Читать книгу Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 2 - Augustinus von Hippo - Страница 7

15. Buch

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1. Die Doppelreihe der von Anfang an nach verschiedenen Endpunkten hin sich bewegenden Menschheitszeugung.

Viel ist gesagt und geschrieben worden über das Paradiesesglück oder über das Paradies und das Leben der ersten Menschen in ihm, über deren Sünde und die Strafe dafür. Und im Anschluß an die Heilige Schrift, teils in wörtlichem, teils in sinngemäßem, haben auch wir hierüber uns ausgesprochen in den vorangehenden Büchern. Sowie man aber in diesen Fragen mehr ins Einzelne geht, erwachsen zahlreiche und vielgestaltige Erörterungen; sie auszuführen, wären mehr Bände erforderlich, als der Anlage dieses Werkes entspricht, und mehr Zeit, als uns zur Verfügung steht. Wir brauchen auch nicht bei all dem zu verweilen, was müßige und spitzfindige Köpfe etwa für nötig halten, schneller bei der Hand mit Fragen als mit dem Verständnis für die aufgeworfenen Schwierigkeiten. Immerhin glaube ich, in den bisherigen Darlegungen die großen und äußerst schwierigen Fragen über den Anfang der Welt, der Seele und des Menschengeschlechtes genügend erörtert zu haben. Dabei haben wir die Menschheit in zwei Arten geteilt, deren eine die umfaßt, die nach dem Menschen leben, während die andere die in sich schließt, die nach Gott leben; wir nennen die beiden Arten in einem übertragenen Sinn die zwei Staaten, d. i. die zwei Genossenschaftsgefüge der Menschen, von denen das eine jenes ist, das mit Gott ewig zu herrschen, das andere jenes, das sich mit dem Teufel ewiger Strafe zu unterwerfen vorherbestimmt ist. Doch das ist deren Endausgang, wovon später zu handeln ist. Jetzt dagegen dürfte, nachdem über die Anfänge der beiden Staaten in der Engelwelt, deren Zahl wir nicht kennen, und bei den zwei ersten Menschen das Nötige beigebracht worden ist, deren Entwicklung in Angriff zu nehmen sein, von da ab, wo die ersten Menschen zu zeugen begannen, bis zu dem Zeitpunkt, da die Menschen aufhören werden zu zeugen. Denn diese gesamte Zeit oder die Weltzeit, in der die Geschlechter kommen und gehen, gehört der Entwicklung der beiden Staaten an, von denen wir handeln.

Zuerst also wurde von jenen beiden Stammeltern des Menschengeschlechtes Kain geboren, der zum Staat der Menschen gehört, nachher Abel, der zum Gottesstaat gehört. Wie wir nämlich am einzelnen Menschen, um mit dem Apostel zu reden[164] , die Erfahrung machen, daß „nicht das, was geistig ist, das erste ist, sondern was seelisch, dann erst das Geistige“ [weshalb jeder, aus verdammter Wurzel entspringend, zuerst von Adam her notwendig böse und irdisch gesinnt ist; nachmals erst, falls er vorangeschritten ist durch die Wiedergeburt in Christus hinein, wird er gut und geistig sein], so ist auch beim ganzen Menschengeschlecht, sobald sich nur die zwei Staaten durch Geburt und Tod zu entfalten begannen, zuerst der Bürger dieser Welt geboren worden, und nachher erst der Fremdling in dieser Welt und Angehörige des Gottesstaates, durch Gnade vorherbestimmt, durch Gnade ausgewählt, durch Gnade Fremdling hier unten, durch Gnade Bürger dort oben. Denn soweit er für sich in Betracht kommt, stammt er aus derselben Masse, die in ihrem Ursprung als Ganzes verdammt ist; Gott jedoch hat wie ein Töpfer[165] aus der gleichen Masse ein Gefäß zur Ehre und das andere zur Unehre gemacht. Zuerst aber ward gemacht ein Gefäß zur Unehre, und nachher erst ein zweites zur Ehre, weil auch am Einzelmenschen, wie gesagt, das Verworfene das erste ist, wovon wir notwendig ausgehen, worin wir aber nicht notwendig verharren müssen, und nachher erst das Gute kommt, zu dem wir durch Fortschreiten gelangen und bei dem wir dann auch beharren sollen. Es wird also zwar nicht aus jedem bösen Menschen ein guter werden, aber jeder gute Mensch war vorher böse; je bälder indes einer sich bessert, um so schneller kann man ihn nach dem bezeichnen, wonach er greift, und deckt er sonach die frühere Benennung durch die spätere zu. Es steht nun geschrieben von Kain, daß er einen Staat gründete[166] ; Abel dagegen als Fremdling gründete keinen. Denn der Staat der Heiligen ist jenseitig, obwohl er hienieden Bürger erzeugt, in denen er in der Fremde pilgert, bis die Zeit seines Reiches herbeikommt, da er alle in den eigenen Leibern Auferstehenden sammelt, wenn ihnen das verheißene Reich wird gegeben werden, wo sie mit ihrem Fürsten, dem König der Ewigkeit[167] , ohne Zeitenende herrschen werden.

2. Kinder nach dem Fleische und Kinder der Verheißung.

Ein Schatten nun dieser heiligen Stadt und ein prophetisches Vorbild diente auf Erden mehr zu ihrer Andeutung als zu ihrer Darstellung, in jener Zeit, da auf sie nur erst hingewiesen werden sollte, und dieses Vorbild hieß selbst auch „die heilige Stadt“, jedoch nur in seiner Eigenschaft als andeutendes Vorbild, nicht als wäre es die wirkliche heilige Stadt gewesen, wie sie sein wird. Von diesem dienenden, unfreien Vorbild und von der freien Stadt, die dadurch angedeutet wird, spricht der Apostel zu den Galatern also[168] : „Saget mir, die ihr gewillt seid unter dem Gesetze zu sein, habt ihr das Gesetz nicht gehört? Es steht doch geschrieben, daß Abraham zwei Söhne hatte, einen von der Magd, und einen von der Freien. Aber der von der Magd ist nach dem Fleische geboren worden, dagegen der von der Freien durch die Verheißung; das bewegt sich im Sinnbild. Das sind nämlich die zwei Testamente, das eine vom Berge Sina, zur Knechtschaft gebärend, und das ist Agar; denn Sina ist ein Berg in Arabien, das in gleicher Reihe steht mit dem Jerusalem von heute; es ist nämlich dienstbar mitsamt seinen Kindern. Dagegen das Jerusalem oben ist frei, und das ist unsere Mutter. Denn es steht geschrieben: Freue dich, Unfruchtbare, die du nicht gebierst, frohlocke und juble, die du keine Wehen hast; denn zahlreich sind die Kinder der Vereinsamten, mehr denn jener, die den Mann hat. Wir aber, Brüder, sind wie Isaak Verheißungskinder. Aber wie damals der, der nach dem Fleische geboren war, den verfolgte, der es nach dem Geiste war, so auch jetzt. Was sagt jedoch die Schrift? Wirf hinaus die Magd und ihren Sohn; denn nicht wird der Sohn der Magd Erbe sein mit dem Sohne der Freien. Wir aber, Brüder, sind nicht Kinder der Magd, sondern der Freien, eine Freiheit, zu der uns Christus befreit hat“. Diese Auffassungsweise, aus apostolischer Maßgebung herfließend, eröffnet uns den Weg zum richtigen Verständnis der Schriften beider Testamente, des alten und des neuen. Ein Teil des Erdenstaates[169] ist also Vorbild des himmlischen Staates geworden, indem er nicht auf sich selber, sondern auf den andern hinwies, deshalb dienend, unfrei. Denn er ward eingesetzt nicht um seiner selbst willen, sondern um einen andern anzudeuten, und da ihm seinerseits auch eine Andeutung vorausging, so ist der vorbildende Staat wiederum vorgebildet worden. Agar nämlich, die Magd der Sara, und ihr Sohn war eine Art Vorbild dieses Vorbildes; und weil die Schatten verschwinden sollten beim Hervorbrechen des Lichtes, deshalb sagte die freie Sara, die den freien Staat bedeutete, den wieder auf andere Weise vorzudeuten auch sie als Schatten diente[170] : „Wirf hinaus die Magd und ihren Sohn; denn nicht wird der Sohn der Magd Erbe sein mit meinem Sohne Isaak“, was der Apostel so ausdrückt: „mit dem Sohn der Freien“. Wir finden also im Erdenstaat zwei Formen, eine, in der er sein Vorhandensein dartut, und eine, gemäß der er durch sein Vorhandensein zum Vorbild für den himmlischen Staat dient. Dem Erdenstaat werden die Bürger geboren von der durch die Sünde verderbten Natur, dem himmlischen Staat dagegen von der die Natur von der Sünde erlösenden Gnade; weshalb die einen Gefäße des Zornes, die andern Gefäße der Erbarmung genannt werden[171] . Angedeutet ist das auch in den beiden Söhnen Abrahams, und zwar darin, daß der eine, Ismael, von der Magd, die Agar hieß, nach dem Fleische geboren ist, der andere aber, Isaak, von der freien Sara nach der Verheißung. Der eine wie der andere stammte aus Abrahams Samen; aber den einen erzeugte, hinweisend auf das Natürliche, geschlechtlicher Umgang, den andern dagegen schenkte, die Gnade vorbedeutend, die Verheißung; dort wird menschlicher Brauch vor Augen geführt, hier die göttliche Wohltat betont.

3. Saras Unfruchtbarkeit und ihre Befruchtung durch Gottes Gnade.

Sara war bekanntlich unfruchtbar, und da sie die Hoffnung auf Nachkommenschaft aufgegeben hatte, wollte sie das, was sie aus sich selbst nicht gewinnen konnte, wenigstens durch ihre Magd gewinnen und gab sie daher zur Befruchtung dem Manne, von dem sie selbst hatte gebären wollen, aber nicht können. Sie forderte also auch da von ihrem Gemahl nur die eheliche Pflicht, indem sie von ihrem Recht Gebrauch machte in einem fremden Schoße. Und so ward Ismael nach Menschenart geboren durch Vereinigung der beiden Geschlechter, nach dem gewöhnlichen Gesetz der Natur. Deshalb heißt es von ihm, er sei „nach dem Fleische“ geboren. Natürlich handelt es sich auch hier um Wohltaten von seiten Gottes und Gott wirkt dies, dessen allwaltende Weisheit, wie geschrieben steht[172] , „von einem Ende zum andern reicht in Kraft und alles lieblich ordnet“; aber wo es Gottes Gabe vorzubilden galt, das Geschenk freier Gnade an die Menschen über alle Schuldigkeit hinaus, da mußte in einer Weise, die dem Verlauf der Natur nicht geschuldet ward, der Sohn geschenkt werden. Die Natur versagt Kinder einer solchen Vereinigung von Mann und Weib, wie sie zwischen Abraham und Sara sein konnte in jenem vorgeschrittenen Alter, wozu auch noch die Unfruchtbarkeit des Weibes kam, das selbst zu einer Zeit nicht gebären konnte, da nicht der Fruchtbarkeit die Jahre entgegenstanden, sondern den Jahren die Fruchtbarkeit mangelte. Wenn nun ihrer also beschaffenen Natur keine Frucht der Nachkommenschaft beschieden sein konnte, so bedeutet dies, daß die menschliche Natur, durch die Sünde verderbt und darum mit Recht verdammt, kein wahres Glück weiterhin mehr verdiente. Mit Recht also sinnbildet Isaak, der auf Verheißung hin Geborene, die Kinder der Gnade, die Bürger des freien Staates, die Genossen eines ewigen Friedens, wo nicht die Liebe zum eigenen und sozusagen selbstischen Willen herrscht, sondern eine Liebe, die sich des gemeinsamen und zugleich unwandelbaren Gutes freut und aus vielen ein Herz und eine Seele macht, d. i. ein vollkommen einträchtiger Liebesgehorsam.

4. Des irdisch gesinnten Staates (Im ganzen Kapitel ist nicht vom politischen Staat an sich die Rede, sondern von Strebungen der „Erdenbündler“, wie Scholz einmal die Gesamtheit der irdisch gesinnten Menschen nennt. Nur soweit es sich um Staaten handelt, in denen die Erdenbündler den Ausschlag geben, also nur unter ganz bestimmter Voraussetzung, nicht als solcher ist der politische Staat mitverstanden.) Kampf und Friede.

Der irdisch gesinnte Staat, der nicht von ewiger Dauer sein wird[173] , hat hienieden sein Gut und freut sich der Teilnahme daran mit einer Freude, wie man sie eben an solchen Dingen haben kann. Und da dieses Gut nicht von der Art ist, daß es seinen Liebhabern keine Beengungen verursachte, so ist dieser Staat zumeist wider sich selbst geteilt durch Streit, Krieg und Kampf und durch das Verlangen nach verderbenbringenden oder doch vergänglichen Siegen. Denn so oft er sich in einem Teil von sich wider einen andern Teil von sich im Krieg erhebt, sucht er Besieger von Völkern zu sein, obwohl Sklave von Lastern; und wenn er sich als Sieger hochmütig übernimmt, so ist der Sieg auch verderbenbringend; wenn er dagegen in Erwägung der Lage und der Wechselfälle, wie sie sich immer wieder begeben, eher sich beunruhigt über das Unheil, das eintreten kann, als sich aufbläht über den Erfolg des Augenblickes, so ist ein solcher Sieg nur vergänglich. Denn nicht ewig wird die Herrschaft dauern über die durch Sieg Unterworfenen. Unrichtig wäre es indes, den Dingen, wonach dieser Staat verlangt, die Eigenschaft von Gütern abzusprechen, wenn nur er selbst, soweit er das Menschengeschlecht umfaßt[174] , nicht zu schlecht ist. Er verlangt nämlich nach einer Art irdischen Friedens im Bereich selbst der niedrigsten Dinge; nur zum Frieden will er gelangen, wenn er Krieg führt[175] ; und Friede eben wird sein, wenn er gesiegt und allen Widerstand beseitigt hat, während solchen die Parteien nicht hatten, die einander widerstrebten und aus unseliger Dürftigkeit sich um Dinge stritten, die ihnen zumal nicht eigen sein konnten. Diesen Frieden erstreben mühevolle Kriege, ihn erringt der vermeintlich glorreiche Sieg. Wofern nur indes die den Sieg davontragen, denen für den Kampf der gerechtere Grund zur Seite stand, so ist ein solcher Sieg gewiß begrüßenswert und erwünschter Friede ist sein Erfolg. Das sind Güter, sind ohne Zweifel Gaben von Gott. Wenn man jedoch unter Hintansetzung der besseren Güter, die dem oberen Staat angehören, wo der Sieg durch ewigen und tiefsten Frieden gesichert sein wird, nach derlei Gütern verlangt, in einer Weise, daß man sie für die einzigen hält oder doch mehr liebt, als die, die man für besser hält, dann wird Elend die unausbleibliche Folge sein und das schon vorhandene sich verschärfen.

5. Von dem ersten Gründer des Weltstaates, einem Brudermörder, dessen Ruchlosigkeit ein Gegenstück fand an dem Gründer der Stadt Rom durch dessen Brudermord.

Der erste Gründer des Weltstaates also war ein Brudermörder; er hat, von Neid übermannt, seinen Bruder getötet, den auf Erden pilgernden Bürger des ewigen Staates. Es ist daher nicht zu verwundern, daß lange hernach bei der Gründung jenes Staates, der das Haupt dieses Weltstaates, von dem wir sprechen, werden und über so viele Völker herrschen sollte, diesem Urbilde oder Archetyp, wie die Griechen sagen, ein Abbild der Art nach entsprach. Denn auch hierbei hat, wie einer der Dichter dieses Staates[176] die Schandtat bezeichnet, „Bruderblut die ersten Mauern gerötet“. So ward Rom gegründet; die römische Geschichte bezeugt es, daß Remus von seinem Bruder Romulus ermordet wurde; nur daß hier der Ermordete ebenso wie der Mörder Bürger des Weltstaates war. Beide gingen auf Ruhm aus mit der Gründung des Römerstaates, aber jeder auf so großen, daß nur einer daran teilhaben konnte. Denn wer seinen Ruhm im Herrschen zu suchen entschlossen war, hätte natürlich nur in beschränkterem Maße geherrscht, wenn seine Gewalt eingeengt geblieben wäre dadurch, daß ein Teilhaber lebte. Damit also einer die ganze Herrschaft in seine Gewalt bekäme, wurde der Gefährte beseitigt, und was bei Enthaltung von Blutschuld beschränkter und besser gewesen wäre, mehrte sich so durch Frevel zum Schlimmeren. Dagegen das Brüderpaar Kain und Abel hegte nicht gemeinsam miteinander das gleiche Verlangen nach irdischen Dingen, und der, der den andern ermordete, war ihm nicht deshalb neidisch, weil seine Herrschaft eingeengt worden wäre, wenn beide herrschten [Abel ging ja gar nicht auf eine Herrschaft aus in dem Staate, der von seinem Bruder gegründet wurde], sondern dieser Neid war teuflisch, wie ihn die Bösen auf die Guten haben lediglich deshalb, weil diese gut sind und sie selber böse. Denn keineswegs wird der Besitz an Gutheit verringert, wenn ein Mitteilhaber dazu tritt oder dabei bleibt; im Gegenteil, die Gutheit ist ein Besitz, den, je einträchtiger, in um so weiterem Umfang ungeteilte Liebe von Genossen ihr eigen nennt. Kurz, ein Besitz, den man überhaupt nicht sein eigen nennen kann, wenn man ihn nicht als Gemeingut haben möchte, und den man um so größer finden wird, je größer die Liebe ist, die ihr Besitz dem Teilhaber zuzuwenden verstattet. Das nun, was zwischen Remus und Romulus vorging, hat gezeigt, wie der Weltstaat wider sich selbst uneins ist; was sich dagegen zwischen Kain und Abel zutrug, hat die Feindschaft zwischen den beiden Staaten selbst, dem Gottesstaat und dem Menschenstaat, vor Augen geführt. Kampf also herrscht zwischen Bösen und Bösen untereinander und ebenso zwischen Bösen hier und Guten dort; Kampf aber zwischen Guten und Guten, wenn sie vollkommen sind, ist ausgeschlossen. Dagegen solang die Guten noch erst im Voranschreiten begriffen und noch nicht zur Vollkommenheit gelangt sind, ist Kampf unter ihnen möglich; es kann jeder Gute wider den andern in der Richtung ankämpfen, in der er gegen sich selbst ankämpft; auch im Einzelmenschen ja „begehrt das Fleisch wider den Geist und der Geist wider das Fleisch“[177] . Geistiges Begehren kann also in Kampf treten wider fleischliches beim Nächsten und fleischliches Begehren wider geistiges beim Nächsten, so wie Gute und Böse widereinander kämpfen; oder wenigstens fleischliches Begehren zweier Guten, natürlich noch nicht Vollkommenen, kann so, wie Böse und Böse widereinander kämpfen, aufeinander stoßen, bis etwa Heilung eintritt und schließlich die Gesundheit den letzten Sieg davonträgt.

6. Auch die Bürger des Gottesstaates leiden während ihrer irdischen Pilgerschaft infolge der Sündenstrafe an Krankheiten und werden von ihnen durch Gottes Hand geheilt.

