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Herakles befreit Theben

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Der Mond war noch nicht voll geworden, seit er Amphitryons Landgut verlassen hatte. Da kam er eines Tages an eine der großen Straßen, die das Land durchzogen. In der Ferne bemerkte er schon die Mauern von Theben, allerlei Volk begegnete ihm und die Leute betrachteten ihn scheu und furchtsam oder auch mit Bewunderung; denn er trug noch immer das Löwenfell über den Schultern und den schrecklichen Schädel mit dem offenen Rachen statt eines Helmes.

Manche ergriffen bei seinem Anblick schleunigst die Flucht. Dann musste er stets lachen. Denn er wollte doch ganz gewiss niemanden etwas zuleide tun, wenn er auch wild und schrecklich genug aussah.

Als er eine Weile der Straße gefolgt war, kamen ihm drei Reiter entgegen.

»Sie kommen nicht aus Theben«, sagte er nachdenklich zu sich, »ihre Rüstungen sind anders als die unsrigen, auch tragen die Thebaner nicht solche Bärte. Ich möchte wohl wissen, was sie hier suchen!«

Er stellte sich in die Mitte der Straße, pflanzte seine Keule vor sich auf und wartete.

Die Reiter näherten sich zögernd und musterten Herakles mit Staunen und Misstrauen.

»Aus dem Weg, du Unhold!«, befahl der Anführer barsch und bemühte sich, sein Pferd zu beruhigen, das vor der großen Gestalt im Löwenfell erschrocken zurückgeprallt war. Herakles runzelte die Stirn. »Hüte deine Zunge!«, sagte er zornig. »Es könnte dich sonst reuen!«

Der Reiter hatte mit einem Blick gesehen, dass der gewaltige Mann da vor ihm keine anderen Waffen trug als diese ungefüge Keule. Nun, sein Schwert würde schneller sein! Seine Hand fuhr nach der Seite. Aber er vermochte das Schwert nicht zu ziehen. Eine riesige Faust packte ihn am Rock, hob ihn ganz einfach vom Pferd und stellte ihn unsanft auf den Boden. »Hör zu!«, sagte Herakles und blickte ernsthaft auf den Mann hinab, dem unter dem harten Griff die Knie zu schlottern begannen. »Ich will dir nichts tun, obgleich du mich einen Unhold genannt hast. Aber ich will wissen, was ihr hier vor der Stadt Theben sucht! Und du wirst es mir sagen.«

Der Fremde schielte hinüber zu seinen Gefährten, die nicht die geringste Lust zeigten, ihm in seiner Not beizustehen. So schien es ihm ratsam zu gehorchen.

»Uns sendet Erginos, der mächtige König der Minyer«, antwortete er so hochmütig, wie es ihm gelingen wollte. »Vielleicht weißt du, dass Kreon, der alte Fürst von Theben, unserem Herrn einen jährlichen Tribut zu zahlen hat. Wir sind gekommen, das Gold zu holen.«

Herakles nickte grimmig. Er wusste, dass der räuberische Minyerkönig schon seit Jahren den greisen König zwang, seinen Tribut zu entrichten. Und weil er ein viel stärkeres Heer besaß und gedroht hatte, Theben dem Erdboden gleichzumachen und das Land in eine Wüste zu verwandeln, blieb Kreon nichts anderes übrig, als zu bezahlen.

»Ja, du Abgesandter eines Räubers«, sagte Herakles und begann, bedächtig den Strick aufzurollen, den er noch immer nach Hirtenart über Brust und Schulter trug.

Die beiden Reiter, die aus sicherer Entfernung beobachteten, was mit ihrem Anführer geschah, meinten nicht anders, als dass der riesige Bursche da sie alle gefangen nehmen oder gar am nächsten Baum aufhängen wolle. Da warfen sie ihre Pferde herum und jagten davon – dahin, wo sie hergekommen waren. Herakles lachte. »Erginos scheint nicht eben seine tapfersten Männer nach Theben gesandt zu haben! Aber, bei meinem Vater Zeus!, du machst ein Gesicht, als ob –!« Kopfschüttelnd betrachtete er seinen Gefangenen, der vor Schrecken gewiss in die Knie gesunken wäre, hätte ihn die harte Faust nicht hochgezogen. »Was hast du denn? Ist dir die Medusa begegnet oder die neunköpfige Schlange?«

