Читать книгу Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 1 - Augustinus von Hippo - Страница 7
3. Buch
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1. Die Widerwärtigkeiten, die allein die Furcht der Bösen zu erregen vermögen, hat die Welt, als sie die Götter verehrte, zu allen Zeiten zu erdulden gehabt.
Hinsichtlich der Schäden an Sitte und Gesinnung, die man vor allem hintanzuhalten hat, glaube ich nunmehr hinreichend erwiesen zu haben, daß die falschen Götter sich durchaus nicht bemüht haben, dem sie verehrenden Volke beizuspringen, damit es nicht unter der Last solcher Schäden erdrückt werde, sondern daß sie im Gegenteil darauf hinarbeiteten, es möglichst tief hineingeraten zu lassen. Jetzt sehe ich mich veranlaßt, von den Übeln zu sprechen, die die einzigen sind, von denen die Heiden nicht betroffen werden wollen, wie Hungersnot, Krankheit, Krieg, Plünderung, Gefangenschaft, Niedermetzelung und was ich sonst dergleichen schon im ersten Buch erwähnt habe. Derlei nämlich halten die Schlimmen für das einzig Schlimme, obwohl es nicht schlimm macht; und sie schämen sich nicht, mitten unter den Gütern, die sie rühmen, selbst schlecht zu sein, und mehr Ärger bereitet ihnen ihr Meierhof, wenn er schlecht bestellt ist, als ihr schlechtes Leben, gleich als wäre es das höchste Gut des Menschen, all das Seine in gutem Stand zu haben und nur sich selbst nicht. Indes auch solche Übel, die allein ihre Furcht erwecken, haben ihre Götter, als sie noch ohne Hindernis von ihnen verehrt wurden, nicht ferngehalten von ihnen. Denn zu der Zeit, da vor der Ankunft unseres Erlösers das Menschengeschlecht bald da bald dort und wiederholt von unzähligen und selbst unglaublichen Heimsuchungen erschüttert wurde, da verehrte die Welt keine andern Götter, nur das jüdische Volk ausgenommen und einige außerhalb desselben überall da, wo es nach dem ebenso geheimen als gerechten Urteil Gottes solche gab, die der göttlichen Gnade würdig waren. Um jedoch nicht zu sehr ins weite zu schweifen, werde ich von den schweren Leiden, die andere Völker allenthalben trafen, nichts erwähnen und mich in meinen Ausführungen auf Rom und das römische Reich beschränken, d. h. auf das, was die Stadt selbst und die Länder, die mit ihr durch Bundesgenossenschaft vereint oder ihr durch Vertrag unterstellt sind, vor der Ankunft Christi, aber nach ihrer Angliederung an den römischen Staatskörper, zu erdulden hatten.
2. Haben die Götter, die von den Römern ebenso wie von den Griechen verehrt wurden, ihre Gründe gehabt, Ilion der Zerstörung preiszugeben?
Zuerst von Troja oder Ilion selbst, wo die Wiege des römischen Volkes stand und wo man [ich habe dies schon im ersten Buche berührt[126] und man darf es nicht übergehen oder übersehen] die gleichen Götter hatte und verehrte: warum wurde die Stadt von den Griechen überwunden, erobert und zerstört? Man erwidert: „Priamus mußte für den Meineid seines Vaters Laomedon büßen“[127] . Demnach verhält es sich wirklich so, daß Apollo und Neptun dem Laomedon Taglöhnerdienste geleistet hatten? Denn eben diesen beiden soll er Lohn zugesagt und dann den Eid gebrochen haben. Wie merkwürdig! Apollo, den man den Seher nennt, mühte sich mit so schwerer Arbeit und wußte nicht, daß Laomedon sein Versprechen nicht halten würde. Freilich steht es auch seinem Oheim Neptun, dem Bruder des Jupiter, dem Beherrscher des Meeres, schlecht genug an, keine Kenntnis der Zukunft zu haben. Denn diesen läßt Homer[128] , der doch vor der Gründung Roms gelebt haben soll, über die Nachkommenschaft des Äneas, des Stammvaters der Gründer Roms, eine wichtige Prophezeiung aussprechen; auch entriß Neptun den Äneas, wie Homer erzählt, in einer Wolke der mörderischen Hand des Achilles, „obgleich er“, wie er bei Vergil[129] bekennt,
„das eidschwurbrüchige Troja
Das er selber erbaut, von Grund aus zu tilgen bereit war“.
Es war also so erhabenen Göttern wie Neptun und Apollo verborgen, daß ihnen Laomedon den Lohn vorenthalten würde, und sie führten, ohne Lohn oder Dank zu ernten, den Bau der Mauern von Troja. Da weiß man doch eigentlich nicht, was ärger ist, an solche Götter zu glauben oder solchen Göttern meineidig zu werden. Hat ja Homer selbst diese Fabel schwerlich geglaubt; denn er läßt zwar Neptun gegen die Trojaner, Apollo aber für sie kämpfen, während doch nach der Fabel beide durch den Eidbruch gereizt waren. Wenn sie also an die Fabeln glauben, so müssen sie sich der Verehrung solcher Gottheiten schämen; wenn sie an die Fabeln nicht glauben, dann dürfen sie sich auch nicht auf den Eidbruch der Trojaner berufen, oder sie müssen es recht sonderbar finden, daß die Götter den Eidbruch bei den Trojanern straften, bei den Römern dagegen ganz gerne sahen. Wie wäre es sonst möglich gewesen, daß sich „in dem großen und sehr herabgekommenen Staat“ um Catilina bei seiner Verschwörung auch eine Masse von Leuten scharte, „denen Hand und Zunge durch Eidbruch oder Bürgerblut den Lebensunterhalt verschaffte“[130] ? Wodurch sonst als durch Meineid sündigten die Senatoren, wenn sie sich beim Rechtsprechen, sündigten die Bürger, wenn sie sich bei Wahlen oder sonstigen Anlässen, welche Bürgerversammlungen beschäftigten, unzähligemal bestechen ließen? Denn wenn bei der allgemeinen Sittenverderbnis der alte Brauch der Eidesleistung beibehalten wurde, so geschah das nicht, um durch religiöse Scheu von Verbrechen abzuhalten, sondern um zu den übrigen Verbrechen auch noch Meineide zu häufen.
3. Auch der Ehebruch des Paris kann den Zorn der Götter nicht erregt haben, da sie ja selbst miteinander Ehebruch begingen.
Es ist also keine Berechtigung zu der Annahme vorhanden, daß die Götter, die angeblichen „Stützen des Reiches“[131] , als sie der Übermacht der Griechen erlagen, den Trojanern ob ihrer Eidbrüchigkeit gezürnt hätten. Ebensowenig hat der Ehebruch des Paris[132] , wie manche zur Entschuldigung der Götter vorbringen, ihren Groll erregt und sie bestimmt, Troja im Stich zu lassen. Liegt es ihnen doch viel näher, zu Sünden anzureizen und anzuleiten als sie zu strafen. „Die Stadt Rom“, sagt Sallust[133] , „wurde, wie ich vernommen habe, erstmals gegründet und besetzt von den Trojanern, die als Flüchtlinge unter Anführung des Äneas ohne festen Sitz umherirrten“. Hätten also die Götter den Ehebruch des Paris strafen zu sollen geglaubt, so hätten sie für dieselbe Schandtat noch mehr oder doch auch die Römer strafen müssen, weil die Mutter des Äneas[134] einen solchen beging. Aber wie hätten sie an Paris eine Schandtat verabscheuen sollen, die sie an ihrer Genossin Venus nicht verabscheuten, den Ehebruch meine ich [um mich auf dieses eine zu beschränken], den sie mit Anchises beging und dessen Frucht Äneas war? Etwa deshalb, weil sich Menelaos über jene Schandtat entrüstete, während zu dieser Vulcanus ein Auge zudrückte? Die Götter sind nämlich, denke ich, nicht eifersüchtig auf ihre Gemahlinnen, so wenig, daß sie sich nichts daraus machen, sie auch mit Menschen zu teilen. Aber vielleicht macht man geltend, es seien nur Fabeln, gegen die ich meinen Spott kehre, und ich behandle eine so gewichtige Sache nicht ernst genug. Gut, so wollen wir annehmen, wenn es beliebt, Äneas sei nicht der Sohn der Venus. Ich bin damit einverstanden, nur darf man dann auch den Romulus nicht für einen Sohn des Mars ausgeben wollen. War er dies, warum sollte nicht Äneas der Sohn der Venus gewesen sein? Oder dürfen zwar Götter mit sterblichen Weibern, nicht aber sterbliche Männer mit Göttinen geschlechtlichen Umgang pflegen? Es wäre doch eine harte oder vielmehr unglaubliche Bestimmung, die der Venus in ihrer eigenen Rechtssphäre das verwehrt, was nach dem Rechte derselben Venus dem Mars in geschlechtlichem Umgang erlaubt war. Indes das eine wie das andere hat bei den Römern Billigung gefunden. Denn ebenso wie in alten Zeiten Romulus den Mars für seinen Vater hielt, hat in neueren Zeiten Cäsar die Venus für seine Ahnfrau gehalten.