Ein krankhafter Zustand nämlich ist der bezeichnete, genauer diese Unbotmäßigkeit, wovon wir im vierzehnten Buch gehandelt haben[178] , die Strafe für die erste Unbotmäßigkeit; und darum nicht der natürliche Zustand, sondern ein Gebrechen[179] . Deshalb wird den Guten, die voranschreiten und aus dem Glauben leben auf der irdischen Wanderschaft, das Wort zugerufen[180] : „Traget gegenseitig eure Lasten, und so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“; und an anderer Stelle[181] : „Weiset zurecht die Unruhigen, tröstet die Kleinmütigen, nehmet euch der Schwachen an, habet Geduld mit allen; sehet zu, daß nicht einer dem andern Böses mit Bösem vergelte“; und wiederum[182] : „Die Sonne gehe nicht unter über eurem Zorn“; und im Evangelium[183] : „Hat dein Bruder wider dich gesündigt, so weise ihn zurecht unter vier Augen“; hinwieder von Sünden, die es notwendig machen, weitgreifendem Ärgernis vorzubeugen, sagt der Apostel[184] : „Die Fehlenden weise zurecht im Angesicht aller, damit die übrigen Scheu haben“. Deshalb sind auch über die Pflicht gegenseitiger Verzeihung viele und dringende Vorschriften erlassen zur Erhaltung des Friedens, ohne den niemand Gott wird schauen können[185] . Hierher gehört jenes schreckliche Gleichnis[186] , wonach der Knecht die zehntausend Talente Schulden zu zahlen hat, die ihm bereits erlassen worden waren, weil er seinem Mitknecht eine Schuld von hundert Talenten nicht erließ; und an dieses Gleichnis knüpfte der Herr Jesus die Worte: „So wird auch mein himmlischer Vater mit euch verfahren, wenn ihr nicht, ein jeder seinem Bruder, von Herzen verzeihet“. Auf solche Weise werden sie geheilt, die hienieden pilgernden und nach dem Frieden des himmlischen Vaterlandes seufzenden Bürger des Gottesstaates. Der Heilige Geist aber wirkt innerlich, damit die äußerlich angewendete Arznei etwas ausrichte. Ohne diese innere Gnade, mit der Gott den Geist leitet und antreibt, hilft dem Menschen alle Verkündigung der Wahrheit nichts, auch wenn Gott selbst, eines ihm ergebenen Geschöpfes sich bedienend, in irgendeiner menschlichen Gestalt zu den Sinnen des Menschen redete, sei es zu denen des Leibes oder zu den ganz ähnlichen, wie sie im Schlafe wach sind. Die Gnadenwirkung aber läßt Gott eintreten zur Scheidung zwischen den Gefäßen der Erbarmung und denen des Zornes, nach einer Erwägung, durch die er sie kennt, die in tiefes Geheimnis gehüllt, jedoch gerecht ist. Mit Gottes Hilfe nämlich, die sich auf verschiedene wunderbare und verborgene Weise betätigt, wendet sich der Mensch, wenn die Sünde, die in unsern Gliedern wohnt und richtiger nur mehr Strafe der Sünde ist, nach der Weisung des Apostels[187] nicht herrscht in unserm sterblichen Leibe und dessen Gelüsten uns dienstbar macht und wir ihm unsere Glieder nicht als Werkzeuge der Ungerechtigkeit hingeben, zu seinem Geiste hin, der ihm nun unter Gottes Leitung zum Bösen nicht mehr zustimmt, und wird so hienieden diesen seinen beherrschenden Geist in größerer Ruhe erhalten, dann aber, nach Erlangung vollkommener Gesundheit und Unsterblichkeit, ohne alle Sünde in ewigem Frieden herrschen.

7. Die Ursache der Freveltat Kains und die Hartnäckigkeit, die sich darin offenbart, daß er sich nicht einmal durch Gottes Mahnung von dem geplanten Verbrechen abbringen ließ.

Was frommte jedoch einem Kain die eben gekennzeichnete Herablassung Gottes, das Sprechen Gottes zu ihm in der Weise, wie Gott mit den ersten Menschen sprach wie einer ihresgleichen durch Vermittlung eines ergebenen Geschöpfes? Hat er nicht trotz der göttlichen Mahnung das geplante Verbrechen gleichwohl ausgeführt und seinen Bruder ermordet? Da nämlich Gott zwischen den Opfern der beiden einen Unterschied machte, auf das des einen sah, auf das des andern nicht — was man ohne Zweifel an irgendeinem sichtbaren Zeichen erkennen konnte — und es deshalb so machte, weil die Werke Kains böse waren, die seines Bruders dagegen gut[188] , da betrübte sich Kain gar sehr und sein Angesicht fiel ein. Es heißt nämlich in der Heiligen Schrift[189] : „Und der Herr sprach zu Kain: Warum bist du traurig geworden und warum ist dein Angesicht eingefallen? Wenn du zwar recht opferst, nicht aber im Teilen recht verfährst, hast du dann nicht gesündigt? Steh' ab! Denn zu dir die Hinkehr und du wirst darüber herrschen.“ In dieser Ermahnung oder Warnung, die Gott an Kain ergehen ließ, ist dunkel die Stelle: „Wenn du zwar recht opferst, nicht aber im Teilen recht verfährst, hast du dann nicht gesündigt?“ Es ist nicht klar, warum und wovon das gesagt ist, und die Dunkelheit dieser Stelle hat zu vielerlei Auffassungen geführt in dem Bestreben der Ausleger der Heiligen Schrift, sie nach der Glaubensregel[190] zu deuten. Recht wird das Opfer dargebracht, wenn es dem wahren Gott dargebracht wird, dem allein Opferdienst gebührt. Nicht recht aber verfährt man im Teilen, wenn man nicht richtig unterscheidet die Stätten oder die Zeiten oder die Opfergaben selbst oder den Opfernden oder den Opferempfänger oder die, an welche das Geopferte zum Verzehren ausgeteilt wird. Dabei wäre also Teilung hier im Sinne von Unterscheidung gebraucht; es wäre also gemeint, daß man opfert an einer Stätte, wo man nicht opfern soll, oder etwas opfert, was man nicht an dieser, sondern an anderer Stätte opfern soll, oder daß man opfert zu einer Zeit, da man nicht opfern soll, oder etwas opfert, was man nicht jetzt, sondern ein andermal opfern soll, oder daß man etwas opfert, was man überhaupt nirgends und niemals opfern soll, oder daß der Mensch Besseres der gleichen Art für sich behält und Schlechteres Gott opfert oder ein Unheiliger oder sonst ein Unrechter Anteil erhält an dem Geopferten. Wodurch von alldem Kain Gottes Mißfallen erweckt hat, läßt sich nicht leicht feststellen. Indes der Apostel Johannes sagt, wo er von den beiden Brüdern spricht[191] : „Nicht wie Kain aus dem Bösen war und seinen Bruder erschlug; und um welcher Sache willen erschlug er ihn? Weil seine Werke böse waren, die seines Bruders dagegen gerecht“: damit wird zu verstehen gegeben, daß Gott deshalb Kains Gabe nicht ansah, weil Kain mit ihr selbst eine schlechte Teilung vornahm, indem er Gott etwas von dem Seinigen gab, sich selbst aber für sich zurückbehielt. Und so machen es alle, die, ihrem eigenen Willen folgend, nicht dem Gottes, d. h. verkehrten, und nicht geraden Herzens lebend, gleichwohl Gott eine Gabe darbringen, womit sie ihn zu erkaufen meinen, daß er ihnen beistehe, aber nicht zur Besserung, sondern zur Befriedigung ihrer verderbten Neigungen. Und das ist ein Merkmal des Weltstaates, daß man hier Gott oder Götter verehrt, um mit ihrer Hilfe die Herrschaft auszuüben in Siegen und irdischem Frieden, und sie auszuüben um ihrer selbst willen, aus Herrschsucht, nicht aus liebender Fürsorge. Die Guten gebrauchen nämlich die Welt, um Gott zu genießen, die Bösen aber wollen umgekehrt Gott gebrauchen, um die Welt zu genießen; freilich nur die unter ihnen, die noch an das Dasein Gottes und an Beziehungen Gottes zu den menschlichen Dingen glauben. Denn es gibt noch viel Schlechtere, die auch daran nicht glauben. Nachdem nun Kain inne geworden war, daß Gott das Opfer seines Bruders ansah, das seine aber nicht, hätte er natürlich sich ändern und dem Bruder nachahmen sollen, statt in Selbstüberhebung eifersüchtig auf ihn zu werden. Aber er betrübte sich und sein Angesicht fiel ein. Diese Sünde ahndet Gott am meisten, die Traurigkeit über das Gutsein des Nächsten, noch dazu des eigenen Bruders. Das zu rügen also fragte er ihn: „Warum bist du betrübt und warum ist dein Angesicht eingefallen?“ Daß er neidisch auf den Bruder schaute, das sah Gott und das rügte er. Menschen freilich, die ja nicht hineinschauen können in das Herz des Nächsten, hätten darüber im Zweifel und völlig im Ungewissen sein können, ob sich diese Traurigkeit auf die eigene Bosheit bezog, in der er Gott mißfallen hatte, wie ihm klar geworden war, oder auf die Gutheit seines Bruders, die Gott wohlgefiel, da er auf dessen Opfer sah. Gott jedoch machte kund, wie sehr sich Kain neuerdings ins Unrecht setzte, indem er seinen gerechten Bruder ohne Veranlassung haßte; er gab den Grund an, weshalb er Kains Opfer nicht annehmen wollte, damit dieser, statt unbegründeterweise an seinem Bruder, doch an sich selbst, wozu er allen Grund hatte, Mißfallen fände, da er ungerecht war durch unrichtiges Teilen, d. i. durch sündhaftes Leben, und mit seiner Gabe keine Billigung verdiente.

Gleichwohl entließ er ihn nicht ohne eine heilige, gerechte und gute Aufforderung: „Laß ab“, sprach er, „denn zu dir die Hinkehr und du wirst darüber herrschen“. Worüber? Etwa über den Bruder? Sicher nicht. Vielmehr über die Sünde, Denn vorhergeht: „Du hast gesündigt“, und unmittelbar daran schließen sich die Worte: „Steh’ ab! Denn zu dir ihre Hinkehr und du wirst darüber herrschen“. Daß nun die Hinkehr der Sünde die Richtung auf den Menschen selbst haben müsse, läßt sich etwa so auffassen, daß der Mensch niemand anderm als sich selbst es zuzuschreiben habe, wenn er sündigt. Es wäre dabei in dem Sätzchen: „Denn zu dir ihre Hinkehr“ zu ergänzen „sei“, nicht „wird sein“, im Sinne einer Aufforderung, nicht einer Vorhersage; und eine solche Hinkehr wäre dann die heilkräftige Arznei der Buße und die Bitte um Verzeihung, die so wohl am Platze gewesen wäre. Denn darin besteht die Herrschaft über die Sünde, daß man sie nicht über sich stelle durch Rechtfertigung, sondern sie unterkriege durch Buße; sonst stellt man sich ja umgekehrt in ihren Dienst und läßt sie herrschen, wenn man ihr sozusagen Rechtsbeistand leistet. Indes wird man unter Sünde hier wohl das Fleischesbegehren als solches zu verstehen haben, jenes, von dem der Apostel sagt[192] : „Das Fleisch begehrt wider den Geist“, wobei er unter den Früchten des Fleisches auch den Neid erwähnt, von dem ja eben Kain zum Verderben des Bruders angestachelt und entzündet wurde. Man tut daher gut, in jenem Sätzchen zu ergänzen: „wird sein“, also: „Denn zu dir wird ihre Hinkehr sein, und du wirst sie beherrschen“. Wenn nämlich der fleischliche Teil des Menschen in Aufruhr kommt, der Teil, den der Apostel Sünde nennt in der Stelle[193] : „Nicht ich wirke das, sondern die in mir wohnende Sünde“ [diesen Teil des Gemütes bezeichnen auch die Philosophen als fehlerhaft[194] und als einen Teil, dem es nicht zukommt, den Geist nach sich zu ziehen, sondern dem vielmehr der Geist zu gebieten und den er durch die Vernunft von unerlaubten Handlungen zurückzuhalten hat], — wenn also dieser Teil einen Anreiz verspürt zur Begehung einer unrechten Handlung und man steht nun davon ab und gehorcht der Mahnung des Apostels[195] : „Machet eure Glieder nicht zu Werkzeugen der Ungerechtigkeit durch die Sünde“, so kehrt sich dieser Teil, gebändigt und besiegt, zum Geiste hin, so daß nun die Vernunft über ihn herrscht. Das hat Gott dem befohlen, der von dem verzehrenden Feuer des Neides wider seinen Bruder entbrannte und ihn, dem er hätte nachahmen sollen, zu beseitigen begehrte. „Steh' ab“, rief er ihm zu; halte die Hand zurück vom Frevel; nicht herrschen soll die Sünde in deinem sterblichen Leibe, zu gehorchen seinen Gelüsten, noch sollst du deine Glieder zu Werkzeugen der Ungerechtigkeit machen durch die Sünde[196] . „Denn zu dir ihre Hinkehr“, solang sie nicht durch Nachlassen der Zügel gefördert, vielmehr durch Abstehen davon gezügelt wird, „und du wirst sie beherrschen“; sie wird sich, wenn man ihr nach außen zu wirken nicht verstattet, unter der Gewalt des herrschenden und auf das Gute gerichteten Geistes daran gewöhnen, auch innerlich sich nicht zu regen. Etwas Ähnliches ist in demselben heiligen Buch auch vom Weibe gesagt, als nach der Sünde auf Gottes Untersuchung und Urteil hin der Ausspruch der Verdammnis erging über die Schlange an Stelle des Teufels und über die ersten Menschen persönlich. Nachdem nämlich Gott zum Weibe gesagt[197] : „Vermehren und vervielfältigen will ich deine Betrübnisse und dein Seufzen“, und „in Betrübnissen sollst du Kinder gebären“, fuhr er fort: „Und zu deinem Manne deine Hinkehr, und er wird herrschen über dich“. Was dort zu Kain gesagt wurde über die Sünde oder das sündhafte Fleischesbegehren, das ist hier über das sündigende Weib ausgesprochen, woraus zu ersehen ist, daß der Mann in der Herrschaft über die Ehegenossin ähnlich sein müsse dem das Fleisch beherrschenden Geist. Deshalb sagt der Apostel[198] : „Wer sein Weib liebt, der liebt sich selbst; denn nie hat jemand sein eigenes Fleisch gehaßt“. Heilen muß man Fleisch und Weib wie unser Eigen, nicht verdammen wie Fremdes. Indes Kain nahm Gottes Aufforderung hin wie einer, der es mit der Gegenpartei hält. Das Laster des Neides gewann die Oberhand, er stellte seinem Bruder nach und erschlug ihn. Von der Art war der Gründer des Weltstaates. Wie er aber auch die Juden sinnbildete, von denen Christus, der gute Hirt, ermordet ward, den der Schafhirt Abel vorbildete — im Sinnbild ist etwas Prophetisches enthalten —, davon will ich hier nicht sprechen; ich erinnere mich, einiges hierüber in dem Werk wider den Manichäer Faustus[199] gesagt zu haben.

8. Wie es Kain möglich war, schon in den Anfängen des Menschengeschlechtes eine Stadt zu gründen.

Hier dagegen obliegt mir wohl zunächst, den Geschichtsbericht in Schutz zu nehmen, damit nicht die Schrift unglaubwürdig erscheine. Nach ihr hätte nämlich ein Einzelmensch eine Stadt erbaut zu einer Zeit, da es auf Erden dem Anschein nach nur vier oder vielmehr, nach dem Brudermord, nur drei Männer gab, nämlich den ersten Menschen, den Vater aller, dann Kain selbst und dessen Sohn Enoch, nach welchem die Stadt benannt worden ist. Aber wer sich daran stößt, sollte doch bedenken, daß für den Verfasser dieser heiligen Geschichte kein zwingender Grund vorlag, alle Menschen zu benennen, die es damals etwa gegeben hat; es genügte, die anzuführen, deren Nennung der Plan des Werkes mit sich brachte. Die Absicht des Verfassers, der wieder durch den Heiligen Geist dabei geleitet war, ging dahin, durch die sich ablösenden Folgen bestimmter, aus einem Menschen fortgepflanzter Geschlechter zu Abraham zu gelangen und weiterhin in dessen Nachkommen zum Volke Gottes, einem von den übrigen Völkerschaften gesonderten Volke, dazu bestimmt, als Träger aller Vorbilder und Weissagungen zu dienen, die im Geiste vorhergeschaut wurden in Bezug auf den Staat von ewiger Herrschaftsdauer und auf Christus, dessen König und zugleich Gründer; wobei indes auch von der andern Menschengenossenschaft, die wir den Weltstaat nennen, soweit die Rede sein sollte, als nötig wäre, um den Gottesstaat auch durch Vergleich mit seinem Gegner in um so helleres Licht zu setzen. Da nun die göttliche Schrift die Angaben über die Lebensdauer jener Menschen bei jedem, von dem sie spricht, mit den Worten schließt[200] : „Und er zeugte Söhne und Töchter, und es waren der Tage“, die der und der lebte, „insgesamt“ so und soviele „Jahre, da starb er“, so nennt sie ja da auch nicht die Söhne und Töchter mit Namen, und doch dürfen wir annehmen, daß in diesen vielen Jahren, die die Menschen damals im ersten Weltzeitalter lebten, eine sehr große Zahl von Menschen geboren werden konnte, durch deren Vereinigung auch die Möglichkeit zur Gründung zahlreicher Städte gegeben war. Aber es war Gott, auf dessen Eingebung diese Aufzeichnungen gemacht wurden, daran gelegen, nur diese beiden Genossenschaften in ihren nebeneinander laufenden Geschlechtsfolgen von Anfang an zu verfolgen und auseinander zu halten in der Weise, daß die Zeugungen der Menschen, d. i. der nach dem Menschen lebenden Menschen[201] , und die der Gotteskinder, d. i. der nach Gott lebenden Menschen[202] , je für sich angeführt würden bis zur Sündflut. So wird in der Urgeschichte die Scheidung und das Ineinanderwachsen der beiden Genossenschaften berichtet: die Scheidung damit, daß die beiden Geschlechtsfolgen gesondert vorgeführt werden, die des Brudermörders Kain, und die des andern namens Seth; auch er war bekanntlich ein Sohn Adams, ihm geboren als Ersatz für den[203] , den der Bruder erschlagen hatte; das Ineinanderwachsen dagegen insofern, als es heißt, daß auch die Guten sich auf abschüssiger Bahn bewegten und so schließlich alle reif geworden waren für die Vernichtung durch die Sündflut, ausgenommen einen einzigen Gerechten, Noe genannt, und dessen Gemahlin, dessen drei Söhne und ebensoviele Schwiegertöchter, im ganzen acht Menschen, die würdig waren, dem allgemeinen Untergang der Sterblichen zu entgehen.

