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ZWEITE NACHTWACHE

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Die Erscheinung des Teufels

Die Stunde rief mich wieder zu meiner nächtlichen Hantierung; da lagen die öden Straßen wie zugedeckt vor mir, und nur dann und wann flog ein Wetterleuchten lustig und rasch durch sie hin, und weit, weit in der Ferne murmelte es drein wie unverständlicher Zauberspruch.

Mein Poet hatte das Licht ausgelöscht, weil der Himmel leuchtete und er dies letztere für wohlfeiler und poetischer zugleich hielt. Er schauete hoch droben in die Blitze hinein, im Fenster liegend, das weiße Nachthemd offen auf der Brust, und das schwarze Haar struppig und unordentlich um den Kopf. Ich erinnerte mich an ähnliche überpoetische Stunden, wo das Innere Sturm ist, der Mund im Donner reden und die Hand statt der Feder den Blitz ergreifen möchte, um damit in feurigen Worten zu schreiben. Da fliegt der Geist von Pole zu Pole, glaubt das ganze Universum zu überflügeln, und wenn er zuletzt zur Sprache kommt – so ist es kindisch Wort, und die Hand zerreißt rasch das Papier.

J. Böhme († 1624): Schuster und schlesischer Mystiker

Ich bannte diesen poetischen Teufel in mir, der am Ende immer nur schadenfroh über meine Schwäche aufzulachen pflegte, gewöhnlich durch das Beschwörungsmittel der Musik. Jetzt pflege ich nur ein paarmal gellend ins Horn zu stoßen, und da gehts auch vorüber.

Überall kann ich allen denen, die sich vor ähnlichen poetischen Überraschungen wie vor einem Fieber scheuen, den Ton meines Nachtwächterhorns als ein echtes antipoeticum empfehlen. Das Mittel ist wohlfeil und von großer Wichtigkeit zugleich, da man in jetziger Zeit mit Plato die Poesie für eine Wut Zu halten pflegt, mit dem einzigen Unterschiede, daß jener diese Wut vom Himmel und nicht aus dem Narrenhause herleitete.

Mag dem indeß sein, wie ihm wolle, so bleibt es doch heutzutage mit der Dichterei überall bedenklich, weil es so wenig Verrückte mehr gibt und ein solcher Überfluß an Vernünftigen vorhanden ist, daß sie aus ihren eigenen Mitteln alle Fächer und sogar die Poesie besetzen können. Ein rein Toller, wie ich, findet unter solchen Umständen kein Unterkommen. Ich gehe deshalb auch nur jetzt bloß noch um die Poesie herum, das heißt, ich bin ein Humorist worden, wozu ich als Nachtwächter die meiste Muße habe. –

Meinen Beruf zum Humoristen müßte ich hier freilich wohl zuvor erst dartun, allein ich lasse mich nicht darauf ein, weil man es überhaupt jetzt mit dem Berufe selbst so genau nicht nimmt, und sich dagegen mit dem Rufe allein begnügt. Gibt es doch auch Dichter ohne Beruf, durch den bloßen Ruf – und somit ziehe ich mich aus dem Handel.

Eben flammte ein Blitz durch die Luft, da schlichen drei an der Kirchhofsmauer hin wie Karnevalslarven. Ich rief sie an, doch wars schon wieder Nacht ringsum, und ich sah nichts, als einen glühenden Schweif und ein paar feurige Augen, und zu dem fernen Donner murmelte eine Stimme in der Nähe, wie zu einer Don-Juans-Begleitung: „Tu was deines Amtes ist, Nachtrabe; aber mische dich nicht ins Geisterwerk!“

Das war mir doch etwas zu arg, und ich warf meine Pike dahin wo die Stimme herkam; eben blitzte es wieder – da waren die drei in Luft zerronnen wie Macbeths Hexen.

