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Herakles entscheidet sich

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Der König hielt Wort. Ein paar Jahre gingen schnell vorüber und der Knabe Herakles wuchs heran; er wurde groß und stark und klug, weit über sein Alter hinaus.

Amphitryon sah es mit heimlicher Freude, und als es ihm an der Zeit schien, ließ er die besten Lehrmeister an den Hof kommen. Die begannen, sich sehr schnell über ihren Schüler zu wundern. Denn er war nicht nur wissbegierig – das hätte gewiss ihr Wohlgefallen erregt –, aber er war vom Wissensdurst förmlich besessen! Er wollte von ihnen erfahren, was sie selbst nicht einmal wussten, und das war zuweilen lästig. Darum wiesen sie ihn oft ungeduldig ab, verspotteten ihn wohl auch und nannten seine Fragen töricht. Dann wurde Herakles stets zornig. Zwar war er im Grunde seines Wesens gutmütig, aber er besaß einen unbändigen Stolz. Spott und Ungerechtigkeit konnte er nicht ertragen. Und je älter er wurde, desto empfindlicher wurde sein Stolz und desto gefährlicher sein Jähzorn.

Als er zwölf Jahre alt war, überragte er alle seine Gefährten um Haupteslänge.

Er war stärker als sie alle. Wenn er beim Wettkampf den Speer oder den Diskus, die schwere Wurfscheibe, schleuderte, besiegte er bald die berühmten Krieger, die es ihn zuvor gelehrt hatten. Und als er achtzehn Jahre alt war, sagte man, es gäbe im ganzen Lande niemanden, der so groß und so stark sei wie dieser Jüngling Herakles.

Er freute sich über seinen Ruhm und war stolz, wenn er ein Paar wilder Pferde gezähmt hatte, die niemand sonst zu zähmen vermochte.

Es gab kein Kampfspiel, an dem er nicht teilnahm, und keines, in dem er unterlag.

Das trug ihm zuweilen den Neid der Gefährten ein. Darum gab es manchen Streit unter den jungen Männern.

Und dann konnte es geschehen, dass ihn sein jäher Zorn packte und ihm jede Besinnung raubte.

Freilich reute es ihn nachher stets sehr schnell, wenn er einen Gegner an die Mauer oder auf die Steine des Hofes geworfen hatte, dass ihm einige Knochen zerbrachen. Er war nun einmal so entsetzlich stark und er hätte daran denken müssen; aber der Zorn ließ es ihn immer wieder vergessen.

Dem König und der Königin machte seine Wildheit große Sorgen und die weisesten seiner Lehrer mahnten ihn vergeblich zur Mäßigung.

»Nicht der ist ein Held, der einen Gegner niederzuschlagen vermag, weil er stärker ist, sondern derjenige, der sich selbst bezwingt«, hielten sie ihm vor.

»Ich weiß es«, sagte er traurig, holte seine Leier und begann zu spielen oder er ergriff den Stift, um sich im Schreiben zu üben, und nahm sich vor, den Rat der weisen Männer zu beherzigen. Aber es erging ihm nicht anders, als es auch anderen Sterblichen mit ihren guten Vorsätzen seit eh und je ergangen ist. Und so geschah eines Tages etwas sehr Schlimmes. Amphitryon hatte einen Mann an den Hof berufen, der sich sehr viel auf seine schöne Schrift einbildete. Und wirklich gab es unter den Buchrollen, in denen Gesetze, Verträge oder wichtige Ereignisse aufgezeichnet waren, sehr viele, die er mit den feinsten, zierlichsten Zeichen beschrieben hatte.

Aber er war ein alter Griesgram und machte Herakles das Leben sauer. Er verspottete ihn und schlug ihn sogar, wenn seine Schriftzeichen trotz aller redlichen Mühe nicht so gut gelangen wie die seines berühmten Lehrers.