Wenn es also heißt[204] : „Und Kain erkannte sein Weib, und sie empfing und gebar den Enoch; und er erbaute eine Stadt mit dem Namen seines Sohnes Enoch“, so folgt daraus nicht, daß man Enoch als seinen ersten Sohn betrachten müßte. Dazu gibt die Wendung: „er erkannte sein Weib“ kein Recht, als hätte sie den Sinn, er habe sich damals zuerst mit seinem Weibe im Beischlaf vereinigt; denn dieselbe Wendung wird vom Stammvater Adam selbst auch nicht nur da gebraucht, wo von Kains Empfängnis die Rede ist, der sein Erstgeborener gewesen zu sein scheint, vielmehr sagt auch nachmals dieselbe Heilige Schrift[205] : „Es erkannte Adam Eva, sein Weib, und sie empfing und gebar einen Sohn und nannte ihn Seth“. Es handelt sich also hier offenbar um einen Sprachgebrauch der Heiligen Schrift, dessen sie sich, wenn auch nicht immer, bedient, wo sie von Menschenempfängnissen überhaupt spricht, und nicht nur da, wo von der ersten Vereinigung der Geschlechter die Rede ist. Auch daraus, daß nach Enoch jene Stadt benannt wurde, läßt sich kein zwingender Beweis für die Erstgeboreneneigenschaft Enochs ableiten. Es wäre ja recht wohl denkbar, daß ihn der Vater, da er mehrere Söhne hatte, mehr als die andern liebte. Auch Judas war nicht Erstgeborener, und doch ward sein Name auf Judäa und die Juden übertragen. Mag übrigens immerhin dem Gründer der Stadt dieser Sohn als der erste geboren worden sein, so ist deshalb doch nicht anzunehmen, daß schon bei seiner Geburt einer vom Vater gegründeten Stadt sein Name beigelegt worden wäre, weil überhaupt keine Stadt gegründet werden konnte vom damaligen Kain, der noch allein war; denn eine Stadt setzt ihrem Begriff nach eine größere Menge von Menschen voraus, die zusammengehalten wird durch irgendein Genossenschaftsband; vielmehr erst als Kains Familie heranwuchs, so zahlreich, daß sie nunmehr die Größe eines Volkes hatte, da allerdings mochte es geschehen, daß er eine Stadt gründete und ihr den Namen seines Erstgeborenen beilegte. Die Menschen vor der Sündflut lebten ja so lang, daß der kurzlebigste unter denen, deren Alter angegeben wird, siebenhundertdreiundfünfzig Jahre erreichte[206] . Manche haben selbst neunhundert Jahre überschritten, auf tausend freilich brachte es keiner. Warum sollte sich also nicht während der Lebenszeit eines Menschen das Menschengeschlecht in einer Weise haben vermehren können, daß Leute nicht nur für eine, sondern für zahlreiche Städtegründungen vorhanden waren? Ist doch aus dem einen Abraham in nicht viel mehr als vierhundert Jahren das Hebräervolk so mächtig herangewachsen, daß beim Auszug aus Ägypten nur allein dessen streitbare Jugend sechsmalhunderttausend Menschen betrug[207] , gar nicht zu erwähnen das Volk der Idumäer, das nicht zum Volk Israel gehörte, aber von Israels Bruder Esau, einem Enkel Abrahams, abstammte, und andere Völker, die hervorgegangen sind aus Abrahams Samen unmittelbar, aber nicht durch seine Gemahlin Sara[208] .

9. Die lange Lebensdauer der Menschen vor der Sündflut und deren gewaltigere leibliche Erscheinung.

Wer also die Verhältnisse umsichtig in Anschlag bringt, wird nicht bezweifeln, daß Kain sogar eine große Stadt hat gründen können, da sich ja das Leben der Sterblichen über einen so langen Zeitraum erstreckte. Freilich einer aus den Reihen der Ungläubigen könnte unsere Voraussetzung anstreiten, die große Zahl der Lebensjahre, die den damaligen Menschen in unseren Glaubensschriften zugeteilt wird, und könnte dieser Voraussetzung die Glaubwürdigkeit absprechen. So glauben sie wohl auch nicht, daß die Körpergröße damals viel beträchtlicher gewesen sei als jetzt. Und doch sagt darüber ihr eigener hochberühmter Dichter Vergilius[209] , wo er von einem ungeheuren Steine spricht, einem Feldgrenzstein, den ein Held jener Zeit im Kampfe herausriß, damit enteilend ihn im Kreise schwang und schleuderte:


„Schwerlich hätten ihn zwölf der erlesensten Männer gehoben,

Deren, wie heutzutage die Erde die Leiber hervorbringt“;


womit er andeutet, daß die Erde damals gewaltigere Leiber hervorzubringen pflegte. Um wieviel mehr demnach als in diesen jüngeren Weltzeiten erst vor der berühmten, weithin bekannten Sündflut! Indes, was die gewaltige Körpergröße der frühzeitlichen Menschen betrifft, so werden die, die daran nicht glauben wollen, oft überführt durch alte Gräber, die durch den Zahn der Zeit oder durch Wassergewalt oder durch Zufälle mancherlei Art freigelegt worden sind und in denen zum Vorschein kamen oder aus denen herausfielen Totengebeine von unglaublicher Größe. Ich habe selbst — und nicht ich allein, sondern mehrere mit mir — an der Küste von Utica einen menschlichen Backenzahn gesehen, so ungeheuer groß, daß er nach unserer Schätzung wohl hundert heutige hätte ausmachen mögen, wenn man ihn in kleine Stücke wie unsere Zähne zerschlagen hätte. Der mag indes einem Riesen angehört haben. Diese überragten an Körpergröße die übrigen noch weit, obwohl schon die Durchschnittsgröße der damaligen Menschen viel bedeutender war als die unsrige; wie es ja auch in den folgenden Zeiten bis herab zu den unsrigen fast immer, wenn auch nur vereinzelt, Leute gab, die an Körpergröße das Durchschnittsmaß weit überschritten. Plinius Secundus, der große Gelehrte, versichert[210] , daß die Natur mit dem allmählichen Voranschreiten des Weltverlaufes immer kleinere Leiber hervorbringe; er hebt ferner hervor, daß auch Homer oft darüber klage in seinem Gedichte, und er macht sich nicht etwa darüber lustig als über eine Ausgeburt der dichterischen Phantasie, sondern führt es als ein geschichtliches Zeugnis an, wo er über die Wunder in der Natur schreibt. Indes, wie gesagt, die Größe der Leiber der Vorzeit wird ja durch häufige Funde von Gebeinen, da diese sehr haltbar sind, auch viel jüngeren Zeiten vor Augen geführt. Dagegen kann die damalige lange Lebensdauer des Menschen nicht durch derartige Zeugnisse der Beobachtung zugänglich gemacht werden. Aber man darf deshalb der heiligen Geschichte nicht die Glaubwürdigkeit absprechen, was ihren Berichten gegenüber um so vermessener wäre, als wir ja ihre Vorhersagungen so sicher in Erfüllung gehen sehen. Übrigens spricht doch auch der genannte Plinius[211] von einem zeitgenössischen Volke, wo die Leute zweihundert Jahre alt werden. Wenn man also eine lange Lebensdauer, über die wir keine unmittelbare Erfahrung haben, gelten läßt in uns unbekannten Gegenden, warum nicht auch in fernliegenden Zeiten? Gibt es irgendwo etwas, was es bei uns nicht gibt, so kann es geradesogut irgendwann etwas gegeben haben, was es jetzt nicht mehr gibt.

10. Die Unstimmigkeit zwischen der hebräischen und unserer Überlieferung in den Angaben über die Dauer der Lebensjahre (Vgl. zur Sache neuestens: Seb. Euringer, Die Chronologie der biblischen Urgeschichte, 3. Aufl. 1913, besonders S. 11 f.).

Wenn nun auch hinsichtlich der Zahl der Lebensjahre einige Verschiedenheit obwaltet zwischen dem hebräischen[212] und unserem Text[213] — wie das so gekommen ist, weiß ich nicht —, so ist sie doch nicht so groß, daß sie die lange Lebensdauer der Menschen von damals berührte. So hat gleich der erste Mensch Adam[214] bis zur Geburt jenes Sohnes, der den Namen Seth erhielt, nach unserer Überlieferung 230 Jahre gelebt, nach der hebräischen 130; und nach dessen Geburt hat er nach unserem Text 700 Jahre gelebt, nach dem hebräischen 800; die Gesamtsumme stimmt also beiderseits überein. Und so werden auch durch die folgenden Zeugungsberichte hindurch[215] dem jeweiligen Vater bis zur Zeugung des Sohnes, der erwähnt wird, in der hebräischen Textüberlieferung 100 Lebensjahre weniger zugeteilt; dagegen nach der Zeugung des betreffenden Sohnes gibt dem Vater unsere Textüberlieferung 100 Jahre weniger als die hebräische; und so stimmt die Gesamtzahl hüben und drüben überein. In der sechsten Zeugungsfolge jedoch weicht die beiderseitige Überlieferung nirgends voneinander ab. In der siebenten aber, welcher jener Enoch angehört, von dem es heißt, daß er nicht gestorben, sondern, weil er Gott gefiel, hinweggenommen worden sei, zeigt sich wieder die gleiche Unstimmigkeit wie in den ersten fünf bezüglich der 100 Jahre vor der Zeugung des Sohnes, der dort erwähnt wird, und in der Summe die gleiche Übereinstimmung. Enoch lebte nach der beiderseitigen Überlieferung bis zu seiner Hinwegnahme 365 Jahre. Die achte Geschlechtsfolge weist einige Verschiedenheit auf, doch eine geringere und anders geartete als bisher. Mathusalam nämlich, der Sohn des Enoch, lebte nach dem hebräischen Text bis zur Zeugung dessen, der in der Urväterliste folgt, nicht 100 Jahre weniger, sondern 20 Jahre mehr; diese 20 Jahre findet man in unserem Text wieder nach der Zeugung hinzugezählt, und beiderseits entspricht sich die Summe der Gesamtlebensjahre. Nur in der neunten Geschlechtsfolge, d. i. bei den Lebensjahren des Lamech, des Sohnes Mathusalams und des Vaters Noes, weicht die Gesamtsumme voneinander ab, jedoch nicht sehr weit. Die hebräischen Bücher teilen ihm 24 Lebensjahre mehr zu als die unseren. Er ist bei der Zeugung des Sohnes, der Noe benannt ward, 6 Jahre jünger in der hebräischen Überlieferung als in der unsrigen. Dagegen erhält er nach dieser Zeugung von der hebräischen 30 Jahre mehr zugeteilt als von der unsrigen. Davon die 6 abgezogen, bleiben die erwähnten 24 Jahre übrig.

11. Bei Berechnung des Lebensalters Mathusalams ergibt sich, daß er 14 Jahre die Sündflut überlebt hätte.

Infolge dieser Abweichung unserer Überlieferung von der hebräischen erhebt sich jene vielerörterte Frage der Berechnung des Lebensalters Mathusalams. Es rechnet sich heraus, daß er nach der Sündflut noch 14 Jahre gelebt hätte, während doch die Schrift von allen damals auf Erden lebenden Menschen nur die acht in der Arche, unter denen sich Mathusalam nicht befand, dem Verderben der Sündflut entrinnen läßt. Nach unserer Textüberlieferung hätte nämlich Mathusalam bis zur Zeugung des Sohnes, den er Lamech nannte, 167 Jahre gelebt; danach Lamech bis zur Geburt seines Sohnes Noe 188, zusammen 355 Jahre; dazu kommen die 600 Jahre, die Noe bis zur Sündflut lebte; das macht dann von der Geburt Mathusalams bis zum Jahr der Sündflut 955 Jahre. Die Gesamtlebensjahre Mathusalams aber berechnen sich auf 969; denn nach Ablauf von 167 Lebensjahren zeugte er den Sohn, der Lamech genannt ward, und nach dessen Zeugung lebte er noch 802 Jahre; das gibt zusammen, wie gesagt, 969 Jahre. Zieht man davon ab die 955 Jahre von der Geburt Mathusalams bis zur Sündflut, so bleiben 14 Jahre übrig, um die er, wie man glaubt, die Sündflut überlebt hat. Da dies nicht möglich war auf Erden, wo bekanntlich alles Fleisch vernichtet ward, das nicht von Natur aus im Wasser lebt, so nehmen manche an, er habe sich einige Zeit bei seinem Vater befunden, der hinweggenommen worden war, und habe dort bis zum Vorübergang der Sündflut gelebt; sie wollen eben die Glaubwürdigkeit dem Text nicht absprechen, dem die Kirche mehr Ansehen und Gültigkeit zuerkennt, und nehmen an, der der Juden vielmehr enthalte nicht das Wahre. Denn daß hier eher ein Irrtum der Übersetzer vorliegen könne als eine Unrichtigkeit in der ursprachlichen Überlieferung, aus der die bei uns geltende Schrift auf Grund der griechischen Übersetzung in unsere Sprache übertragen worden ist, geben sie nicht zu, vielmehr sagen sie, es sei nicht anzunehmen, die 70 Übersetzer, die alle zu gleicher Zeit und im gleichen Sinne übersetzten, hätten irre gehen können[216] oder in einer für sie gleichgültigen Frage fälschen wollen; dagegen hätten die Juden, aus Neid darüber, daß Gesetz und Propheten auf dem Weg der Übersetzung auf uns gelangt seien, manches in ihren Handschriften geändert, um das Ansehen unserer Überlieferung zu schmälern. Von dieser Meinung oder Argwöhnung mag man halten, was man will; sicher ist jedenfalls, daß Mathusalam die Sündflut nicht überlebt hat, sondern im Jahre der Sündflut gestorben ist, wenn es sich mit der Zahl seiner Lebensjahre so verhält, wie die hebräische Überlieferung berichtet. Was ich aber von den 70 Übersetzern halte, soll an seinem Orte[217] ausführlich besprochen werden, wenn wir nach Maßgabe der Anlage dieses Werkes auf deren Zeiten zu reden kommen, so Gott will. Für die vorliegende Frage genügt die Feststellung, daß nach der beiderseitigen Überlieferung die Menschen jener Urzeit solange lebten, daß sich das Menschengeschlecht bei Lebzeiten ein und desselben Menschen, des Erstgeborenen der beiden Eltern, die damals allein auf Erden waren, hinreichend vermehren konnte, um selbst eine Stadt zu gründen.

12. Auseinandersetzung mit der Annahme, daß die Menschen der Urzeit nicht so langlebig gewesen seien, wie geschrieben steht.

Es geht nämlich durchaus nicht an, für die Jahre jener Urzeit eine andere Berechnung als die heutige anzunehmen, und zwar, wie man versucht hat, sie als Zehnteljahre zu erklären. Wenn es also heiße, es habe einer 900 Jahre gelebt, so müsse man darunter 90 Jahre verstehen; denn 10 Jahre von damals seien ein Jahr von heute, und 10 von heute seien 100 von damals. Und demnach war nach dieser Ansicht Adam 23 Jahre alt, da er Seth zeugte, und Seth wieder zählte 20 Jahre 6 Monate, als Enos aus seinem Samen geboren ward, ein Lebensalter, das die Schrift auf 205 Jahre angibt. Damals teilte man nämlich nach der Vermutung der Vertreter dieser Meinung ein Jahr im heutigen Sinne in 10 Teile und nannte diese Teile Jahre. Ein solcher Teil hält in sich die Sechszahl im Quadrat, da in 6 Tagen Gott seine Werke vollendet hat, um am siebenten zu ruhen [wovon ich im elften Buch nach Vermögen gehandelt habe][218] . 6 X 6, d. i. 6 im Quadrat, macht 36 Tage; diese mit 10 vervielfältigt geben 360 Tage, d. i. 12 Mondmonate. Was die fünf übrigen Tage zur Ergänzung des Sonnenjahrs betrifft und den Viertelstag, wegen dessen man alle vier Jahre, im sog. Schaltjahr, einen Tag einschiebt, so wurden von den Alten hinterher Tage angeschlossen, die Interkalartage, wie sie die Römer nannten, damit die richtige Tageszahl der Jahre herauskomme. Demnach zählte auch Enos, den Seth zeugte, 19 Jahre[219] , als aus seinem Samen sein Sohn Kainan geboren ward. Und auch weiterhin durch alle Zeugungsberichte hindurch, in denen vor der Sündflut die Lebensjahre angegeben sind, wird kaum einer aufgeführt in unseren Büchern, der gezeugt hätte in einem Alter von 100 Jahren oder darunter oder auch von 120 Jahren und nicht erst in einem viel höheren; vielmehr wird als jüngstes Zeugungsalter 160 Jahre und darüber genannt; denn, sagen sie, mit 10 Jahren kann niemand Kinder zeugen, und 10 Jahre hieß man damals 100 Jahre; dagegen mit 16 Jahren ist die Mannheit reif und bereits fähig zur Zeugung von Nachkommenschaft, und dieses Lebensalter verstand man damals unter 160 Jahren. Um aber die abweichende Jahresdauer von damals einigermassen glaubhaft erscheinen zu lassen, berufen sie sich auf eine Anzahl Geschichtschreiber, nach denen das Jahr der Ägypter vier, das der Akarnanen[220] sechs, das der Lavinier[221] dreizehn Monate gehabt hätte. Plinius Secundus[222] schreibt es der Unkenntnis der Zeitrechnung zu, wenn in die Geschichtsliteratur die von ihm erwähnten Angaben Eingang gefunden hätten, wonach jemand 152 Jahre gelebt habe, ein anderer noch 10 darüber, wieder andere ein Alter von 200, 300 erreicht und manche es sogar auf 500, 600 und selbst 800 Jahre gebracht hätten. „Die einen“, sagt er „setzten im Sommer und im Winter je einen Jahresschluß an, andere wieder in vierfacher Zeitteilung, wie die Arkader, deren Jahr drei Monate umfaßte“. Er fügt weiter bei, die Ägypter, deren kurze Jahre, wie erwähnt, vier Monate umspannten, hätten ehedem das Jahr mit jedem Neumond abgeschlossen. „Und so erzählt man sich dort von Leuten, die gleich tausend Jahre lang gelebt haben.“

Auf solche Wahrscheinlichkeitsgründe hin also hat man von einer Seite, die nicht etwa den Glauben an diese heilige Geschichte untergraben, sondern ihn vielmehr stützen will durch den Nachweis, die Angaben über die große Zahl der Lebensjahre der Urmenschen seien nicht unglaubwürdig, sich selber eingeredet und auch ohne Vermessenheit vorschlagen zu dürfen geglaubt, damals sei ein so kurzer Zeitraum als Jahr bezeichnet worden, daß deren zehn auf unser Jahr gingen und zehn heutige Jahre hundert damalige ausmachten. Aber es läßt sich durch einen augenscheinlichen Beweis dartun, daß diese Auffassung völlig unrichtig ist. Bevor ich indes darangehe[223] , möchte ich eine annehmbare Vermutung zu Worte kommen lassen. Gewiß könnten wir jene Aufstellung mit Hilfe der hebräischen Überlieferung zurückweisen und widerlegen, nach welcher Adam nicht 230, sondern 130 Jahre alt gewesen ist, als er seinen dritten Sohn zeugte; sind diese 130 Jahre gleich 13 heutigen, so war Adam klärlich 11 Jahre alt oder nicht viel darüber, als er den ersten Sohn zeugte. Wer kann in solchem Alter zeugen, nach dem ordentlichen, uns wohlbekannten Naturgesetz? Doch wir wollen von Adam absehen, da er vielleicht schon bei seiner Erschaffung zeugungsfähig war, jedenfalls ist nicht anzunehmen, daß er so klein, wie unsere Kinder sind, erschaffen worden ist. Aber Seth, Adams Sohn, war nach der hebräischen Leseart nicht 205 Jahre alt, wie wir lesen, sondern 105, als er Enos zeugte; er wäre also nach jener Berechnung noch keine 11 Jahre alt gewesen. Und erst Kainan, dessen Sohn, dem wir 170, die hebräischen Handschriften 70 Jahre zuteilen, als er Maleleel zeugte! Wo hat je ein siebenjähriger Mensch Kinder gezeugt, wie dieser Kainan getan hätte, wenn man damals 70 Jahre nannte, was in Wirklichkeit 7 waren?

