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Der Sohn von Zeus und Alkmene

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Hera, die stolze Göttin, Zeus Kronions Gemahlin und Herrin des Olymps, war sehr übler Laune. Und das war kaum verwunderlich, denn sie hatte an diesem Tage eine Botschaft erhalten, die ihr gründlich missfiel.

Nicht dass die Nachricht sie sehr überrascht hätte. Sie kannte ihren erhabenen Gemahl sehr gut und es war nicht das erste Mal, dass ihr Ähnliches zugetragen wurde.

Zeus hatte nun einmal, neben den vielen guten Eigenschaften, die man den unsterblichen Göttern zuschrieb, eine recht menschliche, die Hera schon viel Kummer bereitet hatte. Es geschah nämlich nicht selten, dass der Vater der Götter und Menschen, wenn er sich unerkannt in irgendeiner Gestalt auf die Erde begab, einer schönen Frau begegnete. Und dann erging es dem mächtigen Zeus nicht besser als manchem schwachen Sterblichen: Er vermochte ihrer Schönheit nicht zu widerstehen. Hera kannte sie alle, diese irdischen Frauen, deren Dasein ihr, der obersten Göttin, ein schmerzlicher Dorn im Auge war. Und an diesem bösen Tag fiel ihr in ihrem Zorn mit ganz besonderer Deutlichkeit allerlei wieder ein, was sie gerne vergessen hätte.

Da war das Mädchen Io, die zierliche schnellfüßige Tochter des Pelasgerkönigs Inachos, die auf den Weiden von Lerna die Herden ihres Vaters hütete. Hatte Hera etwa nicht mit eigenen Augen gesehen, wie ihr treuloser Gemahl das erschrockene Mädchen mit den eifrigsten Schmeicheleien zu umgarnen versuchte und wie er, als sie vor ihm floh, einen dichten Nebel über die Gegend fallen ließ, in dem sie nicht mehr aus noch ein wusste und ihm geradewegs in die Arme lief? Freilich hatte sie, Hera, den Nebel sogleich wieder aufgelöst und es war Zeus, als er sich entdeckt sah, in seinem Schrecken nichts Besseres eingefallen, als Io schleunigst in eine Kuh zu verwandeln, um damit seine zürnende Gemahlin – vielleicht – zu täuschen. Hera lächelte grimmig, als sie daran dachte, wie viel Mühe es ihn gekostet hatte, dem Mädchen seine wahre Gestalt wiederzugeben!

Und damals, als er die schöne Europa entführte – hatte er sich nicht zum Gespött der anderen Götter gemacht, indem er sich in einen Stier verwandelte und das Mädchen mit allerlei demütigen Gebärden bewog, auf seinen Rücken zu steigen, um dann mit ihr durch die Weltmeere zu jagen, als hätte ihn der Wahnwitz befallen? Oder war es etwa des erhabenen Olympiers würdig, sich in einen Schwan zu verwandeln, nur weil Ledas Schönheit ihn bezauberte und weil er hoffte, dass sie ihn in der Gestalt dieses anmutigen Vogels gerne um sich haben würde?

Ja, und jetzt hatte sich also abermals etwas ereignet, das Heras heftigen Zorn erregte. Alkmene, die Tochter des berühmten Helden Perseus und Gemahlin des Königs Amphitryon, hatte in ihrem Palast in Theben einen Sohn zur Welt gebracht. Aber jedermann wusste, dass Amphitryon nicht sein wirklicher Vater war. Denn Herakles – so nannte man den Knaben – war Zeus Kronions Sohn. Niemand zweifelte daran. Das Kind war vom Tage seiner Geburt an so schön und stark, wie es eben nur Göttersöhne sind. Und überdies hatte Zeus zum Ärger seiner hohen Gemahlin im Kreise der anderen Götter damit geprahlt, er werde dem Knaben alle Vorzüge verleihen, die seinem Sohne gebührten. »Und am Ende seines Erdenlebens wird ihm Unsterblichkeit zuteilwerden«, sprach Zeus stolz.

Er ahnte nicht, auf was für eine wunderliche Weise seine Worte in Erfüllung gehen sollten.

Es herrschte ein betretenes Schweigen im goldenen Saal auf dem Olymps, als der Gebieter seine Rede geendet hatte. Verstohlene Blicke suchten Heras Gesicht, das so finster war wie eine Gewitternacht.