4. Varros Meinung über den Vorteil, den es biete, wenn sich Menschen der Wahrheit zuwider für Göttersöhne ausgeben.
Ja glaubst du denn so etwas? hält man mir entgegen. Nein, ich glaube es nicht. Gesteht ja auch Varro, einer ihrer gelehrtesten Männer, wenn auch nicht mit rückhaltloser Entschiedenheit, doch halb und halb die Unrichtigkeit solcher Annahmen zu. Aber er meint, es sei für die Staaten ersprießlich, wenn sich tapfere Männer, ob auch irrigerweise, für Göttersöhne hielten, damit so der menschliche Geist, im Vertrauen auf seine vermeintlich göttliche Abkunft, sich kühner an große Unternehmungen heranwage, sie energischer betreibe und so gerade durch die Zuversichtlichkeit glücklich durchführe. Es ist begreiflich, daß diese Ansicht Varros, die ich so gut wie möglich mit meinen eigenen Worten wiedergegeben habe, der Unwahrheit Tür und Tor öffnet, und leicht verstehen wir, daß sich da, „wo man sogar Lügen über die Götter selbst als vorteilhaft für die Bürger erachtete, ein weites Feld für mythologische Erdichtungen auftat.
5. Es läßt sich nicht beweisen, daß die Götter den Ehebruch des Paris bestraften; denn sie haben an der Mutter des Romulus die Unzucht nicht gerächt.
Lassen wir es jedoch dahingestellt, ob es möglich sei, daß Venus von Anchises den Äneas geboren oder Mars mit der Tochter Numitors den Romulus gezeugt habe; denn so ziemlich die gleiche Frage entsteht auch auf Grund unserer Schriften[135] , nämlich ob die abgefallenen Engel mit Töchtern von Menschen Umgang gehabt haben, woraus Giganten d. i. überaus große und starke Männer hervorgingen, die damals die Erde erfüllten. Deshalb muß unsere Erörterung immerhin auch mit der Möglichkeit des Falles rechnen. Wenn also das wahr ist, was man in den Schriften allenthalben über die Mutter des Äneas und den Vater des Romulus liest, wie können dann den Göttern die Ehebrüche der Menschen mißfallen, da sie ihre eigenen gegenseitig in Eintracht ertragen? Ist das aber unwahr, so können sie gleichwohl über wirkliche Ehebrüche der Menschen nicht zürnen, weil sie an den ihnen angedichteten Freude haben. Dazu kommt, daß sich die Sache der Mutter des Romulus sehr verschlechtert, wenn man den Bericht über den Ehebruch des Mars nicht glaubt, um den Ehebruch der Venus in Abrede stellen zu können [Diesen nämlich mussten die in Abrede stellen, die den Ehebruch des Paris als Ursache des Zornes der Götter und der Zerstörung Trojas betrachteten]; denn in diesem Fall tritt für die Mutter des Romulus kein Beilager eines Gottes rechtfertigend ein. Und sie war doch Priesterin der Vesta, und deshalb hätten die Götter eher an den Römern diesen schweren Religionsfrevel strafen sollen als an den Trojanern den Ehebruch des Paris. Haben ja selbst die Römer in alter Zeit die der Unzucht überführten Priesterinnen der Vesta lebendig begraben, während sie ehebrecherische Frauen zwar auch mit Strafe, aber doch nicht mit der Todesstrafe belegten; um soviel strenger straften sie die Entweihung dessen, was nach ihrer Meinung ausschließlich den Göttern zugehören sollte, als die Schändung des Ehebettes.
6. Die Götter haben auch den Brudermord des Romulus nicht gestraft.
Ein anderes Beispiel: Hätten diese Gottheiten an den Sünden der Menschen Mißfallen gehabt und deshalb, durch die Untat des Paris gereizt, Troja im Stiche gelassen und es dem Feuer und Schwert überantwortet, so würde sie der Brudermord des Romulus noch mehr wider die Römer erbittert haben, als sie die Beschimpfung eines griechischen Ehemannes wider die Trojaner erbitterte; mehr noch hätte sie der Brudermord in einem eben erst entstehenden Staate gereizt als der Ehebruch in einem schon blühenden Staate. Es macht dabei für die Frage, die uns hier beschäftigt, keinen Unterschied, ob Romulus dazu nur den Befehl gegeben oder ob er die Tat eigenhändig vollführt hat, was die einen keck in Abrede stellen, andere aus Verlegenheit in Zweifel ziehen und wieder andere aus schmerzlicher Empfindung nicht hören wollen. Auch wir werden uns bei der genaueren Untersuchung dieser Frage, wozu wir die Nachrichten vieler Schriftsteller heranziehen und abwägen müßten, nicht aufhalten; soviel steht fest, daß der Bruder des Romulus öffentlich ermordet wurde, und zwar nicht von Feinden noch von Auswärtigen. Romulus nun war unumschränkter Herr in Rom, weit mehr als Paris in Troja[136] ; wenn also er die Tat begangen oder anbefohlen hat, warum hat Paris, der Entführer einer fremden Gemahlin, den Zorn der Götter über die Trojaner heraufbeschworen, während Romulus, der Mörder seines Bruders, den Schutz derselben Götter über die Römer herabzog? Wenn aber Romulus mit diesem Verbrechen nichts zu schaffen hat, weder durch Ausführung noch durch Anordnung einer Tat, die doch unbedingt Strafe heischte, so ist der ganze Staat in das Verbrechen verwickelt, weil er es nicht geahndet hat, und dann handelt es sich nicht um einen Brudermord, sondern, was noch schlimmer ist, um einen Vatermord. Denn Gründer des Staates war der eine wie der andere, nur dass der eine, durch ruchlosen Mord hinweggerafft, nicht zur Herrschaft gelangen sollte. Es läßt sich also überhaupt nicht angeben, welches Mißverdienst Troja auf sich geladen habe, daß es von den Göttern im Stich gelassen worden wäre, wodurch es dem Untergang hätte anheimfallen können, noch auch welches Verdienst Rom erworben habe, daß es von den Göttern zum Wohnsitz wäre auserkoren worden, wodurch es hätte aufblühen können; nichts ist geschehen, als daß die Götter besiegt von dort flohen und sich zu den Römern begaben, um diese ebenso zu betrügen; oder vielmehr sie blieben dort, auf der Stätte von Troja, um die neuen Ansiedler jener Gegend nach ihrer Art wieder zu betrügen, und erfreuten sich in Rom, wo sie die nämlichen Künste der Berückung ärger trieben, noch größerer Ehren.
