Читать книгу Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 1 - Augustinus von Hippo - Страница 5

1. Buch

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Vorrede.

Teuerster Sohn Marcellin[1] ! In diesem an dich gerichteten Werke, mit dem ich zugleich ein Versprechen[2] einlöse, habe ich es übernommen, den glorreichen Gottesstaat, sowohl wie er sich im Ablauf der Weltzeit darstellt, da er, „aus dem Glauben lebend“[3] , unter Gottlosen pilgert, als auch wie er in der Stetigkeit des ewigen Wohnsitzes ruht, die er zur Zeit „in Geduld erhofft“[4] , bis sich die Gerechtigkeit wendet zum Gerichte“[5] , dann aber in Herrlichkeit erlangen wird mit dem letzten Sieg und in vollkommenem Frieden, diesen Gottesstaat also will ich verteidigen gegen die, die seinem Gründer ihre Götter vorziehen: ein großes und schweres Werk, doch Gott ist unser Beistand. Denn ich weiß, welcher Anstrengung es bedarf, um den Hochmut zu überzeugen, wie groß die Kraft der Demut sei, durch die sich, nicht angemaßt von Menschenstolz, sondern als ein Geschenk von Gottes Gnaden, eine Hoheit auswirkt, überragend alle menschliche Erhabenheit in ihrer zeitlich bedingten Wandelbarkeit, Denn der König und Gründer dieses Staates hat in der Schrift für sein Volk den Spruch des göttlichen Gesetzes verkündet des Inhalts: „Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt er Gnade“[6] . Allein das, was Gott zusteht, äfft auch der aufgeblähte Geist menschlichen Hochmutes nach und läßt gern von sich rühmen, daß er die „Unterwürfigen schone und niederkämpfe die Stolzen“[7] . Darum soll auch vom Weltstaat, der, lüstern nach Herrschaft, dennoch seinerseits, wennschon sich die Völker dienend beugen, von der Herrschbegierde beherrscht wird, hier die Rede sein, soweit es der Plan des Werkes erheischt und sich die Möglichkeit bietet.

1. Gegner des Namens Christi, deren die Barbaren um Christi willen bei der Verwüstung der Stadt geschont haben.

Aus dem Weltstaat nämlich kommen die Feinde, gegen die der Gottesstaat verteidigt werden muß; freilich viele von ihnen kehren sich ab von den Irrwegen der Gottlosigkeit und werden ganz brauchbare Bürger des Gottesstaates; aber viele auch glühen in heißestem Haß gegen ihn und legen schreienden Undank an den Tag gegenüber offenkundigen Wohltaten seines Erlösers, da sie doch heute den Mund nicht auftun würden gegen den Gottesstaat, wenn sie nicht an dessen geheiligten Stätten vor dem feindlichen Schwert das Leben neu gefunden hätten, das ihnen Anlaß zum Hochmut wird. Oder sind nicht auch solche Römer Feinde des Namens Christi, deren die Barbaren um Christi willen geschont haben? Das bezeugen die Stätten der Märtyrer und die Kirchen der Apostel, die damals bei der Verwüstung der Stadt[8] alle aufnahmen, die in ihnen Zuflucht suchten, die Fremden so gut wie die Ihrigen. Bis hieher wütete der Blutdurst des Feindes, hier fand die Mordlust ihre Grenze, und wenn mitleidige Feinde auch außerhalb dieser Stätten Schonung übten, hieher geleiteten sie die Verschonten, damit sie nicht andern in die Hände fielen, die solches Erbarmen nicht walten ließen. Aber auch die Erbarmungslosen, die anderwärts wild und nach Feindesart wüteten, sobald sie an die Stätten kamen, wo verwehrt war, was außerhalb nach dem Kriegsrecht als erlaubt gelten konnte, so zügelte sich der unmenschliche Grimm und die Gier nach Gefangenen brach sich. So entrannen dem Verderben viele, die heute auf die christlichen Zeiten schmähen und die Leiden, die die Stadt erduldet hat, Christo zuschreiben; daß ihnen aber um der Ehre Christi willen Heil widerfuhr, indem sie am Leben blieben, das schreiben sie nicht unserem Christus, sondern ihrem Schicksal zu. Und sie sollten doch vielmehr, wenn sie einige Einsicht hätten, die erduldeten Kriegsleiden auf die göttliche Vorsehung zurückführen, die gar oft durch Kriege die verderbten Sitten bessert und vernichtet und hinwieder das Leben der Gerechten und Guten durch solche Heimsuchungen prüft, um es geläutert in eine höhere Sphäre zu versetzen oder noch auf dieser Welt festzuhalten zur Erfüllung anderer Aufgaben; dagegen die Schonung, die ihnen rauhe Barbaren allem Kriegsbrauch entgegen allerorts um des Namens Christi willen oder doch an den dem Namen Christi speziell geweihten Stätten, in jenen weiten Hallen, die[9] bestimmt wurden aus besonderem Erbarmen als geeignet zur Aufnahme großer Massen, diese Schonung sollten sie den christlichen Zeiten zuschreiben und daraus Anlaß nehmen, Gott zu danken und, um der Strafe des ewigen Feuers zu entgehen, nun in Wahrheit bei seinem Namen Zuflucht suchen, den viele von ihnen unaufrichtig in Anspruch genommen haben, um der Strafe zeitlichen Verderbens zu entgehen. Denn unter denen, die man jetzt mutwillig und frech die Anhänger Christi höhnen sieht, finden sich genug, die damals dem Ruin nicht entronnen wären, wenn sie sich nicht als Anhänger Christi ausgegeben hätten. Und jetzt widersetzen sie sich mit verkehrtem Herzen in undankbarem Stolz und ganz gottlosem Wahnsinn seinem Namen, so daß sie mit ewiger Finsternis gestraft werden, jenem Namen, unter dem sie mit heuchlerischer Miene Schutz zu suchen sich nicht entblödeten, damit sie das irdische Licht noch länger genössen.

2. Es ist in der Kriegsgeschichte unerhört, daß Sieger wegen der Götter der Überwundenen den Besiegten Schonung gewährt hätten.

Eine Unzahl von Kriegen vor der Gründung Roms, seit seinen Anfängen und dem Emporsteigen zur Weltherrschaft ist beschrieben worden: man lese in diesen Kriegsgeschichten und führe uns ein Beispiel an, daß eine Stadt von einem fremden Volke genommen worden wäre und dabei die Gegner, die sie nahmen, die verschont hätten, die sich in die Tempel ihrer Götter flüchteten, oder daß je ein Heerführer von Barbaren den Befehl erteilt hätte, daß nach dem Eindringen in die Stadt niemand getötet werde, den man in diesem oder jenem Tempel antreffe. Sah nicht Äneas, wie


„Priamus[10] an den Altären

Das von ihm geheiligte Feuer mit Blut befleckte?“

Haben nicht Diomedes und Ulixes[11] ,

„als sie die Wächter des obersten Schlosses ermordet,

Weggeschleppt das blutige Bild und mit blutigen Händen

Ohne Scheu berührt den Jungfrau'nschleier der Göttin“?

Und doch ist nicht wahr, was folgt:

„Seitdem entschwand und sank dahin der Danaer Hoffnung“.


Denn nachher erst siegten sie, nachher erst vernichteten sie Troja mit Feuer und Schwert und hieben den Priamus nieder, der beim Altare Schutz suchte. Und nicht deshalb ging Troja zugrunde, weil ihm seine Minerva abhanden kam. Denn was war ihr zuerst abhanden gekommen, daß sie zugrunde ging? Etwa ihre Wächter? Ja das ist die Wahrheit; nachdem diese BeSchutzer getötet waren, konnte man ihr beikommen, Denn nicht das Götterbild wahrte die Menschen, sondern die Menschen wahrten das Götterbild. Wie konnte man doch als Schutzherrin von Stadt und Bürgern eine Göttin verehren, die ihre eigenen BeSchutzer nicht zu Schutzen vermochte!

3. Es war unklug von den Römern, sich etwas zu versprechen von den Schutzgöttern, die Troja zu Schutzen nicht imstande waren.

Das also waren die Götter, denen die Römer die Bewahrung ihrer Stadt anvertraut zu haben sich glücklich schätzten. Welch kläglicher Irrtum! Und uns zürnen sie, wenn wir so etwas von ihren Göttern sagen; nicht aber zürnen sie ihren Schriftstellern; vielmehr haben sie für den Unterricht in der Literatur Schulgeld ausgegeben und die Lehrer auch noch einer öffentlichen Besoldung und der Auszeichnung durch Ehren höchst würdig erachtet. Und doch wird bei Vergil, den die Knaben lesen, damit der große Dichter, von allen der berühmteste und beste, sich tief in das noch zarte Gemüt einsenke und nicht leicht wieder vergessen werde nach dem bekannten Worte des Horaz[12] ;


„Lange bewahrt noch der Krug den Geruch, womit er erfüllt ward,

Da er noch neu“.


Bei diesem Vergil also wird ja die den Trojanern feindselig gesinnte Juno mit folgenden Worten an Äolus, den König der Winde, eingeführt, den sie gegen die Trojaner aufreizt[13] :


„Ein mir verhaßtes Volk durchquert die tyrrhenischen Wasser,

Ilion führt's nach Italien und die besiegten Penaten“.


War es wirklich klug, solchen besiegten Schutzgöttern Rom anzuvertrauen, damit es nicht besiegt werde? Aber Juno sprach dies vielleicht als ein leidenschaftliches Weib, ohne zu wissen, was sie sagte. Indes Äneas selbst, der so und so off der Fromme genannt wird, auch er erzählt[14] :


„Panthus, des Othrys Sohn, der Priester der Burg und des Phöbus,

Schleppt die besiegten Götter mit sich und das heil'ge Geräte,

An der Hand den Enkel, so strebt er hastig zum Ausgang“. _


Mußte er nicht meinen, daß diese Götter, die er unbedenklich besiegte Götter nennt, ihm anvertraut seien, und nicht er ihnen, da ihm zugerufen wird[15] :


„Troja empfiehlt dir die Heiligtümer und seine Penaten“.


Wenn also Vergil so die Götter zeichnet, als Besiegte, die, um nur überhaupt noch zu entkommen, einem Menschen anvertraut wurden, welcher Wahnsinn ist es dann zu glauben, daß Rom weislich solchen Schutzherren übergeben worden sei und daß die Stadt nicht hätte verwüstet werden können, wenn sie ihrer nicht verlustig gegangen wäre! Nein, besiegte Götter als Hüter und Schutzer verehren, heißt nicht gute Taler sondern schlechte Zahler haben. Hätte Rom sie nicht nach Kräften vor dem Untergang bewahrt, sie wären längst verschwunden; diese Annahme ist viel vernünftiger als die gegenteilige, daß Rom nicht zu Fall gekommen wäre, wenn sie nicht vorher verschwunden wären. Denn wer sähe nicht, wenn er nur sehen will, wie nichtig das Vorurteil ist, Rom könne unter dem Schutz von Besiegten nicht besiegt werden und sei deshalb untergegangen, weil es um seine Schutzgötter gekommen, da doch zum Untergang der eine Grund hinreichend wäre, daß man Schutzgötter haben wollte, um die man kommen konnte. Also haben die Dichter, als man von den besiegten Göttern das schrieb und sang, nicht eine Lüge beliebt, sondern die Wahrheit hat ehrliche Männer zum Bekenntnis gezwungen. Doch davon läßt sich besser an anderer Stelle mit eingehender Sorgfalt handeln. Jetzt will ich, so gut ich kann, in kurzen Worten das angeschlagene Thema vom Undank der Menschen erledigen. Sie geben die Übel, die sie bei der Verkehrtheit ihrer Sitten verdientermaßen erdulden, schmähsüchtigerweise unserm Christus Schuld; daß sie aber trotz ihrer Strafwürdigkeit um Christi willen Schonung erfuhren, das würdigen sie nicht im geringsten, vielmehr spitzen sie im Wahnsinn gotteslästerlicher Verkehrtheit gegen seinen Namen ihre Zunge, mit der sie heuchlerisch gerade diesen Namen in Anspruch genommen haben, um am Leben zu bleiben, oder die sie an den ihm geweihten Stätten aus Furcht zurückgehalten haben, um von hier aus, wo sie, sicher und geschützt, um seinetwillen von den Feinden unverletzt blieben, mit feindseligen Schmähungen gegen ihn hervorzubrechen.


4. Das Asyl der Juno rettete niemand vor den Griechen, die Kirchen der Apostel schützten alle, die dorthin flüchteten, vor den Barbaren.

Also Troja, die Mutter des römischen Volkes, vermochte, wie gesagt, durch die geweihten Stätten seiner Götter seine Bürger nicht zu decken gegen Feuer und Schwert der Griechen, die just dieselben Götter verehrten; im Gegenteil[16]


„im Asyle der Juno

Nahmen den Raub in Verwahr die auserlesenen Wächter

Phönix und der grimme Ulixes; hieher wird alles

Aus ganz Troja geschleppt: die Schätze der brennenden Tempel

Und die Tische der Götter, die Becher aus lauterem Golde

Und die geraubten Gewänder. In langgezogenem Kreise

Stehen die Kinder umher und die bebenden Mütter“.


Da ist also eine Stätte, die einer gar großen Göttin heilig war, gewählt worden, nicht um hier Gefangennahme auszuschließen, sondern um die Gefangenen einzuschließen. Und nun vergleiche man dieses Asyl nicht irgend eines gewöhnlichen Gottes oder eines aus dem Schwarm der Niedrigen, sondern der Schwester und Gemahlin Jupiters, der Königin aller Götter, man vergleiche es mit den Gedächtnisstätten unserer Apostel! Dorthin schleppte man die den brennenden Tempeln und den Gottheiten entrissene Beute, nicht um sie den Besiegten zu schenken, sondern um sie an die Sieger zu verteilen; hieher dagegen stellte man sogar das, was sich anderwärts befand und als Zugehör dieser Stätten erkannt wurde, in frommer Verehrung und Bereitwilligkeit zurück[17] . Dort verlor, hier behielt man die Freiheit; dort wurden die Gefangenen eingeschlossen, hier war die Gefangennahme untersagt; dort wurden sie von tyrannischen Feinden zur Besitznahme zusammengepfercht, hieher wurden sie von mitleidigen Feinden zur Befreiung geleitet. Und bei all dem waren es dort die feinen Griechen, deren Habsucht und Hochmut sich den Tempel der Juno ausersehen hatte, hier dagegen wilde Barbaren, deren Erbarmnis und Demut sich die Kirchen Christi erwählte. Aber vielleicht haben die Griechen bei ihrem Siege die Tempel der gemeinsamen Götter verschont, die dorthin flüchtenden armen, besiegten Trojaner zu töten und gefangen zu nehmen sich gescheut und Vergil hat das einfach nach Dichterart frei erfunden. Doch nein, was er da beschrieben hat, ist allgemeiner Kriegsbrauch bei feindlicher Zerstörung von Städten.