„Erkennt ihr mich nicht für einen Geist an“; rief ich noch zornig hinterdrein, in der Hoffnung, daß sie’s vernähmen – „und doch war ich Poet, Bänkelsänger, Marionettendirekteur und alles dergleichen Geistreiches nacheinander. Ich möchte doch Eure Geister gekannt haben im Leben – wenn ihr anders wirklich bereits daraus seid! – ob sich der meinige mit ihnen nicht hätte messen können; oder habt ihr einen Zusatz von Geist erhalten nach eurem Tode, wie wir das Beispiel bei manchen großen Männern erfuhren, die erst nach ihrem Tode berühmt wurden und deren Schriften durch das lange Liegen an Geist gewannen; gleich dem Weine der mit dem zunehmenden Alter geistreicher wird.“ –

Jetzt war ich der Wohnung des exkommunizierten Freigeistes bis auf einige Schritte nahegekommen. Aus der offenen Tür legte sich ein matter Schein in die Nacht hinein und floß oft seltsam mit dem Wetterleuchten zusammen, auch murmelte es vernehmlicher von den fernen Bergen herüber, wie wenn das Geisterreich sich ernstlich ins Spiel zu mischen gedächte.

Auf dem Hausflur war der Tote der üblichen Sitte gemäß offen ausgestellt, um ihn her brannten wenige ungeweihte Kerzen, weil der Pfaff, teuflischen Andenkens, die Weihe verweigert hatte. Der Verstorbene lächelte in seinem festen Schlafe darüber, oder über seinen eignen törichten Wahn, den das Jenseits widerlegt hatte, und sein Lächeln glänzte wie ein ferner Widerschein vom Leben über die starren vom Tode verfestigten Züge.

Durch eine lange, wenig erleuchtete Halle, schaute man in eine schwarz behängte Nische; dort knieten unbeweglich die drei Knaben und die blasse Mutter vor einem Altare – die Gruppe der Niobe mit ihren Kindern – in stummes angstvolles Gebet versunken, um Leib und Seele des Verstorbenen dem Teufel, dem der Pfaff sie zugesprochen, zu entreißen.

Der Bruder des Abgeschiedenen allein, ein Soldat, hielt im festen sichern Glauben an den Himmel und an seinen eigenen Mut, der es mit dem Teufel selbst aufzunehmen wagte, Wache an dem Sarge. Sein Blick war ruhig und erwartend, und er schaute abwechselnd in das starre Antlitz des Toten und in das Wetterleuchten, das oft feindlich durch den matten Schein der Kerzen zuckte; sein Säbel lag gezogen auf der Leiche und glich mit seinem wie ein Kreuz gestalteten Griffe einer geistlichen und weltlichen Waffe zugleich.

Übrigens herrschte Totenstille ringsum, und außer dem fernen Murren des Gewitters und dem Knistern der Kerzen vernahm man nichts.

So bliebs, bis in einzelnen ernsten Schlägen die Glocke Mitternacht ankündigte – da führte plötzlich der Sturmwind hoch oben in den Lüften die Gewitterwolke wie ein nächtliches Schreckbild herüber, und bald hatte sie ihr Grabtuch am ganzen Himmel ausgebreitet. Die Kerzen um den Sarg verlöschten, der Donner brüllte zürnend wie eine aufrührerische Macht herunter und rief die festen Schläfer auf, und die Wolke spie Flamme auf Flamme aus, wodurch das starre blasse Antlitz des Toten allein grell und periodisch beleuchtet wurde.

Ich sah jetzt, daß der Säbel des Soldaten durch die Nacht blitzte, und dieser sich mutig zum Kampfe rüstete.

Es währte auch nicht lange – die Luft warf Blasen auf, und die drei Macbethgeister waren plötzlich wieder sichtbar, wie wenn der Sturmwind sie beim Scheitel herangewirbelt hätte. Der Blitz beleuchtete verzogene Teufelslarven und Schlangenhaar und den ganzen höllischen Apparat.