Langsam erhob sie sich von ihrem Thron. Sie schritt am Thron ihres Gemahls vorüber, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, und verließ den Saal. Mit einem lauten Schlag, der die Wände erzittern ließ, schloss sich das Tor hinter ihr.

»Mir scheint, diesmal ist das Maß voll!«, murmelte Poseidon unbehaglich. »Sie wird sich rächen!«

Zeus hörte es und runzelte die Brauen, die sich schwarz wie Rabengefieder über seinen Augen wölbten.

»Sie wird sich hüten!«, sagte er hochmütig. »Wer könnte an mir Rache nehmen?«

Niemand antwortete. Sie dachten alle daran, was geschehen war, wenn je einer von ihnen es gewagt hatte, sich gegen Zeus aufzulehnen.

Auch Hera dachte daran und es kam ihr gar nicht in den Sinn, sich an ihrem Gemahl selbst zu rächen! Oh nein, ihre Rache würde ganz anders sein!

Sie zuckte erschrocken zusammen, denn plötzlich stand jemand neben ihr. Es war Pallas Athene.

Hera empfand stets fast etwas wie Scheu vor dieser Göttin, der die Klugheit auf der Stirn geschrieben stand und deren hellen Augen nichts verborgen zu bleiben schien.

Athene war nicht ihre Tochter, obgleich sie Zeus Kronions Tochter war. Einstmals, vor undenklichen Zeiten, war sie aus seinem Haupte entsprungen. Das wussten alle, Götter und Menschen. Hera hätte nur zu gern gewusst, wie sie das wohl bewerkstelligt hatte, einfach aus dem gewaltigen Haupt ihres Gemahls hervorzukommen und zur mächtigen Göttin der Weisheit, des Friedens, der Staatskunst und anderer Wissenschaften zu werden, von denen Hera nicht viel verstand: Denn auch unter den Unsterblichen waren die Geistesgaben nicht gleichmäßig verteilt, genauso wenig wie unter den Menschen.

Während ihr dies alles schnell durch den Kopf ging und ihre üble Laune davon keineswegs besser wurde, kam ihr ein guter Gedanke – so meinte sie wenigstens. Vielleicht konnte Athene ihr nützlich sein bei dem, was sie vorhatte, da sie doch so klug war! »Ich will zur Erde hinab!«, sagte sie hastig. »Ich … es ist … ich habe unten etwas Wichtiges zu tun! Möchtest du mich nicht begleiten?«

Athene warf ihr einen schnellen Blick zu. Ihre Augen waren groß und leuchtend, aber sehr ernst.

Sie weiß alles!, dachte Hera unbehaglich. Und sie wird mir niemals helfen, wenn ich jemandem ein Unrecht zufüge! Hätte ich nur geschwiegen!

Aber die Reue kam zu spät. »Ich will gerne mit dir kommen!«, sagte Athene freundlich und rief die Rosse mit dem goldenen Wagen herbei, die sie alsbald in sausendem Flug zur Erde brachten. Athene lächelte ein wenig, als Hera nicht weit von den Toren der Stadt Theben entfernt ihr Gefährt anhielt. Sie machten sich auf den Weg zur Stadt, während Rosse und Wagen wie der Blitz verschwanden.

Athene fragte nichts: Sie wusste, was Hera tun wollte. Vielleicht konnte sie es verhindern!

Ohne große Eile folgten die beiden Göttinnen dem Weg, der zur Stadt führte. Die Sonne brannte heiß, kein Baum spendete Schatten, nur am Wegrand zog sich ein Dickicht von Tamariskenbüschen hin.

Als sie daran vorüberkamen, stutzte Hera plötzlich. Aus dem Gesträuch drangen seltsame Laute hervor. »Da weint ein Kind!«, sagte Hera verwundert.

Abermals glitt ein Lächeln über Athenes Gesicht. »Du hast recht«, antwortete sie langsam, »und da du die Beschützerin der Mütter und Kinder bist, wirst du dich gewiss darum kümmern!« Hera hatte schon die Tamariskenzweige auseinandergebogen. Im nächsten Augenblick schrie sie vor Überraschung leise auf. Vor ihr auf der Erde lag ein kleiner Knabe. Er hatte nichts am Leibe als einen Kittel aus grobem verschlissenem Leinen – seine Eltern mussten wohl sehr arme Leute sein! Aber er war so schön und kräftig, dass Hera ihn mit Entzücken betrachtete und für eine Weile ihren Zorn vergaß.