5. Wie Cato sich äußert über den allgemeinen Kriegsbrauch, besiegte Städte zu zerstören.

Diesen Brauch erwähnt, wie Sallust mitteilt[18] , ein Geschichtsschreiber, dessen Wahrheitsliebe gerühmt wird, auch Cato deutlich genug in seiner Rede, die er im Senat über die Verschworenen hielt: „Jungfrauen und Knaben werden geraubt, Kinder aus den Armen ihrer Eltern gerissen, ehrbare Mütter müssen über sich ergehen lassen, was der Willkür der Sieger beliebt, Heiligtümer und Häuser werden ausgeraubt, überall Mord und Brand: kurz alles starrt von Waffen, Leichen, Blut und Wehe“. Hätte er in dieser Stelle nicht auch die Heiligtümer genannt, so würden wir annehmen, daß die Feinde die Sitze der Götter zu verschonen pflegten. Und das hatten römische Tempel zu fürchten nicht von auswärtigen Feinden, sondern von Catilina und seinen Genossen, also von hochangesehenen Senatoren und römischen Bürgern. Aber es waren verlorene Leute, gewiß, und Hochverräter.


6. Auch die Römer verschonten niemals bei Einnahme einer Stadt in deren Tempeln die Besiegten.

Warum sollen wir also bei den vielen Völkern, die miteinander Kriege führten und nirgends der Besiegten an den Sitzen ihrer Götter schonten, Umschau halten? Wollen wir nur die Römer betrachten, ja die Römer wollen wir uns vorführen und ins Auge fassen, sie, zu deren besonderem Ruhm es heißt, daß sie


„Schonen der Unterwürfigen, niederkriegen die Stolzen“[19]


und daß sie erlittenes Unrecht lieber verzeihen als rächen wollten. Als sie, um weithin zu herrschen, zahlreiche und große Städte einnahmen und zerstörten, welche Tempel, man berichte uns doch, pflegten sie da auszunehmen in der Weise, daß jeder gerettet worden wäre, der dahin seine Zuflucht nahm? Oder haben sie es so gehalten und die Geschichtsschreiber hätten es nur nicht erwähnt? Sie, die so eifrig nach Anlaß zum loben spürten, sollten wirklich derlei nach ihrer eigenen Ansicht ganz hervorragende Erweise von Milde übergangen haben? Marcus Marcellus, der die herrliche Stadt Syrakus einnahm[20] , einer der Überragenden unter dem Volke der Römer, soll über den bevorstehenden Ruin dieser Stadt geweint und so zuerst seine Tränen über sie, dann erst ihr Blut vergossen haben[21] . Er trug sogar Sorge für den Schutz der Keuschheit, die ja auch am Feinde nicht verletzt werden darf. Bevor er nämlich, siegreich wie er war, in die Stadt einzudringen befahl, erließ er die Verordnung, daß sich niemand an einem freien Leibe vergreife[22] . Jedoch die Stadt wurde nach Kriegsbrauch zerstört, und nirgends liest man, daß von einem so rechtschaffenen und milden Feldherrn angeordnet worden wäre, die als unverletzlich zu betrachten, die zu diesem oder jenem Tempel geflüchtet wären. Das würde man doch gewiß nicht übergangen haben, da man ja sowohl von seinen Tränen wie auch von seinem Edikt zum Schutze der Keuschheit so geflissentlich Notiz nahm. Von Fabius, der die Stadt Tarent zerstörte[23] , rühmt man[24] , daß er von Beraubung der Götterbilder nichts habe wissen wollen. Als ihn der Feldschreiber erinnerte, was mit diesen — es waren ihrer viele erobert worden — zu geschehen habe, würzte er seine Zurückhaltung auch noch mit einem Scherze. Er fragte nämlich, welcher Art sie seien, und als ihm gemeldet wurde, viele seien groß und dazu auch bewaffnet, erwiderte er: „Lassen wir den Tarentinern die erzürnten Götter“. Da also die Geschichtsschreiber der römischen Vorzeit weder des einen Tränen noch das Lächeln des andern, weder dort die keusche Milde noch hier die witzige Zurückhaltung der Nachwelt vorenthalten konnten, wie wäre es übergangen worden, wenn die Römer zu Ehren irgend eines ihrer Götter irgend welcher Menschen geschont hätten in der Weise, daß man für einen beliebigen Tempel Mord und Gefangennahme ausgeschlossen hätte?

7. Die Greuel bei der Eroberung Roms sind auf den Kriegsbrauch zurückzuführen; die Erweise von Milde dagegen flossen aus der Kraft des Namens Christi.

Was sich also bei der jüngst erfolgten Vernichtung Roms zutrug an Verwüstung, Mord, Raub, Brand und Not, das hat der Kriegsbrauch verschuldet; was aber dabei Neues vorkam, die ganz ungewohnte Erscheinung, wonach sich rohe Barbaren so milde zeigten, daß man, um des Volkes zu schonen, die weiträumigsten Kirchen auswählte und zu Sammelplätzen bestimmte, an denen niemand getötet, niemand der Freiheit beraubt werden sollte, wohin zu ihrer Rettung viele von mitleidigen Feinden geführt, von wo zur Gefangennahme auch von grausamen Feinden niemand fortgeführt werden durfte: das muß man dem Namen Christi und dem christlichen Zeitalter zuschreiben, und wer das nicht einsieht, ist blind, wer es einsieht und nicht anerkennt, ist undankbar, wer gegen die Anerkennung Widerspruch erhebt, ist nicht bei Trost. Kein Verständiger wird ein derartiges Verhalten wilden Barbaren als solchen zutrauen. Vielmehr wurde ihr blutdurstiger und grausamer Sinn zurückgeschreckt, gezügelt und wunderbar zur Milde gestimmt von dem, der durch den Mund des Propheten längst vorher gesprochen hat: „Ich suche mit der Rute ihre Frevel heim und mit Streichen ihre Sünden; doch meine Huld werde ich ihnen nicht entziehen“[25] .


8. Gutes und Schlimmes trifft zumeist die Guten wie die Bösen.

Man könnte fragen: „Warum hat sich nun aber diese göttliche Erbarmnis auch auf Gottlose und Undankbare erstreckt?“ Doch wohl nur deshalb, weil sie der hat walten lassen, der täglich „seine Sonne aufgehen läßt über Gute und Böse und regnen läßt über Gerechte und Ungerechte“[26] . Obgleich sich nämlich nur einige von ihnen, nachdenklich geworden, reuevoll von der Gottlosigkeit bekehren, während andere, wie der Apostel sagt, „den Reichtum der Güte und Langmut Gottes verachten und durch ihre Verstocktheit und ihr unbußfertiges Herz sich Zorn häufen für den Tag des Zornes und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, der jedem vergelten wird nach seinen Werken“[27] , so ist doch die Geduld Gottes den Bösen gegenüber eine Einladung zur Buße, wie die Geißel Gottes den Guten gegenüber eine Anleitung zur Geduld; und anderseits bedeutet für die Guten die Erbarmnis Gottes ebenso liebende Fürsorge, wie die Strenge Gottes für die Bösen den Zweck und Charakter der Strafe hat, Denn es hat der göttlichen Vorsehung gefallen, erst für die Zukunft den Gerechten Güter zu bereiten, deren sich die Ungerechten nicht erfreuen werden, den Gottlosen aber Übel, von welchen die Guten nicht werden geplagt werden; dagegen sollten die zeitlichen Güter und Übel den einen wie den andern zuteil werden, damit man nicht allzu begehrlich nach diesen Gütern strebe, wenn man nicht sieht, daß auch Böse sie besitzen, noch auch feige diesen Übeln aus dem Wege gehe, da doch zumeist auch Gute von solchen betroffen werden.

Es ist jedoch ein gewaltiger Unterschied in der Art des Verhaltens gegenüber dem sogenannten Glück und Unglück. Der Gute läßt sich so wenig durch zeitliche Güter zum Übermut verleiten als durch zeitliche Übel niederbeugen; der Böse dagegen wird deshalb durch derartiges Unglück gestraft, weil er durch Glück verdorben wird. Doch zeigt Gott oft auch bei Verteilung von Gütern und Übeln sein Eingreifen ziemlich deutlich. Denn wenn jede Sünde offensichtliche Strafe träfe hienieden, so würde man meinen, es würde nichts für das jüngste Gericht aufgespart; wenn sich aber hinwiederum gar keiner Sünde gegenüber die Gottheit strafend offenbarte hienieden, so würde man glauben, es gebe keine göttliche Vorsehung. Und ähnlich das Glück: Schenkte es Gott nicht manchem auf seine Bitten mit augenscheinlichster Freigebigkeit, so würden wir sagen, er habe damit nichts zu schaffen; gäbe er es anderseits allen, die ihn darum bitten, so würden wir zu der Meinung kommen, man brauche ihm nur um solcher Belohnungen willen zu dienen, ein Dienst, der uns nicht fromm, sondern vielmehr begehrlich und habsüchtig machen würde. Da es sich nun so verhält[28] , so wird der Unterschied zwischen Guten und Bösen, wenn beide Teile in gleicher Weise heimgesucht werden, deshalb nicht aufgehoben, weil sich kein Unterschied in den Leiden zeigt, die sie getroffen haben. Denn die Ungleichheit der Leidenden bleibt auch bei Gleichheit der Leiden bestehen, und wenn auch der gleichen Marter unterworfen, ist Tugend und Laster doch nicht das gleiche. Denn wie im gleichen Feuer das Gold glänzt, der Schaum rußt und in der gleichen Dreschmaschine das Stroh zerstoßen, das Getreide gesäubert wird und wie sich die Ölhefe mit dem Öl nicht vermengt, obwohl sie durch den Druck der gleichen Kelter ausgepreßt wird, so erprobt, reinigt und klärt ein und dasselbe Geschick die Guten und verdammt, vernichtet und verscheucht die Bösen. Daher die Erscheinung, daß in der gleichen Heimsuchung die Bösen Gott verwünschen und lästern, die Guten ihn anrufen und preisen. So sehr kommt es darauf an, nicht welcher Art die Leiden, sondern welcher Art die Dulder sind. Der gleiche Lufthauch streicht über den Unflat und er entsendet schreckliche Dünste, streicht über das Salböl und es spendet liebliche Düfte.

9. Warum werden die Guten und die Bösen gleicherweise von harten Prüfungen heimgesucht?

Haben also die Christen bei jener großen Verwüstung irgend etwas erduldet, was ihnen nicht vielmehr, wenn sie es mit gläubigem Sinn betrachten, zu Nutz und Frommen gereichte? Einmal insofern sie sich in demütigem Hinblick auf die Sünden, um deren willen ja gerade Gott in seinem Zorn die Welt mit solchem Unglück überschüttet hat, doch nicht, so groß auch die Kluft ist, die sie von Übeltätern, Schandbuben und Gottlosen trennt, so frei von jeder Schuld erachten, daß sie nicht wenigstens zeitliches Übel dafür verdient zu haben glaubten. Denn abgesehen davon, daß jeder auch beim tadellosesten Wandel in manchen Dingen dem Begehren des niederen Menschen nachgibt, wenn auch nicht zu ungeheuerlichen Übeltaten und zu unentrinnbaren Schändlichkeiten und zu gräuelhafter Gottlosigkeit, so doch zu einigen Sünden, sei es nur selten oder um so häufiger je geringer sie sind — davon also abgesehen, wo wäre schließlich leicht einer zu finden, der gegen jene, wegen deren schrecklicher Hoffart, Ausschweifung, Habsucht und abscheulicher Ungerechtigkeit und Gottlosigkeit gemäß seiner drohenden Vorhersage Gott die Länder zernichtet, den Standpunkt einnimmt, den man einnehmen soll? so mit ihnen verkehrt, wie man mit solchen verkehren soll? Denn statt sie zu belehren und zu mahnen, bisweilen auch zurechtzuweisen und zu tadeln, drückt man zumeist sündhaft die Augen zu, entweder wenn uns die Mühe verdrießt oder wenn wir uns scheuen, sie ins Angesicht zu tadeln, oder wenn wir dadurch ihre Feindschaft vermeiden, damit sie sich nicht hinderlich und schädigend erweisen in zeitlichen Dingen, die unsere Begehrlichkeit noch zu erreichen strebt oder unsere Schwachheit zu verlieren sich scheut. Obgleich also die Guten das Leben der Bösen mißbilligen und darum nicht mit ihnen der Verdammnis anheimfallen, die nach dem irdischen Leben solche Menschen erwartet, so werden sie doch, weil sie aus derlei Gründen deren verdammungswürdige Sünden schonen und durch diese Furcht selbst Sünden begehen, wenn auch nur leichte und verzeihliche, mit Recht zusammen mit ihnen von zeitlicher Züchtigung betroffen, jedoch nicht auf ewig gestraft. Mit Recht empfinden sie, wenn sie mit den Bösen zugleich heimgesucht werden, das irdische Leben als Bitterkeit, das ihnen so süß vorkam, daß sie aus Liebe zu ihm keine Bitterkeit zeigen wollten, als jene sündigten.

Denn wenn man etwa deshalb mit der schuldigen Zurechtweisung und Abmahnung der Bösewichte zurückhält, weil man auf eine gelegenere Zeit paßt oder weil man für sie selbst fürchtet, sie möchten dadurch nur noch schlimmer werden oder anderen Schwachen in ihrer Heranbildung zu einem guten und frommen Leben Hindernisse bereiten, sie bedrücken, vom Glauben abwendig machen, so liegt solcher Zurückhaltung offenbar nicht Begehrlichkeit, sondern eine von der Liebe eingegebene Überlegung zugrunde. Nur das ist sträflich, wenn die, die anders leben und die Werke der Bösen verabscheuen, fremder Sünden, die sie bereden und zurechtweisen sollten, gleichwohl schonen, um nicht anzustoßen, aus Furcht, es könnte ihnen daraus Schaden erwachsen in Dingen, die die Guten erlaubterweise und ohne Sünde, jedoch [in diesem Fall] begehrlicher in Dienst nehmen, als es sein sollte bei solchen, die als Fremdlinge auf Erden weilen und sich zur Hoffnung auf ein himmlisches Vaterland bekennen. Denn nicht allein Schwächere, Leute im ehelichen Stande mit Kindern oder nach Kindern trachtend, mit Haus und Dienerschaft [solche, an die sich der Apostel[29] in den heiligen Versammlungen wendet mit Lehre und Mahnung, wie sie leben sollen, die Frauen mit ihren Männern und die Männer mit ihren Frauen, die Kinder mit ihren Eltern und die Eltern mit ihren Kindern, die Knechte mit ihren Herren und die Herren mit ihren Knechten], nicht nur sie haben eine Freude daran, viel vergängliches irdisches Gut zu gewinnen und empfinden schwer dessen Verlust und wagen es daher nicht, Leute zu tadeln, deren schandbares und ruchloses Leben ihnen mißfällt, sondern auch solche, die auf einer höheren Stufe der Lebensführung stehen und nicht in eheliche Bande verstrickt sind und mit geringer Nahrung und Kleidung vorlieb nehmen, hüten sich meist, die Bösen zu tadeln, da sie deren Nachstellungen und Anfeindungen im Interesse ihres Rufes und ihrer Sicherheit fürchten; geht auch ihre Furcht nicht so weit, daß sie irgend welchen Einschüchterungen und Ungerechtigkeiten nachgäben zu ähnlichen Untaten, so wollen sie doch zumeist die Untaten auch nicht bereden, die sie mit ihnen nicht gemein haben möchten — während sie vielleicht durch Beredung manche bessern könnten —, damit nicht im Fall des Mißlingens ihr Ruf und ihre Sicherheit gefährdet werde oder verloren gehe; und das nicht etwa mit Rücksicht darauf, daß ihr Ruf und ihre Sicherheit notwendig ist, um durch Unterricht Nutzen zu stiften, sondern vielmehr aus Schwäche, aus Wohlgefallen an der Schmeichelzunge und am irdischen Dasein und aus Furcht vor dem Urteil der Menge und vor Folter und Tod des Leibes, d. h. wegen gewisser Bande der Weltlust, nicht wegen der Pflicht der Liebe.

