswirkungen ebenso leugnen! Mir für meinen Teil stockt der Atem, sobald ich mich seiner Krallen erinnere. Es müssen seine Krallen sein, da sie meinen Hals umschließen und würgen. Stark genug, dass ich den festen Griff deutlich spüre, zu schwach jedoch, um nicht an ihm zu sterben. Zurück bleiben rote Striemen, die mich zeichnen.
Im nahen Schlossgarten von Bergedorf verbringe ich mittlerweile keinen Augenblick mehr. Bis der Winter hereinbrach, fand ich in dieser pittoresken Parkanlage etwas Zerstreuung. Oft spendete er mir Trost mit seinen mächtigen Blutbuchen und mit den Kastanien, die ich auflas und auf einem schmalen Brückengeländer übereinanderstapelte. Mit kindlicher Begeisterung verfolgte ich die Amseln beim Hopsen und die Karpfen beim Schwimmen, liebend gerne habe ich mich am Duft der Lilien berauscht und meine Augen an den Seerosen geweidet. Mittlerweile ist der Park kahl und es riecht dort nach nassem Laub. Kaum, dass ich dieser Zufluchtsstätte noch einen verstohlenen Blick zuwerfe, wenn ich durch die Straßenzüge gehe und sein skelettartiges Antlitz mir durch den Nebel entgegen stiert. Ja, ich spüre die Seitenblicke, sie stechen in mich wie Dornen, es sind meine Gewissensbisse. Ich muss mir eingestehen, dass mein Hang zur Ästhetik ihn zeitweise für meine Zwecke, mein ausgemergeltes Wohlbefinden, misshandelte. In Anmut hat er mich bedingungslos aufgenommen, heuchlerisch nahm ich die Einladung an, solange sie mir angenehm war. Tartüfferie. Verstoßen habe ich den Garten Eden - bin ich Adam oder bin ich gar der Garten? Sicher scheint, dass ich der Drache für den Bergedorfer Schlosspark bin, nur anders. Er sieht mich, kann mich beschreiben und weiß, woher sein Leid rührt, ich hingegen bin unwissend.
Verzeiht mir meine Oberflächlichkeit, verzeiht mir ferner mein ganzes Geschreibsel, dient es mir wie der Park ausschließlich einer Ablenkung, in der ich Befreiung suche. Feuer und Flamme sitz ich hier und gelobe Ihnen Besserung. Die Wahrhaftigkeit dessen wäre Ihnen gewiss, würden Sie meine entschlossenen Augen sehen, an denen Sie verbrennen müssten, wie an der Flamme eines feuerspeienden Drachen.
Irrsinn lass ab von mir.
In tiefer Verbundenheit
Euer einziger Freund