7. Die Zerstörung Ilions durch Fimbria, dem Feldherrn des Marius.
Denn was hat doch nachmals, schon während der Wirren des Bürgerkrieges, Ilion Schreckliches begangen, daß es von Fimbria, dem verworfensten Mitglied der Partei des Marius, mit viel größerer Roheit und Grausamkeit als ehedem von den Griechen zerstört wurde? Hatten sich dazumal viele geflüchtet und andere, wenn auch in Sklaverei geraten, doch ihr Leben gerettet, so gab Fimbria vorher die Weisung, niemand zu verschonen, und ließ die ganze Stadt mit all ihren Einwohnern verbrennen. Das mußte Ilion erleiden nicht von den Griechen, die es doch durch seinen Frevel gereizt hatte, sondern von Römern, die seinem Unglück ihr Dasein verdankten, und dabei haben den Iliern die gemeinsamen Götter keinerlei Hilfe zur Abwehr solchen Unheils angedeihen lassen oder, um die Wahrheit zu sagen, sie haben ihnen nicht helfen können. Sind etwa auch damals ,,von den Tempeln und Altären alle Götter gewichen“, auf deren Schutz die Stadt baute, die nach der früheren Einäscherung durch die Griechen aus den Trümmern wiedererstanden war? Waren sie aber entwichen, so frage ich, mit welchem Rechte, und es zeigt sich die Sache der Götter in umso schlimmerem Licht, als sich die der Einwohnerschaft ganz günstig darstellt. Die Ilier hatten nämlich dem Fimbria die Tore verschlossen, um die Stadt mit all ihren Mitteln dem Sulla zu erhalten; das war der Grund, weshalb Fimbria in seinem Zorne die Stadt anzündete oder vielmehr gänzlich zum Erlöschen brachte. Noch war aber Sulla das Haupt der besseren Partei, noch suchte er mit Waffengewalt die Verfassung wiederherzustellen; noch lag das schlimme Ende nach guten Anfängen ferne. Was hätten also die Bürger jener Stadt besseres tun können, womit hätten sie den Forderungen der Ehre und Treue mehr genügen können, als dadurch, daß sie ihre Stadt der besseren Sache der Römer erhielten und dem Hochverräter des römischen Staates ihre Tore verschlossen? Wie furchtbar ihnen jedoch dies zum Verderben ausschlug, das sollten sich die Verteidiger der Götter wohl merken. Angenommen also, die Götter hätten seinerzeit die ehebrecherischen Trojaner im Stich gelassen und das alte Ilion dem Feuerbrand der Griechen preisgegeben, damit aus der Asche eine keuschere Roma erstehe, warum haben sie dieselbe, den Römern stammverwandte Stadt nachmals wieder im Stich gelassen, die sich nicht etwa gegen ihre erlauchte Tochterstadt Rom auflehnte, sondern der gerechteren Partei ausdauernste und hingebendste Treue wahrte? Warum haben sie sie nicht wenigstens tapferen Männern aus dem Griechenvolke, sondern dem ruchlosesten unter den Römern zur Zerstörung überantwortet? Oder wenn den Göttern die Sache Sullas mißfiel, für die diese Unseligen die Stadt durch Schließung der Tore erhalten wollten, warum verhießen und verkündeten sie dann dem Sulla soviel Gutes? Entpuppen sie sich vielleicht auch hierin als Schmeichler der Glücklichen, nicht als Schutzer der Unglücklichen? Also ist auch das erstemal Ilion nicht deshalb zerstört worden, weil es von den Göttern im Stich gelassen worden war. Denn die Dämonen, stets wachsam auf alle Gelegenheiten zum Trug, haben getan, was sie vermochten. Während nämlich alle Götterbildnisse mitsamt der Stadt zerstört und verbrannt wurden, soll nach dem Bericht des Livius allein das Bild der Minerva unter den Trümmern ihres Tempels unversehrt geblieben sein, nicht mit dem Erfolg, daß man zum Ruhme der Götter sagen könnte:
„Himmlische Götter, die ihr von jeher Troja beSchutzet“[137] ,
sondern zu dem Zweck, daß man nicht zu ihrer Entschuldigung vorbringen könne:
„Sämtliche Götter entwichen von Tempeln und Opferaltären“.
Soviel zu vermögen ward ihnen nämlich gestattet, nicht als Beweis ihrer Macht, sondern als Beweis ihrer Anwesenheit.
8. Man hätte Rom den ilischen Göttern nicht anvertrauen sollen.
Wie unklug war es also doch, nach dem warnenden Falle Trojas Rom den ilischen Göttern zur Obhut anzuvertrauen! Wendet man aber etwa ein, sie hätten bereits in Rom ihren ständigen Wohnsitz aufgeschlagen gehabt, als Ilion unter den Hieben Fimbrias dahinsank, so muß man doch fragen: Was hat es dann zu bedeuten, daß das Bild der Minerva stehen blieb? Und wenn sie in Rom waren, als Fimbra Ilion zerstörte, so waren sie wohl in Ilion, als Rom selbst von den Galliern erobert und niedergebrannt wurde; jedoch mit sehr scharfem Gehör begabt und äußerst rasch in der Bewegung, wie sie sind, kehrten sie auf das Geschrei der Gans eilig zurück, um wenigstens den noch nicht eroberten kapitolinischen Hügel zu Schutzen; sie wurden eben zu spät zur Heimkehr gemahnt, um ihre schirmende Tätigkeit weiter ausdehnen zu können.
9. Ist der Friede während der Herrschaft des Numa als ein Geschenk der Götter zu erachten?
Man glaubt ferner, die Götter seien dem Nachfolger des Romulus, Numa Pompilius, zur Seite gestanden, daß er während seiner ganzen Regierungszeit Frieden hatte und die Tore des Janustempels, die in Kriegszeiten offen zu stehen pflegen, schließen konnte; und das sei geschehen, zum Lohne dafür, daß er bei den Römern viele Götterfeiern einführte. In der Tat müßte man diesem Manne zu der langjährigen Ruhe Glück wünschen, wenn er sie nur auch heilsam zu benützen und, statt verderblichen Grübeleien nachzuhängen, den wahren Gott mit wahrer Frömmigkeit zu suchen verstanden hätte. So jedoch haben zwar nicht die Götter ihm diese Ruhe gewährt, aber sie würden ihn vielleicht nicht so sehr in ihren Trug verstrickt haben, hätten sie ihn voll Unmuße antroffen. Je weniger sie ihn nämlich beschäftigt fanden, umso mehr haben sie ihn beschäftigt. Aus Varro erfahren wir ja, wie Numa sich bemühte und durch welche Künste es ihm möglich wurde, solche Götter an sich und seine Stadt zu ketten; doch davon, so Gott will, an anderer Stelle ausführlicher[138] . Hier aber, wo von den Wohltaten der Götter die Rede ist, sei gerne zugegeben, daß der Friede eine große Wohltat ist, aber er ist eine Wohltat des wahren Gottes, die er zumeist, wie Sonne, Regen[139] und andere Lebenshilfen, auch Undankbaren und Nichtswürdigen zuteil werden läßt. Wenn jedoch die Götter dieses herrliche Gut der Stadt oder dem Numa verliehen, warum haben sie es dem römischen Reich nachmals nie mehr gewährt, auch nicht in seinen preiswürdigen Zeiten? Waren etwa die Götterfeiern zur Zeit ihrer Einführung wirksamer als bei den späteren Begehungen? Aber damals bestanden sie ja noch gar nicht und wurden erst aufgebracht, damit sie vorhanden wären; später dagegen bestanden sie und wurden durchgemacht, damit sie Vorteile verschafften. Woran liegt es also, daß jene dreiundvierzig oder nach anderen neununddreißig Jahre der Regierung Numas in ununterbrochenem Frieden dahingingen, während später, als die Götterfeiern eingeführt waren und die Götter selbst, die durch diese religiösen Feiern eingeladen worden waren, den Schutz und Schirm übernommen hatten, in der langen Reihe der Jahre bis auf Augustus herab als äußerst seltener Fall kaum ein einziges Jahr — nach dem ersten punischen Krieg — erwähnt wird, in welchem die Römer die Kriegspforten schließen konnten?
10. War es wünschenswert, daß sich das römische Reich durch so wütende Kämpfe vergrößerte, da es doch bei der unter Numa eingeschlagenen Richtung in Ruhe und Sicherheit hätte existieren können?
Man wird darauf etwa erwidern, daß das römische Reich eben nur durch langwierige und beständige Kriege eine so gewaltige Ausdehnung erlangen und sich zu so großartigem Ruhme emporschwingen konnte. Wahrlich ein triftiger Grund! Warum sollte sich das Reich der Ruhe berauben, um groß zu werden? Ist es, um einen Vergleich mit dem Menschenleib zu gebrauchen, nicht besser, eine mäßige Statur zu haben und dabei gesund zu sein, als unter fortwährenden Drangsalen eine riesenhafte Größe zu erreichen und auch nachher nicht zur Ruhe zu kommen, sondern von umso schlimmeren Übeln heimgesucht zu werden, je mächtiger die Glieder herangewachsen sind? Was wäre Schlimmes dabei gewesen oder vielmehr wäre es nicht das Beste gewesen, wenn die Zeiten fortgedauert hätten, von denen Sallust[140] in aller Kürze berichtet: „Zunächst also huldigten die Könige [dies nämlich war in den Ländern der früheste Name zur Bezeichnung einer Herrschgewalt] verschiedenen Richtungen; die einen bildeten den Geist aus, die andern die leibliche Tüchtigkeit; noch floß das Leben der Menschen ohne Begehrlichkeit dahin; jeder hatte an dem Seinigen sein Genügen“. War es denn nötig, die machtvolle Ausdehnung des Reiches zu betreiben um einen Preis, den Vergil[141] verurteilt mit den Worten:
„Bis daß andere Zeit, allmählich entartet und schlechter,
Nachkam, und das Rasen des Krieges und gierige Habsucht“.