Das also scheint mir nicht unwesentlich Schuld zu sein, wenn mit den Bösen auch die Guten Züchtigung erleiden, da es Gott eben gefällt, auch mit zeitlichen Strafen Sittenverderbnis heimzusuchen. Sie erleiden nämlich zumal Züchtigung, nicht weil sie zumal ein schlechtes Leben führen, sondern weil sie zumal am zeitlichen Leben hängen, zwar nicht in gleicher Weise, aber doch eben auch, während die Guten es gering achten sollten, damit die andern sich eines bessern besännen und das ewige Leben erlangten oder, falls sie sich nicht anschließen wollten in diesem Streben, als Feinde ertragen und geliebt würden, da es ja, so lang sie leben, stets unsicher ist, ob sie nicht ihre Gesinnung zum bessern kehren. In dieser Hinsicht haben nicht etwa nur den gleichen, sondern einen viel dringenderen Anlaß die, denen die Worte des Propheten gelten: „Der zwar wird in seiner Sünde sterben, aber sein Blut werde ich fordern von des Wächters Hand“[30] . Denn dazu sind Wächter d. i. Vorgesetzte des Volkes aufgestellt in den Kirchen, daß sie es nicht fehlen lassen an der Rüge der Sünden. Gleichwohl ist aber deshalb von solcher Schuld der nicht ganz frei, der, wenn auch nicht Vorgesetzter, doch denen gegenüber, mit welchen er durch notwendige Beziehungen dieses Lebens verbunden ist, es immer wieder unterläßt, ihre ihm wohlbekannten Sünden zu bereden und zu rügen, weil er bei ihnen nicht anstoßen will im Hinblick auf Dinge, an denen er in diesem Leben zwar sich erlaubtermaßen letzen darf, aber über die Massen hängt. Sodann gibt es noch einen anderen Grund, weshalb die Guten von zeitlichen Übeln heimgesucht werden, der Grund, der für Job galt, damit nämlich die Gesinnung des Menschen sich erprobe und sich darüber klar werde, mit welcher Energie der Hingabe sie Gott uneigennützig liebe.

10. Die Einbuße zeitlicher Güter ist für die Heiligen kein Verlust.

Faß das einmal richtig und allseitig ins Auge und sieh zu, ob den Gläubigen und Frommen etwas Schlimmes begegnet ist, das für sie nicht zum Guten ausschlug; man müßte nur glauben, jener Ausspruch des Apostels: „Wir wissen, daß denen, die Gott lieben, alles zum Guten gereicht“[31] , sei leeres Gerede. Sie haben alles verloren, was sie hatten. Wirklich? Auch den Glauben? Auch die Frömmigkeit? Auch die Güter des inneren Menschen, der vor Gott reich ist? Das sind die Schätze der Christen; reich an solchen sprach der Apostel[32] : „Ein großer Gewinn ist die Gottseligkeit mit Genügsamkeit; denn wir haben nichts in diese Welt hereingebracht, können aber auch nichts mitnehmen. Wenn wir nur Nahrung und Kleidung haben, so laßt uns damit zufrieden sein. Denn die reich werden wollen, fallen in Versuchung und Fallstricke und in viele törichte und schädliche Begierden, welche die Menschen in Untergang und Verderben stürzen. Denn die Wurzel aller Übel ist die Habsucht; einige, die sich ihr ergaben, sind vom Glauben abgeirrt und haben sich in viele Schmerzen verwickelt.“

Wenn also die, denen die irdischen Reichtümer bei jener Verwüstung zugrunde gingen, sie mit solcher Gesinnung besessen haben, wie sie es von dem angeführten äußerlich Armen, innerlich Reichen vernommen haben, d. h. wenn sie „die Welt gebrauchten, als gebrauchten sie sie nicht“[33] , dann konnten sie mit dem schwer geprüften, aber nicht unterlegenen Job[34] sagen: „Nackt bin ich aus dem Schoß meiner Mutter hervorgegangen, nackt werde ich zur Erde zurückkehren. Der Herr hat 's gegeben, der Herr hat 's genommen; wie es dem Herrn gefiel, so ist 's geschehen; der Name des Herrn sei gebenedeit“. Er erachtete dann, ein treuer Knecht, für einen großen Schatz den Willen seines Herrn und indem er ihm folgte, ward er im Geiste reich und betrübte sich nicht darüber, daß ihn bei Lebzeiten die Dinge verließen, die er bei seinem Tode doch bald hätte verlassen müssen. Die Schwächeren aber, die an zeitlichem Gut, wenn sie es schon nicht über Christus setzten, doch mit einiger Begehrlichkeit hingen, sind durch den Verlust inne geworden, in welchem Grade sie sich durch solche Anhänglichkeit versündigt haben. Denn es schmerzte sie in dem Maße, als sie sich, um bei den angeführten Worten des Apostels zu bleiben, in Schmerzen verwickelt hatten. Die Zucht der Worte haben sie lange verachtet, also mußte auch noch die Zucht der Erfahrung über sie kommen. Denn wenn der Apostel sagt: „Die reich werden wollen, fallen in Versuchung“ usw., so tadelt er nicht den Reichtum an sich, sondern die Begierde danach, da er ja an einer anderen Stelle befehlend sagt[35] : „Den Reichen dieser Welt gebiete, nicht hochmütig zu sein und nicht zu vertrauen auf ungewissen Reichtum, sondern auf den lebendigen Gott, der uns alles reichlich darbietet zum Genüsse; sie sollen Gutes tun, reich sein an guten Werken, schnellbereit spenden und mitteilen, sich als Schatz einen guten Grund für die Zukunft legen, damit sie das wahre Leben ergreifen“. Wer so mit seinem Reichtum verfuhr, der konnte sich an großem Gewinn über einen geringen Verlust trösten und seine Freude über das, was er in schnellbereiter Spende so sicher bewahrt hat, ist größer als seine Betrübnis über das, was er infolge ängstlicher Zurückhaltung so schnell verloren hat. Nur das ja konnte auf der Erde verloren gehen, was man sich gereuen ließ von da hinwegzuheben. Denn alle, die den Rat ihres Herrn[36] angenommen haben; „Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo Rost und Motten sie vernichten und wo die Diebe sie ausgraben und stehlen; sammelt euch vielmehr Schätze im Himmel, wo kein Dieb hinkommt und die Motten sie nicht verderben; denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz“, alle die haben in der Zeit der Trübsal bewährt gefunden, wie sehr sie recht und weise daran getan, einen so wahrhaftigen Lehrer und den treuesten und unüberwindlichsten Hüter ihres Schatzes nicht zu mißachten. Denn wenn sich viele schon freuten, ihre Reichtümer an einem Orte zu haben, wohin der Feind zufällig nicht kam, wieviel sicherer und ruhiger konnten sich die freuen, die damit nach der Mahnung ihres Gottes dorthin gewandert waren, wohin der Feind überhaupt nicht kommen konnte! Daher hat unser Paulinus, Bischof von Nola, einst ein gar mächtig reicher Mann, aber freiwillig ganz arm und heilig in reichster Fülle, als die Barbaren auch Nola verwüsteten und er sich in ihren Händen befand, in seinem Herzen, wie wir nachher von ihm erfuhren, also gefleht: „O Herr, laß mich nicht wegen Gold und Silber der Marter anheimfallen; du weißt ja, wo all meine Habe ist“. Er hatte nämlich all das Seinige da, wo es ihn der zu bergen und aufzuhäufen gewiesen hatte, der vorhergesagt, daß diese Übel über die Welt kommen würden. Und demnach haben die, die der Mahnung ihres Herrn über Ort und Art des Schätzesammelns Folge leisteten, beim Einbruch der Barbaren nicht einmal ihre irdischen Reichtümer verloren. Die es aber bereuen mußten, nicht gefolgt zu haben, erkannten, was man mit solchen Dingen zu tun habe, zwar nicht in weisem Vorsehen, aber sicher in leidigem Nachsehen.

Aber freilich, es wurden auch manche gute Christen mit Foltern gepeinigt, damit sie ihre Habe den Feinden verrieten. Allein das Gut, wodurch sie selbst gut waren, konnten sie weder verraten noch verlieren. Wenn sie jedoch sich lieber foltern ließen als den Mammon der Ungerechtigkeit verrieten, so waren sie nicht gut. Sie waren indes einer Mahnung bedürftig, sie, die soviel litten für das Gold, als man für Christus ertragen sollte, der Mahnung nämlich, daß sie vielmehr ihn, der seinen Duldern den Reichtum ewiger Seligkeit schenkt, lieben lernten statt Gold und Silber, wofür zu leiden das erbärmlichste war, mochte man die Schätze durch Lügen verhehlen oder durch Eingeständnis verraten. Denn Christum hat in der Folter niemand durch Bekennen verloren, das Gold dagegen hat niemand außer durch Leugnen gerettet. Daher waren vielleicht Qualen, die da lehrten, daß man das unvergängliche Gut lieben müsse, von größerem Nutzen als jene Güter, die ohne irgend welche ersprießliche Frucht ihre Herren durch die Liebe zu sich quälten.

Indes es wurden auch manche, die nichts zu verraten hatten, gefoltert, weil man ihnen nicht glaubte. Auch diese waren vielleicht begehrlich zu besitzen und nicht in heiliger Gesinnung arm; ihnen sollte zum Bewußtsein kommen, daß nicht Schätze, sondern gerade das Begehren danach solche Peinen verdiene. Wenn sie jedoch aus Liebe zu einem vollkommeneren Leben keinen Schatz an Gold und Silber hatten — ich weiß allerdings nicht, ob es einem solchen begegnet ist, daß er gemartert wurde in der Meinung, er besitze etwas, jedoch wenn es wirklich vorkam —, so bekannten gewiß die, die unter Martern die heilige Armut bekannten, hiemit Christum. Wenn also ein solcher wirklich bei den Feinden keinen Glauben fand, so konnte er, ein Bekenner heiliger Armut, doch nicht ohne himmlischen Lohn gefoltert werden.

Man sagt: „Auch viele Christen hat die lange Hungersnot dahingerafft“. Auch das haben die wahren Gläubigen durch fromme Geduld zu ihrem Vorteil gewendet. Der Hunger hat die, die er tötete, den Übeln dieses Lebens entrückt wie eine andere Krankheit auch; die übrigen lehrte er einfacher leben und anhaltender fasten.

11. Des zeitlichen Lebens Ende, des langen wie des kurzen.

Aber freilich, auch viele Christen wurden ermordet, viele gingen auf allerlei gräßliche Art zugrunde. Wenn man dies beklagen muß, so ist es doch das gemeinsame Los aller, die zu diesem Leben geboren werden. Soviel weiß ich, daß keiner gestorben ist, der nicht ohnehin einmal hätte sterben müssen. Das Ende des Lebens aber macht das lange und das kurze Leben einander gleich. Denn von zwei Dingen, die gleichermaßen nicht mehr existieren, ist nicht das eine besser, das andere schlechter, das eine länger, das andere kürzer. Und was liegt daran, durch welche Todesart dieses Leben ein Ende findet, da ja der, dem es abläuft, nicht noch einmal sterben muß? Da aber jedem Sterblichen unter den täglichen Zufällen dieses Lebens sozusagen unzählige Todesarten drohen, während es unterdessen stets ungewiß ist, welche davon eintreten wird, so frage ich, was besser ist: eine erleiden und sterben, oder alle fürchten und leben. Ich weiß wohl, wie rasch man mit der Wahl im reinen ist und ein langes Leben mit der beständigen Furcht jedes möglichen Todes dem einmaligen Sterben und der Beseitigung aller Furcht vor dem Tode vorzieht. Aber mag davor auch des Fleisches Sinn, aus Schwäche ängstlich, zurückbeben, des Geistes Vernunftschluß, sorgsam entwickelt, lehrt etwas anderes. Für einen schlimmen Tod ist der nicht zu erachten, dem ein gutes Leben vorausgegangen ist. Denn nur das macht den Tod schlimm, was auf ihn folgt. Also sollen sich die dem Tode unrettbar Verfallenen nicht viel darum kümmern, was ihren Tod herbeiführt, wohl aber darum, wohin sie der Tod führt. Da nun die Christen wissen, dass der Tod des frommen Armen bei den Hunden, die ihn beleckten, weit besser war, als der des gottlosen Reichen in Purpur und Byssus[37] , was haben jene schauerlichen Todesarten den Toten geschadet, die gut gelebt haben?

12. Wenn den Christen die Beerdigung ihrer Leichen versagt blieb, so ist ihnen damit nichts entgangen.

Aber bei solchen Massen von Ermordeten konnten sie ja nicht einmal begraben werden. — Auch darüber entsetzt sich frommer Glaube nicht allzu sehr, festhaltend an der Vorhersage, daß selbst das Auffressen durch wilde Tiere den zur Auferstehung bestimmten Leibern nicht schaden kann, denen nicht ein Haar von ihrem Haupte zugrunde gehen wird[38] . Niemals würde die Wahrheit sprechen[39] : „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können“, wenn irgendwelche Willkür der Feinde gegenüber den Leibern der Getöteten irgendwie dem künftigen Leben Eintrag tun könnte. Man müßte sich nur eben zu der lächerlichen Behauptung versteigen, daß man die, die den Leib töten, nicht zu fürchten brauche vor dem Tode, sie möchten den Leib töten, wohl aber nach dem Tode, sie möchten nach dem Tode dem getöteten Leib kein Begräbnis gönnen. Also wäre falsch, was Christus sagt[40] : „Die den Leib töten und nichts mehr tun können“, wenn sie den Leichnamen so Schlimmes antun können. Nein, was die Wahrheit sagt, ist nicht falsch! Es heißt nämlich, daß sie etwas tun, wenn sie töten, weil im Leibe, der getötet werden soll, Gefühl ist; daß sie aber danach nichts mehr tun können, weil im Leibe, der getötet ist, kein Gefühl ist. Also hat zwar die Erde gar viele Leiber von Christen nicht bedeckt, aber keinen davon hat jemand losgerissen vom Himmel und von der Erde, die mit seiner Gegenwart ganz erfüllt der, der da weiß, woher er das wiedererwecken soll, was er geschaffen hat. Allerdings heißt es im Psalm[41] [klagend]: „Sie gaben die Leichen deiner Knechte den Vögeln des Himmels zur Speise, das Fleisch deiner Heiligen den wilden Tieren im Lande; sie vergossen wie Wasser ihr Blut rings um Jerusalem und es war niemand, der sie begraben hätte“; doch damit soll mehr die Grausamkeit derer hervorgehoben werden, die solches getan, als das Unglück derer, die solches erduldet haben. So hart und schrecklich dies auch in den Augen der Menschen erscheinen mag, „in den Augen Gottes ist der Tod seiner Heiligen kostbar“[42] . Daher sind all die Dinge wie die Pflege des Leichnams, die Art der Beerdigung, der Prunk des Leichenbegängnisses mehr ein Trost für die Überlebenden als eine Wohltat für die Toten. Gewiß, wenn dem Gottlosen eine kostbare Bestattung etwas nützt, so wird es dem Frommen schaden, wenn er eine armselige oder gar keine erhält. Ein prächtiges Leichenbegängnis in den Augen der Menschen verschaffte dem purpurgekleideten Reichen die Dienerschar, aber ein noch viel herrlicheres in den Augen Gottes dem schwärenbedeckten Armen der Engelsdienst, durch den er nicht in ein Marmorgrab, sondern in den Schoß Abrahams getragen wurde[43].