»Wahrhaftig, ich habe nie ein schöneres Kind gesehen!«, sagte sie. »Was für ein Narr mag es nur ausgesetzt haben!« »Es ist schön und stark, wie Göttersöhne sind!«, stimmte Athene zu, die den Knaben sehr aufmerksam betrachtete. »Es ist nur schade, dass er hier elend verschmachten muss, wenn sich niemand seiner annimmt«, fuhr sie mitleidig fort. »Aber du wirst ihn ja gewiss retten, das ist deine Pflicht. Lass ihn doch ein wenig an deiner Brust trinken!«

Hera beugte sich zu dem Kind herab. »Er kann noch nicht viele Tage alt sein«, meinte sie nachdenklich. »Aber sieh nur, wie glatt seine Haut ist, wie ebenmäßig die kleinen Glieder und wie golden sein Haar schimmert!«

Und weil sie nun einmal die Göttin der Mütter und Kinder war, meinte sie, ja, es sei wohl ihre Pflicht, und sie hob den Knaben auf und legte ihn an ihre Brust. Er begann sogleich begierig zu trinken.

Hera aber stieß im nächsten Augenblick einen lauten Schmerzensschrei aus und ließ ihn zu Boden fallen. Erschrocken starrte sie Athene an. »Das geht nicht mit rechten Dingen zu! Er hat mir wehgetan! Er ist viel zu stark für sein Alter! Vielleicht ist er ein kleiner Dämon!«

Athene begann plötzlich zu lachen.

»Warum lachst du denn?«, fragte Hera misstrauisch. »Du weißt, es gibt zwischen dem Himmel der Götter und der Erde der Menschen genug von diesen boshaften Geistern, die auch uns gerne einen Streich spielen, wenn sie können!«

Athene lachte noch immer. Sie wusste längst, wer dieses Kind war.

»Ich schwöre dir, es ist kein böser Dämon«, sagte sie. »Aber wir wollen doch nachsehen, ob er sich bei dem Sturz nicht verletzt hat.«

Aber der seltsame Knabe schien nicht den geringsten Schaden erlitten zu haben. Er lag ganz vergnügt da auf der Erde und sah so strahlend aus, als hätten ein paar Tropfen von der Milch der Göttin ihn vom Kopf bis zu den Zehen mit Kraft erfüllt. So war es auch. Und als Hera später erfuhr, wem sie das Leben gerettet hatte, und als sie begriff, dass dieser Knabe, der an ihrer Brust getrunken hatte, dadurch Unsterblichkeit erlangte, da weinte sie vor Wut.

Aber das alles wusste sie zu dieser Zeit noch nicht. »Was sollen wir denn jetzt mit dem Knaben anfangen?«, fragte sie ratlos. »Ich kann ihn nicht mitnehmen nach Theben, denn er würde mir hinderlich sein bei dem, was ich zu tun habe!«, fügte sie düster hinzu.

Jetzt schien es Athene an der Zeit einzugreifen, um Unheil zu verhindern. »Überlass ihn mir!«, sprach sie entschlossen. »Geh du in die Stadt und tu das, wozu du hergekommen bist! Ich werde inzwischen den Knaben zu Menschen bringen, die ihn aufnehmen! Danach kommen wir beide hierher zurück!« Hera machte sich sogleich auf den Weg. Sie dachte jetzt nur noch an ihre Rache. Athene blickte ihr eine Weile nach, dann folgte sie ihr langsam, das Kind auf dem Arm. Sie sah jetzt aus wie eine ärmlich gekleidete junge Frau und jedermann konnte sie sehen, denn es ist den Unsterblichen ja ein Leichtes, sich unsichtbar zu machen oder irgendeine Gestalt anzunehmen. Hera aber sah niemand. Sie schlüpfte durch eines der sieben Tore, das eben geöffnet wurde, und begab sich geradewegs zum Palast des Königs.

Es herrschte großes Gedränge in den Straßen und manchmal stieß sie an jemanden, der sich dann kopfschüttelnd umblickte, weil er nicht wusste, wer ihn da gestoßen hatte.

So kam die zornige Göttin an eine kleine Seitenpforte des Palastes, vor der ein riesiger Wächter stand.