Doch die Römer berufen sich zu ihrer Verteidigung wegen der zahlreichen Kriege, die sie unternahmen und durchführten, darauf, daß nicht die Sucht nach irdischem Ruhm, sondern die Pflicht, Wohlfahrt und Freiheit zu Schutzen, sie immer wieder zwang die Waffen zu ergreifen gegen Feinde, die voll Ungestüm auf sie eindrangen. Mag sein. Schreibt ja doch Sallust[142] selbst: „Nachdem einmal das Gemeinwesen der Römer durch Ausbildung der Gesetze, durch sittliche Kräftigung und Vermehrung des Landbesitzes eine ziemlich hohe Stufe der Macht und des Glückes erstiegen hatte, wurde der blühende Zustand, wie es eben in der Welt zu geschehen pflegt, Gegenstand des Neides. Daher versuchten die Könige und die Völker der Nachbarschaft bewaffnete Angriffe; nur wenige Freunde leisteten Hilfe; die übrigen hielten sich aus Furcht zur Zeit der Gefahr ferne. Allein die Römer, im Frieden und im Krieg auf der Hut, waren rasch, rüsteten, trieben einander an; sie zogen gegen den Feind und schützten Freiheit, Vaterland und Familie mit den Waffen in der Hand. Und nachdem sie durch ihre Tapferkeit die Gefahren beschworen hatten, brachten sie ihren Bundesgenossen und Freunden Hilfe und gewannen Verbindungen mehr durch Gewährung als durch Annahme von Dienstleistungen“. Es war natürlich, daß Rom durch solche Maßnahmen heranwuchs. Aber der lange Friede unter der Regierung des Numa, bestand er, trotzdem unrechtmäßige Angriffe erfolgten, oder bestand er, weil nichts dergleichen stattfand? Wenn nämlich auch damals Rom durch Angriffe herausgefordert wurde, ohne daß man der Waffengewalt mit Waffengewalt begegnete, so hätte man die Kunst, Feinde ohne Niederlage im Kampfe, ohne die Schrecken eines Angriffs zur Ruhe zu bringen, nur allzeit anwenden dürfen und Rom wäre im tiefsten Frieden zur Herrschaft gelangt, ohne daß jemals die Pforten des Janustempels hätten geöffnet werden müssen. War dies nicht möglich, so hing eben der Friede nicht von dem Willen der Götter, sondern von dem Willen der Grenznachbarn ringsherum ab und bestand, solange diese Rom nicht durch Angriffe herausforderten; es müßte nur sein, daß diese Götter sich den Menschen gegenüber auch das beizumessen die Stirne haben, was andere wollen oder nicht wollen. Nun ist allerdings den Dämonen schon aus der ihnen eigenen Bosheit daran gelegen, Einfluß zu erlangen auf schlechte Seelen, um sie zu schrecken oder anzureizen; allein wenn sie dazu stets die Gewalt hätten und nicht die Dinge durch eine höhere, geheime Macht ihren Bemühungen entgegen häufig anders gefügt würden, so wären ja sie stets die Herren über Friedensschlüsse und Siege, da solche fast immer von menschlichen Seelenstimmungen ausgehen; daß es aber hierin in der Regel wider ihren Willen gehe, dafür tritt nicht etwa nur die Sage, die ja neben vielem Unwahren kaum ein Körnchen Wahrheit enthält oder andeutet, sondern auch die Geschichte Roms ein.
11. Das Bildnis des Apollo von Cumä soll durch Vergießen von Tränen die Niederlage der Griechen angezeigt haben, denen es nicht helfen konnte.
Denn nur deshalb hat der Apollo von Cumä im Kriege wider die Achaier und den König Aristonikos[143] , wie berichtet wird, vier Tage lang geweint; die Zeichendeuter waren über dieses Wunder entsetzt und meinten, man solle das Bildnis ins Meer werfen; aber die Greise von Cumä erhoben Einsprache und erzählten, daß sich die gleiche wunderbare Erscheinung an demselben Bildnis im Krieg[144] wider Antiochus und Perses gezeigt habe; auch versicherten sie, daß diesem ihrem Apollo, weil die Sache damals gut ausging für die Römer, auf Grund eines Senatsbeschlusses Geschenke übermittelt worden seien. Darauf ließ man vermeintlich erfahrenere Zeichendeuter kommen und sie sprachen sich dahin aus, das Weinen des Apollobildnisses sei für die Römer eine günstige Vorbedeutung; denn Cumä sei eine griechische Kolonie und der weinende Apollo verkünde seinem eigenen Lande, aus dem er herbeigeholt worden sei, also dem Lande der Griechen, Trauer und Niederlage. Bald darauf erfuhr man, daß Aristonikos besiegt und gefangen worden sei, was dem Apollo eben nicht recht war und leid tat, wie er sogar in Tränen seines steinernen Bildnisses zum Ausdruck brachte. Demnach sind die Schilderungen, die die Dichter in ihren, wenn auch sagenhaften, so doch der Wahrheit nahekommenden Dichtungen von den Gepflogenheiten der Dämonen geben, nicht so ganz unzutreffend. So wenn bei Vergil Diana die Camilla betrauert[145] oder Herkules über den nahen Tod des Pallas weint[146] . Deshalb vielleicht hat auch Numa Pompilius, als er in der Fülle des Friedens, ohne zu wissen oder zu überlegen, wessen Gabe dieser Friede sei, mit Muße dem Gedanken nachhing, welchen Göttern er des Reiches Wohlfahrt zum Schutze anvertrauen solle, in der Meinung, der wahre, allmächtige, höchste Gott kümmere sich nicht um die irdischen Dinge, und anderseits doch mißtrauisch gegen die trojanischen Götter, die Äneas mit sich geführt hatte, die aber, wie er wohl wußte, weder das trojanische, noch das von Äneas selbst gegründete lavinische Reich lange zu erhalten vermocht, weitere Götter vorsehen zu müssen geglaubt, um in ihnen den alten Göttern, die teils schon mit Romulus nach Rom übergesiedelt waren, teils in der Folge nach der Zerstörung von Alba dorthin übersiedeln sollten, entweder als Ausreißern Wachen an die Seite zu setzen oder als Schwächlingen Helfer.
12. Wieviele Götter haben sich die Römer außer den von Numa eingeführten noch beigelegt! Und alle miteinander halfen ihnen nichts.
Doch Rom gab sich noch nicht zufrieden mit den vielen Heiligtümern, die Pompilius dort errichtet hatte. Besaß doch noch nicht einmal Jupiter seinen hochragenden Tempel; erst Tarquinius baute daselbst das Kapitol; ferner bewarb sich Äskulap von Epidaurus her um eine Stelle in Rom, damit er, der erfahrene Arzt, in der vornehmsten aller Städte seine Kunst mit noch größerem Ruhme betreiben könne; sodann auch die Göttermutter aus einem gewissen Pessinus. Es wäre doch unschicklich gewesen, wenn sie an einem unbekannten Orte steckte, während ihr Sohn bereits auf dem kapitolinischen Hügel thronte. Und noch kein Ende; wenn sie wirklich aller Götter Mutter ist, so ist sie einigen ihrer Kinder nach Rom nachgefolgt, anderen aber, die noch folgen sollten, vorangezogen. Es sollte mich allerdings wundern, wenn sie die Mutter des Kynokephalos wäre, der viel später aus Ägypten nach Rom kam. Ob auch die Göttin Febris sie zur Mutter hat, wird Äskulap, ihr Urenkel, am besten wissen; aber sie mag woher immer stammen, die zugewanderten Götter werden es, denke ich, nicht wagen, sie, die Bürgerin von Rom, für unebenbürtig zu erklären. Unter dem Schutze so vieler Götter [wer kann sie zählen, die einheimischen und die eingewanderten, die himmlischen, irdischen und unterweltlichen, die Meeres-, Quellen- und Flußgottheiten, die gewissen, wie Varro sagt[147] , und die Ungewissen und in allen Kategorien der Götter Männlein und Weiblein, wie bei den irdischen Lebewesen, also unter dem Schutze so vieler Götter hätte Rom doch nicht von so schweren und furchtbaren Unglücksfällen, deren ich einige wenige aus der großen Zahl herausgreifen werde, beunruhigt und heimgesucht werden sollen. Rom hatte eben durch seinen gewaltigen Schein wie durch ein Signal gar zu viele Götter zu seinem Schutze versammelt, ihnen Tempel und Altäre errichtet, Opfer und Priesterschaft zuerkannt und dadurch den höchsten, wahren Gott beleidigt, dem allein solche Ehren — würdig dargebracht[148] — gebühren. Glücklicher noch lebte Rom, als es nur wenige Götter hatte; aber je mehr es heranwuchs, umso zahlreichere glaubte es beiziehen zu sollen, wie ein Schiff um so mehr Seeleute braucht, je größer es ist; ich denke, man hatte keine Fiduz darauf, daß die paar Götter, unter denen Rom im Vergleich zu der späteren Entartung noch ziemlich gut gelebt hatte, zureichen würden, dem anwachsenden Rom Hilfe zu gewähren.
Zunächst nun, noch unter den Königen — Numa Pompilius ausgenommen, von dem schon oben die Rede war —, welches Unheil war der feindselige Streit, der die Ermordung des Bruders des Romulus herbeiführte!