Darüber lachen freilich die, gegen die wir den Gottesstaat zu verteidigen übernommen haben. Allein die Sorge für die Bestattung haben auch ihre Philosophen gering geachtet. Und oft haben ganze Heere, wenn sie für das irdische Vaterland starben, sich nicht darum gekümmert, wo sie nachmals liegen und welchen Tieren sie zur Speise dienen würden, und es konnten in dieser Hinsicht die Dichter[44] auf Beifall rechnen, wenn sie sagten: „Der Himmel deckt den, der keine Urne hat“. Um wieviel weniger dürfen sie über die unbeerdigten Leiber der Christen höhnen, die die Verheißung haben[45] , daß ihnen die Wiederherstellung und Erneuerung des Fleisches und aller Glieder nicht nur aus der Erde, sondern auch aus dem geheimsten Schoße der übrigen Elemente, in die sich die zerfallenen Leichname aufgelöst haben, in einem Augenblick zuteil werde.

13. Warum begraben wir die Leiber der Heiligen?

Man darf jedoch deshalb die Leiber der Toten und vorab der Gerechten und Gläubigen, deren sich der Geist als seiner Organe und Gefäße zu jeglichem guten Werke mit Ehrfurcht bedient hat, nicht geringschätzen und wegwerfen. Denn wenn schon des Vaters Kleid oder Ring oder sonst etwas dergleichen den Nachkommen umso teurer ist, je größer die Liebe zu den Eltern war, so darf man die Leiber erst recht nicht geringschätzen, die doch viel vertrauter und inniger mit uns zusammenhängen als irgend eine Gewandung, die wir tragen; sie sind ja nicht ein bloß äußerlich anhaftender Schmuck oder Behelf, sondern gehören zur menschlichen Natur. Deshalb hat man auch die Leichen der Gerechten in alter Zeit mit gewissenhafter Pietät behandelt, hat ihre Leichenbegängnisse gefeiert und für ein Begräbnis gesorgt; sie selbst haben bei Lebzeiten über die Bestattung oder Übertragung ihrer Leichname ihren Söhnen Anweisungen gegeben und von Tobias wird erwähnt — der Engel bezeugt es —, daß er sich durch das Bestatten der Toten Gottes Gunst verschafft hat[46] . Auch der Herr selbst, der doch am dritten Tage auferstehen sollte, verkündet es[47] als ein gutes Werk des frommen Weibes und bezeichnet es als würdig der Verkündigung, daß sie eine kostbare Salbe über seine Glieder ausgoß und dies zu seinem Begräbnis getan habe. Und mit Worten der Anerkennung werden im Evangelium[48] jene Männer erwähnt, die seinen Leichnam vom Kreuze sorgsam abnahmen und ihm eine ehrenvolle Einhüllung und Bestattung verschafften. Jedoch diese Schriftstellen wollen nicht sagen, daß den Leichnamen eine Empfindung innewohne, sondern, um den Glauben an die Auferstehung zu befestigen, deuten sie an, daß sich die göttliche Vorsehung, welcher derartige Liebesdienste wohlgefällig sind, auch auf die Leiber der Toten erstrecke. Zugleich liegt darin eine heilsame Lehre, wie groß die Belohnung erst sein wird für Almosen, die wir lebenden und empfindenden Menschen erweisen, wenn nicht einmal das bei Gott verloren geht, was man an Rücksicht und Sorgfalt entseelten menschlichen Gliedern angedeihen läßt. Die heiligen Patriarchen haben auch sonst über Beisetzung und Übertragung ihrer Leiber mancherlei Äußerungen getan, die sie in prophetischem Sinne aufgefaßt wissen wollten; doch ist hier nicht der Ort davon zu handeln, da das Beigebrachte schon genügt. Wenn jedoch nicht einmal der gewiß schwer empfundene Mangel an dem, was den Lebenden zur Erhaltung nötig ist, wie Nahrung und Kleidung, bei den Guten die Kraft der Geduld und Ergebung bricht, noch die Frömmigkeit aus den Herzen reißt, sondern dieselbe prüft und ihre Fruchtbarkeit erhöht, wieviel weniger macht dann der Mangel dessen, was man den Toten an Pflege und Bestattungsfürsorge zuzuwenden pflegt, solche unglücklich, die schon an den verborgenen Wohnsitzen der Frommen der Ruhe genießen! Wenn es daher an diesen Dingen bei der Verwüstung der großen Stadt oder auch anderer Städte gemangelt hat, so bedeutet das weder für die Überlebenden, die das nicht bieten konnten, eine Schuld, noch für die Toten, die das nicht zu fühlen vermögen, eine Strafe.

14. Den Heiligen in der Gefangenschaft mangelte es niemals an Tröstung durch Gott.

Aber viele Christen, so bringt man vor, sind auch als Gefangene weggeschleppt worden. Das ist freilich das allerschlimmste, wenn sie nämlich irgendwohin verschleppt werden konnten, wo sie ihren Gott nicht fanden. Auch für dieses Unglück hat die heilige Schrift gar trostspendende Erzählungen. Die drei Jünglinge befanden sich in der Gefangenschaft, ebenso Daniel und andere Propheten; und Gott war ihr Tröster. So hat also der, der den Propheten selbst im Bauche des Untiers nicht verließ, auch seine Gläubigen in der Gewalt eines wenn auch ungebildeten, so doch zur Menschheit zählenden Volkes nicht verlassen. Freilich, auch die Geschichte des Jonas belächeln unsere Gegner lieber als daß sie sie glauben, während sie doch ihren Schriften darin Glauben schenken, daß Arion aus Methymnä, der berühmte Zitherspieler, da er aus dem Schiffe hinausgeworfen wurde, von einem Delphin auf den Rücken genommen und ans Land gebracht worden sei. Aber unsere Erzählung von dem Propheten Jonas ist doch unglaublicher. Freilich ist sie das, weil sie wunderbarer ist, und sie ist wunderbarer, weil sie von größerer Macht zeugt.


15. Regulus bietet ein Beispiel dafür, daß man um der Religion willen selbst freiwillig Gefangenschaft auf sich nehmen soll, was jedoch diesem Verehrer der Götter nicht zu nützen vermochte.

Gleichwohl haben sie unter ihren hervorragenden Männern auch ein gar herrliches Beispiel dafür, wie man um der Religion willen die Gefangenschaft sogar freiwillig auf sich nehmen soll. M. Regulus, ein Feldherr des Römervolkes, war als Gefangener bei den Karthagern. Da diese lieber ihre eigenen Gefangenen zurückerlangen als die römischen behalten wollten, sandten sie, um das zu erreichen, mit ihren Boten vornehmlich auch jenen Regulus gen Rom, nachdem sie ihn eidlich verpflichtet hatten, nach Karthago zurückzukehren, falls er ihren Wunsch nicht durchsetze. Er ging hin und überredete den Senat gerade zum Gegenteil, weil er der Ansicht war, daß ein Tausch der Gefangenen dem römischen Staat nicht fromme. Und nachdem er den Senat davon überzeugt hatte, wurde er von den Seinigen nicht genötigt, zu den Feinden zurückzukehren, sondern er tat dies freiwillig, weil er seinen Schwur halten wollte. Die Feinde aber töteten ihn unter ausgesuchten und schauerlichen Martern; sie schlossen ihn in aufrechter Stellung in einen engen hölzernen Behälter ein, der rings mit sehr spitzigen Nägeln gespickt war, so daß er sich nach keiner Seite hin ohne die furchtbarsten Schmerzen anlehnen konnte, und quälten ihn so durch Entziehung des Schlafes zu Tode. Gewiß, mit Recht rühmt man eine Tugend, die sich stärker erwies als ein so schreckliches Unheil. Und zwar hatte er bei den Göttern geschworen; und das Verbot ihres Kultus soll nun dieses Unglück über das Menschengeschlecht gebracht haben! Ja, wenn sie, die doch verehrt wurden, um das zeitliche Leben glücklich zu gestalten, über einen schwurtreuen Mann solche Strafen verhängten oder kommen ließen, was konnten sie denn da einem Meineidigen in ihrem Zorn noch schlimmeres antun? Doch warum ziehe ich nicht nach beiden Seiten meinen Schluß? Zweifellos verehrte Regulus die Götter und zwar so, daß er aus Treue gegen seinen Eid weder in seinem Vaterland blieb noch sich von dort irgend anderswohin begab, sondern keinen Augenblick Bedenken trug, zu seinen heftigsten Feinden zurückzukehren. Wenn er das als ersprießlich für das zeitliche Leben erachtete, das für ihn einen so entsetzlichen Ausgang nehmen sollte, so täuschte er sich ohne Zweifel. Denn gerade sein Beispiel lehrt, daß die Götter ihren Verehrern zur irdischen Glückseligkeit nichts nütze sind, da er ja, obgleich ihrem Kult ergeben, besiegt und gefangen genommen und schließlich, weil er genau so handeln wollte, wie er bei ihnen geschworen hatte, mit einer neuen, ganz unerhörten und schauderhaften Strafart gepeinigt und getötet wurde. Wenn aber die Verehrung der Götter die Glückseligkeit nach diesem Leben als Lohn verleiht, warum verleumdet man dann die christlichen Zeiten, als wäre der Stadt jenes Unheil widerfahren, weil sie die Götter nicht mehr verehrt, da sie doch bei der eifrigsten Verehrung der Götter ebenso unglücklich werden konnte wie Regulus war? Man müßte sich nur eben gegen die sonnenklare Wahrheit in staunenswerter Blindheit so töricht sperren, daß man behaupten wollte, es könne wohl ein einzelner Mensch, nicht aber ein ganzer Staat, der die Götter verehre, unglücklich sein, weil nämlich die Macht ihrer Götter viele zu Schutzen eher imstande sei als einzelne, während doch die Vielheit eben aus einzelnen besteht.

Wendet man nun ein, daß Regulus auch in der Gefangenschaft und in den leiblichen Martern durch seelische Tugend habe glücklich sein können, gut, dann soll man eben die wahre Tugend anstreben, damit durch sie auch der Staat glücklich sein könne. Denn der Staat schöpft sein Glück aus derselben Quelle wie der Mensch, da er ja weiter nichts ist als eine einträchtige Vielheit von Menschen. Ich rede daher vorerst noch nicht darüber, welcher Art bei Regulus die Tugend war; für jetzt genügt es, daß die Gegner durch dieses berühmte Beispiel zu dem Eingeständnis gedrängt werden, daß man die Götter nicht um leiblicher Güter noch um dessen willen, was äußerlich an den Menschen herantritt, zu verehren brauche, da ja auch er lieber alles dessen entbehren als die Götter beleidigen wollte, bei denen er geschworen hatte. Was machen wir doch mit Leuten, die sich rühmen, einen solchen Bürger gehabt zu haben, und schaudern bei dem Gedanken, einen solchen Staat zu haben? Schaudern sie aber dabei nicht, dann sollten sie doch zugeben, daß ähnliches wie dem Regulus auch einem ebenso gewissenhaft die Götter verehrenden Staate zustoßen konnte, und sollten aufhören, auf die christlichen Zeiten zu schmähen. Indes da die Erörterung von den ebenfalls mitgefangenen Christen ausgegangen ist, so mögen sie, die unverschämten und unüberlegten Spötter gegen die segensreichste Religion, sich dieses Beispiel vor Augen halten und verstummen; denn wenn es ihren Göttern nicht zur Schmach gereichte, daß ihr so eifriger Verehrer über der Wahrung der Eidestreue des Vaterlandes verlustig ging, da er doch kein anderes kannte, und als Gefangener bei den Feinden in langsamem Tode durch eine Hinrichtung von unerhörter Grausamkeit ums Leben gebracht wurde, so darf man umso weniger wider das Christentum Anklage erheben ob der Gefangennahme seiner Geweihten, die mit untrüglichem Glauben ein überirdisches Vaterland erwarben und sich daher selbst in ihrer Heimat als Pilgrime[49] fühlten.

16. Konnte durch Vergewaltigung, wie sie vielleicht selbst geweihte Jungfrauen in der Gefangenschaft erduldeten, die seelische Tugend ohne Zustimmung des Willens befleckt werden?

Einen schweren Vorwurf meinen sie gegen die Christen schleudern zu können, indem sie, um deren Gefangennahme im schlimmsten Licht erscheinen zu lassen, noch auf die Vergewaltigungen hinweisen, die nicht nur gegen Ehefrauen und Bräute, sondern selbst auch gegen manche Nonnen verübt wurden. Hier kommt jedoch nicht der Glaube, noch die Frömmigkeit, noch selbst die Tugend der Keuschheit, sondern lediglich unsere Erörterung ins Gedränge zwischen Schamgefühl und Vernunft. Auch liegt uns dabei mehr am Herzen, unsern eigenen Leuten Trost zu spenden als den andern Rede zu stehen. Zunächst also müssen wir hier ein für allemal feststellen, daß die Tugend, sofern sie die Grundlage des guten Lebens ist, vom Sitze der Seele aus über die Glieder des Leibes gebietet und daß der Leib heilig werde durch den Besitz eines heiligen Willens und daß, wenn dieser Wille unerschütterlich und standhaft bleibt, all das, was ein anderer mit oder an dem Leibe macht, wenn man dem, ohne selbst zu sündigen nicht entgehen kann, eine Schuld bei dem leidenden Teil nicht nach sich zieht. Da man aber an einem fremden Leibe nicht nur schmerzerregende, sondern auch lusterregende Handlungen verüben kann, so ruft allerdings jedes derartige Vorkommnis, wenn es auch die mit aller Standhaftigkeit der Gesinnung festgehaltene Keuschheit nicht aufhebt, doch die Scham hervor, es möchte den Anschein haben, als sei das, was vielleicht nicht ohne fleischliche Lust vor sich gehen konnte, mit Einwilligung des Geistes geschehen.