Und eines bösen Tages dann –

Der Alte hatte Herakles befohlen, zwölfmal das gleiche Zeichen zu schreiben. Herakles gehorchte, aber sein Gesicht war feuerrot, als der Lehrer immer noch mit einem hämischen Lächeln den Kopf schüttelte. »Du solltest lieber die Ochsen deines Vaters hüten, als schreiben lernen!«, sagte er und versetzte dem Jüngling einen heftigen Schlag ins Gesicht.

Da sprang Herakles auf, ergriff die Leier, die neben ihm an der Säule lehnte, und schlug sie dem Alten über den Kopf, dass er ohne einen Laut niederstürzte.

Danach stand er da, regungslos, wie zu Stein erstarrt, er wusste nicht, wie lange. Er wusste überhaupt nichts, nur dass dieser Mann da vor ihm auf dem Boden tot war und dass er ihn erschlagen hatte. »Aber ich habe es nicht gewollt, nein, gewiss nicht!«, murmelte er.

Und dann stand Amphitryon vor ihm. Herakles starrte ihn aus halb blinden Augen an. Er sah den Kummer im Gesicht des Königs, der ihm so viel Gutes erwiesen hatte, und er wäre in diesem Augenblick gerne tot gewesen. Amphitryon sprach nicht viel.

»Rhadamanthys wird über dich richten!«, sagte er nur. »Gerechtigkeit muss für jedermann gleichermaßen gelten – auch für dich!« Herakles widersprach nicht: Es schien ihm recht und billig. Er kannte Rhadamanthys. Man nannte ihn den »Unsterblichen« und es war ihm geweissagt worden, nach dem Ende seines Erdenlebens werde er unten im Totenreiche über die Schatten zu Gericht sitzen.

Es geschah alles, wie das Gesetz es vorschrieb. Die Herolde beriefen die Ältesten und andere vornehme Männer zur Versammlung auf den Markt von Theben. Wie stets strömten auch die Neugierigen herbei, drängten sich ringsum und reckten die Hälse. Dumpfes Gemurmel erfüllte den Platz. Plötzlich wurde es still.

Der König kam. Zu seiner Rechten ging Rhadamanthys und einen Schritt hinter ihnen Herakles.

Er sah traurig und verwirrt aus, als könnte er alles, was geschehen war, nicht begreifen.

Einmal hob er den Kopf und blickte sich im Kreise um, wie einer, der aus einem bösen Traum zu erwachen sucht. Eine jähe zornige Röte flog über sein Gesicht. Oh, wie sie ihn alle anstarrten, neugierig, als wäre er ein wildes Tier! Er wusste nicht, dass sich seine Hände schon wieder zu Fäusten ballten, während er weiterging. Dann musste er stehen bleiben, weil der König und Rhadamanthys stehen geblieben waren.

Fast gleichgültig, als ginge es ihn nichts an, beobachtete er, wie sie die beiden steinernen Richtersessel einnahmen und wie sich die Ältesten ringsum auf die Bänke setzten, jeder auf den Platz, der ihm zukam.

Plötzlich merkte Herakles, dass der Richter ihn unverwandt und sehr aufmerksam ansah. Seine Augen waren hell, kluge, gute Augen, dachte Herakles aufatmend. Nein, Rhadamanthys würde ihn niemals härter bestrafen, als es die Gerechtigkeit verlangte. Und das war in Ordnung.

Er zuckte zusammen. »Erzähle, wie sich alles zugetragen hat!«, hörte er den Richter sagen. Die Stimme tönte sehr laut in der atemlosen Stille, obgleich Rhadamanthys ganz ruhig sprach. Aber was sollte er antworten? Wusste er denn, wie es geschehen war? Niemals wusste er nachher genau, was er getan hatte, wenn ihn sein schrecklicher Zorn überkam!

»Bei den unsterblichen Göttern!«, stieß er hervor. »Ich wollte ihn nicht töten! Aber er hat mich verhöhnt und ins Gesicht geschlagen, nur weil meine Schriftzeichen nicht so schön waren wie die seinigen! Und da –«

»Und da hast du ihn eben doch getötet!«, unterbrach ihn der Richter sehr ernst.