13. Soll man in den Jahresangaben die Septuaginta oder den hebräischen Text als maßgebend erachten?

Aber wenn ich das sage, hält man mir sofort entgegen, es handle sich da um eine solche Fälschung seitens der Juden, wovon oben schon zur Genüge die Rede war; denn die 70 Übersetzer, Männer von gefeiertem Rufe, hätten nicht fälschen können. Da ließe sich nun freilich fragen, was eher Glauben verdiene, daß sich das weithin verstreute Judenvolk zu dieser Fälschung einmütig habe verständigen können und aus Mißgunst über das Ansehen, worin ihre Schrift bei andern steht, sich selbst um die Wahrheit gebracht habe, oder daß 70 Leute, selbst auch Juden, an einer Stätte vereinigt, da der ägyptische König Ptolemäus sie zu diesem Werke herbeigerufen hatte, die Wahrheit fremden Völkern mißgönnt haben und nach gemeinsamer Verabredung in der bezeichneten Richtung vorgegangen seien. Die Antwort darauf kann nicht schwer fallen. Aber das eine wie das andere wird kein verständiger Mensch annehmen; es hätten weder die Juden, auch nicht die verkehrtesten und bösartigsten, bei der großen Zahl und der weiten Verstreuung der Handschriften so etwas zuwege gebracht, noch haben sich jene denkwürdigen 70 Männer auf den Plan verständigt, den Völkern die Wahrheit aus Neid vorzuenthalten. Annehmbarer erscheint mir daher die Vermutung, es habe eine derartige Fälschung stattfinden können, als man daran ging, die Übersetzung, die in den Büchern des Ptolemäus stand, abzuschreiben, und zwar gleich in der ersten davon genommenen Abschrift, von der sie sich dann von selbst weiter verbreitete; es könnte sich dabei an sich auch um Irrtum des Schreibers gehandelt haben. Allein das mag zutreffen in der abweichenden Angabe über die Lebensdauer des Mathusalam und bei Lamech, wo die Summe um 24 Jahre auseinandergeht. Dagegen in jenen Fällen, wo immer der gleiche Fehler wiederkehrt in der Weise, daß vor der Zeugung des betreffenden Sohnes in der Septuaginta 100 Jahre mehr angegeben werden als im hebräischen Text, und nach der Zeugung hier die fehlenden als Überschuß erscheinen, dort die überschüssigen fehlen und also die Summe wieder stimmt, eine Unregelmäßigkeit, die sich in gleicher Weise bei der ersten, zweiten, dritten, vierten, fünften und siebenten Geschlechtsreihe findet, da hat augenscheinlich der Irrtum sozusagen eine gewisse Stetigkeit und verrät Absicht, nicht Zufall.

So mag man also für die Abweichungen in den Zahlenangaben zwischen dem griechischen und lateinischen Text einerseits und dem hebräischen andrerseits, soweit es sich nicht um die immer in gleicher Weise durch so viele Geschlechtsreihen hindurch sich wiederholende Spannung handelt, die erst durch Hinzurechnung, dann durch Abzug von 100 Jahren entsteht, die Nachlässigkeit des Schreibers verantwortlich machen, der zuerst die Handschrift aus der Bibliothek des genannten Königs zum Abschreiben erhielt; wir brauchen hierfür weder die Bosheit der Juden noch den Fleiß oder den Scharfsinn der 70 Übersetzer heranzuziehen. Denn auch heute noch werden Zahlen, falls sie nicht auf etwas aufmerksam machen, was sich leicht erkennen läßt oder zu wissen nützlich erscheint, nachlässig abgeschrieben und selten wieder richtig gestellt. Wem gilt es etwa für besonders wissenswert, wieviel tausend Männer jeder einzelne Stamm Israels zählen mochte?[224] Das zu wissen hält man nicht für irgend nützlich, und wie wenige Menschen gibt es, denen gar der tiefe Sinn dieses nützlichen Wissens zum Bewußtsein kommt? Anders aber ist die Sache mit den 100 Jahren zu beurteilen, die auf der einen Seite da sind, auf der andern fehlen durch eine Anzahl Geschlechtsfolgen hindurch und nach der Geburt des jeweils zu erwähnenden Sohnes fehlen, wo sie schon da waren, oder da sind, wo sie gefehlt haben, so daß die Summe übereinstimmt. Jener, der die 100 Jahre vor die Geburt gestellt hat, wollte glauben machen, die große Zahl der Lebensjahre, die den Urvätern zugeteilt wird, rühre daher, daß man nur ganz kurze Jahre gekannt hätte, und suchte das zu erweisen durch Beziehung auf die Geschlechtsreife, die die Erzeugung von Kindern ermöglicht. Zu diesem Zwecke glaubte er den Ungläubigen gegenüber andeuten zu sollen, daß 100 damalige Jahre 10 heutige seien, damit die Leute sich nicht weigerten, die langen Lebenszeiten gläubig anzunehmen, und so erhöhte er die Angaben über die Lebensdauer bis zur Zeugung um 100 Jahre überall da, wo er ein zur Zeugung von Kindern unfähiges Lebensalter angegeben fand, zog dann aber, um eine Übereinstimmung der Summen zu erzielen, die 100 Jahre von den Lebensjahren nach der Zeugung wieder ab. Er wollte eben ein der Erzeugung von Nachkommenschaft entsprechendes Alter glaubhaft machen, ohne doch das Gesamtlebensalter der einzelnen an Zahl der Jahre zu schmälern. Wenn er in der sechsten Geschlechtsreihe nicht so verfahren ist, so bestätigt gerade diese Unterlassung unsere Annahme; er hat sein Verfahren nur da angewendet, wo es die Sache, die wir meinen, verlangte; wo sie es nicht verlangte, verfuhr er nicht so. Er fand nämlich in der bezeichneten Geschlechtsreihe im hebräischen Text für Jared bis zur Zeugung Enochs 162 Jahre angesetzt, was nach jener Lehre von den kurzen Jahren 16 Jahre und etwas weniger als 2 Monate ergibt, ein Alter, das bereits zeugungsfähig ist, und deshalb war es nicht nötig, Jareds Alter bis zur Zeugung um 100 kurze Jahre zu erhöhen, um es auf 26 heutige Jahre zu bringen, womit dann auch das Abziehen der 100 Jahre von den Lebensjahren nach der Zeugung entfiel, da er sie ja vor der Zeugung nicht hinzugefügt hatte. So erklärt es sich, daß sich bei Jared keine Abweichung zwischen den beiderseitigen Texten zeigt.

Aber auffallend ist hinwieder, daß in der achten Geschlechtsreihe, in der der hebräische Text dem Mathusalam bis zur Geburt Lamechs 182 Jahre zuteilt, in unserm Text, wo doch sonst gewöhnlich 100 Jahre mehr angegeben sind, 20 Jahre weniger verzeichnet werden, die dann nach Lamechs Geburt nachgetragen sind zur Ergänzung der Summe, die in beiden Texten die gleiche ist. Denn wenn der Schreiber mit Beziehung auf die Geschlechtsreife 170 Jahre als 17 aufgefaßt wissen wollte, so durfte er bei Mathusalam so wenig etwas abziehen als hinzufügen, weil er bei ihm ein zeugungsfähiges Alter bereits angegeben vorfand, um dessentwillen er, wenn er es nicht vorfand, bei anderen die 100 Jahre beifügte. Wir könnten ja diese Spannung von 20 Jahren recht wohl als einen durch Zufall entstandenen Fehler gelten lassen, wenn der Schreiber die 20 Jahre nicht hinterher, wie er sie vorher abgezogen hatte, wieder einzusetzen Sorge getragen hätte, damit sich die Gesamtsumme decke. Oder soll man annehmen, es handle sich um einen ganz besonders schlauen Kniff? es wäre also zur Verdeckung der Absichtlichkeit, die bei der vorangängigen Erhöhung und nachherigen Herabsetzung des Lebensalters um 100 Jahre vorliegt, ähnlich auch da verfahren worden, wo es nicht nötig gewesen wäre, indem, wenn auch nicht gerade 100 Jahre, aber doch irgendeine kleine Zahl zuerst abgezogen, dann nachgetragen wurde? Aber wie man auch darüber denkt, ob man sich die Spannungen so zurechtlegt oder anders, und schließlich auch, ob es sich in Wirklichkeit so verhält oder nicht, eines steht mir unzweifelhaft fest: bei Abweichungen in der beiderseitigen Textüberlieferung hat man, vorausgesetzt daß gegenüber dem wirklichen Verlauf der Begebenheiten nicht beides zumal richtig sein kann, dem Urtext zu glauben, aus dem die Übersetzung in eine andere Sprache durch Dolmetscher vorgenommen worden ist. Findet sich doch auch in manchen Handschriften, und zwar in drei griechischen, einer lateinischen und einer syrischen, übereinstimmend die Angabe, daß Mathusalam 6 Jahre vor der Sündflut gestorben sei.

14. Die Jahresdauer früherer Weltzeiten ist der heutigen gleich.

Nun aber wollen wir sehen, auf welchem Wege sich augenscheinlich dartun läßt, daß die Jahre in dem so lang sich hinziehenden Leben der Urzeitmenschen nicht so kurz berechnet sind, daß deren 10 auf ein heutiges gegangen wären, sondern gerade so, wie wir sie jetzt haben [Jahre, die bekanntlich der Sonnenumlauf bewirkt]. Im 600. Lebensjahre Noes, heißt es, fand die Sündflut statt. Da lesen wir[225] : „Und das Wasser der Sündflut strömte über die Erde im 600. Lebensjahre Noes, im 2. Monat, am 27. des Monats“. Wie könnte das sein, wenn es sich um Zwergjahre handelte, wovon 10 ein heutiges ausmachen und eines nur 36 Tage hatte? Ein so kleines Jahr, wenn es bei den Alten wirklich so bezeichnet wurde, hat entweder überhaupt keine Monate oder sein Monat ist von nur dreitägiger Dauer, weil es sonst keine zwölf Monate hätte. Wenn es also hier heißt: „Im 600. Jahre, im 2. Monat, am 27. des Monats, so setzt das voraus, daß die Monate damals so waren, wie sie jetzt sind. Ich wüßte nicht, wie es sonst heißen könnte, daß am 27. Tage des 2. Monats die Sündflut begann. Ferner ist weiter unten vom Ende der Sündflut also zu lesen[226] : „Und die Arche ließ sich im 7. Monat am 27. des Monats auf das Gebirge Ararat nieder. Das Wasser aber nahm ab bis zum 11. Monat, im 11. Monat aber, am 1. Tag des Monats, traten die Berggipfel hervor“. Wenn nun die Monate so waren wie die heutigen, dann natürlich auch die Jahre. Monate von Dreitagsdauer hätten doch keine 27 Tage haben können. Angenommen aber, man habe damals den 30. Teil eines Triduums Tag genannt, es hätten sich also alle Zeitmaße im gleichen Verhältnis verkleinert, so wäre ja jene gewaltige Sündflut, die nach dem Bericht in 40 Tagen und Nächten zustande kam, in weniger als 4 Tagen zustande gekommen! Wie ungereimt und innerlich unmöglich! Also weg mit diesem Irrtum, der durch eine falsche Annahme die Glaubwürdigkeit unserer Schriften stützen will und sie auf der andern Seite untergräbt! Genau so lang wie jetzt war auch damals ein Tag, den 24 Stunden im Tages- und Nachtlauf zu Ende bringen; so lang wie jetzt ein Monat, den Neumond und Vollmond abschließen; so lang wie jetzt ein Jahr, das 12 Mondmonate vollenden, wozu noch wegen des Sonnenlaufes 5 Tage kommen. Und im 600. Jahr von solcher Länge im Leben Noes war es der 2. Monat und in diesem der 27. Tag, als die Sündflut begann, in der ununterbrochen ungeheure Regenmassen fielen, wie erwähnt wird, 40 Tage hindurch, und diese Tage hatten nicht je zwei Stunden und etwas mehr, sondern 24, die in Tages- und Nachtzeit dahinflossen. Und sonach lebten die Urväter bis zu 900 und mehr so langer Jahre, wie die 170 Jahre waren, die nachmals Abraham lebte[227] , und die 180, die sein Sohn Isaak[228] , und die 150, die dessen Sohn Jakob[229] , und die 120, die nach Ablauf eines Weltalterteiles Moses[230] lebte, und die 70 oder 80 und einige darüber, die heutzutage die Menschen alt werden und von denen es heißt[231] : „Und was darüber geht, ist Mühsal und Schmerz“.

Was aber die abweichenden Zahlenangaben im hebräischen Text gegenüber dem unseren betrifft, so herrscht ja doch Übereinstimmung hinsichtlich der hier in Rede stehenden Langlebigkeit der Altväter, und wenn sich eine Abweichung zeigt von der Art, daß beide Lesearten zugleich nicht recht haben können, so hat man den wirklichen Verlauf der Begebenheiten aus dem Urtext zu erheben, aus dem das, was wir haben, übersetzt ist. Diese Möglichkeit bietet sich überall denen, die darauf ausgehen, und doch hat bisher niemand die 70 Übersetzer in den sehr zahlreichen Fällen, wo sie augenscheinlich Abweichendes sagen, aus dem hebräischen Text zu verbessern gewagt. Das hat seinen guten Grund. Man hat diese Unstimmigkeit eben nicht für Fehlerhaftigkeit erachtet; und auch ich bin der Ansicht, daß sie dafür durchaus nicht zu halten sei; vielmehr ist, soweit es sich nicht um Schreibfehler handelt, anzunehmen, daß die 70 Übersetzer etwas in anderer Weise ausdrücken wollten unter dem Einfluß des göttlichen Geistes, nach freier Prophetenart, nicht in ihrer Eigenschaft als Übersetzer, so daß dabei ein mit der Wahrheit übereinstimmender und die Wahrheit verkündender Sinn herauskam[232] . Mit Recht bedienten sich daher die für uns maßgebenden Apostel, wenn sie Zeugnisse aus der Schrift beibringen, nicht nur des hebräischen, sondern auch des Septuagintatextes. Doch darüber werde ich, wie ich in Aussicht gestellt habe[233] , an geeigneterer Stelle handeln, so Gott will; jetzt soll das erledigt werden, was uns hier beschäftigt. Kein Zweifel also, um wieder zurückzukommen auf das, wovon ich ausgegangen bin, der erste Mensch, der aus dem ersten Menschen hervorging, konnte bereits eine Stadt gründen bei der Langlebigkeit der damaligen Menschen, freilich nur eine irdisch gesinnte, nicht die, die Gottesstaat heißt, über die zu schreiben wir dieses große und mühsame Werk auf uns genommen haben.

15. Ob sich wohl die Menschen des ersten Weltalters bis zu den Lebensjahren, da von ihnen Kindererzeugung berichtet wird, der geschlechtlichen Vereinigung enthalten haben?

Nun wird man etwa fragen: „Soll man also glauben, daß ein Mensch, der Kinder zu erzeugen fähig war und sich nicht Enthaltsamkeit vorgenommen hatte, 100 und mehr Jahre oder, nach den Zahlenangaben des hebräischen Textes, nicht viel weniger, 80, 70, 60 Jahre den Beischlaf überhaupt nicht ausgeübt oder, wenn er ihn ausübte, keine Nachkommenschaft zu erzeugen vermocht habe?“ Diese Schwierigkeit läßt sich auf doppelte Art lösen. Entweder trat die Geschlechtsreife in demselben Verhältnis später ein, als das Gesamtleben länger währte, oder, was mich glaubhafter dünkt, es sind hier nicht die erstgeborenen Söhne erwähnt, sondern die[234] , deren Erwähnung durch die Abstammungsfolge gefordert wurde, wollte man auf Noe herabgelangen, von dem wir dann wieder die Abstammungsfolge auf Abraham herabgeführt sehen, und dann weiterhin bis zu einem bestimmten Zeitpunkt, soweit es notwendig war, um auch durch Erwähnung der Geschlechtsfolgen den Verlauf des glorreichen, auf dieser Welt pilgernden und das himmlische Vaterland suchenden Staates zu kennzeichnen. Als erster von allen ging aus der Vereinigung von Mann und Weib Kain hervor; das läßt sich nicht in Zweifel ziehen. Denn Adam hätte nach seiner Geburt sonst nicht gesagt[235] : „Ich habe einen Menschen gewonnen durch Gott“, wenn Kain nicht der erste Mensch gewesen wäre, der sich zu beiden durch die Geburt hinzugesellte. Ihm folgte Abel, den der ältere Bruder erschlug, und er zuerst führt eine Art Vorbild des pilgernden Gottesstaates vor Augen, insofern dieser von Gottlosen und sozusagen Erdgeborenen, d. h. von solchen, die ihren irdischen Ursprung lieben und deren Freude das irdische Glück des Erdenstaates ist, ungerechte Verfolgung erleiden sollte. Wie alt jedoch Adam war, als er die beiden zeugte, ist nicht ersichtlich. Von da ab werden zwei Zeugungsreihen in ihrer Abstammungsfolge vorgeführt, die eine von Kain ausgehend, die andere von dem, welchen Adam zum Ersatz für den vom Bruder Erschlagenen zeugte und dessen Namen er Seth nannte, indem er sprach, wie geschrieben steht[236] : „Denn Gott hat mir einen andern Samen erweckt an Stelle Abels, den Kain erschlug“. Diese beiden Zeugungsreihen, die von Seth und die von Kain ausgehende, deuten durch ihre Sonderung die beiden Staaten an, von denen wir handeln, den himmlischen, der auf Erden in der Fremde ist, und den Weltstaat, der den irdischen Freuden, als wären sie die einzigen, nachjagt und anhängt. Daher ist bei der Nachkommenschaft Kains, obwohl sie mit Einschluß Adams bis zur achten Geschlechtsfolge aufgezählt wird, nirgends ausdrücklich angegeben, wie alt die einzelnen gewesen seien, als sie den erzeugten, der nach ihnen erwähnt wird. Es widerstrebte eben dem Geiste Gottes, bei den Zeugungen im Weltstaat vor der Sündflut Zeiten anzumerken, aber bei denen im himmlischen Staate tat er es gern, um anzudeuten, daß die Zeugungen denkwürdiger seien. Bei Seths Geburt also werden zwar die Jahre seines Vaters nicht verschwiegen, aber dieser hatte schon andere gezeugt, und wer möchte bestimmt behaupten, ob nur Kain und Abel? Denn wenn auch diese zwei allein genannt werden, so ist daraus doch nicht zu folgern, daß sie die einzigen waren, die bis dahin aus Adam hervorgegangen waren; sie werden eben genannt im Zusammenhang mit der Reihenfolge der zu erwähnenden Zeugungen. Es heißt ja von Adam[237] , daß er Söhne und Töchter gezeugt habe, und keines von diesen Kindern ist mit Namen aufgeführt; niemand kann also, ohne sich auf das Gebiet der gewagten, ja kecken Behauptungen zu begeben, bestimmt sagen, das wievielte Kind Adams Seth gewesen ist. Adam konnte ja von oben eine Andeutung erhalten haben, als er die Geburt Seths mit den Worten begrüßte: „Denn Gott hat mir einen andern Samen erweckt an Stelle Abels“, und diese Worte wären dann auf Seths Heiligkeit zu beziehen, die bestimmt war, an Stelle der Abels zu treten, und drückten nicht aus, daß Seth der Zeit nach als der erste nach Abel geboren worden wäre. Wenn es dann weiter heißt[238] : „Seth aber lebte 205 Jahre [oder nach der hebräischen Überlieferung: 105 Jahre] und zeugte den Enos“, so kann doch nur Unbesonnenheit diesen Enos ohne weiters als Seths Erstgeborenen bezeichnen und uns die verwunderte Frage auf die Lippen drängen, wie denn so viele Jahre hindurch Seth unverheiratet geblieben ohne allen Vorsatz der Enthaltsamkeit oder seine Ehe ohne Kinder geblieben sei, zumal da es doch auch von ihm heißt: „Und er zeugte Söhne und Töchter, und es waren alle Tage Seths 912 Jahre, da starb er“. Und so wird auch weiterhin von allen, deren Lebensjahre angegeben werden, ausdrücklich bemerkt, daß sie Söhne und Töchter zeugten. Und demnach läßt sich überhaupt nicht ersehen, ob der, dessen Zeugung jeweils erwähnt wird, gerade der Erstgeborene sei; im Gegenteil: weil es unwahrscheinlich ist, daß die Urväter so lange Jahre hindurch entweder noch nicht geschlechtsreif oder ohne Gattin oder ohne Nachkommenschaft gewesen wären, so ist es auch unwahrscheinlich, daß die jeweils angeführten Söhne ihre Erstgeborenen gewesen wären. Vielmehr hat der Verfasser der heiligen Geschichte, da er beabsichtigte, an der Hand der Zeugungsfolgen unter Angabe der Zeitverläufe zu der Geburt und dem Leben Noes zu gelangen, in dessen Lebenszeit die Sündflut fällt, nur eben jene Zeugungen erwähnt, welche in die Reihenfolge der Abstammung einschlagen, nicht jene, welche für die Eltern die ersten gewesen.