Er fühlte sich plötzlich unsanft zur Seite geschoben und wusste nicht, wie ihm geschah. Da war doch niemand! Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirne. Hatten die Götter ihm den Verstand geraubt? Hera aber lief schon durch die Gänge des Palastes zu den Gemächern der Königin.

Da war eine goldene Tür, die stand offen. Lautlos trat Hera ein. Mehrere Frauen befanden sich in dem Saal mit den schimmernden Wänden und den Marmorsäulen. Es mochten wohl Dienerinnen sein.

Dann sah sie Alkmene. Hera wusste sogleich, dass sie es war. So wunderschön konnte keine andere Sterbliche sein. Aber warum schien sie so traurig? Und warum hatten die Mägde verstörte Gesichter und verweinte Augen?

Hera nahm sich nicht viel Zeit, darüber nachzudenken. Sie hasste Alkmene – aber ihr konnte sie wohl nichts anhaben, denn Zeus würde sie beschützen. Nein, sie wollte das Kind, diesen Knaben Herakles!

Noch wusste sie nicht, was sie mit ihm tun wollte. Nur fortnehmen würde sie ihn und ihn irgendwohin bringen, wo ihn selbst Zeus nicht mehr fand – und wenn sie sogar in die grausige Nacht des Hades hinabsteigen musste, um ihn zu verbergen! Aber wo war der Knabe?

Sie lief schon wieder weiter, von einem Gemach zum anderen. Endlich kam sie zu einer kleinen Kammer, die war prächtig ausgestattet mit Teppichen und Kissen und allerlei kostbaren Dingen. An der Wand stand eine Wiege, sie musste aus purem Gold sein, mit kunstvollem Bildwerk verziert und mit vielen Edelsteinen besetzt.

Heras Herz begann, wild zu klopfen. Endlich! Aber – da in der Ecke saß ja schon wieder ein Magd, hielt die Hände vor das Gesicht und heulte. Was hatten sie nur alle? Ärgerlich schüttelte sie den Kopf. Was kümmert es mich?, dachte sie. Ich will das Kind, sonst nichts!

Mit ein paar schnellen Schritten stand sie vor der Wiege. Im nächsten Augenblick schrie sie vor Wut und Enttäuschung auf. Die Wiege war leer!

Die Magd war bei dem Schrei entsetzt in die Höhe gefahren. Sie starrte um sich – doch da war niemand! Hatte ein böser Dämon sie genarrt! Aber sie hatte den zornigen Schrei doch ganz deutlich gehört! Ach, es geschahen schreckliche Dinge im Königspalast, der öde und unheimlich schien, seit der schöne Knabe fort war, den sie alle so sehr geliebt hatten und von dem jedermann sagte, er sei ein Sohn des Zeus! Schluchzend lief sie aus der Kammer. Aber was war das nun wieder? Gerade unter der Tür streifte jemand an ihr vorüber, leicht wie ein Hauch berührte sie ein Gewand oder was es sonst sein mochte. »Oh Götter!«, ächzte sie und lief den Gang hinab. Sie musste schnell zu anderen Menschen kommen, sonst würde sie vor Angst gewiss sterben! Derweilen hatte auch Athene den Palast erreicht. Das Kind war jetzt ganz still, und wenn sie es ansah, lächelte es, als wüsste es allerlei. Niemand hielt sie auf, als sie den Palast betrat, die Wächter mochten sie wohl für eine der vielen Dienerinnen halten. Sie begab sich geradewegs in den Saal mit den goldenen Wänden, wo sie Alkmene und eine Schar aufgeregter Mägde fand. Die Königin saß in ihrem Thronsessel, ihre Hand, in der sie die Spindel hielt, war hinabgesunken und sie blickte verstört die Dienerin an, die vor ihr kniete und mit schreckensbleichem Gesicht eine sehr merkwürdige Geschichte erzählte. Athene blieb einen Augenblick an der Tür stehen und hörte zu. Sie wusste, die Magd sprach die Wahrheit. Denn sie selbst hatte genau gesehen, wie Hera wütend den Palast verließ, zum Tor hinauslief und im Gewimmel der Straße verschwand. Sie war also hier, um Herakles zu holen!, dachte Athene. Ich habe es gewusst!

Aber sie hat keine Ahnung, dass unser zerlumptes Findelkind der verhasste Sohn der Königin sein könnte. Also ist der Knabe jetzt bei Alkmene in Sicherheit: Denn ein zweites Mal wird ihn Hera hier gewiss nicht suchen!