Herakles wollte auffahren. Aber Rhadamanthys schüttelte nur den Kopf. »Ich weiß, dass du es nicht wolltest!«, fuhr er fort. »Dennoch ist dein Lehrer tot. Du weißt in deinem Zorn nicht, was du tust, Herakles, und du vergisst, dass du viel stärker bist als die anderen. Das ist gefährlich. Darum soll dich dein Vater fortschicken aus der Stadt, irgendwohin in die Einöde, wo du keinen Schaden anrichten kannst und Zeit hast, zu Verstand zu kommen. Wenn du dann begriffen hast, dass du die große Kraft, die dir die Götter verliehen haben, nicht zum Bösen, sondern zu guten Taten nützen sollst, dann magst du wieder zurückkehren! Du verdankst es nur deiner Jugend, dass ich nicht eine härtere Strafe über dich verhänge!«, fügte er streng hinzu.

Er wandte sich an die Männer, die schweigend zugehört hatten. »Erhebt jemand Einspruch gegen das Urteil?«, fragte er. Aber keine Hand hob sich. Sie wussten alle, dass es gerecht war.

So kam Herakles in die Einöde.

Amphitryon besaß weit entfernt von den Städten und den großen Straßen ein Landgut mit riesigen Weidegründen, auf denen er seine Herden hielt.

Die Hirten dort waren wilde Gesellen, die nicht viel Ehrfurcht vor dem Sohn des Königs hatten. Aber sie fürchteten ihn, weil er so groß und stark war, und ließen ihn in Ruhe. Er lebte nicht anders als sie, trug einen wollenen Kittel, ein Seil über Brust und Schulter geschlungen und ein Messer im Gürtel.

Schweigsam und gewissenhaft tat er, was ihm sein Vater aufgetragen hatte, kümmerte sich um die Herden, erschlug mit der gewaltigen Keule, die er sich aus dem Stamm eines Ölbaumes geschnitzt hatte, allerlei Raubwild und musste oft weite Wege gehen, um verlaufene Tiere zurückzuholen. So kam er eines Tages, nachdem er lange nach einer jungen Kuh gesucht hatte, zu einem Kreuzweg. Hier bin ich noch nie gewesen!, dachte er verwundert und blickte sich in der fremden Gegend um. Von der verlaufenen Kuh war weit und breit nichts zu sehen.

»Wenn ich nur wüsste, nach welcher Seite ich gehen soll?«, fragte er sich ein wenig ratlos.

Plötzlich stutzte er. Dort vorne, wo die beiden Wege aufeinandertrafen, standen zwei Frauen. Wie kamen Frauen hierher in die Einöde?

Das schien ihm so merkwürdig, dass er anhielt und sich auf einen Felsblock setzte, um zu überlegen, ob er sie vielleicht fragen sollte, was sie hier suchten. Da merkte er, dass sie beide zu ihm herüberblickten.

Und jetzt begann die eine, eilig auf ihn zuzugehen. Sie schien ihm sehr schön; ihr Gewand war prächtig, in kunstvolle Falten gerafft. Die Ringe an ihren Armen und die Spange auf ihrer Schulter funkelten in der Sonne. Dennoch missfiel ihm etwas an ihr, er wusste nicht genau, was es war.

Fast erschrocken sprang er auf, denn jetzt stand die Frau dicht vor ihm und im gleichen Augenblick begann sie auch schon zu reden.

»Sei gegrüßt, Herakles!« Ihre Stimme klang schmeichelnd und ihre Augen waren groß und strahlend auf sein Gesicht gerichtet. Er wunderte sich, woher sie wohl seinen Namen wusste. Aber sie ließ ihm nicht viel Zeit zum Wundern.

Sie warf einen schnellen Blick zurück zu der anderen Frau, die noch immer still am Kreuzweg stand.