Um allen Zweifel zu beseitigen, daß es sich wirklich so verhalten haben kann, will ich ein Beispiel einschalten, das eine solche Absicht und ihre Einwirkung auf Zeugungsberichte deutlicher machen kann. Wo der Evangelist Matthäus die Abstammung des Herrn dem Fleische nach an der Reihenfolge der Vorfahren dem Gedächtnis der Nachwelt überliefern will, beginnt er mit Abraham und sagt, in der Absicht, zunächst auf David zu gelangen[239] : „Abraham zeugte den Isaak“; warum sagt er nicht: den Ismael, den doch Abraham zuerst zeugte? „Isaak aber“, fährt er fort, „zeugte den Jakob“; warum sagt er nicht: den Esau, der doch Isaaks Erstgeborener war? Eben weil er über diese beiden nicht zu David hätte gelangen können, Darauf folgt: „Jakob aber zeugte den Judas und dessen Brüder“; war Judas etwa Jakobs Erstgeborener? „Judas zeugte den Phares und Zarat“; auch von diesen Zwillingen war keiner des Judas Erstgeborener, vielmehr hatte er vor ihnen bereits drei Söhne gezeugt. Der Evangelist hielt sich also in der Reihenfolge der Zeugungen lediglich an die, über welche er zu David und von da an sein weiteres Ziel gelangen konnte. Daraus ist zu ersehen, daß auch unter den Urmenschen vor der Sündflut nicht die Erstgeborenen, sondern jeweils die erwähnt wurden, über welche die Reihenfolge der Zeugungen ununterbrochen bis auf den Patriarchen Noe herabgeführt werden konnte; und so brauchen wir uns über die schwierige und unnötige Frage wegen deren spät eintretender Geschlechtsreife nicht den Kopf zu zerbrechen.

16. Für die ersten Ehen galt ein anderes Recht als für die späteren

[240] . Da nun das Menschengeschlecht nach der ersten Vereinigung zwischen dem aus Staub gebildeten Mann und seiner aus der Seite des Mannes genommenen Gattin der Verbindung von Männern und Frauen bedurfte, um sich durch Zeugung zu mehren, und keine anderen Menschen da waren als nur eben Kinder jenes ersten Paares, so nahmen die Männer ihre Schwestern zu Frauen; das erzwangen im grauen Altertum die Verhältnisse ebenso unausweichlich, wie es später die Religion für verwerflich erklärte. Man nahm jetzt mit vollem Recht Rücksicht auf die Liebe, und daher sollten die Menschen, für die ja die Eintracht nützlich und schicklich war, durch die Bande vielfältiger Verwandtschaftsverhältnisse aneinandergekettet werden; es sollte nicht ein einzelner in sich allein viele Verwandtschaftsverhältnisse vereinigen, sondern diese sollten sich einzeln über Einzelmenschen verteilen und so eine möglichst große Zahl von Menschen erfassen, um das genossenschaftliche Leben fester in Liebe aneinanderzuketten. Vater und Schwiegervater z. B. sind Bezeichnungen für zwei Verwandtschaftsverhältnisse. Und also erstreckt sich die Liebe über eine größere Zahl, wenn einer einen andern zum Schwiegervater hat als den Vater. Beides zugleich aber mußte der eine Adam seinen Söhnen wie seinen Töchtern sein, als sich die Brüder und Schwestern ehelich verbanden. So war auch Eva, sein Weib, ihren Kindern beiderlei Geschlechtes sowohl Schwiegermutter als auch Mutter; wären das zwei verschiedene Frauen gewesen, eine Mutter und eine Schwiegermutter, so würde sich vielfältiger das Band der genossenschaftlichen Liebe geknüpft haben. Schließlich vereinigte nun auch die Schwester, indem sie zugleich Gemahlin wurde, zwei Verwandtschaftsverhältnisse in sich; wären sie auf zwei Einzelpersonen verteilt worden, von denen die eine Schwester, die andere Frau ist, so würde sich die genossenschaftliche Beziehung an Zahl der in ihren Kreis gezogenen Menschen vermehrt haben. Aber hierzu gebrach es damals an aller Möglichkeit, da es keine anderen Menschen gab als Brüder und Schwestern vom ersten Menschenpaare her. Es mußte also, sobald es eben möglich war, so eingerichtet werden, daß aus der nun vorhandenen Auswahl Gemahlinnen, die nicht mehr Schwestern waren, heimgeführt wurden und nicht nur die Nötigung zur Schwesterheirat aufhörte, sondern diese selbst als ein Unrecht galt. Denn wenn auch noch die Enkel des ersten Menschenpaares, die nun schon Geschwisterkinder zu Frauen nehmen konnten, mit ihren Schwestern Ehen eingegangen hätten, so wären in einem Einzelmenschen schon nicht mehr bloß zwei, sondern drei Verwandtschaftsverhältnisse entstanden, von denen jedes auf einen andern hätte verteilt werden sollen, um die Liebe durch möglichste Ausdehnung der Verwandtschaft ineinanderzuflechten. Es wäre nämlich ein Einzelmensch seinen Kindern, nämlich dem ehelich verbundenen Geschwisterpaar, Vater, Schwiegervater und Oheim gewesen; und ebenso die Frau jenes Einzelmenschen den beiden Kindern Mutter, Tante und Schwiegermutter; und das eheliche Geschwisterpaar wäre zueinander nicht nur Geschwister und Eheleute, sondern auch Vetter und Base gewesen als Kinder von Geschwistern. Alle diese Verwandtschaftsverhältnisse aber, die den einen Menschen mit dreien verbinden, würden ihn mit neun verbinden, wenn jedes von ihnen auf einen andern ginge [Dies ist indes bei der Ehe von Geschwisterkindern, wovon doch nach dem Zusammenhang die Rede ist, nicht der Fall, vielmehr beschränkt sich hier das neunfache Verwandtschaftsverhältnis auf sechs Personen.]; es wären dann für den Einzelmenschen gesondert voneinander vorhanden eine Schwester, eine Gemahlin, eine Base, ein Vater, ein Oheim, ein Schwiegervater, eine Mutter, eine Tante, eine Schwiegermutter; und so würde sich, nicht eng zusammengezogen über ein paar Menschen, das Band der Vergesellschaftung weiter und vielfacher schlingen in zahlreichen Verwandtschaften.

Daran sehen wir denn, als das Menschengeschlecht wuchs und sich mehrte, auch die gottlosen Verehrer der vielen und falschen Götter festhalten, mit einer Zähigkeit, daß, selbst wenn schlechte Gesetze Ehen unter Geschwistern gestatteten, doch die gute Sitte lieber schon vor der Freiheit zurückschreckt und Schwestern zur Ehe zu nehmen, obwohl das in den ersten Zeiten des Menschengeschlechtes völlig freistand, so sehr verabscheut, als hätte es niemals freistehen können. Das Herkommen hat eben eine große Macht über das menschliche Gemüt, es anziehend oder abstoßend; und da in diesem Falle das Herkommen unmäßige Begier in Schranken hält, so gilt es mit Recht für frevelhaft, es umzustoßen oder zu verletzen. Denn wenn es schon unrecht ist, aus Habsucht die Ackergrenze zu verrücken, wieviel schlimmer dann, aus unreiner Lust die durch die Sitte geheiligte Grenze einzureißen! Bezüglich der Ehen unter Geschwisterkindern aber haben wir auch in unseren Tagen die Beobachtung gemacht, wie selten, im Hinblick auf den Verwandtschaftsgrad, der dem zwischen Geschwistern am nächsten steht, wirklich geschah, was gesetzlich doch immerhin freistand, da kein göttliches Gesetz es verwehrte und auch noch kein menschliches dagegen erlassen war[241] . Indes auch vor einer erlaubten Tat schreckte man zurück wegen der großen Nähe einer unerlaubten, und was man mit dem Geschwisterkind tat, galt beinahe wie mit der Schwester getan; denn sie heißen in ihrem Verhältnis zueinander Geschwister wegen ihrer so nahen Blutsverwandtschaft und sind beinahe leibliche Geschwister. Es war jedoch bei den alten Vätern Gegenstand angelegentlicher Sorge, die Verwandtschaft, damit sie sich nicht allmählich im Laufe der Fortpflanzung verflüchtige und allzu weit ausdehne und so aufhöre, eine Verwandtschaft zu sein, durch ein neues Eheband wieder festzuknüpfen, ehe sie sich noch zu weit entfernt hatte, und die fliehende gleichsam zurückzurufen. Daher nahmen sie, auch nachdem der Erdkreis bevölkert war, zwar nicht Schwestern, die vom eigenen Vater oder der eigenen Mutter oder vom eigenen Elternpaar stammten, zu Frauen, aber sie liebten es doch, innerhalb ihres Stammes zu heiraten. Indes sind ohne Zweifel in unseren Zeiten Ehen auch unter Geschwisterkindern schicklicher verboten worden; nicht nur, gemäß unseren obigen Ausführungen, mit Rücksicht auf die Vervielfältigung der Verwandtschaften, damit sich nicht in einer Person zwei Verwandtschaftsgrade vereinigten, da doch zwei Personen daran teilhaben und so sich die Verwandten der Zahl nach mehren könnten, sondern auch weil sich innerhalb des Gebietes der menschlichen Scheu von Natur aus ein merkwürdiger und lobenswerter Zug findet, wonach man an eine Person, der man auf Grund der Verwandtschaft ehrerbietige Achtung schuldet, nicht mit unreiner, wenn auch der Zeugung dienender Lust herantritt, über die wir selbst die eheliche Züchtigkeit Scham empfinden sehen.

Die Verbindung von männlichen und weibliche» Wesen also ist, soweit das Menschengeschlecht in Betracht kommt, eine Art Keimzelle des Staates; jedoch der Weltstaat bedarf nur der Geburt, der himmlische dagegen auch der Wiedergeburt, um den Schaden von der Geburt her los zu werden. Ob es indes vor der Sündflut ein äußeres und sichtbares Zeichen der Wiedergeburt gab, wie die Beschneidung eines war, die nachmals dem Abraham aufgetragen ward[242] , und welcher Art es war, falls es eines gab, darüber spricht sich die heilige Geschichte nicht aus. Wohl aber spricht sie ausdrücklich davon, daß jene ältesten Menschen Gott geopfert haben; das ist bei den zwei ersten Brüdern, wie erwähnt, der Fall gewesen, und ebenso wird von Noe berichtet[243] , daß er Gott Opfer darbrachte, als er die Arche verlassen hatte. Was aber das Opfer als solches betrifft, so haben wir schon in früheren Büchern gesagt[244] , daß die Dämonen, indem sie sich Göttlichkeit anmaßen und für Götter erachtet zu werden begehren, nur deshalb den Dienst des Opferns für sich heischen und an derlei Ehrenbezeugungen ihre Freude haben, weil sie wissen, daß das wahre Opfer dem wahren Gott allein gebühre.

17. Die zwei Väter und Uranfänge, die aus einem Erzeuger hervorgegangen sind.

Adam also ist der Vater beider Geschlechter, des einen, dessen Abfolge zum Weltstaat, wie des andern, dessen Abfolge zum himmlischen Staat gehört; nach Abels Ermordung jedoch, in der ein wunderbares Geheimnis[245] vor Augen gestellt wurde, erhielt jedes Geschlecht seinen eigenen Stammvater, Kain und Seth, in deren Söhnen, die eben deshalb zu erwähnen waren, die Kennzeichen dieser beiden Staaten innerhalb des Geschlechtes der Sterblichen deutlicher in die Erscheinung .zu treten begannen. Kain erzeugte nämlich Enoch, auf dessen Namen er einen Staat gründete, den Weltstaat, der auf dieser Welt sich nicht als Fremdling betrachtet, sondern sein Genügen sucht im zeitlichen Frieden und Glück dieser Welt. Der Name Kain aber bedeutet soviel wie Besitz[246] ; weshalb auch bei seiner Geburt sein Vater oder seine Mutter sagte[247] : „Ich habe einen Menschen gewonnen durch Gott“. Und der Name Enoch bedeutet Einweihung; denn der Weltstaat wird geweiht mit seiner Gründung selbst, da er hienieden das von ihm ins Auge gefaßte und angestrebte Ziel hat. Seth dagegen heißt .Auferstehung, und Enos, sein Sohn, heißt soviel wie Mensch; aber anders als Adam. Denn auch der Name Adam wird mit Mensch übersetzt; jedoch in einem Sinne, der nach dem hebräischen Sprachgebrauch, wie sich zeigt, Mann und Weib zugleich umfaßt. Denn es heißt von diesem Namen[248] : „Mann und Weib schuf er sie, und segnete sie und nannte ihren Namen Adam“. Kein Zweifel daher, daß Adam, was Mensch heißt, der gemeinsame Name beider war, wenn schon Eva einen eigenen Namen erhielt. Enos dagegen heißt Mensch in einem Sinne, der die Einbeziehung des Weibes nach der Versicherung der Kenner der hebräischen Sprache ausschließt, und er heißt so als Sohn der Auferstehung, in der „man weder heiraten noch Weiber nehmen wird“[249] . Denn dort gibt es keine Geburt, da vielmehr die Wiedergeburt dorthin führt. Nicht gegenstandslos erscheint es mir daher, anzumerken, daß bei den Zeugungsreihen, die auf den Stammvater mit dem Namen Seth zurückgehen, keine der gezeugten Frauen mit Namen genannt wird, obwohl es ausdrücklich heißt, daß Söhne und Töchter gezeugt wurden; dagegen bei den Zeugungsreihen, die auf Kain zurückgehen, wird ganz am Schluß, soweit sie überhaupt reichen, als letzte Zeugung die eines Weibes aufgeführt. Es heißt nämlich[250] : „Mathusael zeugte den Lamech; und Lamech nahm sich zwei Frauen, die eine hieß Ada, die andere Sella, und Ada gebar den Jobel; der war der Vater der Zeltbewohner und Herdenbesitzer. Und der Name seines Bruders war Jobal; der war es, der das Harfen- und Zitherspiel lehrte. Sella aber ihrerseits gebar den Thobel; und er war Erzhämmerer, hämmerte Erz und Eisen. Die Schwester Thobels aber war Noemma“. Soweit sind die Zeugungsreihen aus Kain geführt; es sind ihrer insgesamt von Adam an, diesen mitgezählt, acht, sieben bis auf Lamech, der zweier Frauen Gatte war, und die achte Zeugungsreihe bilden Lamechs Kinder, darunter auch ein Weib genannt wird. Fein ist damit angedeutet, daß der Weltstaat bis an sein Ende fleischliche Geschlechtsfolgen haben wird, die hervorgehen aus der Vereinigung zwischen Mann und Weib. Darum werden auch von dem Manne, der hier zuletzt als Vater erscheint[251] , die beiden Frauen mit ihren Namen aufgeführt, was sonst vor der Sündflut nirgends außer bei Eva der Fall ist. Wie aber Kain, dessen Name Besitz bedeutet, der Gründer des Weltstaates, und der, auf dessen Namen er gegründet ward, Enoch, Kains Sohn, dessen Name Einweihung bedeutet, darauf hinweisen, daß der Weltstaat auf der Erde seinen Ursprung und sein Ziel habe und daß man in ihm nichts erhoffe über das hinaus, was man in dieser Welt schauen kann, so ist nun auch bei Seth, dessen Name Auferstehung bedeutet, darauf zu achten — denn er ist der Stammvater gesondert erwähnter Geschlechtsfolgen —, was diese heilige Geschichte von seinem Sohne berichtet.

18. Die vorbildlichen Beziehungen, die von Abel, Seth und Enos auf Christus und seinen Leib, die Kirche, hindeuten.

„Auch dem Seth“, heißt es[252] , „ward ein Sohn geboren, und er nannte seinen Namen Enos; dieser hoffte anzurufen den Namen Gottes des Herrn.“ Fürwahr, laut genug ertönt die Bezeugung der Wahrheit. In Hoffnung also lebt der Mensch[253] , Sohn der Auferstehung; in Hoffnung lebt während seiner irdischen Pilgerschaft der Gottesstaat, der gezeugt wird aus dem Glauben an die Auferstehung Christi. Denn durch diese beiden Menschen: Abel, dessen Name Trauer bedeutet, und seinen Bruder Seth, dessen Name Auferstehung bedeutet, wird vorgebildet der Tod Christi und sein Aufleben von den Toten. Und aus dem Glauben daran entsteht hienieden der Gottesstaat, d. i. der Mensch, der da hoffte anzurufen den Namen Gottes des Herrn. „Denn der Hoffnung nach sind wir erlöst worden“, sagt der Apostel[254] . „Eine Hoffnung aber, die man sieht, ist keine Hoffnung. Denn was jemand sieht, wie hofft der noch darauf? Wenn wir aber hoffen, was wir nicht sehen, so erwarten wir es in Geduld.“ Wer greift da nicht mit Händen sozusagen, daß ein tiefes Geheimnis vorliegt? Hat Abel etwa nicht gehofft, den Namen Gottes des Herrn anzurufen, er, dessen Opfer nach dem Berichte der Schrift Gott so angenehm war? Hat nicht auch Seth gehofft, den Namen Gottes des Herrn anzurufen, da es doch über ihn heißt[255] : „Gott hat mir einen andern Samen erweckt an Stelle Abels“? Wenn also dem Enos das im besonderen zugeschrieben wird, was allen Frommen offenkundig gemeinsam ist, so geschieht dies wohl nur deshalb, weil in ihm, dem ersterwähnten Abkömmling des Stammvaters jener Zeugungsreihen, die in ihrer Sonderung den besseren Teil, den himmlischen Staat, darstellen, der Mensch, d. h. die Genossenschaft von Menschen, vorgebildet werden sollte, die nicht nach dem Menschen lebt im Taumel des greifbaren irdischen Glückes, sondern nach Gott in der Hoffnung auf ewiges Glück. Und es heißt nicht: „Dieser hoffte auf Gott den Herrn“, und auch nicht: „Dieser rief an den Namen Gottes des Herrn“, sondern: „«Dieser» hoffte anzurufen den Namen Gottes des Herrn“. Was will das sagen: „Er hoffte anzurufen“? Das klingt wie eine Weissagung, daß ein Volk erstehen werde, welches dank einer Gnadenwahl den Namen Gottes des Herrn anrufen würde. Es ist dasselbe, was der Apostel als Ausspruch eines andern Propheten über dieses Volk der göttlichen Gnade erkennt[256] : „Und es wird kommen: jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden“. Gerade indem es heißt: „Und er nannte seinen Namen Enos, was Mensch bedeutet“ und gleich darauf folgt: „Dieser hoffte anzurufen den Namen Gottes des Herrn“, ist deutlich gesagt, daß der Mensch nicht auf sich selbst seine Hoffnung setzen soll; denn „verflucht ist jeder [wie es an anderer Stelle heißt[257] ], der seine Hoffnung setzt auf den Menschen“, und also darf er sie auch nicht auf sich selbst setzen, will er Bürger sein in jenem andern Staate, der nicht nach dem Sohne Kains geweiht wird in dieser Zeit, d. i. in dem dahineilenden Verlauf dieser vergänglichen Welt, sondern in der jenseitigen Unsterblichkeit einer ewigen Glückseligkeit.