Mich faßte in dem Augenblicke der Teufel bei einem Haare, und als sie die Gasse herauffuhren, mischte ich mich rasch unter sie. Sie stutzten, wie wenn sie auf bösen Wegen gingen, über den vierten ungebetenen, der zu ihnen stieß. „Nun zum Teufel! Kann der Teufel auch auf guten Wegen gehen?“ rief ich wildlachend aus: „Drum laßt euch nicht irren, daß ich euch auf bösen antreffe. Ich bin eures Gleichen, Brüder, ich mache mit euch Gemeinschaft!“–

Das brachte sie wahrhaftig in Verlegenheit. Der Eine stieß ein „Gott sei bei uns!“ aus und kreuzte sich, was mich Wunder nahm, weshalb ich ausrief: „Bruder Teufel, fall nicht so hart aus dem Charakter, ich möchte sonst beinahe an dir selbst verzweifeln und dich für einen Heiligen halten, zum mindesten für einen Geweihten. – Überlege ichs indeß reiflicher, so muß ich dir wohl eher Glück wünschen, daß du endlich auch das Kreuz verdauet hast und, von Haus aus ein eingefleischter Teufel, dich dem Scheine nach zu einem Heiligen ausbildetest!“

An der Sprache mochten sie es endlich weg haben, daß ich nicht einer ihres Gleichen wäre, und sie fuhren alle drei auf mich ein, und sprachen nun gar in einem echt klerischen Tone von Exkommunizieren u. dgl., wenn ich sie in ihrer Hantierung stören würde.

„Sorgt nicht“, erwiderte ich, „ich habe bisher wahrlich an den Teufel nicht geglaubt, doch seit ich euch gesehen, ist es mir klar worden, und ich bin gewiß, daß ihr zunftfähig seid. Macht eure Sachen ab, denn mit der Hölle und der Kirche kanns kein armer Nachtwächter aufnehmen.“

Dahin fuhren sie, ins Haus hinein. Ich folgte bedenklich nach.

Es war ein furchtbares Schauspiel. Blitz und Nacht wechselten Schlag auf Schlag, Jetzt war es hell und man sah das Handgemenge der drei um den Sarg und das Blitzen des Säbels in der Hand des eisenfesten Kriegsmannes, dazwischen schauete der Tote mit seinem blassen starren Gesichte unbeweglich wie eine Larve. Dann war es wieder tiefe Nacht, und nur fern, im Hintergrunde der Nische ein matter Schimmer und die knieende Mutter mit den drei Kindern rang im verzweifelten Gebet.

Es ging alles still und ohne Worte zu; aber jetzt krachte es auf einmal zusammen, wie wenn der Teufel die Oberhand erhielte. Die Blitze wurden sparsamer und es blieb längere Zeit Nacht. Nach einem Weilchen indeß fuhren zwei rasch zur Tür heraus, und ich sah es durch die Finsternis bei dem Leuchten ihrer Augen ‒ sie trugen wirklich einen Toten mit sich fort.

Da stand ich, in mich hineinfluchend vor der Tür; auf dem Flur war es ganz finster, keine Seele regte sich, und ich glaubte auch dem wackeren Kriegsmann den Hals gebrochen.

In diesem Augenblicke flammte ein heftiger Blitz, mit dem sich die Gewitterwolke völlig entlud, und blieb, gleichsam wie eine aufgepflanzte Fackel, eine Zeitlang in der Luft ohne zu verlöschen. Da sah ich den Soldaten wieder ruhig und kalt am Sarge stehen, und die Leiche lächelte wie zuvor – aber, o Wunder! Dicht neben dem lächelnden Totenantlitze grinsete eine Teufelslarve, und der Rumpf fehlte zum Ganzen, und ein purpurroter Blutstrom färbte das weiße Sterbegewand des schlafenden Freigeistes. –

Schaudernd wickelte ich mich in meinen Mantel, vergaß es, zu blasen und die Stunde abzusingen und floh meiner Hütte zu.

Die Nachtwachen des Bonaventura

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