Dann fuhr sie hastig zu reden fort. »Ich sehe, du weißt nicht, wohin du dich wenden sollst«, sagte sie. »Du bist noch jung und hast nicht viel Erfahrung; aber ich will dir gerne helfen. Man kommt immer wieder im Leben an eine Stelle, wo man sich entscheiden muss, ob man nach rechts oder nach links gehen soll«, fuhr sie mit einem sonderbaren Lächeln fort. »Siehst du, wenn du dich dort hinten nach links wendest, wirst du eine breite ebene Straße finden, auf der es sich vergnüglich, ohne Anstrengung und Gefahren gehen lässt. Schlägst du aber die Straße nach rechts ein, so wird der Weg bald steil und steinig werden, Kampf und Mühsal erwarten dich und du wirst deinen törichten Entschluss schnell bereuen. Sei also klug und geh nach links! Und merke dir: Immer im Leben sollst du die Straßen zur Linken gehen! Befolgst du meinen Rat, so wird dein Erdendasein schön und leicht und fröhlich sein. Du wirst ohne Mühe und Plage zu Reichtum gelangen, indem du andere für dich arbeiten lässt und selber die Früchte ihrer Arbeit erntest. Kümmere dich nicht darum, was recht oder unrecht ist – tu, was dir gefällt und was dir selber nützt! So wirst du herrlich und in Freuden leben! Was gehen dich die anderen an?«

Herakles hatte aufmerksam zugehört. Aber je länger die Frau redete, desto misstrauischer wurde er.

Freilich, auf den ersten Blick schien ihr Rat gar nicht so übel. Wer würde nicht gerne herrlich und in Freuden leben? Aber – ihm war, während sie so eindringlich sprach, plötzlich Rhadamanthys in den Sinn gekommen. »Du musst begreifen lernen, dass du deine Kraft nicht zum Bösen, sondern zum Guten nützen sollst!«, hörte er den Richter wieder ganz deutlich sagen. Nein, gut war es ganz gewiss nicht, was ihm die seltsame Fremde riet!

Er sah sie neugierig an. »Wer bist du denn eigentlich?« Die Frage schien ihr nicht sonderlich zu gefallen und sie antwortete nicht gleich. »Meine Freunde nennen mich das irdische Glück«, sagte sie dann. »Die anderen freilich« – sie schwieg wieder und sah auf einmal gar nicht sehr freundlich, sondern sehr finster aus.

»Wie nennen dich die anderen?«, drängte Herakles, dessen Wissbegier jetzt erwacht war.

»Nun – meine Feinde geben mir allerlei hässliche Namen – aber das tun Feinde ja immer«, antwortete sie böse. »Sie nennen mich Lasterhaftigkeit oder Eigennutz oder – ach, was kümmert es dich!«, schloss sie ungeduldig. »Folge meinem Rat und du wirst sehen, dass ich die Wahrheit gesprochen habe!«

Sie verstummte, weil Herakles gar nicht mehr auf sie achtete. Ihr Gesicht verzerrte sich vor Wut zu einer hässlichen Fratze: Denn jetzt stand plötzlich die andere Frau neben ihr. Sie trug nur ein einfaches weißes Leinengewand, ihr liebliches Gesicht war ernst und ohne Falschheit.

»Nun sollst du auch mich hören, Herakles«, sagte sie. »Ich verspreche dir weder ein herrliches Dasein noch Macht und Reichtum. Ich will dir nur sagen, was du tun musst, damit Ordnung in deinem Leben herrscht; denn nur dann wirst du zuletzt glücklich sein! Ehrst du die Götter, so werden sie dir gnädig sein. Willst du, dass dich die Menschen lieben, so tue ihnen Gutes. Erwirb dir den Wohlstand durch redliche Arbeit: Denn man kann nicht ernten, ohne zu säen. Verlangt es dich nach Ruhm unter deinem Volke, so musst du ihn durch Taten erwerben, die seinem Wohle dienen. Und ehe du über andere gebieten kannst, musst du lernen, dich selbst zu beherrschen.«

