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ERSTE NACHTWACHE

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Der sterbende Freigeist

Die Nachtstunde schlug; ich hüllte mich in meine abenteuerliche Vermummung, nahm die Pike und das Horn zur Hand, ging in die Finsternis hinaus und rief die Stunde ab, nachdem ich mich durch ein Kreuz gegen die bösen Geister geschützt hatte.

Es war eine von jenen unheimlichen Nächten, wo Licht und Finsternis schnell und seltsam miteinander abwechselten. Am Himmel flogen die Wolken, vom Winde getrieben, wie wunderliche Reisebilder vorüber, und der Mond erschien und verschwand in raschem Wechsel. Unten in den Straßen herrschte Totenstille, nur hoch oben in der Luft hauste der Sturm wie ein unsichtbarer Geist.

Es war mir schon recht, und ich freute mich über meinen einsam wiederhallenden Fußtritt, denn ich kam mir unter den vielen Schläfern vor wie der Prinz im Märchen in der bezauberten Stadt, wo eine böse Macht jedes lebende Wesen in Stein verwandelt hatte; oder wie ein einzig Übriggebliebener nach einer allgemeinen Pest oder Sündflut.

Der letzte Vergleich machte mich schaudern, und ich war froh ein einzelnes mattes Lämpchen noch hoch oben über der Stadt auf einem freien Daehkämmerchen brennen zu sehen.

Ich wußte wohl, wer da so hoch in den Lüften regierte, es war ein verunglückter Poet, der nur in der Nacht wachte, weil dann seine Gläubiger schliefen, und die Musen allein nicht zu den letztern gehörten.

Ich konnte mich nicht entbrechen folgende Standrede an ihn zu halten: „O du, der du da oben dich herumtreibst, ich verstehe dich wohl, denn ich war einst deinesgleichen! Aber ich habe diese Beschäftigung aufgegeben gegen ein ehrliches Handwerk, das seinen Mann ernährt, und das für denjenigen, der sie darin aufzufinden weiß, doch keineswegs ganz ohne Poesie ist. Ich bin dir gleichsam wie ein satirischer Stentor in den Weg gestellt, und unterbreche deine Träume von Unsterblichkeit, die du da oben in der Luft träumst, hier unten auf der Erde regelmäßig durch die Erinnerung an die Zeit und Vergänglichkeit. Nachtwächter sind wir zwar beide; schade nur daß dir deine Nachtwachen in dieser kalt prosaischen Zeit nichts einbringen, indeß die meinigen doch immer ein Übriges abwerfen. Als ich noch in der Nacht poesierte, wie du, mußte ich hungern, wie du, und sang tauben Ohren; das letzte tue ich zwar noch jetzt, aber man bezahlt mich dafür. O Freund Poet, wer jetzt leben will, der darf nicht dichten! Ist dir aber das Singen angeboren und kannst du es durchaus nicht unterlassen, nun so werde Nachtwächter, wie ich, das ist noch der einzige solide Posten wo es bezahlt wird, und man dich nicht dabei verhungern läßt. – Gute Nacht, Bruder Poet!“

Ich blickte noch einmal hinauf, und gewahrte seinen Schatten an der Wand, er war in einer tragischen Stellung begriffen, die eine Hand in den Haaren, die andre hielt das Blatt, von dem er wahrscheinlich seine Unsterblichkeit sich vorrezitierte.

Ich stieß ins Horn, rief ihm die Zeit zu und ging meiner Wege. –

Halt! dort wacht ein Kranker – auch in Träumen, wie der Poet, in wahren Fieberträumen!

Der Mann war ein Freigeist von jeher, und er hält sich stark in seiner letzten Stunde, wie Voltaire. Da sehe ich ihn durch den Einschnitt im Fensterladen; er schaut blaß und ruhig in das leere Nichts, wohin er nach einer Stunde einzugehen gedenkt, um den traumlosen Schlaf auf immer zu schlafen. Die Rosen des Lebens sind von seinen Wangen abgefallen, aber sie blühen rund um ihn auf den Gesichtern dreier holder Knaben. Der jüngste droht ihm kindlich unwissend in das blasse starre Antlitz, weil es nicht mehr lächeln will wie sonst. Die andern beiden stehen ernst betrachtend, sie können sich den Tod noch nicht denken in ihrem frischen Leben.

Das junge Weib dagegen mit aufgelöstem Haar und offner schöner Brust blickt verzweifelnd in die schwarze Gruft und wischt nur dann und wann den Schweiß, wie mechanisch, von der kalten Stirn des Sterbenden.

Neben ihm steht, glühend vor Zorn, der Pfaff mit aufgehobenem Kruzifixe, den Freigeist zu bekehren. Seine Rede schwillt mächtig an wie ein Strom, und er malt das Jenseits in kühnen Bildern; aber nicht das schöne Morgenrot des neuen Tages und die aufblühenden Lauben und Engel, sondern (wie ein wilder Höllenbreugel) die Flammen und Abgründe und die ganze schaudervolle Unterwelt des Dante.