Doch dieses eine Mal irrte sie sich: Denn immerhin besaß die oberste Göttin große Macht und der Hass machte sie erfinderisch. –

Die Königin fuhr plötzlich auf: Ihr Blick war auf die fremde Frau gefallen, die unten am Eingang stand und ein Kind im Arm hielt. Und dieses Kind –

Im nächsten Augenblick stand sie vor der Fremden, nahm ihr den Knaben ab, drückte ihn an sich und über ihre Wangen stürzten die Tränen herab, während sie sich über das kleine Gesicht beugte. Endlich hob sie den Kopf. »Wo hast du meinen Sohn gefunden?«, fragte sie.

Aber da war niemand mehr, der ihr Antwort gab. Die fremde Frau war verschwunden und die Mägde liefen umsonst durch die Gänge des Palastes, um sie zu suchen. –

Athene erreichte sehr schnell den Platz vor der Stadt, wo Hera schon auf sie wartete. Das Gesicht der erhabenen Göttin trug jetzt einen zufriedenen Ausdruck und das gefiel Athene ganz und gar nicht! Hera hatte irgendetwas Neues ausgeheckt, um ihren Rachedurst zu befriedigen, das schien ihr gewiss. Aber was? Darüber dachte Athene vergeblich nach, während der goldene Wagen sie zurückbrachte zum Olymp.

Alles wusste selbst diese kluge Göttin nicht. Sie wusste nicht, dass Hera, während sie da wartete, zwei der listigsten und bösartigsten Schlangen aus der Unterwelt heraufgerufen und ihnen befohlen hatte, den Knaben Herakles zu suchen und ihn zu töten. Königin Alkmene aber war an diesem Abend so glücklich wie noch nie in ihrem Leben. Sie hatte ihren Sohn wieder nach einem langen schrecklichen Tag voll Angst und Kummer! Alles, was an diesem Tag geschehen war, schien ihr wie ein böser Traum. Früh am Morgen war die alte Seherin, die ihr zuweilen die Zukunft vorhersagte, in ihr Schlafgemach getreten. »Gib acht, Königin!«, hatte sie sehr ernst gesagt. »Dein Sohn ist in großer Gefahr. Hera hasst ihn und trachtet ihm nach dem Leben. Ich vermag dir nicht zu sagen, was die Göttin tun wird. Aber ich weiß, dass noch heute etwas geschieht. Bring Herakles in Sicherheit, wenn du kannst!« Damit war die Alte fortgegangen und Alkmene blieb mit ihrer Angst allein. So war es immer, dachte sie verzweifelt: Man erfuhr von diesen Sehern nur, dass irgendetwas Schreckliches geschehen würde, aber niemals erhielt man Gewissheit! Was sollte sie tun und was würde Hera tun? Götter vermochten vieles, von dem die Sterblichen nichts ahnten!

Sie überlegte fieberhaft. Aber jeden Ausweg, der ihr einfiel, verwarf sie sogleich wieder, weil ihr keiner Rettung verhieß. Nur eines schien ihr gewiss: Herakles musste fort aus dem Palast. Denn hier würde Hera ihn zuerst suchen. Aber wohin? In einen Tempel? Oh nein, wie konnten Tempelmauern ihn vor der mächtigsten Göttin schützen? Sollte sie ihn zu fremden Menschen in ein fremdes Haus bringen? Er würde sich fürchten und Hera hätte es sehr bald erfahren. Sie brauchte nur Hermes, den Götterboten, oder die flinke Iris auszusenden oder auch nur zu warten, bis Fama, das tausendzüngige Gerücht, ihr sein Versteck verriet. Eine Höhle im Wald? Aber die wilden Tiere würden ihn fressen …

Endlich, als die Königin vor lauter Ratlosigkeit nicht mehr aus noch ein wusste, kam ihr ein Gedanke. Es war auch dies kein guter Ausweg – aber er schien ihr immer noch besser als die anderen. Sie rief ihre Mägde zusammen und erzählte, was sie von der Seherin erfahren hatte.

Sie begannen samt und sonders zu weinen und zu jammern, denn es gab keine unter ihnen, die den Sohn ihrer Herrin nicht geliebt hätte wie ihr eigenes Kind.