19. Die Bedeutung der Hinwegnahme Enochs.

Der von Seth als seinem Stammvater ausgehende Zweig hat nämlich ebenfalls einen Weihenamen, und zwar in der siebenten Geschlechtsfolge von Adam ab, diesen mitgezählt. Der siebente von Adam her ist Enoch, was Einweihung bedeutet. Aber gerade er ist jener Hinweggenommene, den Gott hinwegnahm, weil er ihm gefiel, und er steht in der Folge der Geschlechtsreihen an bedeutsamer Zählstelle, an der siebenten von Adam ab, eine Zahl, durch die der Sabbat seine Weihe erhielt. Dagegen von dem Stammvater aus gerechnet, der am Anfang dieser von der Nachkommenschaft Kains gesonderten Geschlechtsreihen steht, d. i. von Seth aus, ist Enoch der sechste; am sechsten Tag aber ward der Mensch erschaffen und vollendete Gott alle seine Werke. Durch die Hinwegnahme dieses Enoch nun ist vorgebildet der Aufschub unserer Einweihung. Sie ist zwar bereits eingetreten bei Christus unserm Haupte, der so auferstanden ist, daß er fürder nicht mehr stirbt; aber auch er ward hin weggenommen; dagegen steht noch erst bevor eine andere Weihe des gesamten Hauses, dessen Grundstein wiederum Christus ist, und sie wird verschoben auf das Ende, wann die Auferstehung aller jener stattfinden wird, die ferner nicht mehr sterben sollen. Ob man nun dabei von einem Hause Gottes oder einem Tempel Gottes oder einem Staate Gottes sprechen will, es ist immer dasselbe, und der lateinische Sprachgebrauch gestattet das eine wie das andere. Nennt doch Vergil[258] einen sehr weithin gebietenden Staat das Haus des Assaracus, womit er die Römer meint, die ihren Ursprung ableiten von Assaracus über die Trojaner her; und ebenso nennt er sie das Haus des Äneas, weil unter seiner Führung die Trojaner nach Italien kamen, wo sie Rom gründeten. Der Ausdrucksweise der heiligen Schriften schloß sich hierin jener Dichter an; dort wird das schon mächtig herangewachsene Volk der Juden das Haus Jakobs genannt.

20. Der Unterschied in der Zahl der Geschlechtsfolgen, wonach Kains Nachkommenschaft in acht Zeugungsreihen von Adam ab ihr Ende erreicht, während Noe bei dem andern Zweig von demselben Stammvater Adam ab der zehnten Zeugungsreihe angehört.

Man kann die Frage auf werfen: „Wenn der Verfasser dieser Geschichte mit der Erwähnung der aus Adam über dessen Sohn Seth hervorgegangenen Zeugungsreihen zu Noe und damit zur Sündflut zu gelangen beabsichtigte, von wo aus wiederum die Stammtafel aufgestellt und verfolgt werden sollte bis herab auf Abraham, mit dem der Evangelist Matthäus seine Geschlechtsfolgen beginnen läßt, um schließlich zu Christus zu gelangen, dem ewigen König des Gottesstaates, was beabsichtigte dann der Verfasser mit den Zeugungsreihen aus Kain, und welches war der Zeitpunkt, bis zu dem er sie herabführen wollte?“ Darauf ist zu erwidern: Bis zur Sündflut, durch die das ganze Geschlecht des Weltstaates vernichtet ward; es lebte jedoch wieder neu auf unter der Nachkommenschaft Noes. Denn stets wird es diesen Weltstaat und die Genossenschaft von Menschen geben, die nach dem Menschen leben, und sie wird nicht aufhören bis zum Ende dieser Welt, das der Herr im Auge gehabt hat, als er sagte[259] : „Die Kinder dieser Welt zeugen und werden geboren“. Den Gottesstaat dagegen, der auf dieser Welt in der Fremde ist, führt eine Wiedergeburt in eine andere Welt, deren Kinder weder zeugen noch geboren werden. Hienieden also ist zeugen und geboren werden beiden Staaten gemeinsam, obschon der Gottesstaat auch hienieden viele tausend Bürger zählt, die sich des Zeugungswerkes enthalten; aber auch der Weltstaat zählt infolge einer Art Nachahmung solche Bürger, die freilich Irrwege wandeln. Denn zum Weltstaat gehören auch jene, die vom Glauben des Gottesstaates abwichen und verschiedenerlei Häresien gründeten; sie leben nämlich nach dem Menschen, nicht nach Gott. Auch die indischen Gymnosophisten[260] , die nackt in den Wildnissen Indiens philosophieren, wie man sich erzählt, sind Weltstaatbürger, und sie enthalten sich des Zeugens. Denn nur dann ist dies sittlich gut, wenn es geschieht im Glauben an das höchste Gut, das Gott ist. Indes hat vor der Sündflut niemand nachweislich solche Enthaltung geübt; vielmehr zeugte selbst Enoch, der siebente Abkömmling von Adam her, der Hinweggenommene, dem der Tod erspart blieb, Söhne und Töchter, ehe er hinweggenommen ward; darunter Mathusalam, über den die Reihenfolge der denkwürdigen Zeugungen läuft.

Warum also wird eine so geringe Zahl von Geschlechtsfolgen angegeben in der von Kain ausgehenden Stammtafel, wenn diese doch bis zur Sündflut herabgeführt werden sollte und die der Geschlechtsreife vorangehende Lebenszeit nicht von langer Dauer war, so daß man etwa hundert Jahre und darüber nicht zu Nachkommenschaft gelangen konnte? Denn wenn der Verfasser dieses Buches nicht eine bestimmte Person im Auge hatte, auf die die Folge der Zeugungen auszumünden hatte, wie er in der von Seth ausgehenden Stammtafel auf Noe lossteuerte, von dem aus dann wieder eine gebundene Stammreihe folgen sollte, so fiel jeder Grund dahin, die erstgeborenen Söhne zu übergehen, um auf Lamech zu gelangen, mit dessen Söhnen dieser Stammbaum endigt, und zwar in der achten Geschlechtsfolge von Adam her und in der siebenten von Kain her; die ganze Nachkommenschaft Kains wurde ja durch die Sündflut vernichtet; es gab also weiter keine Möglichkeit, an dieses Stammbaumende wieder anzuknüpfen, um so auf das Volk Israel zu gelangen, in welchem selbst das irdische Jerusalem ein prophetisches Bild für den himmlischen Staat abgab, oder auf Christus, „dem Fleische nach, welcher ist Gott über alles, hochgelobt in Ewigkeit“[261] , Schöpfer und Regent des himmlischen Jerusalems. Man sollte darum meinen, daß in diesem Stammbaum jeweils die Erstgeborenen aufgezählt wären. Warum also sind ihrer so wenige? Es können doch bis zur Sündflut nicht bloß diese sieben oder acht gewesen sein, da die Urväter nicht bis zu hundertjähriger Dauer der Geschlechtsreife vom Zeugungswerke feierten und auch für damals nicht eine nach dem Verhältnis der Langlebigkeit erst spät eintretende Geschlechtsreife anzunehmen ist. Sie mögen also im Durchschnitt dreißig Jahre alt gewesen sein, als sie Kinder zu zeugen begannen, so ergeben sich 8 x 30 Jahre [da es, Adam miteingerechnet, bis herab zu den Kindern Lamechs acht Geschlechtsfolgen sind] = 240 Jahre; haben sie dann in der ganzen übrigen Zeit nach Ablauf dieser 240 Jahre bis zur Sündflut nicht mehr gezeugt? Und wenn, aus welchem Grund hat der Verfasser der Kainitenliste die späteren Zeugungsreihen nicht aufführen wollen? Von Adam bis zur Sündflut berechnen sich nach unserm Text 2262 Jahre, nach dem hebräischen 1656 Jahre. Halten wir nun die niedrigere Zahl für die richtigere, so sind von 1656 Jahren 240 abzuziehen; wie wäre es glaublich, daß Kains Nachkommenschaft die 1400 Jahre und etliche hindurch, die als Rest bleiben bis zum Zeitpunkt der Sündflut, von Zeugungen habe abstehen können?

Indes erinnere sich, wer das befremdlich findet, an die doppelte Lösung, die ich vorgeschlagen habe[262] auf die Frage, wie es doch möglich sei, anzunehmen, daß jene Urzeitmenschen so viele Jahre hindurch von Erzeugung von Nachkommenschaft hätten Umgang nehmen können: entweder durch die Annahme spät eintretender Geschlechtsreife nach Maßgabe der damaligen Langlebigkeit, oder durch die Annahme, die in den Geschlechtsfolgen erwähnten Söhne seien nicht eben gerade die Erstgeborenen, sondern die, über welche allein der Verfasser zu dem gelangen konnte, auf den er lossteuerte, wie zu Noe in der Sethitenliste. Demnach wird bei der Kainitenliste, falls sich keiner darbietet, auf den der Verfasser abzielte, zu dem er unter Übergehung der Erstgeborenen nur über die aufgeführten Zwischenglieder gelangen konnte, eben nur die Annahme spät eintretender Geschlechtsreife übrig bleiben, so daß man also bei den Kainiten erst im Alter von etwas über hundert Jahren mannbar und zeugungsfähig geworden wäre, wobei dann die Reihe der Geschlechter über die Erstgeborenen liefe und bis zur Sündflut zu einer entsprechend großen Zahl von Jahren gelangte. Immerhin ist aber auch möglich, daß dieser Staat, den wir als Weltstaat bezeichnen, aus einem tiefer liegenden und mir unbekannten Grund in einer nur bis zu Lamech und dessen Kindern fortlaufenden Zeugungsfolge vorgeführt werden sollte und der Verfasser des Buches davon Abstand genommen hätte, die übrigen Zeugungen zu erwähnen, die bis zur Sündflut noch eingetreten sein konnten. Möglicherweise ist auch die Stammtafel nicht über die Erstgeborenen geführt worden — so daß die Annahme so spät eintretender Geschlechtsreife sich wieder erübrigte —, sondern ist anzunehmen, daß die Stadt, die Kain auf den Namen seines Sohnes Enoch gründete, weithin geherrscht und Könige gehabt, nicht mehrere zumal, sondern nur je einen, solang dieser am Leben war, und daß sich die jeweils regierenden Könige ihre Nachfolger gezeugt hätten. Der erste dieser Könige mochte Kain selbst gewesen sein, der zweite sein Sohn Enoch, auf dessen Namen die Stadt gegründet wurde, in der er herrschen sollte; der dritte Gaidad, den Enoch gezeugt hat; der vierte Mevia, den Gaidad gezeugt hat; der fünfte Mathusael, den Mevia gezeugt hat; der sechste Lamech, den Mathusael gezeugt hat als den siebenten von Adam ab über Kain. Dabei brauchten nicht gerade die Erstgeborenen der Könige ihren Vätern in der Regierung nachzufolgen, sondern es konnte ein anderes Erbrecht gelten, wonach etwa der zur Nachfolge gelangte, den Herrschertüchtigkeit auf Grund einer für einen Erdenstaat nützlichen Fähigkeit oder irgendein Zufall ausfindig machen ließ, oder namentlich der jeweilige Liebling des Vaters. Vielleicht noch bei Lebzeiten Lamechs und während seiner Regierung ist dann die Sündflut eingetreten und hat demnach ihn zu verderben vorgefunden samt allen anderen Menschen, die nicht in der Arche waren. Es ist ja weiter nicht auffallend, wenn infolge verschiedener Größe der auf die einzelnen Geschlechtsfolgen treffenden Jahresmengen die beiden Stammeszweige nicht die gleiche Zahl von Geschlechtsfolgen aufzuweisen haben in der langen Zeit von Adam bis zur Sündflut, sondern der Zweig über Kain sieben, der über Seth zehn Geschlechtsfolgen; Lamech ist, wie gesagt, der siebente von Adam ab, Noe der zehnte; und so mag der Grund, weshalb bei Lamech nicht bloß ein Sohn wie bei den übrigen genannt ist, sondern deren mehrere, darin zu suchen sein, daß es ungewiß war, welcher ihm nach dem Tode in der Regierung gefolgt wäre, wenn noch eine Regierungszeit übrig geblieben wäre zwischen Lamech und der Sündflut.

Doch wie immer es sich verhalten mag mit dem Ablauf der Stammreihe aus Kain, ob er den Erstgeborenen folgt oder den Königen, keinesfalls glaube ich mit Stillschweigen übergehen zu dürfen, daß Lamech zwar als der siebente von Adam aus erscheint, daß aber von ihm soviel Kinder miterwähnt sind, bis die Elfzahl voll wird, durch die die Sünde bezeichnet wird. Es sind nämlich drei Söhne und eine Tochter hinzugefügt. Seine Frauen mögen etwas anderes zu bedeuten haben, nicht etwas, was an dieser Stelle hervorzuheben wäre. Denn hier ist die Rede von den Zeugungen; von seinen Frauen ist indes die Abstammung nicht angegeben. Also weil das Gesetz in der Zehnzahl verkündet wird — woher jener denkwürdige Dekalog —, so bezeichnet in der Tat die Elfzahl, weil sie die Zehnzahl überschreitet, die Übertretung des Gesetzes und demnach die Sünde. Deshalb wurde für das Zelt des Zeugnisses, das dem Volke Gottes auf der Wanderung als eine Art beweglichen Tempels diente, die Anschaffung von elf härenen Decken vorgeschrieben[263] . Die härene Decke erinnert nämlich an die Sünden im Hinblick auf die Böcke, die zur Linken stehen werden; das bekennend werfen wir uns im härenen Gewand zu Boden, als wollten wir damit sagen gleich dem Psalmisten[264] : „Und meine Sünde ist allzeit vor mir“. Adams Nachkommenschaft über den verbrecherischen Kain endigt also mit der Elfzahl, durch welche die Sünde bezeichnet wird; und die Schlußziffer trifft auf ein Weib, auf jenes Geschlecht, mit dem der Anfang der Sünde gemacht worden ist, durch die wir alle dem Tode verfallen. Es kam aber dahin, daß auch die Lust des Fleisches folgte, das dem Geiste sich widersetzen sollte. Und wirklich bedeutet der Name der Tochter Lamechs, Noemma, soviel wie Lust. In den Geschlechtsfolgen über Seth dagegen findet sich von Adam bis Noe die gesetzliche Zehnzahl. Zu ihr kommen noch drei hinzu, die Söhne Noes, von denen der eine fiel, die beiden andern aber vom Vater gesegnet wurden, so daß unter Ausschaltung des Verworfenen und Hinzuzählung der Bewährten auch eine bedeutsame Zahl erscheint, die Zwölfzahl, ausgezeichnet durch die Zahl der Patriarchen wie der Apostel und merkwürdig wegen der miteinander vermehrten Bestandteile der Siebenzahl. Denn die Zwölfzahl ergibt sich aus 3 x 4 oder 4 x 3. Doch genug davon; es obliegt mir nun, ins Auge zu fassen und darzulegen, wie sich diese doppelte Stammreihe, die in ihren gesonderten Zeugungsfolgen die beiden Staaten andeutet, den der Erdgeborenen und den der Wiedergeborenen, im Lauf der Zeit so vermischt und miteinander verschmolzen hat, daß das gesamte Menschengeschlecht mit Ausnahme von vier Menschen für die Sündflut reif war.

21. Warum wird nach der Erwähnung Enochs, des Sohnes Kains, ohne Unterbrechung gleich dessen gesamte Stammreihe bis zur Sündflut herab angeschlossen, während sich nach der Erwähnung des Enos, des Sohnes Seths, die Erzählung zum Anfang des Menschengeschlechtes, zur Schöpfung, zurückwendet?

Doch zuerst müssen wir einen auffallenden Unterschied in der Berichtsanordnung ins Auge fassen. Bei Aufzählung der aus Kain hervorgegangenen Zeugungsreihen werden, nachdem nur erst vor dessen sonstigen Abkömmlingen der genannt ist, auf dessen Name eine Stadt gegründet ward, Enoch meine ich, die übrigen gleich angeschlossen bis zu dem Endpunkt, von dem ich gesprochen habe, nämlich bis zur Sündflut, die jenes Geschlecht und all seine Sprößlinge vernichtete; dagegen ist bei Seth kaum dessen Sohn, der einzige Enos, genannt, als auch schon, ohne daß die übrigen bis zur Sündflut beigefügt wären, ein Absatz eingeschaltet ist, der besagt[265] : „Dies ist das Buch der Entstehung der Menschen; an dem Tage, da Gott den Adam schuf, schuf er ihn nach dem Bilde Gottes. Mann und Weib schuf er sie, und er segnete sie und nannte ihren Namen Adam, an dem Tage, da er sie schuf“. Dies scheint mir der Berichterstatter zu dem Zweck eingeschaltet zu haben, um von hier aus neuerdings mit Adam selbst die Zeitenzählung zu beginnen, die er beim Weltstaat nicht anstellen wollte; wie wenn diesen Gott zwar erwähnte, aber nicht rechnete. Und nun kehrt er von da, nachdem er doch schon den Sohn des Seth erwähnt hat, den Menschen, der da hoffte, anzurufen den Namen Gottes des Herrn[266] , zu jener kurzen Wiederholung zurück[267] ; er mußte auf diese Weise die beiden Staaten einführen, den einen in einem Menschenmörder und wieder zu einem Menschenmörder reichend [denn auch Lamech hat einen Mord begangen, wie er seinen beiden Frauen gestand[268] ], den andern in dem, der da hoffte, anzurufen den Namen Gottes des Herrn. Denn das ist die ganze und die höchste Aufgabe, die der auf dieser Welt pilgernde Gottesstaat in dieser Vergänglichkeit hat, und sie mußte dargestellt werden in dem einen Menschen[269] , den nun wirklich die Auferstehung[270] des Ermordeten[271] zeugte. Dieser eine Mensch nämlich bedeutet die Einheit des ganzen himmlischen Staates, die zwar noch nicht in Erfüllung gegangen ist, aber nach diesem prophetischen Vorbild in Erfüllung gehen wird. Der Sohn Kains also, d. i. der Sohn des Besitzes [natürlich des irdischen], möge einen Namen haben im Weltstaat, weil dieser auf seinen Namen gegründet ist. Sein Geschlecht ist es ja, von dem es im Psalme heißt[272] : „Sie werden deren Namen anrufen in deren Erdkreisen“; weshalb ihnen widerfährt, was in einem andern Psalm geschrieben steht[273] : „Herr, in Deinem Staate wirst Du ihren Schein zunichte machen“. Der Sohn des Seth aber, d. i. der Sohn der Auferstehung, hoffe, anzurufen den Namen Gottes des Herrn; denn er sinnbildet die Menschengenossenschaft, die da spricht[274] : „Ich aber wie ein fruchtbarer Ölbaum im Hause Gottes habe auf Gottes Erbarmen gehofft“; den eitlen Ruhm eines auf Erden klangvollen Namens aber suche er nicht; denn[275] „glückselig der Mann, der seine Hoffnung auf den Namen des Herrn setzt und sich nicht umsieht nach Eitelkeiten und trügerischen Torheiten“. Nachdem also die beiden Staaten, der eine in dieser Welt festgewurzelt, der andere mit seiner Hoffnung auf Gott gerichtet, nun eingeführt sind, hervorgetreten gleichsam aus der in Adam eröffneten gemeinsamen Pforte der Vergänglichkeit, um sich zu entfalten und auszulaufen nach ihrem gesonderten, eigenen und verdienten Endausgang, so beginnt die Zeitenzählung. An deren Hand werden dann die anderen Geschlechtsreihen nachgetragen, nachdem der Faden bei Adam wieder aufgenommen ist, aus dessen verdammter Nachkommenschaft Gott wie aus einer einzigen, der verdienten Verdammnis übergebenen Masse Gefäße des Zornes zur Schmach bildet und Gefäße des Erbarmens zur Ehre[276] , jenen vergeltend in Pein, was ihnen gebührt, diesen schenkend in Gnade, was ihnen nicht gebührt, damit der himmlische Staat, der auf Erden in der Fremde weilt, gerade auch aus dem Vergleich mit den Gefäßen der Schmach lerne, nicht auf die Wahlfreiheit seines Willens zu vertrauen, sondern zu hoffen, den Namen Gottes des Herrn anzurufen. Denn der Wille kann in einem Wesen, das gut aus der Hand des guten Gottes, aber, weil aus nichts erschaffen, wandelbar aus der Hand des Unwandelbaren hervorgegangen ist, sowohl vom Guten abweichen, um das Böse zu tun, und das bringt man zustande durch den wahlfreien Willen, als auch vom Bösen, um das Gute zu tun, und das bringt man nur mit göttlicher Hilfe zustande.