13. Die ersten Ehen des Römervolkes, auf ihre Rechtsund Vertragsgrundlagen geprüft.
Wie ganz ohnmächtig erwies sich Juno, die mit ihrem Jupiter bereits
„Schirmte die Römer, die Herren der Welt, das Volk in Toga“[149] ,
erwies sich selbst Venus ihren Äneiden gegenüber, daß sie auf schickliche und rechtmäßige Art zu Weibern kämen! Mußte dieser Mangel so drückend werden, daß sie sich mit List Weiber raubten und darob mit ihren Schwiegervätern zu kriegen genötigt wurden, so daß die armen Frauen, ihren Männern noch grollend ob der erlittenen Unbill, nun auch noch das Blut ihrer Väter zur Mitgift erhielten? Aber es besiegten doch die Römer bei diesem Zusammenstoß ihre Nachbarn! Freilich, doch über wieviele und schwere Wunden und Morde so naher Verwandter und Angrenzer führte der Weg zu diesem Siege! Lucanus[150] klagt im Gefühle tiefen und gerechten Schmerzes mit Bezug auf einen einzigen Schwiegervater — Cäsar — und dessen einzigen Schwiegersohn — Pompejus — und zwar spricht er dabei von der Zeit, da Cäsars Tochter, die Gemahlin des Pompejus, schon gestorben war:
„Singen will ich vom Bürgerkrieg auf Emathiens Fluren
— Bürgerkrieg? O müßte ich ihn nicht härter bezeichnen! —
Und von gesetzlich geheiligtem Frevel“.
Also die Römer siegten, um mit den vom Blute der Schwiegerväter triefenden Händen von deren Töchtern jammervolle Umarmungen zu erzwingen, und ihre Weiber, die eben noch während des Kampfes nicht wußten, für wen sie ihre Gebete emporsenden sollten, hätten ihre erschlagenen Väter zu beweinen nicht wagen dürfen, um nicht ihre siegreichen Männer zu beleidigen. Solche Hochzeiten hat dem römischen Volk nicht Venus, sondern Bellona bereitet, oder vielleicht hatte Allecto, die höllische Furie, jetzt, da Juno ihnen gewogen war, mehr Gewalt gegen sie, als da sie durch Junos Bitten wider Äneas aufgereizt ward[151] . Besser noch war die kriegsgefangene Andromache[152] daran als dieses bräutliche Rom. Waren es auch erzwungene Umarmungen, die sie dem Pyrrhos[153] gewährte, so hat doch dieser nach der Vereinigung mit ihr keinen Trojaner mehr getötet; die Römer dagegen metzelten ihre Schwiegerväter, da sie deren Töchter bereits ehelich umarmten, in einer Reihe von Kämpfen nieder. Andromache, erst nach dem Siege übergeben, brauchte doch den Tod der Ihrigen nur mehr zu beklagen, nicht mehr zu fürchten; die Sabinerinen, vor dem Kampfe vermählt, hatten den Tod ihrer Angehörigen zu befürchten, wenn ihre Männer auszogen, zu beklagen, wenn sie heimkehrten, und durften weder Furcht noch Klage frei äußern. Denn regte sich in ihnen ein Gefühl der Pietät, so mußte der Untergang ihrer Mitbürger, ihrer Verwandten, ihrer Brüder und Väter sie tief betrüben; nur Gefühllose konnten sich über den Sieg ihrer Männer freuen. Und wechselvoll, wie die Schicksale des Kampfes sind, fielen den einen unter den Streichen der Ihrigen ihre Männer, den anderen ihre Männer und ihre Verwandten in dem gegenseitigen Gemetzel. War doch auch auf römischer Seite die Gefahr nicht gering; es kam selbst zur Belagerung der Stadt und man mußte hinter den verschlossenen Toren Schutz suchen; aber auch diese öffneten sich durch Verrat, die Feinde drangen ein, auf dem Forum sogar entspann sich ein unseliger und nur allzu grimmer Kampf zwischen Vätern und Schwiegersöhnen, die Mädchenräuber wurden geschlagen, in Scharen flüchteten sie sich in das Innere ihrer Häuser und häuften Schande auf ihre früheren Siege, die doch an sich schon schmachvoll und traurig genug waren. Da rief Romulus in der Verzweiflung über die Mutlosigkeit seiner Leute zu Jupiter, er möge sie zum Stehen bringen, ein Moment, das Anlaß gab, dem Gott den Namen „Stator“ beizulegen; aber noch wäre des Unheils kein Ende gewesen, wenn nicht die geraubten Töchter mit aufgelösten Haaren hervorgestürzt wären, ihren Vätern sich zu Füßen geworfen und so deren gerechten Zorn nicht durch sieghafte Waffen, sondern durch kindliches Flehen gebrochen hätten. Darauf sah sich Romulus, dem die Mitherrschaft seines Bruders unerträglich gewesen war, genötigt, den Sabinerkönig Titus Tatius als Mitregenten zu dulden; aber wie hätte er ihn lange ertragen können, da er nicht einmal seinen Zwillingsbruder geduldet hatte? Also ermordete er auch ihn, wurde dadurch ein umso erhabenerer Gott und übernahm allein die Herrschaft. Was sind doch das für eheliche Rechte, was für Kriegsursachen, was für Bande der Brüderlichkeit und Schwägerschaft, was für Grundlagen der Bundesgenossenschaft und des Anspruchs auf göttliche Verehrung! Endlich, welch ein Staatsleben unter dem Schutz so zahlreicher Gottheiten! Du begreifst, wieviel Arges sich da sagen ließe, wenn wir nicht unsere Aufmerksamkeit den folgenden Zeiten zuwenden und deshalb das Thema verlassen müßten.
14. Pietätlosigkeit äußert sich in dem Kriege der Römer gegen die Albaner und der Sieg war eine Frucht der Herrschsucht.
Wie ging es also unter den Nachfolgern Numas zu? Welches Unheil für die Albaner sowohl wie für die Römer beschwor der Krieg herauf, zu dem man die Albaner reizte, weil nun einmal der lange Friede, den Numa aufrecht erhalten hatte, nicht mehr geschätzt wurde! Wie oft wurde bald das römische bald das albanische Heer zusammengehauen, wie sehr die eine wie die andere Stadt geschwächt! Alba .nämlich, von Ascanius, dem Sohn des Äneas gegründet, die Mutter Roms im eigentlicheren Sinne als Troja, wurde von König Tullus Hostilius herausgefordert und nahm den Kampf auf, unterlag und siegte, bis man der vielen Kämpfe, beiderseits erschöpft, müde wurde. Man vereinbarte nun, die Entscheidung des Krieges auf Drillingsbrüder von hüben und drüben zu stellen; auf seiten der Römer traten die drei Horatier, auf Seiten der Albaner die drei Curiatier in die Schranken. Von den drei Curatiern wurden zwei Horatier, von dem dritten Horatier aber die drei Curiatier überwunden und erschlagen. So gewann Rom auch in diesem letzten Kampf den Sieg nur um schweren Blutpreis; denn nur einer von den sechs kehrte heim. Wer hatte den Schaden, wer die Trauer? Es war hier wie dort des Äneas Stamm, die Nachkommenschaft des Ascanius, das Geschlecht der Venus, die Enkelschar Jupiters. Denn auch dieser Krieg war nicht ein gewöhnlicher Bürgerkrieg, es war vielmehr die Tochterstadt, die wider die Mutterstadt die Waffen führte. Diesem Entscheidungskampf der Drillingspaare folgte aber noch weiteres, furchtbares und entsetzliches Unheil. Die Schwester der Horatier war nämlich mit einem der Curiatier verlobt; die beiden Völker standen ja als Nachbarn und Stammverwandte vor dem Krieg in freundschaftlicher Beziehung zu einander. Als nun diese Schwester die Waffen ihres Bräutigams bei ihrem obsiegenden Bruder erblickte und darüber in Tränen ausbrach, wurde sie von ihrem eigenen Bruder erschlagen. Dieses eine Weib fühlte nach meinem Empfinden menschlicher als das ganze römische Volk. Ihr Weinen war, denke ich, frei von Schuld; denn es galt dem Manne, dem sie bereits als ihrem Gemahl durch den Schwur der Treue verbunden war, es galt vielleicht auch dem Bruder selbst, der den erschlagen hatte, dem er die eigene Schwester verlobt. Warum rühmt denn Vergil[154] an Äneas, daß er den von ihm selbst erschlagenen Feind betrauert? Warum durfte Marcellus Tränen des Mitleids vergießen über die Stadt Syrakus, als er sich vor Augen führte, wie sie, eben noch auf dem Gipfel des Ruhmes, mit einem Schlage in seine Gewalt kam und zusammenbrach, das allgemeine Schicksal alles Irdischen teilend? Soviel Verständnis wollen wir, ich bitte, dem menschlichen Fühlen entgegenbringen, daß ein Weib ihren Bräutigam, den ihr der Bruder erschlug, ohne Schuld beweinen darf, wenn Männer für ihre Tränen um Feinde, die von ihnen besiegt wurden, sogar Lob ernten. Während also dieses Weib den Verlobten beweinte, der durch die Hand ihres Bruders gefallen war, freute sich Rom, gegen die Mutterstadt einen so verlustreichen Krieg geführt und mit ganzen Strömen stammverwandten Blutes den Sieg erkauft zu haben,
Was hält man mir die tönenden Wörter Ruhm und Sieg entgegen? Wollen wir doch den Schleier, den eine irregeführte Meinung über die Ereignisse breitet, wegheben und die Tatsachen in ihrer Nacktheit ins Auge fassen, auf uns wirken lassen und beurteilen. Man nenne die Schuld, die Alba begangen, wie man bei Troja auf den Ehebruch hinweist. Nichts derart findet sich, nichts, was auch nur ähnlich wäre; lediglich die müßigen
„Mannen wollte zu Schlachten Tullus wieder erregen
Und die triumphentwöhnten Geschwader[155] “.