17. Freiwilliger Tod aus Furcht vor Strafe oder Schande.

Wer möchte demnach nicht in menschlicher Teilnahme selbst jenen Frauen verziehen wissen, die Selbstmord begangen haben, nur um nicht derartiges erdulden zu müssen? Und wenn man hinwieder denen, die nicht Selbstmord üben wollten, um nicht durch eigene Untat der Untat eines andern zu entgehen, ein solches Verhalten zum Vorwurf macht, dann setzt man sich dem Vorwurf des Unverstandes aus. Allerdings nämlich ist, wenn es nicht einmal gestattet ist, aus eigener Vollmacht einen Übeltäter zu töten, es sei denn, daß ein Gesetz die Befugnis gibt, ihn zu töten, natürlich auch der Selbstmörder ein Mörder, und er lädt durch den Selbstmord umso größere Schuld auf sich, je weniger er schuld ist an der Ursache, die ihn zum Selbstmord treibt. Denn wenn wir schon die Tat des Judas mit Recht verabscheuen und die Wahrheit über ihn urteilt, daß er durch seinen Tod am Stricke das Verbrechen des frevelhaften Verrates eher gesteigert als gesühnt hat, weil er an der Barmherzigkeit Gottes verzweifelnd, sich einer unheilvollen Reue überließ und sich so die Möglichkeit einer heilsamen Reue versperrte, um wieviel mehr muß man sich vor dem Selbstmord hüten, wenn man keinen Anlaß hat, irgend etwas durch eine solche selbst vollzogene Strafe zu sühnen! Judas nämlich hat, da er Selbstmord beging, zwar einen verbrecherischen Menschen getötet, aber er hat dadurch gleichwohl sein Leben geendet, schuldbeladen nicht nur mit Christi Tod, sondern auch mit dem eigenen Tod, weil er dem Tode anheimfiel zwar wegen seines Verbrechens, aber eben durch ein neues Verbrechen von seiner Seite. Warum aber sollte jemand, der nichts Schlimmes getan, sich selbst Schlimmes antun und durch Selbstmord einen schuldlosen Menschen morden, nur um nicht die Schuld eines andern an sich zuzulassen, und warum soll er gegen sich eine Sünde begehen, nur damit an ihm keine fremde begangen werde?


18. Was hat es für eine Bewandtnis mit fremder, gewaltsam erzwungener Lust, die der Geist wider seinen Willen an dem vergewaltigten Leibe erduldet?

Aber freilich man fürchtet, auch durch fremde Lust befleckt zu werden. Sie befleckt aber nicht, wenn sie wirklich nur eine fremde ist; wenn sie aber befleckt, so handelt es sich eben nicht um nur fremde Lust. Da jedoch die Keuschheit eine Tugend der Seele ist und zur Begleiterin die Starkmut hat, durch sie sich dahin entscheidet, lieber alles Schlimme zu ertragen, als in Schlimmes einzuwilligen, da ferner kein noch so starkmütiger und keuscher Mensch darüber frei verfügen kann, was an seinem Leibe geschieht, sondern lediglich darüber, ob sich der Geist zustimmend oder ablehnend verhalte, wie wäre anzunehmen, daß man, sofern nur eben der Geist unverletzt bleibt, die Keuschheit verliere, wenn etwa an dem in fremde Gewalt gekommenen und überwältigten Leib ein anderer seine und nur seine Lust ausübt und befriedigt? Ginge auf diesem Wege die Keuschheit unter, so wäre sie ja gar nicht eine Tugend der Seele und gehörte nicht zu den Gütern, die das gute Leben begründen, sondern sie wäre zu den leiblichen Gütern zu zählen, wie die Kraft, die Schönheit, die Gesundheit; Güter, deren Abnahme doch in keiner Weise einem guten und rechten Leben Eintrag tut. Wenn die Keuschheit zu dieser Art von Gütern gehört, warum müht man sich zu ihren Gunsten, um sie nicht zu verlieren, selbst mit Gefahr des Lebens ab? Ist sie aber ein Gut der Seele, so geht sie auch bei Vergewaltigung des Leibes nicht verloren. Man muß sogar noch weiter gehen und sagen: Wenn das Gut der heiligen Enthaltsamkeit den unreinen Begierden des Fleisches nicht nachgibt, so wird auch der Leib geheiligt; wenn also die Enthaltsamkeit in unerschütterlicher Gesinnung dabei verharrt, den Begierden nicht nachzugeben, so geht nicht einmal dem Leibe die Heiligkeit verloren, da der Wille, ihn in heiliger Absicht zu gebrauchen, und, soweit es auf den Leib ankommt, auch die Fähigkeit dazu andauert.

Denn nicht dadurch ist der Leib heilig, daß seine Glieder unversehrt sind, noch auch dadurch, daß sie keiner Berührung ausgesetzt werden; können sie ja doch auch durch allerlei Zufälle verwundet werden und Gewalt leiden und die Ärzte nehmen zuweilen im Interesse der Gesundheit an ihnen Dinge vor, vor deren Anblick man schaudert. Eine Hebamme untersuchte mit der Hand die Jungfrauschaft eines Mädchens und verletzte sie dabei aus Böswilligkeit oder Unachtsamkeit oder Zufall. Ich glaube, es wird niemand so töricht sein, zu meinen, diese Jungfrau habe auch nur an Heiligkeit des Leibes etwas eingebüßt, obwohl ihr die Unversehrtheit jenes Körperteiles abhanden kam. Wenn also der feste Wille bestehen bleibt, durch den auch der Leib zur Heiligung emporgehoben wird, so benimmt der Ungestüm fremder Begierde nicht einmal dem Leib die Heiligkeit, da diese durch die Fortdauer seiner Enthaltsamkeit gewahrt wird. Umgekehrt, wenn sich ein Weib, das im Herzen verdorben ist und das gottgeweihte Gelübde gebrochen hat, zu ihrem Verführer begibt, um sich schänden zu lassen, nennen wir etwa ein solches in dem Augenblick, da sie sich zu dem genannten Zweck dorthin begibt, auch nur dem Leibe nach heilig, da doch bereits die Heiligkeit der Seele, worauf die des Leibes beruht, verloren gegangen und zernichtet ist? Gewiß nicht! Und daraus mögen wir die Lehre ziehen, daß die Heiligkeit des Leibes ebenso bestimmt nicht verloren geht, auch nicht bei Vergewaltigung des Leibes, solang die Heiligkeit der Seele bestehen bleibt, wie sie nach Verletzung der Heiligkeit der Seele auch dann verloren geht, wenn der Leib unversehrt ist. Deshalb hat eine Frau, wenn sie ohne jede Einwilligung von ihrer Seite gewaltsam mißbraucht und durch fremde Sünde geschwächt wird, keine Schuld, die sie an sich mit freiwilligem Tode strafen könnte; wieviel weniger vor der Tat! Da würde ja ein sicherer Mord begangen zu einer Zeit, da das Verbrechen, und zwar das eines andern, noch gar nicht sicher ist.

19. Der Selbstmord der Lucretia wegen Vergewaltigung.

Werden etwa die, gegen welche wir nicht nur die seelische, sondern auch die leibliche Heiligkeit der in der Gefangenschaft vergewaltigten christlichen Frauen behaupten, dieser einleuchtenden Beweisführung zu widersprechen wagen, worin wir dargetan haben, daß bei Vergewaltigung eines Leibes, wenn nur der Vorsatz der Keuschheit nicht durch Zustimmung zur Sünde irgendwie zu Fall kommt, das Verbrechen lediglich auf Seiten dessen liegt, der den Beischlaf mit Gewalt erzwingt, nicht aber auf Seiten der Frau, die in den erzwungenen Beischlaf mit keiner Willensregung einwilligt? Sie rühmen freilich gar hoch ihre Lucretia, eine vornehme Römerin der alten Zeit. Als sich der Sohn des Königs Tarquinius ihres Leibes unter Vergewaltigung bemächtigte, seine Lust zu büßen, zeigte sie die Schandtat des verworfenen jungen Mannes ihrem Gemahl Collatinus und ihrem Verwandten Brutus an, zwei rühmlich bekannten und tapferen Männern, und nahm ihnen das Versprechen ab, sie zu rächen. Danach beging sie Selbstmord, da sie den Kummer über den an ihr verübten Frevel nicht ertragen konnte. Was ist dazu zu sagen? Soll man sie für eine Ehebrecherin oder für eine keusche Frau halten? Wer möchte sich mit dieser Frage den Kopf zerbrechen? Trefflich und der Wahrheit entsprechend hat jemand darauf das Wort geprägt: „Sonderbar, zwei waren es und nur einer hat den Ehebruch begangen“. Sehr schön und sehr wahr. Er sah bei der Vermischung der zwei Leiber auf die unreine Begierde des einen und den keuschen Sinn der andern und faßte nicht das ins Auge, was durch Vereinigung der Leiber geschah, sondern das, was in den ungleichen Seelen vor sich ging, und konnte so sagen: „Zwei waren es und nur einer hat den Ehebruch begangen“.

Aber wie kommt es, daß die, die den Ehebruch nicht begangen hatte, eine schwerere Strafe davontrug? Der Wüstling wurde nämlich mitsamt seinem Vater verbannt, die Frau aber traf die härteste aller Strafen. Wenn Erleiden von Vergewaltigung keine Unkeuschheit, so ist Bestrafung einer keuschen Frau keine Gerechtigkeit. Euch rufe ich auf, römische Richter und Gesetze! Ihr wolltet ja unter Strafe bei vorfallenden Verbrechen nicht einmal den Übeltäter, bevor er verurteilt wäre, dem Tod überliefert wissen. Brächte man also dieses Verbrechen vor euer Gericht und bewiese man euch, daß hier ein Weib nicht nur ohne vorgängiges Urteil, sondern selbst ein keusches und schuldloses Weib zu Tode gebracht worden sei, würdet ihr den, der das getan, nicht mit gebührender Strenge strafen? Das hat Lucretia getan, ja, die vielgepriesene Lucretia hat die schuldlose, keusche, vergewaltigte Lucretia auch noch getötet. Fället das Urteil! Könnt ihr das nicht, weil die Schuldige nicht vor Gericht steht, warum rühmt ihr dann mit soviel Preisen die Mörderin einer schuldlosen und keuschen Frau? Und doch könnt ihr sie bei den Richtern der Unterwelt, wären sie auch von der Art, wie sie in den Liedern eurer Dichter besungen werden, durchaus nicht verteidigen, da sie unter denen ihren Platz hat[50] ,


„welche den Tod sich

Schuldlos gaben mit eigener Hand und, müde des Lebens,

Von sich warfen den Geist“;


und wenn sie zur Oberwelt zurückzukehren verlangt, so


„Steht ihr entgegen das Göttergesetz, und des widrigen Sumpfes

Düster Gewässer hält sie gebannt“.


Oder ist sie vielleicht deshalb nicht in der Oberwelt, weil sie nicht frei von Schuld, sondern mit schlechtem Gewissen Selbstmord verübt hat? Wie wenn sie[51] dem jungen Mann, der ja freilich gewalttätig über sie herfiel, auch durch eigene Lust gereizt zustimmte und sich darüber so heftige Vorwürfe machte, daß sie die Sünde durch den Tod sühnen zu sollen vermeinte? Freilich auch dann hätte sie nicht Selbstmord zu üben gebraucht, wenn sie vor ihren falschen Göttern fruchtbare Buße hätte tun können. Jedoch wenn es etwa so ist und der Ausspruch: „Zwei waren es und nur einer beging den Ehebruch“ nicht zutrifft, sondern beide Ehebruch begangen haben, der eine durch offenbare Gewalt, die andere durch heimliche Zustimmung, so hat sie nicht an einer Schuldlosen Selbstmord verübt und ihre gelehrten Verteidiger können demnach behaupten, daß sie in der Unterwelt nicht beigereiht wurde denen, „welche den Tod sich schuldlos gaben“. Die ganze Sache spitzt sich eben darauf zu: Entschuldigt man den Mord, so bestätigt man den Ehebruch; leugnet man den Ehebruch, so belastet man umso mehr den Mord; man findet überhaupt keinen Ausweg aus dem Dilemma: „War sie ehebrecherisch, warum rühmt man sie? War sie keusch, warum tötete sie sich?“

Uns jedoch genügt zur Zurückweisung derer, die, der Vorstellung heiliger Gesinnung unfähig, die in der Gefangenschaft vergewaltigten christlichen Frauen verspotten, es genügt uns an dem berühmten Beispiel dieser Frau der Hinweis auf das, was man zu deren Ruhm und Verherrlichung sagt: „Zwei waren es und nur einer hat den Ehebruch begangen“. Man hat nämlich bei Lucretia gerne angenommen, daß sie sich nicht durch ehebrecherische Einwilligung habe beflecken können. Wenn sie also ob der Notzüchtigung, obgleich nicht Ehebrecherin, Selbstmord verübt hat, so tat sie das nicht aus Liebe zur Keuschheit, sondern aus schwächlicher Scham. Sie schämte sich fremder Schandtat, an ihr, nicht mit ihr begangen, und dieses römische Weib, nach Ruhm mehr als begierig, fürchtete, wenn sie am Leben bliebe, in der öffentlichen Meinung als eine Frau zu gelten, die gern über sich ergehen ließ, was sie gewaltsam über sich hatte ergehen lassen. Darum glaubte sie zum Zeugnis ihrer Gesinnung jene Strafe den Menschen vor Augen halten zu sollen, da sie ihnen ihr Gewissen nicht vorweisen konnte. Sie schämte sich, als Genossin der Tat zu gelten, wenn sie das, was ein anderer schändliches an ihr getan, geduldig ertragen würde. Nicht so handelten die christlichen Frauen, die ähnliches erduldeten und gleichwohl noch leben und nicht am eigenen Leib ein fremdes Verbrechen gerächt haben, damit sie nicht den Untaten anderer noch eigene hinzufügten, wenn sie deshalb, weil Feinde an ihnen aus Gier Notzucht verübt hatten, nun an sich aus Scham Selbstmord verüben würden. Sie haben eben innerlich den Ruhm der Keuschheit, das Zeugnis des Gewissens; sie haben ihn aber vor den Augen ihres Gottes und sie suchen da nichts, wo ihnen die Möglichkeit, recht zu handeln, benommen ist, damit sie nicht, um mit Unrecht dem Anstoß des Verdachtes in den Augen der Menschen auszuweichen, in den Augen Gottes von den Vorschriften seines Gesetzes abwichen.