»Siehst du wohl, Herakles?«, unterbrach sie die Erste mit einem hämischen Lachen. »Du wirst viel Plage und Entbehrung auf dich nehmen müssen, wenn du ihr folgen willst!« – »Du musst selbst entscheiden, welchen Weg du gehen willst: zur Rechten oder zur Linken«, fuhr aber die andere fort, ohne auf den Spott zu achten. »Freilich kannst du die Nächte durchtoben und die Tage verschlafen. Du kannst das Leben eines reichen Prassers führen, bis dir kein Wein mehr mundet und die Köche nicht mehr wissen, mit welcher Speise sie deinen Gaumen noch reizen könnten. Aber wenn dein Leben zu Ende ist, wird kein Mensch um dich trauern oder auch nur an dich denken. Kannst du dich aber dazu durchdringen den Weg zur Rechten zu gehen, so wird man deinen Namen stets mit Ehrfurcht nennen – auch wenn du längst gestorben bist.«

Herakles hatte atemlos zugehört. Wie anders war sie doch als ihre Gefährtin!

»Und wer bist du – wie nennt man dich?«, fragte er begierig.

Sie sah ihn freundlich an. »Der Name ist nicht wichtig – wichtig ist nur, was du tust. Aber die Menschen nennen mich manchmal Tugend.«

Herakles hätte gerne noch etwas gesagt oder gefragt, aber in seinem Kopf schwirrten die Gedanken so verwirrt durcheinander, dass er nicht gleich Worte fand. Und mit einem Mal schien ihm, als verblassten die beiden Gestalten vor ihm und würden sonderbar durchsichtig – und dann waren sie verschwunden. Er blinzelte im Sonnenlicht. Waren sie ein Traumbild gewesen? Aber er hatte alles so deutlich gesehen und gehört! Herakles setzte sich wieder auf den Stein, hielt die Keule zwischen den Knien und dachte über die seltsame Erscheinung nach. Plötzlich riss er die Augen auf und starrte vor sich auf die Erde. Da war eine Spur – er hatte sie zuvor nicht bemerkt, obgleich sie in dem weichen Boden ganz deutlich zu sehen war: die Eindrücke von riesigen Tatzen und eine Schleifspur, als habe dieses Tier mit den großen Tatzen einen schweren Körper mit sich fortgeschleppt. Herakles begriff im selben Augenblick, was die Spur bedeutete. Ein zorniger Laut, fast wie ein Knurren, kam aus seiner Kehle. »Der Löwe!«, sagte er ganz laut. Er erhob sich langsam, reckte die breiten Schultern und begann vorwärtszugehen, der Spur nach. Sie wandte sich am Kreuzweg nach rechts, dem Wald zu. Herakles lächelte, als er es bemerkte. So werde ich den Weg zur Rechten gehen, dachte er und fühlte, wie ihn plötzlich eine seltsame Fröhlichkeit überkam. Seine Gedanken wandten sich aber sogleich wieder dem Abenteuer zu, dem er entgegenging.

Seit Jahr und Tag nämlich erzählten die Leute in der Gegend von dem riesigen Raubtier, das irgendwo in diesem Wald hauste und Tiere und Menschen überfiel. Kehrte ein Jäger nicht von der Jagd zurück, so schwor jedermann, der Löwe habe ihn gefressen. Verschwand ein Stück Vieh von der Weide, so hatte ganz gewiss das Ungeheuer es geholt. Er hat auch die schöne junge Kuh geraubt, dachte Herakles erbittert. »Aber es soll sein letzter Raub sein«, sagte er zu sich, während er mit mächtigen Schritten den Hang hinaufstieg. »Ich kehre nicht heim, ehe ich ihn erledigt habe!« Er brauchte nicht lange zu suchen. Zerdrücktes Gras und geknickte Zweige wiesen ihm deutlich genug den Weg zwischen Bäumen und Felsblöcken.