Dieser verwerflichen Neigung zuliebe also wurde das schwere Verbrechen eines Krieges zwischen Genossen und Verwandten begangen. Sallust freilich spricht nur ganz nebenher von dieser frevelhaften Absicht. Im Anschluß an die rühmende Erwähnung der alten Zeiten, da das Leben der Menschen ohne Begehrlichkeit dahinfloß und jeder mit dem Seinigen zufrieden war, sagt er nämlich[156] : „Nachher aber, als Cyrus in Asien und die Lacedämonier und Athener in Griechenland darangingen, Städte und Völker zu unterwerfen, Kriege aus Herrschsucht zu unternehmen und den höchsten Ruhm in den Besitz einer möglichst ausgedehnten Herrschaft zu setzen“ usw., wie man bei ihm selbst nachlesen kann; für meine Zwecke genügt dieser Teil seiner Worte. Ja die Herrschsucht ist es, die das Menschengeschlecht mit schwerem Unheil heimsucht und schlägt. Von ihr besiegt, frohlockte Rom ob seines Sieges über Alba und nannte die lobende Anerkennung seines Frevels Ruhm; „denn der Sünder“, sagt unsere Schrift[157] , „rühmt sich in den Lüsten seiner Seele und wer unrecht tut, wird gepriesen“. Man nehme also die täuschenden Umhüllungen und die irreführenden Beschönigungen hinweg von den Dingen, um sie mit unbefangenem Blick zu prüfen. Was soll es heißen: Der und der ist ein großer Mann, er hat mit dem und dem gekämpft und den Sieg davongetragen! Auch die Gladiatoren kämpfen, auch sie tragen Siege davon und auch diese Grausamkeit wird durch Beifall geehrt; allein ich glaube, es wäre besser, die schlimmen Folgen von Tatenlosigkeit aller Art über sich ergehen zu lassen, als nach solchem Ruhme zu geizen. Und doch, würden zum Zweikampf in die Arena Gladiatoren steigen, die zu einander Vater und Sohn sind, wer könnte ein solches Schauspiel aushalten? wer würde nicht davon abhalten? Wie hätte demnach der Waffengang zwischen Mutter- und Tochterstadt ruhmvoll sein können? Oder war der Fall anders, lediglich deshalb, weil die Stätte nicht die Arena war und nicht die Leichen zweier Gladiatoren, sondern die Haufen der Toten zweier Völker das weite Gefilde bedeckten? weil der Kampf nicht zwischen den Mauern des Amphitheaters stattfand, sondern das unwürdige Schauspiel vor den Augen der ganzen Welt, der zeitgenössischen und der späteren Generationen, soweit sich der Ruf davon erstreckt, über die Bühne ging?
Noch nicht genug! Noch fühlten sich diese Schirmgötter des römischen Reiches, gleichsam das Theaterpublikum bei solchen Kämpfen, nicht gesättigt, bis nicht auch die Schwester der Horatier — wegen der drei erschlagenen Curiatier mußten es doch auf der andern Seite auch drei sein — durch das Schwert des eigenen Bruders ihren zwei Brüdern nachgesandt wurde, damit Rom, die Siegerin, nicht weniger Erschlagene zähle. Darauf wurde als Opfer des Sieges Alba zerstört, nach Ilion, das die Griechen vernichteten, und nach Lavinium, wo Äneas ein Fremdlings- und Flüchtlingsreich gegründet hatte, die dritte Stätte, an der die trojanischen Gottheiten ihren Wohnsitz genommen hatten. Aber vielleicht konnte Alba nur deshalb zerstört werden, weil die Götter nach ihrer Gepflogenheit auch von hier bereits abgezogen waren.
„Alle Götter waren ja
Aus den Tempeln geflohen, von ihren Altären gewichen,
Sie, die Schirmer des Reichs.“
Ei, schon zum drittenmal sind sie entwichen; wie umsichtig, daß man ihnen an vierler Stelle Rom anvertraute! In Ungnade war nämlich Alba gefallen, wo Amulius nach Vertreibung seines Bruders die Herrschaft geführt hatte; dagegen war Rom zu Gnaden gekommen, wo Romulus nach Ermordung seines Bruders König gewesen war. Man weist darauf hin, daß die Einwohnerschaft von Alba vor der Zerstörung der Stadt nach Rom verpflanzt worden sei, so daß aus den beiden Städten eine einzige wurde. Gut, es sei so; gleichwohl ist die Stadt Alba, die Residenz des Ascanius und der dritte Wohnsitz der trojanischen Götter, zerstört worden, die Mutterstadt von der Tochterstadt; und damit die Bevölkerungsreste, die der Krieg übrig gelassen hatte, aus zwei Völkern doch noch eines ergäben, ein trauriges Gemengsel, wurde vorher das Blut beider in Strömen vergossen. Wozu soll ich noch im einzelnen die unter den übrigen Königen folgenden Kriege anführen? Immer wieder erneuerten sie sich, nachdem sie dem Anschein nach siegreich beendigt waren, immer wieder führten sie zu furchtbaren Blutbädern, immer wieder brachen sie aus trotz Bündnis und Friedensschluß zwischen den Schwiegervätern und ihren Schwiegersöhnen und deren Kindern und Kindeskindern. Als ernstes Wahrzeichen dieses jammervollen Zustandes mag es gelten, daß keiner der Könige die Kriegspforten schloß. Keiner von ihnen also genoß Frieden unter dem Schutz der zahlreichen Götter.
15. Leben und Ausgang der Könige Roms.
Und die Könige, wie endeten sie? Wegen Romulus mag sich die mythensüchtige Wohldienerei, die ihn in den Himmel aufgenommen sein läßt[158] , auseinandersetzen mit jenen römischen Schriftstellern, die berichten, er sei vom Senat wegen seines rücksichtslosen Wesens in Stücke gerissen worden und man habe einen gewissen Julius Proculus angestiftet zu erzählen, er sei ihm erschienen und lasse durch ihn dem römischen Volke wissen, daß man ihn als Gott verehren solle, und auf solche Weise sei das Volk, das sich schon gegen den Senat erhoben hatte, in Schranken gehalten und beruhigt worden. Es war nämlich auch eine Sonnenfinsternis eingetreten, welche die unverständige Menge, die nicht wußte, daß sie sich nach bestimmten Gesetzen des Sonnenlaufes zutrug, mit den Verdiensten des Romulus in Zusammenhang brachte. Als hätte man, wenn es sich wirklich um eine Trauer der Sonne gehandelt hätte, nicht erst recht annehmen müssen, daß er ermordet worden sei und daß eben zum Zeichen dieses Verbrechens auch das Tageslicht sich verhüllt habe, wie es in der Tat geschah, als der Herr durch die Grausamkeit und Gottlosigkeit der Juden gekreuzigt wurde. Daß diese letztere Verfinsterung der Sonne nicht in dem regelrechten Lauf der Gestirne ihren Grund gehabt habe, geht deutlich genug daraus hervor, daß damals gerade das Osterfest der Juden stattfand; denn das Passah wird bei Vollmond gefeiert, eine regelmäßige Sonnenfinsternis aber kann nur gegen Neumond zu stattfinden. Unzweideutig gibt auch Cicero zu erkennen, daß es sich bei der Versetzung des Romulus unter die Götter mehr um eine Annahme als um eine Tatsache handle, da er, noch dazu mit rühmenden Worten seiner gedenkend, in dem Werke über den Staat[159] Scipio sprechen läßt: „Er hat es erreicht, daß man ihn, als er plötzlich während einer Sonnenfinsternis verschwand, unter die Götter versetzt wähnte, eine Annahme, die von keinem Sterblichen in Kraft treten konnte, der nicht ganz außergewöhnlichen Ruhm der Tüchtigkeit gewonnen hätte“. [Wenn er eben sagt, er sei plötzlich verschwunden, so ist dabei sicherlich an Unwetters Gewalt oder an geheimnisvollen Mord zu denken; denn auch andere Schriftsteller lassen die Sonnenfinsternis mit einem plötzlichen Unwetter verbunden sein, das gewiß entweder die Gelegenheit zu einem Verbrechen bot oder selbst den Romulus hinwegraffte.] Von Tullus Hostilius nämlich, dem dritten König nach Romulus, der ebenfalls vom Blitze erschlagen ward, sagt Cicero in demselben Werke[160] , man habe nicht angenommen, daß auch er durch diese Todesart unter die Götter gereiht worden sei, weil vielleicht die Römer das, was hinsichtlich des Romulus glaublich gemacht worden, d. h, in die Überzeugung übergegangen war, nicht gemein d. i. verächtlich machen wollten dadurch, daß man es leichthin auch auf einen andern ausgedehnt hätte. Er sagt auch offen in seinen Catilinarien[161] : „Romulus, den Gründer dieser Stadt, haben wir aus Anhänglichkeit und der öffentlichen Meinung zufolge zu den unsterblichen Göttern emporgehoben“ und zeigt damit, daß sich die Vergöttlichung nicht wirklich zugetragen, sondern daß man aus Anhänglichkeit im Hinblick auf die Verdienste, die er sich durch seine Tüchtigkeit erworben hatte, diese Nachricht in Umlauf gesetzt und überallhin verbreitet habe. Im Dialog „Hortensius“ vollends läßt er sich, wo von der regelmäßigen Sonnenfinsternis die Rede ist, dahin vernehmen: „Um eine Finsternis herbeizuführen, wie bei Romulus Tode, der während einer Sonnenfinsternis eintrat“. Hier wenigstens scheute er sich nicht im mindesten, mit nackten Worten vom Hingang des Romulus wie vom Tode eines Menschen zu reden, weil er hier als Philosoph und nicht als Lobredner sprach.