20. Keine Schriftstelle gewährt den Christen das Recht des freiwilligen Todes, in welcher Lage immer sie sich finden.

Denn nicht umsonst kann man in den heiligen und kanonischen Büchern nirgends ein göttliches Gebot noch auch die Erlaubnis ausgesprochen finden, sich selbst das Leben zu nehmen, um das unsterbliche Leben zu erlangen oder irgend ein Übel zu meiden oder zu beseitigen. Vielmehr ist das Verbot hieher zu beziehen: „Du sollst nicht töten“[52] , wie es im Gesetze heißt; um so mehr als nicht hinzugefügt ist: „deinen Nächsten“ wie bei dem Verbot des falschen Zeugnisses: „Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten“[53] . Gleichwohl darf man nicht glauben, von dieser Sünde frei zu sein, wenn man gegen sich selbst falsches Zeugnis ablegte. Denn die Selbstliebe wurde als die Richtschnur für die Nächstenliebe aufgestellt, da ja geschrieben steht: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“[54] . Wenn sich demnach der, der über sich selbst Falsches aussagt, des falschen Zeugnisses nicht weniger schuldig macht als wer es wider den Nächsten tut, während doch in dem Gebote, welches das falsche Zeugnis betrifft, nur vom Nächsten die Rede ist, was dahin mißverstanden werden könnte, es sei nicht verboten, daß man wider sich selbst als falscher Zeuge auftritt, wieviel mehr gilt dies dann von dem Verbot des Selbstmordes, da klar zu Tage liegt, daß, wenn es ohne Zusatz heißt: „Du sollst nicht töten“, jedermann als Objekt des Verbotes bezeichnet ist, auch der also, an den das Gesetz gerichtet ist. Darum suchen manche[55] dieses Gesetz sogar auf Tiere, wilde und zahme, auszudehnen, so daß es uns danach nicht erlaubt wäre, sie zu töten. Warum dann nicht auch auf die Kräuter und was sonst mit der Wurzel im Erdboden Nahrung und Halt sucht? Denn auch diese Art von Wesen hat, wenn auch der Empfindung bar, ein Leben, wie man sich ausdrückt, und kann demnach auch sterben, somit auch bei Anwendung von Gewalt getötet werden. Daher sagt der Apostel, wo er von solchen Samen spricht: „Was du säest, lebt nicht auf, wenn es nicht zuvor stirbt“[56] , und im Psalm[57] heißt es: „Er tötete mit Hagel ihre Weinstöcke“. Werden wir also, wenn wir vernehmen: „Du sollst nicht töten“, es für Sünde halten, Strauchwerk auszureißen und, töricht genug, dem Irrtum der Manichäer beistimmen? Weg mit solchem Wahn! Wenn wir also das Verbot des Tötens nicht auf die Pflanzen beziehen, weil sie der Empfindung entbehren, und nicht auf die vernunftlosen Lebewesen, die fliegenden, schwimmenden, laufenden, kriechenden, weil sie uns nicht durch die Vernunft gleichgestellt sind, die mit uns gemeinsam zu haben ihnen nicht gewährt ist[58] , so bleibt nur übrig, das Verbot: „Du sollst nicht töten“ vom Menschen zu verstehen: Weder einen andern noch dich sollst du töten. Denn wer sich selbst tötet, tötet eben auch einen Menschen.

21. Fälle, in denen die Tötung von Menschen nicht das Verbrechen des Mordes in sich schließt.

Einige Ausnahmen jedoch von dem Verbot, einen Menschen zu töten, hat eben jener göttliche Wille selbst gemacht. Von denen aber abgesehen, die Gott zu töten befiehlt, sei es durch gesetzliche Anordnung, sei es jeweils mit Bezug auf eine bestimmte Person durch ausdrücklichen Befehl - in solchen Fällen tötet nicht der, der dem Befehlenden diesen Dienst schuldet wie ein Schwert dem, der es führt, Hilfe schuldet; daher haben jene, die auf Gottes Geheiß Kriege führten oder im Besitze der öffentlichen Gewalt gemäß den Gesetzen Gottes d. i. nach dem Befehl der allgerechten Vernunft Verbrecher mit dem Tode bestraften, nicht wider das Gebot: „Du sollst nicht töten“ gehandelt; und Abraham, weit entfernt, des Verbrechens der Grausamkeit beschuldigt zu werden, wurde vielmehr gerühmt ob seiner Frömmigkeit, weil er seinen Sohn rein nur aus Gehorsam, nicht in frevelhafter Absicht töten wollte[59] ; und mit Recht zweifelt man, ob es für einen Auftrag Gottes zu halten sei, daß Jephte seine Tochter, die ihm entgegeneilte, tötete, lediglich weil er gelobt hatte, das was ihm bei der siegreichen Rückkehr aus der Schlacht zuerst entgegenkommen würde, Gott zu opfern[60] und auch Samson, der sich selbst mitsamt den Feinden unter den Trümmern eines Hauses begrub, findet nur darin eine Entschuldigung, daß ihm der Geist, der durch ihn Wunder tat, dies heimlich befahl[61] also abgesehen von denen, die entweder ein gerechtes Gesetz ein für allemal, oder Gott, der Quell der Gerechtigkeit, in besonderen Fällen zu töten befiehlt, macht sich des Verbrechens des Mordes jeder schuldig, der einen Menschen — sich oder sonst jemand — tötet.

22. Kann der freiwillige Tod jemals als Zeichen von Seelengröße gelten?

Wer immer Selbstmord verübt, ist vielleicht wegen Seelengröße zu bewundern, nicht aber verdient er Lob wegen gesunden Sinnes. Obwohl bei genauer Überlegung nicht einmal von Seelengröße die Rede sein kann, wenn man, unfähig ein hartes Geschick oder fremde Sünden zu ertragen, sich selbst das Leben nimmt. Als schwach vielmehr zeigt sich ein Geist, der eine schwere Knechtung seines Leibes oder die törichte Meinung der Menge nicht zu ertragen vermag, und die größere Seele verdient die genannt zu werden, die ein mühseliges Leben, statt ihm aus dem Weg zu gehen, vielmehr zu ertragen und das Urteil der Menschen, vorab das der Menge, das zumeist in das Dunkel des Irrtums gehüllt ist, gegenüber dem Lichte des reinen Gewissens zu verachten weiß. Wenn daher je der Selbstmord auf Seelengröße zurückzuführen ist, so entdeckt man solche eher an Theobrotus, der sich nach der Lektüre von Platos Buch, das von der Unsterblichkeit der Seele handelt, von einer Mauer hinabgestürzt haben und so aus diesem Leben zu einem anderen, das er für das bessere hielt, hinübergewandert sein soll[62] . Ihn bedrängte kein Mißgeschick, kein Verbrechen, weder ein wirkliches noch ein eingebildetes, dem er, unfähig es zu ertragen, aus dem Weg gegangen wäre; lediglich Seelengröße bestimmte ihn, sich für den Tod zu entscheiden und die süßen Bande des irdischen Lebens zu zerreißen. Daß er damit freilich mehr groß als gut gehandelt hat, hätte ihm gerade Plato, den er las, bezeugen können; denn der hätte das doch vor allem selbst getan, ja es sogar vorgeschrieben, wenn er sich nicht die Überzeugung gebildet hätte, daß dies in dem Sinne, wie er die Unsterblichkeit der Seele ansah, durchaus nicht geschehen, vielmehr selbst verhindert werden soll.

Allerdings haben viele Selbstmord begangen, um nicht den Feinden in die Hände zu fallen. Aber an dieser Stelle handelt es sich nicht darum, ob das vorgekommen ist, sondern darum, ob es hätte vorkommen sollen. Eine gesunde Logik geht nämlich auch über Beispiele, und mit ihr stimmen hinwieder ebenfalls Beispiele überein und zwar solche, die umso nachahmungswürdiger sind, als sie mit hervorragender Frömmigkeit verbunden erscheinen. Solches taten nicht die Patriarchen, nicht die Propheten, nicht die Apostel; denn Christus der Herr selbst hätte sie, da er sie anwies, von Stadt zu Stadt zu fliehen, wenn sie Verfolgung erleiden würden, ebenso anweisen können, Hand an sich zu legen, um nicht ihren Verfolgern in die Hände zu fallen. Wenn also er den Seinigen keinen Befehl oder Rat erteilte, auf solche Weise aus dem Leben zu scheiden, da er ihnen doch nach ihrem Hingang ewige Wohnungen zu bereiten verhieß, so mögen die Heiden, die Gott nicht kennen, Beispiele anführen soviel sie wollen: es ist dennoch klar, daß solches den Verehrern des einen wahren Gottes nicht erlaubt ist.


23. Wie ist das Beispiel zu beurteilen, das Cato durch seinen Selbstmord ob des Sieges Cäsars gab?

Übrigens finden auch unsere Gegner außer der Lucretia, von der wir oben das Nötige gesagt haben, kaum jemand, nach dessen Vorgang sie den Selbstmord anraten könnten, als den berühmten Cato, der sich in Utica das Leben nahm; nicht als wäre er der einzige, der dies getan, sondern weil er für einen gebildeten und rechtschaffenen Mann galt; daher dürfe man, meinen sie, mit Grund annehmen, daß das, was er getan hat, erlaubterweise habe geschehen können und noch geschehen könne. Was soll ich über seine Tat weiter sagen, als daß seine Freunde, ebenfalls gebildete Männer, welche klüger dachten als er und ihm davon abrieten, die Tat eher für ein Zeichen des Schwachmutes als der Seelengröße hielten, da sich in ihr nicht ein der Schande vorbeugendes Ehrgefühl, sondern eine dem Unglück gegenüber widerstandslose Schwäche offenbare? Das war auch die Meinung Catos selbst, als es sich um seinen innig geliebten Sohn handelte. Denn war es schmachvoll, unter dem siegreichen Cäsar zu leben, warum veranlaßte er zu solcher Schmach seinen Sohn, den er anwies, alles von der Güte Cäsars zu erwarten? Warum drängte er ihn nicht, mit ihm in den Tod zu gehen? Denn wenn Torquatus darin löblich handelte, daß er seinen Sohn, der gegen den Befehl mit dem Feinde kämpfte, obwohl er dabei Sieger blieb, töten ließ[63] , warum hat der besiegte Cato, der gegen sich keine Schonung übte, Schonung walten lassen gegen seinen besiegten Sohn? Oder war es schmachvoller, dem Befehl zuwider Sieger zu sein, als der Ehre zuwider fremden Sieg zu ertragen? Also hat es Cato durchaus nicht für eine Schmach gehalten, unter dem siegreichen Cäsar zu leben, sonst hätte er mit dem eigenen Stahl seinen Sohn vor dieser Schmach bewahrt. Was anders also liegt hier vor, als daß Cato, wie er seinen Sohn liebte, für den er von Cäsar Schonung hoffte und wünschte, so dem Cäsar den Ruhm mißgönnte, auch seiner zu schonen [und Cäsar soll sich dahin geäußert haben“[64] ], oder, um mich milder auszudrücken, sich einer Begnadigung schämte.

24. In der Tugend, die den Regulus vor Cato auszeichnet, überragen noch weit mehr die Christen.

Unsere Gegner sind nicht damit einverstanden, daß wir den heiligen Mann Job, der lieber so entsetzliche Leiden erdulden als durch Selbstmord aller Pein überhoben sein wollte, oder andere Heilige auf Grund unserer durchaus glaubwürdigen und durch die erhabenste Autorität ausgezeichneten Schriften, solche nämlich, die lieber feindliche Gefangenschaft und Herrschaft über sich ergehen lassen, als freiwillig in den Tod gehen wollten, über ihren Cato stellen; aber auf Grund ihrer eigenen Schriften will ich den Nachweis führen, daß gerade eben Regulus über M. Cato zu stellen sei. Denn Cato hat Cäsar niemals besiegt; er hielt es nach seiner Niederlage unter seiner Würde, ihm unterworfen zu sein und entschied sich dafür, durch Selbstmord der Unterwerfung zuvorzukommen; Regulus dagegen hatte die Punier bereits besiegt und hatte als römischer Feldherr für die römische Herrschaft nicht einen beklagenswerten Sieg über Bürger, sondern über auswärtige Feinde einen rühmlichen Sieg davongetragen; nachmals jedoch von ihnen besiegt, wollte er lieber ihre Herrschaft auf sich nehmen, als sich ihnen durch den Tod entziehen. Demnach hat er sowohl unter der Herrschaft der Karthager Geduld als auch in seiner Liebe zu den Römern Standhaftigkeit bewahrt und weder den gebrochenen Leib seinen Feinden, noch die ungebrochene Gesinnung seinen Bürgern vorenthalten. Auch war es nicht Liebe zum irdischen Dasein, was ihn vom Selbstmord zurückhielt. Das hat er dadurch bewiesen, daß er mit Rücksicht auf Versprechen und Eid ohne jedes Bedenken zu den Feinden zurückkehrte, denen er doch eben im Senat mit Worten heftiger als im Krieg mit den Waffen zugesetzt hatte. Und so hat sich dieser großartige Verächter des irdischen Daseins, indem er sein Leben, weit entfernt, es sich selbst zu nehmen, wütenden Feinden zur Vernichtung unter beliebiger Marter darbot, ohne Zweifel zu der Überzeugung bekannt, daß der Selbstmord ein großes Verbrechen sei. Unter all ihren ruhmeswürdigen und durch ausgezeichnete Tugend berühmten Männern bringen die Römer keinen besseren auf; ihn hat das Glück nicht verdorben, denn trotz dem großen Siege blieb er ganz arm, noch hat ihn das Unglück gebrochen, denn in die schweren Todesqualen begab er sich unverzagt. Wenn also so tapfere und berühmte Männer, Verteidiger des irdischen Vaterlandes und Verehrer der Götter, zwar falscher Götter, aber doch nicht heuchlerische Verehrer, vielmehr ihrem Schwure treu bis in den Tod, wenn sie, die besiegte Feinde nach Krieges Brauch und Recht töten konnten, von ihren Feinden besiegt sich nicht töten wollten und, obwohl sie den Tod durchaus nicht fürchteten, lieber die Herrschaft der Sieger über sich ergehen ließen als freiwillig in den Tod gehen wollten, wie vielmehr werden sich die Christen, Verehrer des wahren Gottes, sehnsuchtsvoll dem überirdischen Vaterland zugewandt, von solchem Frevel enthalten, wenn Gottes Anordnung sie auf eine Zeit zur Prüfung oder Besserung ihren Feinden unterstellt, ohne daß doch in solcher Erniedrigung der sie verließe, der um ihretwillen sich in die Erniedrigung begab, er, der Höchste, umso weniger als keine Befugnis irgend einer militärischen Gewalt oder ihres eigenartigen Kriegsdienstes sie zwingt, ihrerseits den überwundenen Feind zu töten. Wie konnte also ein so schlimmer Irrtum einschleichen, daß ein Mensch Selbstmord begehen dürfe, weil sich ein Feind an ihm versündigt hat oder damit sich ein Feind nicht an ihm versündige, da er nicht einmal wagt, den Feind, der an ihm gesündigt hat oder sündigen will, zu töten?


25. Man darf nicht einer Sünde aus dem Wege gehen durch Begehung einer anderen Sünde.

Aber freilich, es ist zu befürchten, daß der der Lust dienstbar gemachte Leib durch die verlockendste aller Lüste die Seele zur Einwilligung in die Sünde reize, und dem muß man vorbauen. Also müsse man, so lautet der Schluß, nicht so fast wegen der Sünde eines andern als vielmehr wegen der eigenen Sünde Selbstmord verüben, bevor man sie begeht. Nun wird allerdings ein Geist, der Gott und seiner Weisheit ergeben ist und nicht dem Leibe und seiner Begierde, gewiß nicht in die durch fremde Lust erregte Fleischeslust einwilligen. Indes wenn der Selbstmord ebenfalls eine verabscheuungswürdige Tat und ein verdammliches Verbrechen ist, wie es mit unzweifelhafter Gewißheit erhellt, wie kann man dann so töricht sein zu sagen: „Jetzt schon wollen wir einen Mord begehen, damit wir nicht etwa später in Unkeuschheit fallen“. Wenn die Verderbtheit so sehr vorwaltet, daß es sich nicht um die Wahl der Unschuld, sondern um die Auswahl unter verschiedenen Sünden handelt, wäre dann nicht eine ungewisse Zukunftssünde der Unzucht noch besser als eine gewisse Gegenwartssünde des Mordes? Wäre es nicht besser, eine Schandtat, die sich durch Buße wieder gut machen läßt, zu begehen, als ein Verbrechen, das jede Gelegenheit zu heilender Buße benimmt? Das wollte ich sagen im Hinblick auf solche Jünglinge und Frauen, die Hand an sich legen zu sollen glauben nicht um der Sünde eines andern, sondern um einer eigenen Sünde willen aus Besorgnis, es möchte etwa unter der Gewalt fremder Lust auch die eigene zur Einwilligung aufgestachelt werden. Übrigens wird es nicht vorkommen, daß eine wahrhaft christliche Seele, die ihrem Gott vertraut und auf ihn ihre Hoffnung setzend seine Hilfe zur Seite hat, eine solche Seele, sage ich, wird gewiß nicht irgend einer fleischlichen Lust zu schändlicher Einwilligung nachgeben. Wenn aber diese Auflehnung der Begierlichkeit, die nun einmal in unsern sterblichen Gliedern wohnt, dem Gesetz unseres Willens entgegen sozusagen nach ihrem eigenen Gesetz sich bemerklich macht, so kann bei ausdrücklicher Verwahrung dagegen umso weniger von einer Schuld die Rede sein, als ja dadurch auch im Schlafe keine Schuld herbeigeführt wird.