Es wurde dämmerig unter den dichten Kronen und Herakles begann, behutsamer vorwärtszuschleichen. Er zog die Luft ein wie ein witterndes Tier. Und dann blieb er stehen, regungslos, ohne einen Laut. Er hatte die Witterung aufgefangen, die er suchte: den wilden, scharfen Geruch des Löwen.

Fast zugleich sah er ihn. Das riesige Tier kauerte unter einem überhängenden Felsen, sein fahles Fell bildete einen hellen Fleck in der Dunkelheit. Und vor ihm lag das, was von dem geraubten Rind noch übrig war.

Herakles biss die Zähne zusammen. Er fühlte, wie die alte, wohlbekannte Wut über ihn kam, die ihn nicht mehr denken und überlegen ließ und seine Kraft und seinen Mut ins Unermessliche steigerte.

Mit einem Schrei, der so wild klang wie der Schrei eines zornigen Tieres, sprang er vorwärts.

Der Löwe fuhr in die Höhe und ließ das Fleischstück fallen, das er zwischen den Zähnen hielt.

Er duckte sich blitzschnell. Einen Augenblick sah Herakles die schillernden gelben Augen auf sich gerichtet – dann schnellte das Untier im Bogen durch die Luft …

Herakles schwang die Keule mit beiden Fäusten hoch über seinen Kopf.

Und einen winzigen Augenblick, bevor der riesige gelbe Tierleib auf ihn niederkrachte, fuhr sie herab. Es gab einen dumpfen Schlag und ein hässliches Knirschen –

Der Löwe drehte sich, noch in der Luft, auf eine sonderbare Weise um sich selbst, dann stürzte er zur Erde, streckte noch einmal die Läufe und lag still.

Herakles wartete ein wenig und war auf der Hut. Denn wenn sein Schlag den Löwen nur betäubt hatte … Aber er schüttelte sogleich den Kopf. Nein, er hatte das Knirschen deutlich gehört, mit dem die Schädelknochen des Untieres zerbrachen. Der Schlag war gut gewesen und es war eines geschickten Jägers würdig, den Löwen im Sprung zu treffen, dachte er zufrieden. Doch er wusste genau, hätte er nur einen Herzschlag lang gezaudert oder um eine Handbreit fehlgeschlagen, so läge er jetzt mit aufgerissener Kehle unter den Pranken des Löwen.

Aber er hatte nicht gezögert und nicht fehlgeschlagen! Herakles richtete sich auf und stieß einen lauten Siegesruf aus. Dann nahm er das Seil von der Schulter, mit dem er sonst zuweilen ein verlaufenes Kalb einfing, band die Hinterläufe des toten Räubers zusammen und schleifte ihn hinter sich her dem Waldrand zu. Bei den Göttern, das Ungetüm war schwer genug, selbst für seine Riesenkräfte!

Draußen auf der Wiese war es gerade noch so hell, dass er dem Löwen das Fell abziehen konnte. Es war ein schönes großes Fell und er gab gut acht, um es nicht zu verderben. Zuletzt schnitt er den Schädel vom Rumpf, höhlte ihn aus, so gut es ging, und stülpte ihn auf den Kopf wie einen Helm. Das Fell warf er sich über Rücken und Schultern und schlang die Läufe vorne zu einem Knoten: So umgab es ihn wie ein Gewand. Den wunderlichen Helm rückte er so zurecht, dass er durch die Augenhöhlen hinaussehen konnte.

Während er über die Weiden zu den Hütten hinabwanderte, lachte er ein paarmal vor sich hin. Ei, wie würden die anderen Hirten sich wundern, wenn sie ihn in seinem seltsamen Schmuck erblickten! Überall im Gras lagen die Rinder und schliefen und sahen aus wie unförmige dunkle Felsblöcke.

In einer der Hütten brannte ein Feuer und durch die offene Tür sah er die Hirten, die verschlafen um die Herdstelle hockten oder auf ihrer Streu schliefen.