Aber welch schreckliches Ende nahmen die übrigen Könige des Römervolkes, abgesehen von Numa Pompilius und Ancus Marcius, die eines natürlichen Todes starben! Tullus Hostilius, der Besieger und Zerstörer Albas, wurde, wie gesagt, mit seinem ganzen Hause vom Blitz erschlagen. Priscus Tarquinius wurde von den Söhnen seines Vorgängers ermordet. Servius Tullius fand den Tod durch die verbrecherische Hand seines Schwiegersohnes Tarquinius Superbus, der ihm in der Herrschaft nachfolgte. Und doch, nicht „aus den Tempeln geflohen und von den Altären gewichen sind die Götter“ nach einem so schauderhaften Vatermord an dem besten König der Römer, sie, die durch den Ehebruch des Paris veranlaßt worden sein sollen, an dem unglücklichen Troja so zu handeln und es den Griechen zur Zerstörung und Einäscherung preiszugeben; vielmehr folgte Tarquinius dem von ihm ermordeten Schwiegervater auf dem Throne nach. Diesen ruchlosen Verbrecher sahen die Götter das Reich besitzen durch Mord am Schwiegervater, sahen ihn in vielen Kriegen triumphieren und von der Kriegsbeute das Kapitol erbauen, und sie wichen nicht, sie waren da und blieben da und ließen es sich gefallen, daß ihr König Jupiter in jenem hochragenden Tempel, dem Werk eines Vatermörders, über sie die Leitung führe und herrsche. Es verhält sich ja nicht so, daß er das Kapitol noch in schuldloser Zeit erbaut hätte und nachher wegen seiner Mißverdienste aus der Stadt vertrieben worden wäre, sondern eben die Herrschaft, während deren er das Kapitol errichtete, hat er durch die Begehung eines entsetzlichen Verbrechens erlangt. Daß ihn aber die Römer nachmals vom Throne verjagten und ihm die Tore der Stadt verschlossen, dazu gab den Anlaß die Entehrung der Lucretia, eine Versündigung, die nicht er, sondern ohne sein Wissen und sogar in seiner Abwesenheit sein Sohn sich zuschulden kommen ließ. Er belagerte damals die Stadt Ardea, für das römische Volk war er in den Krieg gezogen; wir wissen nicht, was er getan hätte, wenn ihm die Schandtat seines Sohnes zur Kenntnis gebracht worden wäre; ohne sein Urteil einzuholen und zu kennen, hat ihm das Volk die Herrschaft entrissen; das Heer hatte die Weisung, von ihm abzufallen, und wurde in die Stadt zurückgenommen, darauf schloß man die Tore und verwehrte ihm die Heimkehr. Er aber führte wider die Römer mit Hilfe der gegen sie aufgewiegelten Nachbarvölker eine Reihe von Kriegen, in denen er ihnen hart zusetzte, lebte dann, da er von denen, auf deren Hilfe er vertraute, im Stiche gelassen wurde und deshalb die Herrschaft nicht wieder zu gewinnen vermochte, vierzehn Jahre lang, wie es heißt, als Privatmann ruhig in der Stadt Tusculum nahe bei Rom und erreichte mit seiner Gemahlin ein hohes Alter; so nahm er vielleicht ein begehrenswerteres Ende als sein Schwiegervater, der durch die Mörderhand seines Schwiegersohnes fiel, unter Mitwissenschaft seiner Tochter, wie man glaubt. Und doch gaben die Römer diesem Tarquinius nicht den Beinamen „der Grausame“ oder „der Verbrecherische“, sondern den Beinamen „der Stolze“, vielleicht weil sie seine königliche Hoffart aus eigenem Stolze nicht ertragen konnten. Denn das Verbrechen des Mordes am Schwiegervater, ihrem besten König, beirrte sie so wenig, daß sie den Mörder zu ihrem König machten; und ich weiß nicht, ob sie durch diese reichliche Belohnung eines schweren Verbrechens nicht ein noch größeres Verbrechen begingen. Aber „die Götter sind nicht aus den Tempeln entflohen, von ihren Altären gewichen“. Zu ihrer Entschuldigung könnte man unter diesen Umständen höchstens noch annehmen, sie seien deshalb in Rom geblieben, um die Römer, statt ihnen Wohltaten zuzuwenden, mit Strafen heimzusuchen, indem sie sie durch eitle Siege berückten und durch äußerst blutige Kriege aufrieben.
Dies war unter den Königen in der preiswürdigen Periode des römischen Staates das Leben der Römer fast zweihundertdreiundvierzig Jahre hindurch bis zur Vertreibung des Tarquinius Superbus; und all diese Siege, mit vielem Blute und schweren Verlusten erkauft, haben die Herrschaft kaum auf zwanzig Milien von der Hauptstadt aus erweitert, ein Umfang, der nicht einmal dem Territorium eines Getulierstammes[162] von heute gleicht.
16. Die Ereignisse unter den ersten Konsuln, von denen der eine den andern verbannte und bald darauf, mit schrecklichen Morden beladen, an der Wunde, die ihm ein verwundeter Feind beibrachte, zugrunde ging.
Lassen wir nunmehr auch die Zeit an unsern Augen vorüberziehen, da nach Sallusts[163] Worten „Recht und Billigkeit herrschte, solange bis die Furcht vor Tarquinius und der gefährliche Krieg mit Etrurien ein Ende nahm“. Solang nämlich die Etrusker dem Tarquinius bei dem Versuche, wieder zur Herrschaft zu gelangen, ihre Unterstützung gewährten, wurde Rom durch einen schweren Krieg erschüttert. Deshalb — also unter dem Druck der Furcht, nicht aus Liebe zur Gerechtigkeit — sei das Staatswesen, sagt er, nach den Forderungen von Recht und Billigkeit geleitet worden[164] . Eine kurze Spanne Zeit, und doch wie unheilvoll war das Jahr, in welchem nach Abschaffung der Königsgewalt die ersten Konsuln gewählt wurden! Brachten sie doch ihr Jahr gar nicht zu Ende. Denn Junius Brutus vertrieb seinen Amtsgenossen Lucius Tarquinius Collatinus aus Amt und Stadt; bald hernach fiel er selbst im Kampfe, seinen Feind[165] im Tode mitreißend, nachdem er früher schon seine eigenen Söhne und die Brüder seiner Gemahlin hatte hinrichten lassen, weil er in Erfahrung gebracht hatte, daß sie sich zur Wiedereinsetzung des Tarquinius verschworen hatten[166] . Vergil[167] hat nachmals dieses Vorkommnis rühmend erwähnt und sich im selben Atemzuge mit Rührung darüber entsetzt. Zuerst sagt er:
„und die Söhne, die Stifter neuer Empörung,
Wird der Vater fürs Heil der Freiheit mit Strafe belegen“,
um gleich darauf auszurufen:
„Ach der Unsel'ge, wie über die Tat auch künftig die Welt denkt“.
Wie immer die Nachwelt, meint er, diese Begebenheiten betrachtet, d. h. so sehr man sie auch rühmen und preisen möge, wer seine eigenen Söhne dem Tod überliefert hat, ist unselig. Und er fügt wie zum Troste für den Unseligen bei:
„so siegt doch
Liebe zum Vaterland und die überschwängliche Ruhmgier“.