26. Wie hat man es aufzufassen, wenn Heilige das tun, was nicht geschehen darf.

Man hält uns entgegen, daß in der Zeit der Verfolgung sich manche heilige Frauen, um ihre Unschuld vor Nachstellungen zu retten, ins Wasser gestürzt und auf diese Weise den Tod gefunden haben, und doch wird ihr Martyrium in der katholischen Kirche mit feierlicher Verehrung und unter großer Teilnahme begangen. Ich möchte nicht vorschnell über sie urteilen. Ich weiß ja nicht, ob nicht die Autorität Gottes an der Hand von glaubwürdigen Bezeugungen die Kirche bestimmt hat, ihr Andenken also zu ehren; möglicherweise ist dies der Fall. Denn wie, wenn sie es nicht aus menschlichem Irrtum, sondern auf göttlichen Befehl hin getan haben, nicht in einem Wahne, sondern aus Gehorsam, wie wir es von Samson nicht anders annehmen dürfen[65] ? Wenn aber Gott befiehlt und seinen Willen klar kundgibt, wie dürfte man da die Folgeleistung zum Vorwurf machen, den aus Frömmigkeit geleisteten Gehorsam anschuldigen? Jedoch wenngleich Abraham rühmenswert gehandelt hat, indem er sich entschloß, seinen Sohn Gott zu opfern, so würde dennoch jeder andere, der das tut, ein Verbrechen auf sich laden. Denn auch der Soldat macht sich nach keinem Gesetz seines Staates eines Mordes schuldig, wenn er im Gehorsam gegen die Gewalt, der er rechtmäßig unterstellt ist, einen Menschen tötet; im Gegenteil, er macht sich, wenn er es nicht tut, der Unbotmäßigkeit und Widerspenstigkeit schuldig; würde er es aber aus eigenem Antrieb und auf eigene Faust tun, so würde er das Verbrechen der Vergießung von Menschenblut auf sich laden. Also macht er sich ebenso strafbar, wenn er es ohne Befehl tut, als wenn er es trotz des Befehls unterläßt. Wenn das schon gilt vom Befehl des Feldherrn, wieviel mehr vom Befehl Gottes! Wenn es also heißt, man dürfe sich nicht töten, so soll man es dennoch tun, wenn es der befiehlt, dessen Befehle nicht mißachtet werden dürfen; nur muß man zusehen, ob der Befehl Gottes nicht irgendwie zweifelhaft ist. Wir können in Gewissenssachen nur nach dem urteilen, was wir hören; ein Urteil über die geheimen Vorgänge massen wir uns nicht an. „Niemand weiß, was im Menschen vorgeht, außer der Geist des Menschen, der in ihm ist“[66] . Dabei aber bleiben wir mit aller Bestimmtheit stehen und die Ansicht hat unsern vollen Beifall, daß niemand freiwillig in den Tod gehen dürfe in der Absicht, zeitlichen Beschwerden zu entgehen, da er dadurch nur ewig dauernden anheimfällt; ebensowenig wegen fremder Sünden, damit er dadurch nicht die schwerste eigene auf sich lade, während ihn die fremde gar nicht berührt hat; auch nicht wegen eigener vergangener Sünden, wegen deren er das irdische Leben erst recht notwendig braucht, um sie durch Buße heilen zu können; endlich auch nicht aus Sehnsucht nach einem besseren Leben, das man nach dem Tode erhofft, weil die des Selbstmordes Schuldigen kein besseres Leben nach dem Tode erwartet.

27. Soll man deshalb den Tod anstreben, weil man dadurch der Sünde aus dem Wege geht?

Es bleibt noch ein Grund übrig [ich habe darüber schon einiges gesagt], der es manchen rätlich erscheinen läßt, sich selbst zu töten, nämlich um nicht in eine Sünde zu fallen, sei es im Reize der Lust oder unter dem Wüten des Schmerzes. Wollten wir diesen Grund gelten lassen, so müßte man die Leute anhalten, sich lieber gleich in dem Augenblick zu töten, da sie, durch das Bad der heiligen Wiedergeburt gereinigt, Nachlaß aller Sünden erlangen. Da ist der richtige Moment, allen künftigen Sünden vorzubeugen, wenn alle vergangenen ausgetilgt sind. Wenn zu diesem Ziele der freiwillige Tod das rechte Mittel ist, warum wendet es man nicht vorzugsweise bei dieser Gelegenheit an? Warum üben die Neugetauften Schonung gegen sich? Warum verwickeln sie sich, kaum befreit, wieder in die vielen Gefahren des irdischen Lebens, da es ihnen doch so leicht möglich ist, durch Selbstmord allen zu entgehen, und überdies geschrieben steht: „Wer die Gefahr liebt, wird in ihr umkommen“[67] ? Warum also liebt man diese vielen und großen Gefahren oder nimmt sie doch, wenn man sie auch nicht liebt, auf sich, indem man in diesem Leben ausharrt, während es gestattet ist, davon zu scheiden? Was für eine abgeschmackte Torheit hat das Herz beschlichen und es von der Erkenntnis des wahren Sachverhaltes abgewendet, daß man glaubt, wenn man sich töten müsse, um nicht unter der Gewalt eines einzelnen Feindes in eine Sünde zu fallen, so müsse man sich anderseits am Leben erhalten, um die Welt zu ertragen, die zu jeglicher Stunde Versuchungen in Fülle bereitet, und zwar solche, wie man sie in der Gewalt eines Einzelnen zu fürchten hat, und unzählige andere, ohne die man nun einmal sein Leben nicht fortführen kann? Was brauchen wir da noch die Zeit mit Ermahnungen zu vergeuden, wodurch wir die Neugetauften zu begeistern suchen für die jungfräuliche Unbeflecktheit oder für die Enthaltsamkeit des Witwenstandes oder für die eheliche Treue, wenn wir ein besseres und viel einfacheres Mittel haben, sie von aller Gefahr des Sündigens fernzuhalten, darin nämlich, daß wir alle, die wir nach der eben erlangten Sündenvergebung zu raschem Selbstmord überreden können, in gesünderer und reinerer Verfassung zum Herrn schicken? Wenn nun aber nicht etwa Unverstand, sondern geradezu Wahnsinn dazu gehört, einen solchen Weg für gangbar, diesen Rat für empfehlenswert zu halten, welche Unverfrorenheit ist es dann, einem Menschen zu sagen: „Töte dich, damit du deinen geringen Sünden nicht eine schwerere hinzufügest, wenn du unter einem Herrn lebst, der nach Art der Barbaren der Unkeuschheit fröhnt“, da man doch nur ganz frivoler Weise sagen kann: „Töte dich nach Verzeihung all deiner Sünden, damit du nicht neuerdings solche oder noch schlimmere begehst, wenn du in der Welt fortlebst, die so vielfältig mit unreiner Lust lockt, so vielfältig mit abscheulichen Grausamkeiten dräut, so vielfältig durch Irreführung und Schrecknis sich als Feindin erweist“! Weil es nun Sünde wäre, das zu sagen, so ist es folgerichtig auch Sünde, sich zu töten. Denn könnte es überhaupt einen gerechten Anlaß geben, dies freiwillig zu tun, so wäre gewiß kein Anlaß gerechter als dieser. Da aber nicht einmal er es ist, so gibt es überhaupt keinen.

28. Wie zeigt sich Gottes Gericht in der Zulassung, dass feindliche Gier an Leibern von Enthaltsamen sündigen durfte?

Wenn daher eure Keuschheit, ihr Christgläubigen, den Feinden zum Gespötte war, so sei euch doch euer Leben nicht zum Ekel. Ihr habt einen großen und wahrhaftigen Trost, wenn ihr das sichere Bewußtsein in euch traget, daß ihr nicht eingewilligt habt in ihre Sünden, deren Begehung an euch zugelassen worden ist. Wenn ihr etwa fragt, warum das zugelassen wurde, so muß ich freilich sagen, die Vorsehung des Schöpfers und Lenkers der Welt ist erhaben und „unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege“[68] ; erkundet jedoch aufrichtig euer Inneres, ob ihr euch nicht etwa wegen jenes Gutes der Unberührtheit, der Enthaltsamkeit oder Keuschheit mit einigem Stolz überhoben und aus Freude am Lobe der Menschen auch manche in dieser Hinsicht beneidet habt. Ich mache nicht zum Gegenstand einer Anklage, was ich nicht weiß, und höre nicht, was eure Herzen auf diese Fragen euch antworten. Wenn sie aber die Fragen bejahen, so sollt ihr euch nicht darüber wundern, daß ihr das verloren habt, worin ihr den Menschen zu gefallen wünschtet, und daß euch nur das geblieben ist, was den Menschen nicht vor Augen geführt werden kann. Habt ihr den Sünden nicht zugestimmt, so trat zur Gnade Gottes, damit sie nicht verloren gehe, die Hilfe Gottes hinzu; dem Ruhm bei Menschen dagegen folgte, damit an ihn nicht das Herz verloren gehe, Schmach vor den Menschen nach. An beiden tröstet euch, Kleinmütige, erprobt durch das eine, gestraft durch das andere, durch das eine gerechtfertigt, durch das andere gebessert. Die aber unter euch, denen das Herz auf die Frage antwortet, daß sie niemals auf das Gut der Jungfräulichkeit, der Witwenehre oder der ehelichen Keuschheit stolz waren, sondern es „mit den Niedrigen gehalten“[69] und über die Gabe Gottes mit Zittern frohlockt haben, daß sie niemand um den Vorzug gleicher Heiligkeit und Keuschheit beneidet, sondern, gleichgültig gegen Menschenlob, das in der Regel umso reichlicher fließt, je seltner das Gut ist, das zum Lob herausfordert, gewünscht haben, es möchte lieber die Zahl der Reinen größer sein, als daß sie selbst in ihrer Ausnahmestellung um so mehr hervorragen, auch sie sollen, wenn manche von ihnen die Opfer barbarischer Wollust geworden sind, nicht darüber murren, daß dies zugelassen worden ist, und nicht glauben, daß Gott sich um derlei Dinge nicht kümmere, weil er etwas geschehen ließ, was doch niemand ungestraft begehen kann. Denn manche furchtbare Last böser Gelüste schlüpft bei dem geheimen Gerichte Gottes auf Erden durch und wird für das öffentliche letzte Gericht aufbewahrt. Vielleicht jedoch trugen jene Frauen, die darin ein gutes Gewissen haben, daß sich ihr Herz ob des Gutes der Keuschheit nicht überhob, und die gleichwohl feindliche Gewalt an ihrem Leibe erduldeten, eine verborgene Schwachheit an sich, die sich zu Stolz und Hoffart hätte ausbilden können, wenn sie der Demütigung bei jener Verwüstung entgangen wären. Wie also „manche vom Tode hinweggerafft worden sind, damit die Bosheit ihren Sinn nicht verkehre“[70] , so ist ihnen etwas mit Gewalt entrissen worden, damit nicht ein glücklicher Ausgang ihre Bescheidenheit verkehre. Demnach wurde denen, die sich ihres Leibes deshalb, weil er von niemand schändliche Berührung erduldet habe, rühmten oder sich etwa hätten rühmen können, falls nicht einmal feindliche Gewalt an ihn herangekommen wäre, nicht etwa die Keuschheit benommen, wohl aber Demut beigebracht; die einen wurden von der ihnen schon innewohnenden Hoffart befreit, die andern gegen die erst drohende gefeit.

Es wäre doch auch noch zu erwähnen, daß manche dieser Frauen vielleicht in dem Irrtum befangen waren, das Gut der Enthaltsamkeit gehöre zu den leiblichen Gütern und sein Bestand hänge davon ab, daß der Leib nicht durch die Lust eines andern befleckt werde; es bestehe also nicht ausschließlich in der von Gott unterstützten Kraft des Willens, an Leib und Geist heilig zu sein, und sei nicht ein Gut, das wider den Willen des Geistes gar nicht entrissen werden könne; ein Irrtum, der ihnen vielleicht nun benommen worden ist. Wenn sie nämlich daran denken, mit welcher Gewissenhaftigkeit sie Gott gedient haben, wenn sie mit unerschütterlichem Glauben von ihm annehmen, daß er die, die ihm so dienen und ihn anrufen, keineswegs verlassen kann, wenn sie daran nicht zweifeln können, daß ihm die Keuschheit gar sehr gefällt, so werden sie daraus von selbst den Schluß ziehen, Gott hätte gewiß nicht zugelassen, daß derlei seinen Heiligen widerfährt, wenn auf diese Weise die Heiligkeit vernichtet werden könnte, die er ihnen verliehen hat und die er an ihnen liebt.

29. Was soll also die Gefolgschaft Christi den Ungläubigen entgegnen auf den Vorhalt, daß Christus die Seinen vor der Wut der Feinde nicht geschützt habe?

Somit hat die ganze Gefolgschaft des höchsten und wahren Gottes ihren Trost, und zwar nicht einen trügerischen, auch nicht einen, der auf wankenden und schwankenden Grund seine Hoffnung baut; und das Leben auf Erden gilt ihr durchaus nicht als ein Gegenstand des Überdrusses, sondern als die Schule für das ewige Leben, indem sie die irdischen Güter nach Art eines Wanderers gebraucht, ohne sich an sie zu fesseln, an den Übeln hingegen ihre Prüfung oder ihre Läuterung durchmacht. Die Spötter über ihre Rechtlichkeit aber, die ihr zurufen, wenn sie in zeitliche Übel gerät: „Wo ist denn dein Gott?“[71] , mögen selbst Rede stehen, wo denn ihre Götter sind, wenn Leiden über sie kommen, zu deren Hintanhaltung sie doch ihre Götter verehren oder deren Verehrung zur Pflicht machen wollen. Denn die Christengemeinde erwidert: Unser Gott ist überall gegenwärtig, überall ganz, nirgends eingeschlossen, er kann unsichtbar anwesend, ohne sich zu bewegen abwesend sein; wenn er uns mit Unglück heimsucht, so geschieht es, um Verdienste zu erproben oder Sünden zu strafen, und er hat für uns einen ewigen Lohn für fromm erduldete zeitliche Übel in Bereitschaft; ihr aber, wer seid ihr, daß man mit euch auch nur über eure Götter reden sollte, geschweige denn über unsern Gott, der „furchtbar ist über alle Götter; denn alle Götter der Heiden sind Dämonen, der Herr aber hat die Himmel gemacht“[72] .