Auf diese Hütte ging er zu. Er musste sich bücken, als er durch die Türöffnung trat. Die Männer drinnen wandten ihm die Gesichter zu, als sie seine Schritte hörten.

»He, Herakles, wir meinten schon, der Löwe hätte dich gefressen«, murmelte einer halb im Schlaf und versuchte, die Augen aufzureißen. »Was hast du denn so lange –« Das Wort blieb ihm im Halse stecken und nur noch ein erstickter Schrei kam aus seinem Mund. Im nächsten Augenblick brach in der Hütte ein solches Schreckensgeheul los, dass Herakles selbst erschrocken zusammenfuhr. Ein paar von den Männern sprangen auf und rannten taumelnd jenseits zur Tür hinaus, andere warfen sich zu Boden, vergruben den Kopf in den Armen, ächzten vor Entsetzen und flehten die Götter um Rettung vor dem Ungeheuer an, das da so plötzlich aus der Nacht aufgetaucht war.

Herakles stand verblüfft da. Was hatten sie denn nur? Konnte er etwa nicht mit Recht erwarten, dass sie begriffen, er habe den Löwen erschlagen, und ihn für seine Heldentat gebührend rühmten? Stattdessen lagen sie da und heulten oder liefen davon! Woher sollte er auch wissen, wie grausig er aussah, da im flackernden Feuerschein, statt des Kopfes einen Löwenschädel auf den Schultern, von dem das Blut herabtroff und in roten Rinnsalen über das Fell und an seinen Beinen hinablief? Nein, man konnte ihn wahrhaftig nicht ansehen, ohne dass einem der Angstschweiß ausbrach!

Herakles begann, sich allmählich zu ärgern. »Seid ihr närrisch geworden?«, knurrte er, packte den nächsten, der da am Boden lag, mit seiner gewaltigen Faust im Genick und schüttelte den armen Burschen, der vor Entsetzen nur noch ein heiseres Gurgeln hervorbrachte.

Jetzt aber hatten die anderen seine Stimme erkannt. Langsam hoben sich die verstörten Gesichter und starrten ihn an.

»Du bist es also!«, sagte einer und richtete sich mit einem erleichterten Atemzug auf. »Ich … wir hielten dich für … ich weiß nicht, wofür – du siehst aus, als hätte dich der Hades ausgespien!« Ein anderer schlich sich heran, die Augen ungläubig aufgerissen. Zögernd, mit äußerster Vorsicht griff seine Hand nach dem Löwenfell. »Du hast doch nicht … du hast doch nicht etwa den Löwen erschlagen?«, fragte er, stotternd vor Aufregung. Herakles lachte. »Nein, er hat mir freiwillig sein Fell gegeben, damit ich euch erschrecken kann, ihr tapferen Helden!«, spottete er. Aber sogleich wurde er wieder sehr ernst. »Ich werde den Göttern einen jungen Stier opfern«, sagte er, »denn es hätte leicht geschehen können, dass ich jetzt in Stücke gerissen oben im Wald läge.«

Dies war das erste Abenteuer des jungen Helden Herakles. Und als er später an diesem Abend auf seiner Streu lag, dachte er, dass es ein gutes Abenteuer war. Ich habe das Land von einem Ungeheuer befreit und die Menschen werden es mir danken! Und noch ein wenig später, als ihm eben die Augen zufallen wollten, fuhr er plötzlich in die Höhe. »Du wirst so lange in der Einöde bleiben, bis du begriffen hast, dass du deine große Kraft nicht zum Bösen, sondern zum Guten nützen sollst«, sagte er ganz laut in die Dunkelheit hinein und eine große Freude überkam ihn. Ja, so hatte der Urteilsspruch gelautet. Und er wusste, dass er nun fortgehen durfte.

Am Morgen verließ er Amphitryons Landgut und machte sich auf den Weg nach Theben.

Damit begannen für den jungen Herakles die seltsamen Abenteuer, von denen die Sänger noch nach Jahrhunderten erzählten.

Herkules

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