Der Gefangene starrte ihn an. Sein Gesicht war grau und Schweiß tropfte ihm von der Stirne. »Hast du gesagt – mein Vater Zeus?«, flüsterte er heiser. »Oh – so bist du Herakles – und ich bin verloren!«

»Ja, ich bin Herakles und du hast gewiss oft genug gehört, dass ich jedem mit meinen bloßen Händen den Schädel einzuschlagen pflege, wenn mir sein Gesicht nicht gefällt! Aber sei ruhig! Diese Zeit ist vorüber und es wird nie wieder geschehen, dass ich im Zorn einen wehrlosen Mann töte!«

Die Worte klangen so bitter und traurig, dass der Gefangene verwundert aufblickte und wieder ein wenig aufzuatmen wagte. Aber Herakles redete schon weiter. »Jetzt gib gut acht, was ich dir sage, und wehe dir, wenn du nicht gehorchst! Du reitest jetzt schnurstracks zurück zu deinem Räuberkönig und überbringst ihm diese Botschaft: Der Fürst von Theben wird nie wieder den ungerechten Tribut an Erginos bezahlen! Mehr brauchst du deinem Herrn nicht zu sagen!«

Während er so redete, band er dem Gefangenen in aller Ruhe die Hände auf dem Rücken zusammen, hob ihn auf das Pferd und verschnürte seine Füße so sorgfältig unter dem Bauch des Tieres, dass der Reiter bei einigem Geschick nicht herunterfallen konnte. Ein vergnüglicher Ritt würde es allerdings nicht sein! »So – gehab dich wohl! Dein Ross wird den Heimweg schon finden!«, sagte Herakles und versetzte dem erschrockenen Tier einen Schlag mit der flachen Hand, dass es mit einem wilden Satz davonschoss und samt seinem Reiter alsbald in einer Staubwolke verschwunden war. –

Herakles aber schlug eilig die Straße nach Theben ein. Der Wächter am Tor sah ihn kommen und legte schleunigst die schweren Riegel vor. Beim Kerberos, was war das für ein Ungeheuer mit Armen und Beinen wie ein Mensch und dem Schädel eines Löwen? Aber plötzlich stutzte er. Irgendetwas an der seltsamen Gestalt schien ihm bekannt! Die Größe, die Art zu gehen, die breiten Schultern … Er starrte durch das Guckloch und da sah er mit stockendem Atem, wie der Fremde den Löwenkopf abnahm und dann –

»Herakles!«, schrie er und im nächsten Augenblick flog das Tor auf.

Herakles lachte. »Mir ist gerade noch zur rechten Zeit eingefallen, dass mich mit dem Schädel des Löwen niemand erkennen kann!«, sagte er. »Aber halte mich nicht auf, ich muss sogleich zu König Kreon! Und noch etwas! Die Herolde sollen unsere jungen Krieger zusammenrufen! Ich habe den Gesandten des Minyerkönigs, der auf dem Weg nach Theben war, um den Tribut einzufordern, gefesselt zu seinem Herrn zurückgeschickt. Erginos wird die Beleidigung nicht ungerächt lassen! Und sein Heerlager ist ganz nahe an unserer Grenze!«

Er lief schon mit langen Schritten die Straße hinauf zum Königspalast.

Kreon erschrak, als er erfuhr, was geschehen war. Er war alt und liebte den Frieden und nun würde es Kampf geben! »Erginos wird verlangen, dass ich dich ausliefere«, sagte er bedrückt.

»Du wirst mich nicht ausliefern, König«, erwiderte Herakles fröhlich, »denn wir werden kämpfen, ich und unsere jungen Krieger! Und ich verspreche dir, dass Erginos danach nie wieder Lust verspüren wird, Tribut von dir zu fordern! Gehab dich wohl, Herr, ich muss fort; denn ich ahne, dass sehr bald etwas geschehen wird!«

Während er schnell die Gassen zu Amphitryons Palast ging, hörte er schon überall in der Stadt die lauten Rufe der Herolde. Alkmene schloss ihren Sohn voll Freude in die Arme. Sie musste sehr weit hinaufreichen. Dann schob sie ihn sachte von sich und warf einen Blick auf den Löwenschädel, den er samt der Keule neben die Tür auf den Boden gelegt hatte. »Etwas an dir ist anders geworden, Herakles«, sagt sie. »Einmal wirst du mir erzählen, was dir begegnet ist, seit du fortgegangen bist. Aber ich weiß, dass jetzt nicht Zeit dazu ist, denn ich habe die Herolde rufen gehört.« Er nickte. »Ja, Mutter, ich muss fort.« Er schwieg einen Augenblick, und während er nachdenklich in ihr schönes ernstes Gesicht blickte, fiel ihm plötzlich etwas ein. »Sie hat ein wenig so ausgesehen wie du – die zweite Frau, die mir riet, den Weg nach rechts zu gehen«, fügte er hinzu. Alkmene verstand nicht, was er meinte. Aber sie nahm sich vor, ihn eines Tages danach zu fragen.