»Ich weiß nicht, ob es ihn retten kann«, sagte Alkmene endlich traurig, »aber ich habe beschlossen, ihn in das Tamariskengebüsch draußen vor den Mauern zu bringen. Die Sträucher stehen sehr dicht und niemand wird ihn dort suchen – auch Hera nicht. Er wird Schatten haben und die wilden Tiere wagen sich nicht so nahe an die Stadt heran. Ich will ihn mit einem groben Kittel bekleiden: So wird es aussehen, als hätten ihn arme Leute ausgesetzt, die ihn nicht ernähren können. Wer sollte da auf den Gedanken kommen, dass das Kind mein Sohn ist? Von Zeit zu Zeit aber muss eine von euch hinauslaufen zum Gehölz und nachsehen, ob es ihm gut geht. Und dann müssen wir eben warten, was heute geschieht. Wenn die Seherin wahr gesprochen hat, ist die Gefahr am Abend vorüber und wir können Herakles zurückholen – so hoffe ich«, fügte sie bekümmert hinzu.

Alles geschah, wie Alkmene es in ihrer Angst und Verwirrung befahl. Zwar schüttelten die Mägde die Köpfe, aber sie gehorchten. Eine alte Dienerin trug den Knaben, der nichts am Leibe hatte als ein zerschlissenes Leinenhemd, hinaus vor die Mauern und legte ihn fürsorglich in den Schatten der Tamarisken, ein wenig abseits von der Straße, die zur Stadt führte.

»Mögen die Götter dich behüten«, murmelte sie und machte sich betrübt auf den Heimweg. »Die anderen Götter, meine ich«, verbesserte sie sich hastig, »denn Hera darfst du nicht unter die Augen kommen, sonst ist es um dich geschehen!«

Die Mägde liefen an diesem Tag emsig zwischen dem Palast und den Tamariskenbüschen hin und her, ohne dass die Königin sie erst dazu zu ermahnen brauchte.

Alkmene aber saß in ihrem goldenen Saal, ihre Hände drehten die Spindel und manchmal riss der Faden oder er wurde dick und hässlich, weil sie vor lauter Tränen nichts mehr sehen konnte. Die Stunden schlichen mit schrecklicher Langsamkeit dahin. Mägde kamen herein, rot und heiß von der Sonne, und sagten: »Es geht ihm gut! Nur ist die Hitze jetzt sehr groß. Wir legen ihn aber immer wieder an einen Platz, wo es schattig ist! Wir haben ihm auch zu trinken gegeben und er hat uns fröhlich angelacht!« So erzählten die Dienerinnen und es tröstete die Königin für eine kurze Weile. –

Und dann stürzte plötzlich diese schreiende Magd herein und führte wirre Reden von einem bösen Dämon, der sie zu Tode erschreckt habe. »Ich schwöre dir, Herrin, ich habe den wütenden Schrei ganz deutlich gehört, und darauf strich etwas an mir vorbei – aber es war ja nichts da – nichts und niemand …«

Hera!, dachte Alkmene, die atemlos zugehört hatte. Hera war hier und sie hat Herakles nicht gefunden – darum war sie so zornig! Aber nun ist alles gut. Die Seherin hat die Wahrheit gesagt und mein Sohn ist gerettet. Was für ein Glück, dass ich ihn aus dem Palast fortgebracht habe. Jetzt will ich ihn sogleich holen lassen! In diesem Augenblick sah sie die fremde Frau, die den Knaben im Arm hielt! –

Ja, nun schien wirklich alles gut. Die Mägde weinten vor Freude und holten die Wiege aus der Kammer des Knaben, denn die Königin hatte gesagt: »Von nun an will ich Herakles nie mehr allein lassen. Stellt die Wiege in mein Schlafgemach dicht neben mein eigenes Bett. Wer ihm etwas zuleide tun will, der wird zuerst mich töten müssen!«

Später, als der Knabe längst schlief, saß sie neben ihm, lange Zeit. Sie sah ihn nur an. Es schien ihr, als sei er noch schöner geworden als zuvor. Und wenn es nicht so närrisch wäre, würde ich sagen, er ist seit dem Morgen auch gewachsen, dachte sie kopfschüttelnd und musste ein wenig über sich selbst lachen. Endlich begab auch sie sich zur Ruhe. –

Im Palast war es still geworden. Draußen lag die Dunkelheit der Sommernacht, nur ein Streifen Mondlicht fiel durch die Fensteröffnung.