30. Die Ankläger der christlichen Zeiten möchten in schändlichem Überfluß schwelgen können.

Wenn Scipio Nasica, weiland euer Oberpriester, noch lebte, den einst der Senat einhellig bestimmte, als es sich unter den Schrecken des punischen Krieges um die Überführung der phrygischen Heiligtümer[73] handelte und man den besten Mann ausfindig machen wollte, er, dem ihr vielleicht nicht ins Angesicht zu sehen wagtet, er würde euch von solcher Unverschämtheit zurückhalten. Denn ihr beklagt euch in dieser Heimsuchung doch nur deshalb über die christlichen Zeiten, weil ihr eure Schwelgerei gesichert wissen und ohne jede Belästigung durch Mühseligkeiten euren ganz verwerflichen Sitten fröhnen möchtet[74] . Nicht deshalb etwa wünscht ihr Friede und Überfluß aller Art, um solche Güter in Ehren zu gebrauchen, d. h. bescheiden, vernünftig, mäßig und fromm, sondern um in unsinniger Verschwendung immer neue Vergnügungen damit zu erjagen und so durch das Glück moralische Übel heraufzubeschwören, die schlimmer sind als feindliches Wüten. Euer Oberpriester Scipio aber, der trefflichste Mann nach dem Urteil des ganzen Senates, fürchtete solches Unheil für euch und wollte nicht zugeben, daß Karthago, damals die Nebenbuhlerin Roms, zerstört werde[75] ; er widersprach Cato, der auf die Zerstörung drang, weil er befürchtete, die Sicherheit werde sich als Feindin der schwachen Gemüter erweisen, und sah ein, daß den gleichsam unmündigen Bürgern der Schrecken als der rechte Vormund nötig sei. Und er täuschte sich nicht; die Tatsachen haben erwiesen, wie sehr er recht hatte. Denn kaum war Karthago zerstört und so das große Schrecknis des römischen Staates verscheucht und beseitigt, als auch schon aus dem Wohlergehen Übel erwuchsen, so mächtig, daß die Eintracht dahinschwand und zunächst in heftigen und blutigen Aufständen und bald hernach durch das Zusammenwirken unseliger Ursachen selbst in Bürgerkriegen solche Metzeleien angerichtet wurden, soviel Blut floß und unmenschlicher Sinn in solcher Sucht nach Ächtungen und Räubereien entbrannte, daß die Römer, die in ihrer unbescholtneren Periode von ihren Feinden Schlimmes zu erfahren fürchteten, nun nach Verlust der Unbescholtenheit Grausameres von ihren Mitbürgern zu erdulden hatten. Gerade die Herrschsucht, die sich unter den Gebrechen der Menschennatur beim gesamten römischen Volke besonders ausgeprägt vorfand, hat, in einigen wenigen Machthabern zum Durchbruch gelangt, die Übrigen in den Staub getreten, abgehetzt und unter das Joch der Knechtschaft gezwungen.

31. Die Stufenfolge der Laster, in der sich die Herrschsucht der Römer entwickelte.

Denn wann sollte die Herrschsucht in solch stolzen Gemütern zur Ruhe kommen, solang sie nicht durch stetige Verlängerung der Staatsämter zu königlicher Gewalt gelangte? Zur steten Verlängerung der Staatsämter böte sich aber die Möglichkeit nicht, wenn nicht Gunstbuhlerei übermächtig geworden wäre. Diese aber kann nur in einem durch Habsucht und Schwelgerei verdorbenen Volke übermächtig werden. Und hab- und genußsüchtig wurde das Volk durch das Wohlergehen, das jener Nasica mit Scharfblick vermieden wissen wollte, da er für den Fortbestand der größten, tapfersten und reichsten feindlichen Stadt eintrat, damit die Begier durch Furcht niedergehalten werde und, also niedergehalten, nicht in Schwelgerei ausarte und damit, wenn der Schwelgerei vorgebeugt wäre, auch die Habsucht nicht um sich greife und, wenn diesen Lastern ein Riegel vorgeschoben wäre, zum Wohle des Staates die Tugend blühe und wachse und eine Freiheit, wie sie solcher Tugend entspricht, Bestand habe. Aus der gleichen Erwägung und vorsorglichen Liebe zum Vaterland hat ferner eben dieser euer Oberpriester, der von dem damaligen Senate [ich kann das nicht oft genug sagen] ohne jede Meinungsverschiedenheit als der beste Mann bezeichnet wurde, den Senat von dem Vorhaben und der Absicht, einen Zuschauerraum für ein Theater zu bauen, abgebracht und ihn in einer sehr ernsten Rede dazu vermocht, nicht zu dulden, daß sich griechische Schwelgerei in die männlichen Sitten des Vaterlandes einschleiche, und nicht zuzustimmen ausländischer Schlechtigkeit zur Erschütterung und Entmannung römischer Tüchtigkeit; und soviel bewirkte sein Ansehen, daß der Senat auf seine Worte hin fürsorglich selbst die beweglichen Sitze in Zukunft bereit zu stellen verbot, die das Publikum für die Zeit des Schauspiels bereits in Benützung zu nehmen begonnen hatte. Mit welchem Eifer hätte er die Bühnenspiele selbst aus der Stadt Rom verbannt, wenn er dem Willen derer sich zu widersetzen gewagt hätte, die er für Götter hielt und nicht als feindselige Dämonen erkannte oder, wenn er sie richtig erkannte, doch auch seinerseits lieber günstig stimmen als verachten zu sollen glaubte. Denn noch war den Völkern nicht die Lehre von oben verkündet, die durch den Glauben das Herz reinigt und dem Streben des Menschen in demütiger Frömmigkeit die Richtung auf das Ergreifen der himmlischen oder überhimmlischen Güter gegeben und es von der Herrschaft hochfahrender Dämonen befreit hätte.

32. Die Einführung der Bühnenspiele.

Indes ihr, die ihr murret gegen den Befreier von solcher Herrschaft, wisset, wenn ihr es nicht wißt, und schauet den Tatsachen ins Gesicht, wenn ihr sie kennt und nicht gestehen wollt: die Bühnenspiele, diese Schaustellungen von Schändlichkeiten und diese Freistätten der Nichtswürdigkeit, sind nicht durch die Lasterhaftigkeit der Menschen, sondern auf Befehl eurer Götter in Rom eingeführt worden. Erträglicher wäre es, wenn ihr jenem Scipio göttliche Ehren erwieset, als daß ihr solche Götter verehrtet. Denn sie waren nicht besser als ihre Oberpriester. Sehet doch einmal zu, falls die durch lang eingeschlürfte Irrtümer herbeigeführte geistige Be-nebelung euch nicht hindert am vernünftigen Denken! Zur Bannung einer leiblichen Pest[76] befahlen die Götter die Aufführung von Bühnenspielen; der Oberpriester aber verbot zur Fernhaltung einer geistigen Pest die Erbauung einer Bühne. Seid ihr hell genug, um den Geist über den Leib zu stellen, so wählet, wen ihr verehren sollt. Übrigens erlosch die Pest dadurch nicht, daß sich bei einem kriegerischen und vorher nur an gymnastische Spiele gewohnten Volke der wollüstige Aberwitz der szenischen Spiele einschlich; vielmehr haben die verruchten Geister in ihrer Verschmitztheit, wohl wissend, daß die Pest ohnehin von selbst bald aufhören werde, bei diesem Anlaß eine andere, weit schlimmere Pest, an der sie ihre größte Freude haben, nicht den Leibern, sondern den Sitten einzuimpfen verstanden, eine Pest, die den Geist dieser Unglücklichen mit solcher Finsternis schlug, so gräulich verwüstete, daß selbst jetzt — die Nachwelt wird es vielleicht kaum glauben können — nach Zerstörung der Stadt Rom die, welche von dieser Pest befallen sind und von Rom nach Karthago entkamen, in den Theatern Tag für Tag um die Wette für die Schauspieler rasten.

33. Der Untergang der Vaterstadt vermochte die Römer nicht zu bessern.

Welche Verwüstung des Geistes! Tollwut ist es, nicht mehr bloß Irrwahn, daß ihr, während die Völker des Orients laut der Berichte euern Untergang bejammern und die größten Städte in den entlegensten Ländern öffentlich trauern und klagen, nach Theatern Gelüste hattet, sie besuchtet, sie bis auf den letzten Platz anfülltet und euch unsinniger gebärdetet als zuvor. Das ist jene Fäulnis und Pest der Seelen, jene Vernichtung aller Rechtschaffenheit und Ehrbarkeit, um die Scipio für euch bangte, als er die Erbauung von Theatern verhinderte, da er vorhersah, ihr würdet durch Wohlergehen leicht verdorben werden und umkommen, da er euch vor feindlichen Schrecken nicht sicher gestellt wissen wollte. Denn er war nicht der Meinung, daß der Staat glücklich sei, wenn nur die Mauern feststehen, während es mit den Sitten abwärts geht. Aber bei euch haben gottlose Dämonen mit ihren Verführungskünsten mehr vermocht, als weitblickende Männer mit ihren Vorsichtsmaßregeln. Daher kommt es, daß ihr für das Schlimme, was ihr tut, nicht verantwortlich sein wollt, dagegen für das Schlimme, das ihr erduldet, die christlichen Zeiten verantwortlich macht. Denn nicht ist euch um Sicherheit zu tun, damit das Staatswesen in Ordnung sei, sondern damit ihr ungestraft schwelgen könnet, ihr, die ihr, durch Glück verdorben, nicht einmal durch Unglück gebessert werden konntet. Scipio wollte euch durch einen Feind in Atem halten, damit ihr nicht in Üppigkeit versänket; aber ihr habt nicht einmal, als euch der Feind den Fuß auf den Nacken setzte, der Üppigkeit Einhalt getan; ihr habt keinen Nutzen aus dem Unheil gezogen; ihr seid ins tiefste Elend geraten und dadurch um kein Haar besser geworden.


34. Gottes Güte ist es, die den Untergang der Stadt gemildert hat.

Und doch ist euer Überleben Gnade von Gott, der euch durch die Schonung mahnt, euch durch Buße zu bessern, der euch trotz eurer Undankbarkeit den Händen der Feinde entrinnen ließ, und zwar unter dem Namen seiner Diener, an den Stätten seiner Märtyrer. Romulus und Remus sollen eine Freistatt bestimmt haben, wo jeder, der dorthin flüchtete, von aller Strafe frei sein sollte, in der Absicht, die Bevölkerung der entstehenden Stadt zu mehren. Ein Vorbild, das wunderbar zur Ehre Christi sich gestaltete. Die Zerstörer der Stadt bestimmten das gleiche, was einst die Gründer bestimmt hatten. Allein was ist daran großartiges, wenn die Gründer das taten, um die Zahl ihrer Bürger zu ergänzen, während die Zerstörer es taten, um eine große Zahl ihrer Feinde zu erretten!


35. Kinder der Kirche in den Reihen der Gottlosen und falsche Christen innerhalb der Kirche.

Diese und ähnliche, nach Gelegenheit ausführlichere Erwiderungen mag die erlöste Gefolgschaft Christi des Herrn und der pilgernde Staat Christi des Königs den Feinden entgegenhalten. Sie sollen indes dabei stets vor Augen haben, daß unter diesen Feinden auch künftige Mitbürger verborgen sind, damit sie es wenigstens bei diesen nicht für vergebliche Geduld halten, ihre Anfeindungen zu ertragen, bis aus ihnen Anfänger werden; wie ja auch hinwieder der Gottesstaat, solang er hienieden pilgert, bei sich solche aus den Reihen der Feinde birgt, die verbunden sind mit ihm durch die Gemeinschaft der Sakramente, doch nicht mit ihm teilnehmen werden an dem ewigen Lose der Heiligen; sie scheuen sich nicht einmal, mit den Feinden zu murren gegen den Gott, dem sie zugeschworen haben, und füllen bald mit diesen die Theater, bald mit uns die Kirchen. An der Besserung mancher auch von ihnen darf man jedoch umso weniger verzweifeln, da unter den offenkundigsten Gegnern prädestinierte Freunde verborgen weilen, sich selbst unbewußt. Denn die beiden Staaten sind in dieser Welt ineinander verschlungen und mit einander vermischt, bis sie durch das letzte Gericht getrennt werden. Über deren Ursprung, Fortgang und gebührendes Ende werde ich, soweit Gottes Hilfe mir beisteht, zum Ruhme des Gottesstaates, der durch den Vergleich mit dem Gegenteil umso heller erstrahlt, auseinandersetzen, was ich zu sagen für nötig erachte.


36. Gegenstand der folgenden Erörterungen.

Ich habe jedoch zunächst noch einiges vorzubringen wider die, welche die Niederlage des römischen Staates auf unsere Religion zurückführen, sofern sie durch diese gehindert werden, ihren Göttern zu opfern. Es muß nämlich hingewiesen werden — wie es sich gibt oder soweit es nötig erscheint — auf die schweren Übel, die der römische Staat und die seiner Herrschaft unterstellten Provinzen erlitten, bevor ihre Opfer verboten wurden; all das würden sie ja ohne Zweifel uns auf Rechnung schreiben, wenn damals schon unsere Religion in ihrem Glänze erstrahlt wäre oder so wie jetzt ihrem gotteslästerlichen Kulte gewehrt hätte. Sodann soll gezeigt werden[77] , um welcher Eigenschaften willen und warum zur Ausbreitung des Reiches ihnen beigestanden ist der wahre Gott, in dessen Gewalt alle Reiche sind, und wie so gar nicht ihnen die beistanden, die sie für Götter halten, ja wie sehr sie ihnen durch Täuschung und Trug schadeten. Zuletzt werden sich die Ausführungen gegen die richten, die trotz der offenkundigsten Gegenbeweise behaupten wollen, man müsse zwar nicht wegen eines Nutzens in diesem Leben, wohl aber wegen des Lebens nach dem Tode die Götter verehren. Diese Untersuchung wird, wenn ich recht sehe, mühsamer sein und eine eindringendere Erörterung verdienen in der Weise, daß dabei auch gegen die Philosophen zu disputieren sein wird — nicht gegen alle und jeden, sondern gegen die, welche bei ihnen im höchsten Ansehen stehen und in vielen Dingen mit uns der gleichen Meinung sind —, sowohl hinsichtlich der Unsterblichkeit der Seele, wie hinsichtlich Erschaffung der Welt durch den wahren Gott und hinsichtlich der Vorsehung, womit er das Weltall leitet. Weil jedoch auch diese Philosophen in den Punkten, worin sie eine gegenteilige Meinung vertreten, widerlegt werden müssen, so dürfen wir uns dieser Pflicht nicht entziehen, um nach Zurückweisung ihrer gottlosen Einwürfe den Gottesstaat, die wahre Frömmigkeit und die Gottesverehrung, die allein und wahrhaft die Verheißung ewiger Seligkeit hat, mit allem Nachdruck, soweit Gott die Kraft verleiht, in positiven Ausführungen darzulegen. Darum sei hier der Schluß des Buches gemacht, um den weiteren Plan mit einem neuen Anfang aufzugreifen.

Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 1

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