Vergebens! der Kranke bleibt stumm und starr, er sieht mit einer fürchterlichen Ruhe ein Blatt nach dem andern abfallen und fühlt, wie sich die kalte Eisrinde des Todes höher und höher zum Herzen hinaufzieht.

Der Nacht wind pfiff mir durch die Haare und schüttelte die morschen Fensterladen wie ein unsichtbarer herannahender Todesgeist. Ich schauderte, der Kranke blickte plötzlich kräftig um sich, als gesundete er rasch durch ein Wunder und fühlte neues höheres Leben. Dieses schnelle leuchtende Auflodern der schon verlöschenden Flamme, der sichere Vorbote des nahen Todes, wirft zugleich ein glänzendes Licht in das vor dem Sterbenden aufgestellte Nachtstück und leuchtet rasch und auf einen Augenblick in die dichterische Frühlingswelt des Glaubens und der Poesie. Sie ist die doppelte Beleuchtung in der Correggionacht, und verschmilzt den irdischen und himmlischen Strahl zu einem wunderbaren Glanze.

Höllenbreugel (Pieter Bruegbel, † 1638): aus der flämischen Malerschule

Der Kranke wies die höhere Hoffnung fest und entschieden zurück und führte dadurch einen großen Moment herbei. Der Pfaff donnerte ihm zornig in die Seele und malte jetzt mit Flammenzügen wie ein Verzweifelnder, und bannte den ganzen Tartarus herauf in die letzte Stunde des Sterbenden. Dieser lächelte nur und schüttelte den Kopf.

Ich war in diesem Augenblicke seiner Fortdauer gewiß; denn nur das endliche Wesen kann den Gedanken der Vernichtung nicht denken, während der unsterbliche Geist nicht vor ihr zittert, der sich, ein freies Wesen, ihr frei opfern kann, wie sich die indischen Weiber kühn in die Flammen stürzen und der Vernichtung weihen.

Ein wilder Wahnsinn schien bei diesem Anblicke den Pfaffen zu ergreifen, und, getreu seinem Charakter, redete er jetzt, indem ihm das Beschreiben zu ohnmächtig erschien, in der Person des Teufels selbst, der ihm am nächsten lag. Er drückte sich wie ein Meister darin aus, echt teufelisch im kühnsten Stile und fern von der schwachen Manier des modernen Teufels.

Dem Kranken wurde es zu arg. Er wendete sich finster weg, und blickte die drei Frühlingsrosen an, die um sein Bette blüheten. Da loderte die ganze heiße Liebe zum letztenmale in seinem Herzen auf, und über das blasse Antlitz flog ein leichtes Rot wie eine Erinnerung. Er ließ sich die Knaben reichen und küßte sie mit Anstrengung, dann legte er das schwere Haupt an die wallende Brust des Weibes, stieß ein leises ach! aus, das mehr Wollust als Schmerz schien, und entschlief liebend im Arm der Liebe.

Der Pfaff, seiner Teufelsrolle getreu, donnerte ihm, der Bemerkung gemäß, daß das Gehör bei Verstorbenen noch eine längere Zeit reizbar bleibt, in die Ohren und versprach ihm in seinem eigenen Namen fest und bündig, daß der Teufel nicht nur seine Seele, sondern auch seinen Leib abfordern würde. Somit stürzte er fort und hinaus auf die Gasse. Ich war verwirrt worden, hielt ihn in der Täuschung wahrhaft für den Teufel und setzte ihm, als er an mir vorüberfahren wollte, die Pike auf die Brust. „Geh zum Teufel!“ sagte er schnaubend, da besann ich mich und sagte: „Verzeiht, Hochwürdiger, ich hielt euch in einer Art Besessenheit für ihn selbst, und setzte euch deshalb die Pike als ein Gott sei bei uns! aufs Herz. Haltet mirs diesmal zu Gute!“

Correggio († 1534): ital. Maler, Meister des Helldunkel Tartarus: Unterwelt Er stürzte fort.

Ach! dort im Zimmer war die Szene lieblicher worden. Das schöne Weib hielt den blassen Geliebten still in ihren Armen wie einen Schlummernden; in schöner Unwissenheit ahnte sie den Tod noch nicht und glaubte, daß ihn der Schlaf zu neuem Leben stärken werde – ein holder Glaube, der im höhern Sinne sie nicht täuschte. Die Kinder knieten ernst am Bette, während die Mutter, ihm schweigend mit den Augen zuwinkend, die Hand auf sein umlocktes Haupt legte. Die Szene war zu schön; ich wandte mich weg, um den Augenblick nicht zu schauen, in dem die Täuschung schwände. Mit gedämpfter Stimme sang ich einen Sterbegesang unter dem Fenster, um in dem noch hörenden Ohre den Feuerruf des Mönchs durch leise Töne zu verdrängen. Den Sterbenden ist die Musik verschwistert, sie ist der erste süße Laut vom fernen Jenseits, und die Muse des Gesanges ist die mystische Schwester, die zum Himmel zeigt. So entschlummerte Jakob Böhme, indem er die ferne Musik vernahm, die niemand, außer dem Sterbenden hörte.

Die Nachtwachen des Bonaventura

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