Es ging auf den Abend zu, als Herakles auf den Marktplatz kam. Da war schon eine Menge Krieger versammelt, die ihn mit lautem Zuruf begrüßten. Manche von ihnen waren seine Spielgefährten gewesen, andere hatte er im Zweikampf, im Lauf und Sprung oder im Speerwerfen besiegt. Sie wussten schon, was er getan hatte, und sie waren stolz auf ihn. »Wir werden diesen ungerechten Tribut nicht länger zahlen«, sagte er. »Ich bin gewiss, dass Erginos morgen, wenn die Sonne aufgeht, mit seinem Heer vor unseren Mauern steht. Ihr wisst, er hat keinen weiten Weg nach Theben. Freilich«, fügte er sorgenvoll hinzu, »wir haben nicht genug Waffen und –«

Er schwieg und blickte sich verwundert um, weil sich aus einer der Gassen, die auf den Marktplatz mündeten, schneller Hufschlag näherte.

Im nächsten Augenblick hielt ein einzelner Reiter vor ihm, der verdutzt die vielen Krieger betrachtete.

Er musste sehr schnell geritten sein, seinem Pferd stand Schaum vor dem Maul und das Fell war fleckig von Schweiß. Herakles sah, dass er den Stab mit den weißen Bändern trug, mit dem Herolde zu reisen pflegten. Auch das Gewand und die Barttracht waren ihm wohl bekannt.

»Du bist ein Minyer«, sagte er barsch, ehe der Fremde noch zu reden vermochte. »Was bringst du?«

»Botschaft vom König Erginos an den Fürsten Kreon von Theben!«, antwortete der Herold, unwillkürlich der herrischen Stimme gehorchend. Auch mochte das riesige Löwenfell ihm einige Ehrfurcht einflößen.

Die Krieger reckten die Hälse, einige lachten.

Herakles aber blieb ernst. »Du kannst deine Botschaft mir sagen: Ich überbringe sie sogleich dem König!«

Der Bote zögerte. Dann zuckte er die Achseln. »Meinetwegen! So sage deinem König Kreon: Erginos befiehlt ihm, sogleich Herakles auszuliefern, der seinen Gesandten und damit ihn selbst beleidigt hat. Tut er es nicht, so wird in Theben kein Stein auf dem anderen bleiben!«

Einen Augenblick war es ganz still auf dem Platz. Dann brach ein solches Gelächter los, dass das Pferd des Minyers kerzengerade in die Höhe stieg.

Herakles hob den Arm, und als es wieder still geworden war, wandte er sich zurück zum Herold und fasste ganz freundlich mit der Hand nach seiner Schulter. »Sage deinem Herrn, er möge kommen und mich holen: Denn ich bin Herakles.«

Der Bote riss den Mund auf und unterdrückte mit Mühe einen Schrei – oh, ihr Götter, die Schulter musste zu Brei gequetscht sein!

Er wartete nicht, bis der gewaltige Mann ihn fortschickte: Er wendete sein Pferd und ritt schleunigst davon. Hinter ihm erscholl abermals lautes Lachen. –

Am nächsten Morgen aber lachte in Theben niemand mehr. Als es hell wurde, sahen die Thebaner mit Schrecken von allen Seiten die wohlbewaffneten Scharen der Minyer heranziehen: Kampfwagen, Reiter, Bogenschützen.

»Und unsere Krieger haben keine Waffen!«, jammerten die Bewohner der unglücklichen Stadt.

Es war wahr. Erginos hatte Theben schon einmal erobert und den Bürgern die Waffen fortnehmen lassen. Zwar war es einigen gelungen, sie zu verstecken, und man holte sie jetzt hervor. Aber es waren viel zu wenige. Nun aber war in dieser Nacht etwas geschehen, das die Leute nicht wussten.