Plötzlich war in der tiefen Stille ein Geräusch. Ein leiser Laut nur, wie ein Schleifen oder Rascheln. Ein schmaler schwarzer Schatten glitt durch das Mondlicht – und dann ein zweiter. Sie glitten auf die Wiege zu und richteten sich auf. Dünn und biegsam wie Peitschenschnüre lagen sie einen Augenblick still auf dem Luchsfell, mit dem der schlafende Knabe zugedeckt war. Herakles schlief immer noch und auch die Königin schlief, ohne Ahnung von der tödlichen Gefahr, die ihr Kind bedrohte. Denn nun hatten Heras Schlangen den Knaben gefunden. Langsam bewegten sie sich vorwärts, schlüpften glatt und kühl unter dem Nacken des kleinen Schläfers durch und begannen, sich um seinen Hals zu winden.

Da erwachte Herakles. Sein Schrei riss Alkmene aus dem Schlaf und weckte auch die Mägde, die in der Kammer daneben schliefen. Entsetzt sprang die Königin auf und beugte sich über die Wiege. Oh Götter, was war mit ihrem Knaben? Er keuchte und wand sich und in den beiden kleinen Fäusten hielt er etwas in die Höhe – was war es denn nur – sie konnte in der Dunkelheit nur ein schwärzliches Geringel ausmachen.

Da rannte die erste Magd herbei mit einer Öllampe in der Hand. Und dann sahen sie es: Herakles hielt in jeder Faust eine dünne schwarze Schlange – er hatte sie genau hinter dem Kopf gepackt und seine Finger drückten ihnen den Hals zu, dass sein Gesicht vor Anstrengung feuerrot wurde.

Er weinte nicht, oh nein, er sah nur sehr wild und zornig aus und die Königin starrte ihn erschrocken an, weil er ihr mit einem Mal seltsam fremd erschien.

Die Schlangen hingen jetzt schlaff und leblos herab und Herakles ließ sie fallen. Er schien zu wissen, dass sie tot waren. Er blickte zu seiner Mutter hinauf und allmählich wurde sein kleines wildes Gesicht wieder ruhig und friedlich. Ein strahlendes Lächeln zog darüber hin und einen Augenblick später war er eingeschlafen, als sei überhaupt nichts geschehen. Alkmene saß an der Wiege, bis der Morgen graute. Ihre sorgenvollen Gedanken ließen ihr keine Ruhe. Was würde eines Tages aus ihrem kleinen Knaben werden?

Die Kunde von dem, was in der Nacht geschehen war, ging wie ein Lauffeuer durch den Palast.

Sehr bald kam sie auch dem König zu Ohren und er begab sich sogleich in die Gemächer seiner Gemahlin. Lange und sehr ernst blickte er auf den schlafenden Knaben hinab. »Ich will Tireisias, den Seher, rufen lassen«, sagte er endlich. »Er soll mir weissagen, was die Schicksalsgöttinnen diesem Kind bestimmt haben. Denn Göttersöhne leben nicht wie die Söhne der Sterblichen.«

Tireisias kam. Er genoss große Berühmtheit, weil ihm die Gabe verliehen war, in die Zukunft zu schauen, die anderen Menschen verborgen blieb.

»König Amphitryon«, sagte er, »dieser Knabe wird einst ein großer Held sein, von dem die Sänger noch nach Jahrhunderten erzählen werden. Er wird viele Länder durchwandern und viele Abenteuer und Kämpfe zu bestehen haben, denn das Leben der Göttersöhne ist niemals leicht und geruhsam. Herakles aber erwartet am Ende seines Erdenlebens und nach aller überstandenen Mühsal die Unsterblichkeit. Dies ist Zeus Kronions Wille und« – er lächelte plötzlich, dass die Falten in seinem uralten Gesicht zuckten – »und Hera hat ihm dazu verholfen, denn er hat die Milch der Göttin getrunken.«

»So will ich ihm eine Erziehung geben lassen, die seiner würdig ist«, sprach Amphitryon. »Die berühmtesten Helden sollen ihn alle kriegerischen Tugenden lehren: Tapferkeit, Ehrlichkeit im Kampf, Edelmut gegen den besiegten Feind. Die besten Bogenschützen, die stärksten Speerwerfer und die geschicktesten Wagenlenker werde ich ihm zu Lehrmeistern geben. Aber auch in den Künsten und Wissenschaften will ich ihn unterweisen lassen und eines Tages wird jedermann den Namen Herakles mit Bewunderung nennen.«

Herkules

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