22. Von dem Fall der Gotteskinder, die, von Liebe zu Weibern des andern Staates verblendet, alle bis auf acht für den Untergang durch die Sündflut reif wurden.

Durch diesen wahlfreien Willen nun kam es beim Fortschreiten und Wachsen des Menschengeschlechtes zu einer Vermischung und infolge von Anteilnahme an der Bosheit zu einer Art Verschmelzung der beiden Staaten. Dieses Übel ging abermals vom weiblichen Geschlecht aus; zwar nicht in der Weise wie am Uranfang [denn diese Weiber haben nicht, durch fremde List verführt, die Männer zur Sünde überredet], vielmehr wurden Weiber des Weltstaates, d. i. der Genossenschaft der Erdgeborenen, von vornherein schon schlecht gesittet, für Gottessöhne, d. i. für Bürger des in dieser Welt wie in der Fremde pilgernden andern Staates, Gegenstand der Liebe wegen ihrer Körperschönheit. Dieses Gut ist allerdings eine Gabe Gottes, aber eine solche, die Gott auch den Bösen verleiht, und zwar deshalb, damit sie den Guten nicht als ein großes Gut erscheine. Nachdem man also ein großes und ausschließlich den Guten eigenes Gut aufgegeben hatte, fand ein Herabsinken statt zu einem ganz geringen Gut, das nicht den Guten allein eigen, sondern den Guten und den Bösen gemeinsam ist; und so wurden Gottessöhne von der Liebe zu Menschentöchtern erfaßt und sanken, um ihrer als Gemahlinnen genießen zu können, zu den Sitten der erdgeborenen Genossenschaft herab, die Frömmigkeit aufgebend, die sie in der heiligen Genossenschaft bewahrt hatten. Denn mit der körperlichen Schönheit verhält es sich wie mit dem Geld: wenn man sie, die gewiß ein von Gott erschaffenes Gut, aber doch nur ein vergängliches, leibliches, ganz niedriges Gut ist, schlecht liebt, unter Hintansetzung Gottes, des ewigen, innerlichen, immerwährenden Gutes, so ist das gerade so, wie wenn die Habsucht aus Liebe zum Gold von der Gerechtigkeit abweicht; die Sünde liegt nicht im Gold, sondern im Menschen[277] . Und dasselbe gilt von jedem geschaffenen Ding. Jedes ist gut, kann aber gut oder schlecht geliebt werden: gut, wenn die rechte Ordnung bewahrt wird, schlecht, wenn sie gestört wird. Ich habe das in einem Lobgedicht auf die Osterkerze kurz in die Verse gefaßt:


„Dein ist dieses und gut, weil Du es, Guter, erschaffen.

Unser Anteil daran ist nur, daß wir sündigen liebend

Mit Verkehrung der Ordnung, was Du geschaffen, statt Deiner“.


Dagegen der Schöpfer kann nicht Gegenstand schlechter Liebe sein, wenn er wahrhaft geliebt wird, d. h. wenn er selbst, nicht etwas anderes, was er nicht ist, an seiner Statt geliebt wird. Denn auch die Liebe selbst, kraft deren man gut liebt, was zu lieben ist, muß in der rechten Ordnung geliebt werden, soll in uns die Tugend wohnen, die den guten Wandel bewirkt. Man kann daher die Tugend nach meiner Ansicht kurz und gut definieren als die rechte Ordnung[278] der Liebe; deshalb singt im heiligen Hohen Lied die Braut Christi, der Gottesstaat[279] : „Ordnet in mir die Liebe“. Die Ordnung dieser Liebe also haben Gottessöhne verkehrt, als sie Gott vernachlässigten und Menschentöchter liebten. Durch diese beiden Bezeichnungen als Gottes- und Menschenkinder werden die beiden Staaten hinreichend scharf auseinander gehalten. Nicht als ob nicht auch die Gotteskinder von Natur aus Menschenkinder gewesen wären, aber durch Gnade hatten sie einen andern Namen zu führen begonnen. Sie heißen denn auch daneben noch Engel Gottes in derselben Schrift, die von der Liebe der Gottessöhne zu Menschentöchtern berichtet. Daher wird vielfach die Meinung vertreten, es habe sich nicht um Menschen, sondern um Engel gehandelt.

23. Haben Engel geistigen Wesens, von Liebe zu schönen Weibern ergriffen, mit ihnen Ehen eingegangen, aus denen Riesen erwachsen?

Diese Frage haben wir im dritten Buch dieses Werkes[280] nur gestreift; sie heischt jetzt eine Lösung. Können sich Engel, obwohl sie Geister sind, leiblich mit Frauen vereinigen? Es steht nämlich geschrieben[281] : „Der zu seinen Engeln Geister macht“, d. h. Wesen, die ihrer Natur nach Geister sind, macht er zu seinen Engeln, indem er ihnen ein Botschaftsamt aufträgt. Das griechische aggeloj, latinisiert angelus, zu deutsch Engel, bedeutet soviel wie Bote. Ob aber nun der Psalmist, wenn er weiterfährt: „Und zu seinen Dienern flammendes Feuer“, damit Engelsleiber gemeint hat oder ob er ausdrücken wollte, daß Gottes Diener von Liebe wie von einem geistigen Feuer glühen sollen, ist ungewiß. Doch bezeugt die nämliche und überall gleich wahre Schrift, daß Engel den Menschen erschienen sind in Leibern, die nicht nur sichtbar, sondern auch tastbar waren. Und da weitum die Sage ist und viele aus eigener Erfahrung oder auf Grund von Mitteilungen solcher, die aus eigener Erfahrung sprächen und an deren Glaubwürdigkeit nicht zu zweifeln sei, versichern, daß Silvane und Pane [Berg- und Waldgötter.], die im Volksmund incubi[282] heißen, häufig Frauen belästigt und den Beischlaf mit ihnen begehrt und vollzogen hätten; da ferner gewissen Dämonen — Dusii heißen sie bei den Galliern — beständiger Versuch und Betrieb dieser Unreinigkeit in allem Ernst zugeschrieben wird von so vielen und gewichtigen Seiten, daß es wie Unverschämtheit herauskäme, solches in Abrede zu stellen: so wage ich keine bestimmte Entscheidung darüber, ob irgendwelche mit einem Luftleib versehene Geister [denn dieses Element macht sich, selbst wenn es nur mit einem Fächer in Bewegung gesetzt wird, der körperlichen Empfindung und dem Tastsinn fühlbar] auch dieser Lust unterworfen sind, so daß sie sich in ihrer Art mit Frauen unter Empfindungsteilnahme von deren Seite vereinigen können. Jedoch die heiligen Engel Gottes konnten nach meiner Ansicht keinenfalls in dieser Zeit auf solche Weise fallen; und nicht auf sie beziehe ich die Worte des Apostels Petrus[283] : „Denn wenn Gott der sündigen Engel nicht geschont, sondern sie verstoßen und den finsteren Kerkern der Unterwelt übergeben hat, um sie zur Strafe im Gericht aufzubewahren“, sondern auf die, welche gleich anfangs von Gott abtrünnig, samt dem Teufel, ihrem Fürsten, gefallen sind, der den ersten Menschen aus Neid durch Schlangentrug zu Falle brachte. Daß indes die Bezeichnung Engel auch Gottesmenschen beigelegt wurde, das bezeugt wiederum die Heilige Schrift in sehr vielen Stellen. So heißt es mit Bezug auf Johannes[284] : „Siehe, ich sende meinen Engel vor deinem Angesichte her, der dir den Weg bereiten wird“, und der Prophet Malachiel wird kraft einer besonderen, d. h. im eigentlichen Sinne ihm verliehenen Gnade, Engel genannt[285] .

Aber manche werden dadurch hinterdenklich gemacht, daß aus der Vereinigung derer, die Engel Gottes genannt werden, und der Weiber, zu denen sie in Liebe entbrannten, nicht Menschen unserer Art, sondern Riesen, wie es heißt, hervorgingen. Als ob nicht auch in unseren Zeiten, wie ich schon oben erwähnt habe[286] , Menschenleiber auf natürliche Art zur Welt kämen, die das Durchschnittsmaß weit überschreiten. Noch vor wenigen Jahren, als der Stadt Rom die Zerstörung nahte, die durch die Goten über sie hereinbrach, lebte in Rom mit ihrem leiblichen Vater und ihrer leiblichen Mutter eine Frau, die durch ihren sozusagen riesenhaften Leib über die andern mächtig emporragte. Ein unglaublicher Zusammenlauf von allen Seiten fand statt, sie zu sehen. Und das merkwürdigste dabei war, daß ihre Eltern nicht einmal sonderlich groß waren. Es mochten also wohl auch schon vorher Riesen zur Welt gekommen sein, ehe noch Gottessöhne, die auch als Gottes Engel bezeichnet wurden, sich vereinigten mit Menschentöchtern, d. i. mit Töchtern von Menschen, die nach dem Menschen lebten; Söhne Seths nämlich mit Töchtern Kains. Spricht doch davon auch die kanonische Schrift, und zwar in demselben Buch, worin wir von diesen Dingen lesen. Sie sagt wörtlich[287] : „Und es geschah, als die Menschen anfingen, zahlreich zu werden auf Erden, da wurden ihnen auch Töchter geboren. Wie nun die Engel Gottes die Töchter der Menschen sahen, wie gut sie seien, nahmen sie sich Weiber aus allen, wie sie ihnen gefielen. Und Gott der Herr sprach: Nicht wird ewiglich bleiben mein Geist in diesen Menschen, weil sie Fleisch sind. Ihre Tage sollen vielmehr sein 120 Jahre. Riesen aber gab es auf Erden in jenen Tagen und nachher, als die Gottessöhne zu den Menschentöchtern gingen, und sie zeugten für sich; das waren die Riesen, von der Urzeit her berühmte Männer“. In diesen Worten des göttlichen Buches ist doch deutlich genug gesagt, daß es bereits Riesen gab auf Erden in jenen Tagen, da Gottessöhne Menschentöchter zu Frauen nahmen, weil sie sie lieb hatten als gute, d. i. als schöne Wesen. Es ist nämlich Sprachgebrauch dieser Schrift, auch die leiblich wohlgestalteten gut zu nennen. Aber auch nachdem dies geschehen war, kamen Riesen zur Welt. Denn es heißt ausdrücklich: „Riesen aber gab es auf Erden in jenen Tagen und nachher, als die Gottessöhne zu den Menschentöchtern gingen“. Also gab es Riesen in jenen Tagen sowohl vorher wie nachher. Wenn es aber heißt: „Und sie zeugten für sich“, so wird darauf hingewiesen, daß die Gottessöhne vordem, ehe sie auf solche Weise fielen, für Gott gezeugt hatten, nicht für sich, d. i. nicht unter der Herrschaft des Begattungstriebes, sondern im Dienste der Pflicht der Fortpflanzung; nicht ein Geschlecht der Selbstüberhebung, sondern Bürger des Gottesstaates, denen sie als Engel Gottes verkündigten, auf Gott ihre Hoffnung zu setzen, nach dem Vorbild dessen, der aus Seth entsprossen ist als Sohn der Auferstehung und der den Namen Gottes des Herrn anzurufen hoffte, eine Hoffnung, in der sie samt ihren Nachkommen Miterben der ewigen Güter und unter der Vaterschaft Gottes die Brüder ihrer Söhne sein sollten.

Daß sie aber nicht Engel Gottes waren in einem Sinne, der ihr Menschentum ausschlösse, wie manche glauben, sondern ohne Zweifel eben Menschen, das legt die Schrift selbst ohne alle Zweideutigkeit klar. Denn an die Worte: „Wie nun die Engel Gottes die Töchter der Menschen sahen, wie gut sie seien, da nahmen sie sich Weiber aus allen, wie sie ihnen gefielen“, schließt sich unmittelbar an: „Und Gott der Herr sprach: Nicht wird ewiglich bleiben mein Geist in diesen Menschen, weil sie Fleisch sind“. Durch Gottes Geist nämlich waren sie Engel Gottes und Söhne Gottes geworden, im Hinabgleiten zu Niedrigem aber heißen sie Menschen, eine Bezeichnung, die ihnen von Natur aus zukommt, nicht eine, die in der Gnade ihren Grund hat; sie heißen auch Fleisch als abtrünnig vom Geiste und in ihrer Abtrünnigkeit verlassen vom Geiste. Der Septuagintatext nennt sie sowohl Engel Gottes wie auch Söhne Gottes; aber nicht in allen Handschriften, vielmehr weisen manche nur die Lesart Söhne Gottes auf. Aquila[288] dagegen, ein Übersetzer, den die Juden über die anderen stellen, übersetzte weder „Engel Gottes“ noch „Söhne Gottes“, sondern „Söhne von Göttern“. Richtig ist dem Sinne nach eines wie das andere. Denn sie waren sowohl Söhne Gottes, unter dessen gemeinsamer Vaterschaft sie auch die Brüder ihrer Väter waren, als auch Söhne von Göttern, weil sie von Göttern gezeugt worden waren, mit denen sie selbst auch wieder die Göttereigenschaft teilten nach dem Psalmwort[289] : „Ich habe gesprochen: Götter seid ihr und Söhne des Höchsten alle“. Denn mit Recht nimmt man an, daß die 70 Übersetzer prophetischen Geist empfangen haben und daß infolgedessen an der göttlichen Herkunft dessen nicht zu zweifeln sei, was sie etwa auf Eingebung dieses Geistes änderten und anders als ihre urtextliche Vorlage ausdrückten[290] . Übrigens soll der hebräische Text an dieser Stelle zweideutig sein und sowohl mit Söhne Gottes wie auch mit Söhne von Göttern übersetzt werden können. Wir wollen hier beiseite lassen die Fabeleien jener Schriften, die man die Apokryphen nennt deshalb, weil ihre unbekannte Herkunft den Vätern nicht klar geworden ist, von denen die bindende Kraft der wahren Schriften in völlig sicherer und allbekannter Abfolge auf uns gelangt ist. Dagegen den Apokryphen wohnt keine kanonische Geltung inne wegen des vielen Falschen, das sich in ihnen neben manchem Wahren findet. Daß indes jener Enoch aus der siebenten Geschlechtsfolge von Adam ab einiges im Geiste Gottes geschrieben hat, läßt sich nicht in Abrede stellen, da der Apostel Judas in einem kanonischen Brief davon spricht[291] . Aber mit gutem Grund sind seine Aufzeichnungen nicht in den Schriftkanon aufgenommen, der im Tempel des Judenvolkes von der hohenpriesterlichen Abfolge sorgsam aufbewahrt wurde; sie mochten wegen ihres Alters für nicht einwandfrei hinsichtlich der Glaubwürdigkeit erachtet worden sein, und man konnte wohl nicht feststellen, ob es sich wirklich um seine Aufzeichnungen handle, da hierfür nicht das Zeugnis von Leuten eintrat, von denen sich hätte nachweisen lassen, daß sie sie in ununterbrochener Abfolge vorschriftsmäßig aufbewahrt hätten. Daher gelten die unter seinem Namen gehenden Berichte, die jene Fabeln von den Riesen enthalten, wonach sie nicht Menschen zu Vätern gehabt hätten, den Verständigen mit Recht nicht als von Enoch herrührend, wie ja auch sonst vieles unter dem Namen anderer Propheten und neueres Schrifttum unter dem Namen von Aposteln eingeführt wird von Häretikern, was alles nach sorgfältiger Prüfung als apokryphes Schrifttum ausgeschieden worden ist von kanonischer Geltung. Es ist also kein Zweifel, daß es nach den kanonischen Schriften der Juden und Christen viele Riesen gab vor der Sündflut und daß sie Bürger der erdgeborenen Menschengenossenschaft waren, daß aber Gottessöhne, Sprößlinge des Sethstammes dem Fleische nach, sich zu dieser Genossenschaft unter Preisgabe der Gerechtigkeit hinwendeten. Und es ist nicht auffallend, daß auch von ihnen Riesen abstammen konnten. Denn wenn auch nicht alle Leute damals Riesen waren, so gab es ihrer doch viel mehr, als nach der Sündflut in den späteren Zeiten. Sie zu schaffen gefiel dem Schöpfer deshalb, weil auch darin ein Hinweis lag, daß so wenig wie die Schönheit auch die Größe und Kraft des Leibes hohe Werte darstellen sollen für den Weisen, der vielmehr seine Glückseligkeit findet in den geistigen und unvergänglichen Gütern, die weit besser und sicherer und den Guten allein eigen, nicht ihnen mit den Bösen gemeinsam sind. Das stellt ein anderer Prophet klar heraus mit den Worten[292] : „Dort gab es Riesen, jene berühmten, die am Uranfang lebten, hohen Wuchses, kundig des Krieges. Nicht sie erwählte der Herr, noch gab er ihnen den Weg des Wissens; vielmehr gingen sie zugrunde, weil sie die Weisheit nicht besaßen, sie gingen unter ob ihrer Unbedachtsamkeit“.

24. Über den Sinn der Stelle, worin der Herr von denen, die durch die Sündflut zugrunde gehen sollten, sagt: Und ihre Tage sollen sein hundertundzwanzig Jahre.