Während sich nämlich Herakles sorgenvoll mit den jungen Kriegern beriet, wie sie denn zu Waffen kommen sollten, fühlte er plötzlich, dass jemand seinen Arm berührte. »Geht in die Tempel und nehmt die Waffen, die eure Vorfahren den Göttern geweiht haben!«, sagte eine Stimme, die er nicht kannte, dicht an seinem Ohr. »Für dich aber liegt im Heiligtum der Athene eine Rüstung bereit. Lege sie an, sie wird dir passen wie angegossen!«

Dann schwieg die Stimme und es war niemand da, dem sie gehören konnte. Herakles lief ein Schauder über den Rücken. Standen die Götter ihnen bei?

»Wir werden die Waffen aus den Tempeln nehmen!«, sagte er heiser. Die anderen starrten ihn an, als hätte er den Verstand verloren. Noch niemals hatte es jemand gewagt, einen solchen Frevel zu begehen – nicht einmal Erginos!

»Einer von den Unsterblichen hat es mir befohlen!«, fuhr Herakles so ernst fort, dass niemand an seinen Worten zweifelte. So gingen sie von einem Tempel zum anderen, nahmen, zögernd zuerst und dann allmählich mutiger geworden, die kostbaren Rüstungen, die an Säulen und Wänden hingen, und bewaffneten sich. Und als der Morgen graute, war kein einziger Krieger in Theben ohne Rüstung – außer Herakles. Er hatte seinen Gefährten gesagt: »Wenn Phöbos Apollon den Sonnenwagen über die Berge im Osten herauflenkt, versammelt ihr euch wieder auf dem Markt und wartet auf mich!«

Er ging allein fort und begab sich zum Tempel der Athene. Dort fand er alles genauso, wie es ihm von jener seltsamen Stimme versprochen worden war.

Zu Füßen des riesigen Standbildes der Göttin lag eine silberne Rüstung, Schwert, Schild und Helm und die beiden Lanzen, die jeder Krieger zu tragen pflegte – eine zum Wurf, die andere zum Stoß. Herakles warf sich vor den Stufen nieder. »Ich danke dir, Göttin!«, sagte er. »Und ich bitte dich, steh uns im Kampf gegen Erginos bei. Er hat uns viel Unrecht zugefügt.« Dann legte er die Rüstung an, die gewiss keinem anderen Sterblichen gepasst hätte, stülpte den Löwenkopf über den Helm und warf sich das Fell um. Darauf begab er sich auf den Markt, wo die Krieger warteten.

Selbst der alte König war gekommen und auch Amphitryon. Sie umarmten Herakles und Kreon sagte: »Mich drückt die Last der Jahre und ich tauge nur noch schlecht zum Kampf. So sollst du die Krieger anführen! Ich weiß, dass sie dir gehorchen werden!«

So fanden sich die Minyer, als sie bei Sonnenaufgang mit Gebrüll auf die Tore stürmten, plötzlich unter einem Hagel von Pfeilen und Wurfspeeren, die von den Mauern herabsausten. Wehgeschrei mischte sich in die Kampfrufe, Pferde überschlugen sich, Reiter stürzten in den Staub. Verwirrung bemächtigte sich der Angreifer, die geglaubt hatten, leichtes Spiel zu haben, weil es in der Stadt keine Waffen gab.

Erginos riss seinen Hengst herum. »Beim Hades, woher haben die Thebaner Waffen bekommen?«, brüllte er und starrte seine Unterführer wütend an. Aber sie waren genauso verblüfft wie er selbst. Ja – und jetzt ein lauter Hornruf – und dann flogen mit einem Schlag die sieben Tore der Stadt auf und aus jedem brach eine Schar herrlich gerüsteter Krieger hervor. Wie die Wölfe fielen sie über die überraschten Minyer her. Mitten im ärgsten Getümmel aber tauchte immer wieder ein gewaltiger Krieger auf, der ein Löwenfell trug und über dem Helm den Schädel eines riesigen Löwen. Wo er hinkam, verbreitete er Schrecken und Tod. So begann die Schlacht von Theben, in der Erginos erschlagen und sein Heer fast gänzlich vernichtet wurde.

Aber auch Amphitryon verlor das Leben und viele thebanische Krieger.

Die Stadt feierte Herakles als ihren Befreier und Kreon gab ihm seine Tochter Megara zur Frau. –

Doch es hielt ihn nicht lange in der Enge der steinernen Häuser. Und eines Tages zog er wieder fort.

Aber diesmal sollte er in einen Kampf verstrickt werden, der viel gewaltiger war als alle Schlachten zwischen den Königen der Erde: Es war der Kampf zwischen den Göttern und den Giganten.

Herkules

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