Wenn aber Gott sprach[293] : „Und ihre Tage sollen sein hundertundzwanzig Jahre“, so ist das nicht so aufzufassen, als ob damit vorherverkündet wäre, daß in der Folge das Menschenleben nicht mehr hundertundzwanzig Jahre überschreiten sollte, da wir ja nach der Sündflut auch noch Lebensdauern selbst von mehr als fünfhundert Jahren vorfinden; vielmehr ist die Sache so zu verstehen, daß Gott dies gesprochen hat, als Noe am Ende von fünfhundert Lebensjahren stand oder genauer 480 Jahre alt war, wofür die Schrift nach ihrem Sprachgebrauch auch die runde Summe von 500 Jahren angibt[294] , da sie ja häufig das Ganze für den größten Teil setzt; und im 600. Jahre Noes, im zweiten Monat, fand die Sündflut statt[295] . Also bezieht sich die Vorhersage von 120 Jahren auf die Lebensfrist der dem Untergang geweihten Menschen, nach deren Ablauf sie durch die Sündflut vernichtet werden sollten. Und mit gutem Grunde nimmt man an, die Sündflut sei deshalb so angesetzt worden, weil sich da niemand mehr auf Erden fand, der nicht einen solchen Tod, wie er nun einmal als Strafe für Gottlose bestimmt war, verdient hätte. Nicht als ob für die Guten, die ja auch einmal sterben müssen, eine solche Todesart etwas in sich schlösse, was ihnen nach dem Tode schaden könnte, aber es ist eben doch keiner von denen, die in der Heiligen Schrift als Abkömmlinge Seths namhaft gemacht werden, durch die Sündflut ums Leben gekommen. Die Ursache der Sündflut aber wird von Seiten Gottes also angegeben[296] : „Da Gott der Herr sah, daß sich die Bosheiten der Menschen auf Erden vermehrten und jeglicher in seinem Herzen eifrig auf Böses sann Tag für Tag, da bedachte Gott, daß er den Menschen auf Erden erschaffen habe, und bedachte es wieder, und es sprach Gott: Vernichten will ich den Menschen, den ich erschaffen, vom Angesicht der Erde, angefangen vom Menschen bis zum vierfüßigen Getier und vom kriechenden Gewürm bis zu den Vögeln des Himmels, weil ich erzürnt bin, daß ich sie geschaffen habe“.

25. Gottes Zorn bedeutet nicht ein Aufflammen, das seine unwandelbare Ruhe störte.

Gottes Zorn ist nicht eine Erregung seines Gemütes, sondern das Gericht, durch das über die Sünde Strafe verhängt wird. Und wenn er etwas bedenkt und wieder bedenkt, so ist das die unwandelbare Vernunft in ihrem Verhältnis zu Dingen, die gewandelt werden sollen. Denn nicht wie der Mensch empfindet Gott Reue über irgendeine seiner Taten[297] ; vielmehr steht ihm das Urteil über alle und jegliche Dinge ebenso unwandelbar fest, wie sein Vorherwissen untrüglich ist. Würde jedoch die Schrift auf solche Ausdrucksweise verzichten, so könnte sie sich nicht so traulich einführen bei den Menschen aller Art, denen sie geholfen wissen will. So aber schreckt sie die Hochmütigen, spornt die Gleichgültigen, gibt den Suchenden Anregung, den in ihren Geist Eindringenden Nahrung. Das bringt sie nur zuwege, indem sie sich zunächst herabneigt und sozusagen heruntersteigt zu den Darniederliegenden. Wenn sie aber auch für alle Tiere auf Erden und in der Luft den Untergang ankündigt, so geschieht dies, um die Größe des bevorstehenden Unheils auszudrücken, nicht um den vernunftlosen Lebewesen mit Vernichtung zu drohen, als hätten auch sie gesündigt.

26. Die Arche, die Noe zu machen befohlen ward, weist in jeder Hinsicht auf Christus und die Kirche hin.

Wenn nunmehr aber dem Noe, einem gerechten und nach dem Ausspruch der stets wahren Schrift in seinem Geschlechte vollkommenen Menschen [vollkommen natürlich nicht in dem Sinne, wie es den Bürgern des Gottesstaates in der jenseitigen Unvergänglichkeit bestimmt ist, durch die sie den Engeln gleichkommen werden, sondern eben so, wie sie es während der irdischen Pilgerschaft sein können] von Gott aufgetragen ward, eine Arche zu machen, worin er mit den Seinigen, nämlich mit Gemahlin, Söhnen und Schwiegertöchtern, und mit den Tieren, die auf Gottes Befehl zu ihm in die Arche eingingen, gerettet werden sollte aus der alles verheerenden Sündflut, so ist diese Arche ohne Zweifel ein Vorbild für den hienieden in der Fremde pilgernden Gottesstaat, d. i. für die Kirche, die gerettet wird durch das Holz, an dem der Mittler zwischen Gott und den Menschen hing, der Mensch Christus Jesus[298] . Selbst die Maße der Länge, Höhe und Breite weisen auf den menschlichen Leib hin, wie denn der Mittler gemäß der Verheißung in einem wahren Leibe zu den Menschen kommen sollte und auch wirklich kam. Die Länge des menschlichen Leibes vom Scheitel bis zur Sohle beträgt nämlich das sechsfache der Breite von der einen Seite zur andern, und das zehnfache der Höhe, diese gemessen an der Seite vom Rücken zum Bauch. Man muß sich bei dieser Messung den Menschen am Boden liegend vorstellen, mit dem Gesicht oder mit dem Rücken nach oben gekehrt, so ist er vom Haupt bis zu den Füßen sechsmal so lang als eine Seite von rechts nach links oder von links nach rechts gemessen, und zehnmal so lang als vom Erdboden aus gerechnet hoch. Nach diesem Maß ward die Arche gemacht, und sie maß in der Länge 300 Ellen, in der Breite 50 und in der Höhe 30. Und der Eingang, den sie an der Seite erhielt, weist vollends hin auf die Wunde, da die Seite des Gekreuzigten mit einer Lanze durchbohrt ward; denn durch diesen Eingang gehen die, die zu ihm gelangen, sofern daraus die Sakramente entquollen sind, durch die die Gläubigen eingeführt werden. Und die viereckigen Hölzer, aus denen sie gefertigt werden sollte, weisen hin auf das allseits beständige Leben der Heiligen; denn ein Viereck steht immer, auf welche Seite man es auch wenden mag. Auch was sonst noch erwähnt wird im Zusammenhang mit dem Bau jener Arche, sinnbildet Dinge in der Kirche Christi.

Doch dem hier nachzugehen, würde zu weit führen; ich habe es übrigens schon getan in meinem Werke gegen den Manichäer Faustus[299] , der es in Abrede stellt, daß in den Büchern der Juden etwas von Christus geweissagt sei. Es kann zwar sein, daß einer passendere Auslegungen dafür findet als ich und wieder einer noch passendere, doch muß jeder Ausleger, bei Gefahr, weit abzuweichen von dem Sinne des Verfassers, alles, was in dem Bericht gesagt ist, auf diesen unsern Gottesstaat beziehen, der in dieser bösen Welt wie in einer Sündflut unheimisch ist. So etwa zum Beispiel, wenn jemand die hier vorkommende Stelle[300] : „Das Unterteil sollst du zwei- und dreigewölbig machen in ihr“, nicht, wie ich in jenem Werke ausgeführt habe, dahin verstanden wissen will, daß hier die Arche als Vorbild der aus allen Völkern sich sammelnden Kirche zweigewölbig genannt werde im Hinblick auf die zwei Teile, in die die gesamte Menschheit zerfällt, Beschneidung und Vorhaut oder Juden und Griechen, wie sie der Apostel[301] auch noch bezeichnet, und dreigewölbig im Hinblick darauf, daß alle Völker aus den drei Söhnen Noes nach der Sündflut sich wieder neu gebildet haben; sondern statt dieser Auslegung eine andere beibringt, die von der Glaubensregel[302] nicht abweicht. Wie denn in der Tat, weil die Arche nicht nur in den unteren Teilen Wohnräume haben sollte, sondern auch in den darüber befindlichen [und diese meinte er mit dem Ausdruck zweigewölbig] und in den über diesen, also noch höher gelegenen [und diese meinte er mit dem Ausdruck dreigewölbig], so daß von unten nach oben gezählt ein drittes Geschoß in die Höhe ging, hier „diese drei“ verstanden werden können, die der Apostel[303] ans Herz legt, „Glaube, Hoffnung und Liebe“; ebenso auch und noch viel passender die dreifach abgestufte Fruchtbarkeit, von der im Evangelium die Rede ist[304] , die dreißigfache, sechzigfache und hundertfache, so daß zu unterst die eheliche Keuschheit wohnen würde, darüber die des Witwenstandes und zu oberst die jungfräuliche; und was sonst noch besseres in Übereinstimmung mit dem Glauben dieses Gottesstaates sich darunter verstehen und darüber sagen läßt. Das gilt in gleicher Weise von den übrigen Punkten, die hierbei auszulegen sind: die Auslegung muß nicht in ein und demselben Sinne erfolgen, aber sie muß sich in Übereinstimmung mit dem katholischen Glauben halten.

27. Arche und Sündflut sind nicht bloße geschichtliche Tatsachen ohne allegorische Bedeutung, aber auch nicht bloße Allegorien ohne geschichtliche Unterlage.

Dagegen darf niemand glauben, es sei das ohne Grund aufgezeichnet worden, oder man habe es hier lediglich mit geschichtlichen Tatsachen ohne jede allegorische Bedeutung zu tun, oder umgekehrt, dies habe sich überhaupt nicht zugetragen, sondern es handle sich nur um Redefiguren, oder es fehle, wie es sich im übrigen damit auch verhalten mag, jede vorbildliche Beziehung zur Kirche. Nur ein verkehrter Geist könnte behaupten wollen, unnützerweise seien diese Bücher geschrieben worden, die durch Jahrtausende hindurch mit solcher Ehrfurcht und mit so sorgsamer Einhaltung ununterbrochener Überlieferungsabfolge in acht genommen und bewahrt worden sind, oder die nackten Tatsachen allein seien darin ins Auge zu fassen, wo doch so merkwürdige Dinge erzählt werden, wie zum Beispiel von der Auswahl der Tiere, die in die Arche aufgenommen werden sollten; mag sich die Größe der Arche erklären durch die große Zahl der Tiere, aber was nötigte dazu, von den unreinen Tieren je zwei Paare einzulassen und von den reinen je sieben[305] , da doch beide Arten in gleicher Zahl hätten erhalten werden können? Oder vermochte Gott, der die Erhaltung anbefahl zum Zweck der erneuten Ausbreitung der Art, diese Tiere nicht ebenso aufs neue ins Dasein zu rufen, wie er es ursprünglich getan?

Die Vertreter der Meinung dagegen, es handle sich überhaupt nicht um Tatsachen, sondern nur um Sinnbilder, berufen sich zunächst darauf, daß eine Überschwemmung, bei der das Wasser noch fünfzehn Ellen über die höchsten Berge emporstieg, nicht habe stattfinden können im Hinblick auf den Gipfel des Berges Olympos[306] , über dem sich, wie sie angeben, keine Wolken zusammenballen können, da hier, in solcher Höhe des Himmels, nicht mehr unsere dichtere Luft anzutreffen sei, in der sich Nebel und Regenwolken bilden. Sie lassen dabei nur außer acht, daß selbst das dichteste aller Elemente, die Erde, dort anzutreffen sein könnte. Oder aus was sonst sollte der Gipfel des Berges bestehen? Also hätte nach diesen Elementen-Messern und -Wägern, die doch selbst erklären, daß das Wasser über der Erde sei und leichter als sie, zwar die Erde, nicht aber das Wasser bis zu jenen Himmelshöhen emporsteigen dürfen? Da wäre man doch auf die Begründung gespannt, weshalb sich die schwerere und tiefer befindliche Erde in das Gebiet des ewig heiteren Himmels so viele Jahrtausende hindurch eindrängen konnte, während ein gleiches auch nur auf kurze Zeit dem leichteren und höher befindlichen Wasser verwehrt sein sollte.

Man führt auch die Maße der Arche ins Feld und sagt, sie sei nicht groß genug gewesen, um so viele Arten von Tieren beiderlei Geschlechtes zu fassen, je zwei Paare unreiner und je sieben Paare reiner Tiere. Bei diesem Einwand legt man wohl nur die 300 Ellen Länge und 50 Ellen Breite der Berechnung zugrunde, ohne zu berücksichtigen, daß im ersten und im zweiten Obergeschoß je die gleichen Maßverhältnisse wiederkehrten und sonach jene Ellenzahl dreimal genommen werden muß, was 900 x 150 Ellen ergibt. Wenn wir gar noch in Betracht ziehen, worauf Origenes scharfsinnig hingewiesen hat[307] , nämlich daß Moses, ein Gottesmann, „unterrichtet“, wie geschrieben steht[308] , „in aller Weisheit der Ägypter“, bei denen die Geometrie eifrig betrieben wurde, hier möglicherweise geometrische Ellen gemeint hat, von denen eine gleich sein soll sechs unsrigen, so liegt auf der Hand, welche Unmasse von Dingen ein solcher Raum fassen konnte. Denn daß eine Arche von solchem Umfang nicht hätte zusammengezimmert werden können, wie man geltend macht, ist grundloses Geschwätz. Man weiß ja doch, daß ungeheure Städte zusammengefügt wurden, und sollte doch auch die hundert Jahre berücksichtigen, die der Bau der Arche in Anspruch nahm. Man müßte nur glauben, daß zwar Stein an Stein, bloß mit Kalk verbunden, Halt genug gewinnen könne, um eine Mauer viele Meilen weit im Kreise aufzuführen, daß aber Holz an Holz mittels Klammern, Pflöcken, Nägeln und der Verklebung durch Pech nicht hinreichend Halt gewinnen könne, um eine solche nicht in geschweiften, sondern der Länge und Breite nach in geraden Linien geführte Arche herzustellen, die dann nicht Menschenkraft ins Meer zu lassen brauchte, sondern das Wasser erheben sollte, wenn es kam, nach dem Naturgesetz des Schwergewichts, und nicht so fast menschliche Geschicklichkeit, als vielmehr die göttliche Vorsehung auf ihrer Fahrt steuern sollte, damit sie nicht irgendwo Schiffbruch leide.

Was aber die schon doch recht ängstliche Frage bezüglich der kleinsten Tiere betrifft, nicht nur als da sind Mäuse und Eidechsen, sondern selbst Heuschrecken, Käfer oder gar Mücken und Flöhe, ob sich davon nicht am Ende eine größere Zahl in jener Arche befunden habe, als die durch Gottes Befehl bestimmte, so seien die deshalb Hinterdenklichen aufmerksam gemacht auf den Sinn des in jenem Befehl vorkommenden Ausdrucks: „Was da kriecht auf Erden“. Damit ist schon gesagt, daß in der Arche den Wassertieren nicht die Erhaltung gesichert zu werden brauchte, und zwar weder denen, die im Wasser selbst leben wie die Fische, noch denen, die auf der Oberfläche des Wassers schwimmen, wie eine große Zahl von Vogelarten, Ferner ist klar ersichtlich, daß, wenn es heißt: „Männchen und Weibchen sollen es sein“, die Arterhaltung als Zweck ins Auge gefaßt ist. Demnach brauchten in der Arche keine solchen Tiere zu sein, die ohne Begattung von selbst entstehen aus allerlei Dingen oder deren Verwesungszuständen; oder wenn es dort solche gab, wie es deren in den Häusern zu geben pflegt, so konnten sie in unbestimmter Zahl vorhanden sein; oder, falls das hochheilige Geheimnis, um das es sich hier handelte, und die Sinnbildung einer so erhabenen Sache zur genauen Erfüllung unbedingt auch in der Wirklichkeit die genannte feste Zahl für gar alles forderte, was nicht von Natur aus im Wasser leben kann, so ist darauf hinzuweisen, daß ja die Sorge hierfür überhaupt nicht den Noe und die Seinigen anging, sondern Gott. Denn Noe hat nicht die Tiere eingefangen und sie in die Arche gesperrt, sondern er hat sie hineingelassen, wie sie kamen und hineingingen. Diese Bedeutung haben nämlich die Worte: „Es werden eingehen zu dir“; nicht durch Zutun des Menschen, sondern auf den Wink Gottes, immerhin jedoch so, daß man sich geschlechtslose Tiere ausgeschlossen zu denken hat. Denn es war vorgeschrieben und festgesetzt: „Männchen und Weibchen sollen es sein“. Es gibt ja Tiere, die aus allerlei Dingen ohne Begattung entstehen, weiterhin aber sich begatten und fortpflanzen, so die Mücken; und andere, bei denen es Männchen und Weibchen überhaupt nicht gibt, so die Bienen. Zu verwundern wäre es ferner, wenn in der Arche Tiere vorhanden gewesen wären, die allerdings geschlechtlich unterschieden, aber unfruchtbar sind, wie die Maulesel und die Mauleselinnen; da hätte es ja genügt, wenn deren Erzeuger vertreten waren, die Arten Pferd und Esel. Das gilt auch von allen anderen etwaigen Tierarten, die durch Vermischung mit anderen Arten eine neue Art hervorbringen. Wenn jedoch auch das zum Geheimnis gehörte, waren die Bastardarten vorhanden; denn immerhin haben auch sie Männchen und Weibchen.

Manche wieder haben Bedenken darüber, welche Art von Nahrungsmitteln in der Arche jenen Tieren wohl hätte zur Verfügung stehen können, die man meist nur als fleischfressende kennt, ob es ohne Mißachtung des Befehls in der Arche mehr als die vorgeschriebene Zahl geben konnte, einen Überschuß von solchen Tieren, die als unentbehrliche Nahrung für andere darin eingeschlossen worden wären, oder ob es, was eher anzunehmen ist, außer dem Fleisch noch andere Nahrungsmittel hätte geben können, die für alle paßten. In der Tat wissen wir, daß viele Tiere, die sich von Fleisch nähren, auch Früchte und Obst fressen, namentlich Feigen und Kastanien. Wäre es also wirklich so auffallend, wenn jener weise und gerechte Mann, noch dazu von Gott belehrt, was jedem Tiere zusage, eine für jede einzelne Art geeignete fleischlose Kost hergerichtet und aufgespeichert hätte? Und der Hunger treibt alles hinein, und Gott konnte jede Nahrung wohlschmeckend und zuträglich machen, wie er auch mit göttlicher Leichtigkeit das Leben ohne Nahrung gefristet hätte, wenn nicht auch die Versorgung der Tiere mit Nahrung dazu gedient hätte, das Sinnbild eines so erhabenen Geheimnisses zu vervollständigen. Aber daß so vielfältige Sinnbilder von wirklichen Geschehnissen keinen vorbildlichen Bezug auf die Kirche hätten, das zu meinen kann sich nur ein Streithahn gestatten. Denn schon haben die Völker in einer Weise die Kirche erfüllt und Reine und Unreine — bis zur Scheidung am Ende — Platz genommen in dem wohlgezimmerten Gefüge ihrer Einheit, daß allein schon diese ganz offenkundige Tatsache den Zweifel an den übrigen Beziehungen verbietet, die weniger klar ausgedrückt und schwerer zu erkennen sind. Die Sache steht also so: Niemand, selbst der Hartgläubigste nicht, wird die Stirne haben, anzunehmen, daß diese Aufzeichnungen unnützerweise gemacht worden seien; niemand kann wahrscheinlich machen, daß diese Dinge sich zwar zugetragen, aber nichts zu bedeuten hätten, oder daß sie ausschließlich in bildlichem Sinne und nicht als Tatsachen erzählt seien, oder daß sie keine sinnbildlichen Beziehungen zur Kirche enthielten; vielmehr ist anzunehmen, daß sie weislich überliefert und aufgezeichnet worden seien, daß sie sich wirklich zugetragen und etwas zu bedeuten haben und daß diese Bedeutung in vorbildlichem Sinne auf die Kirche gehe. Bei diesem Abschnitt angelangt, schließe ich das Buch, um den Verlauf der beiden Staaten, des nach dem Menschen lebenden Weltstaates und des nach Gott lebenden Himmelsstaates, wie er sich nach der Sündflut und weiterhin in den folgenden Begebenheiten gestaltet hat, [in den nächsten Büchern] zu verfolgen.

Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 2

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