Scheint es nicht, als ob an diesem Brutus, der seine Söhne in den Tod sandte und seinen von ihm durchbohrten Feind, den Sohn des Tarquinius, selbst von diesem durchbohrt, nicht überlebt hat, während der alte Tarquinius ihn überlebte, die Schuldlosigkeit seines Amtsgenossen Collatinus gerächt worden sei, dieses trefflichen Bürgers, den nach der Vertreibung des Tarquinius dasselbe Los getroffen hat wie den Tyrannen Tarquinius? Soll ja Brutus ebenfalls zu Tarquinius blutsverwandt gewesen sein. Aber auf Collatinus lastete eben die Gleichheit des Namens, da auch er Tarquinius hieß. Nun so hätte man ihn drängen sollen, den Namen zu wechseln, nicht aber das Vaterland aufzugeben; und schließlich hätte in seinem Namen dieses Wort einfach weggelassen und er bloß L. Collatinus genannt werden sollen. Aber was ihm ohne irgend eine Einbuße hätte entzogen werden können, wurde ihm deshalb nicht entzogen, damit der erste Konsul seiner Würde und ein trefflicher Bürger des Bürgerrechtes verlustig gehe. Ist das auch „Ruhm“, die fluchwürdige und für den Staat ganz nutzlose Ungerechtigkeit des Junius Brutus? Hat ihn auch hiezu verleitet „Liebe zum Vaterland und die überschwengliche Ruhmgier“? Schon war doch der tyrannische Tarquinius vertrieben, da wurde als Konsul zugleich mit Brutus gewählt L. Tarquinius Collatinus, der Gemahl der Lucretia. Wie richtig benahm sich das Volk, daß es auf die bürgerlichen Tugenden des Mannes sah, nicht auf seinen Namen! Und wie ruchlos handelte Brutus, daß er seinem Genossen in diesem ersten und neuen Amte, dem er doch bloß den Namen zu entziehen brauchte, wenn er an diesem Anstoß nahm, das Vaterland und die Würde entzog! Und zu einer Zeit geschahen diese schlimmen Dinge und traten diese unheilvollen Ereignisse ein, da im Staate „Recht und Billigkeit herrschte“. Lucretius sodann, der an des Brutus Stelle nachgewählt wurde, starb noch vor Ablauf des Jahres. So brachten endlich P. Valerius, der Nachfolger der Collatinus, und M. Horatius, der für den verstorbenen Lucretius nachgewählt worden war, dieses Unglücks und Schreckensjahr hinaus, das fünf Konsuln gehabt. Unter solchen Auspizien führte Rom die konsularische Würde und Amtsgewalt in sein Staatsleben ein.
17. Roms Heimsuchungen nach Einführung der konsularischen Gewalt und die Gleichgültigkeit der Götter dabei.
Nachdem dann die Furcht etwas nachgelassen hatte — nicht als hätten die Kriege aufgehört, aber sie lasteten nicht mehr so schwer auf dem Volke — und damit die Zeit zu Ende gegangen war, in der „Recht und Billigkeit herrschte“, trat ein, was Sallust[168] kurz in die Worte zusammenfaßt: „Hernach plagten die Patrizier das Volk durch herrisches Wesen, verfügten über Leib und Leben geradeso wie die Könige, vertrieben die Leute von ihrer Scholle und führten allein unter Ausschluß der Übrigen das Regiment. Da sich das Volk durch diese Grausamkeiten und vorab durch Wucher schwer bedrückt fühlte, während es doch bei den beständigen Kriegen die Last der Steuern und des Kriegsdienstes mitzutragen hatte, griff es zu den Waffen und besetzte den heiligen Berg und den Aventin; damals erwarb es sich den Volkstribunat und andere Rechte. Erst der zweite punische Krieg setzte den Zwistigkeiten und dem Kampfe ein Ziel.“ Wozu soll ich also viele Zeit opfern mit der Darstellung und den Lesern ein gleiches Opfer zumuten? Sallust hat ja in Kürze darauf hingewiesen, wie traurig es um dieses Gemeinwesen stand, da in einem so langen Zeitraum, die vielen Jahre bis zum zweiten punischen Krieg[169] , Kämpfe nach außen ebenso wie innere Zwistigkeiten und Bürgeraufstände eine fortwährende Beunruhigung hervorriefen. Demnach waren die erfochtenen Siege keine wahren Freuden von Glücklichen, sondern leerer Trost für Unglückliche und verführerische Lockungen für rast- und ruhelose Leute, immer wieder neue Leiden auf sich zu nehmen, ohne einen Gewinn daraus zu ziehen. Mögen wir edle und einsichtige Römer diese Äußerungen nicht verübeln; ich brauche sie darum freilich nicht zu bitten und zu mahnen; denn es ist ganz ausgeschlossen, daß sie grollen. Denn was ich da sage, ist weder im Ton noch dem Inhalte nach unangenehmer als das, was ihre Schriftsteller sagen, nur daß ich in der Kunst der Darstellung und in der verfügbaren Muße weit hinter diesen bleibe; und sie haben sich seinerzeit abgemüht, diese Mitteilungen ihrer Schriftsteller dem Gedächtnis einzuprägen, und halten auch ihre Söhne dazu an. Die mir aber grollen, wie würden sie mich ruhig hinnehmen, wenn ich mich der Worte des Sallust bediente? „Es entstanden“, sagt er[170] „sehr häufig Wirren, Aufstände und zuletzt Bürgerkriege, veranlaßt dadurch, daß einige Mächtige, denen ein großer Teil der Bevölkerung anhing, unter dem Deckmantel der Patrizier- oder der Volksinteressen nach der Herrschaft strebten; und bald unterschied man gute und schlechte Bürger nicht nach Verdiensten um das Gemeinwesen — es waren eben alle ohne Unterschied sittlich verkommen —, sondern wer das größte Vermögen besaß und durch unrechtmäßige Mittel zu bedeutender Macht gelangt war, wurde für einen guten Bürger erachtet, weil er für die Erhaltung des jeweiligen Zustandes eintrat.“ Wenn es nun diese Geschichtsschreiber für eine Pflicht edlen Freimutes hielten, die Übelstände im eigenen Staat, den sie oft genug in hohen Tönen zu rühmen sich veranlaßt glaubten, rückhaltlos anzuerkennen, obwohl sie einen anderen, wahrhaften Staat, in welchen Bürger für die Ewigkeit Aufnahme finden sollen, nicht kannten, was liegt uns, deren Freimut umso größer sein muß, je besser und sicherer unsere Hoffnung auf Gott ist, zu tun ob, wenn man das gegenwärtige Unheil unserm Christus zuschreibt, um schwache und ungebildete Geister dem Staate zu entfremden, der allein ewiges und seliges Leben gewährt? Und doch bringen wir auch gegen ihre Götter keine ärgeren Dinge vor als wiederum ihre Schriftsteller, die sie lesen und rühmen; sie sind unsere Quellen, nur daß wir sie weder ganz auszunützen noch in der Form zu erreichen imstande sind.
Wo also waren diese Götter, die vermeintlich wegen des armseligen und trügerischen irdischen Glückes verehrt werden müssen, wo waren sie, da die Römer, denen sie ihre Verehrung in gleißnerischer Arglist aufdrängten, von solchem Mißgeschick heimgesucht wurden? Wo waren sie, als der Konsul Valerius bei der Verteidigung des von Verbannten und Sklaven erstiegenen Kapitols das Leben lassen mußte und die Sache so stand, daß er leichter den Tempel des Jupiter zu Schutzen vermochte, als ihm der zahlreiche Troß der Gottheiten mit ihrem größten und besten König, dessen Tempel er befreite, zu Hilfe kam? Wo waren sie, als der von Aufständen ohne Zahl und Ende zerwühlte Staat, während man, eben ein wenig zur Ruhe gekommen, auf die Rückkehr der zur Entlehnung von Gesetzen nach Athen abgeordneten Gesandten wartete, durch schwere Hungersnot und Pest verheert wurde? Wo waren sie, als das Volk, wiederum während einer Hungersnot, den ersten Marktvorstand wählte und Spurius Mälius, der bei Zunahme der Hungersnot Getreide an die hungernde Menge austeilte, dadurch in den Verdacht kam, nach der Königswürde zu streben, und auf Betreiben des Marktvorstandes und auf Befehl des altersschwachen Diktators L. Quintius von dem Reiteroberst Quintus Servilius ermordet wurde, worauf eine heftige und gefährliche Gährung unter der Bürgerschaft erfolgte? Wo waren sie, als das vielgeplagte Volk beim Ausbruch einer furchtbar wütenden Pest den unnützen Göttern Polstermahle darbringen zu sollen glaubte, eine neue, noch nie dagewesene Einrichtung? Es wurden dabei zu Ehren der Götter Polster ausgebreitet; daher der Name dieses Gottesdienstes oder vielmehr dieser Gottesschändung. Wo waren sie, als das römische Heer zehn Jahre hintereinander unglücklich kämpfte vor Veji und eine schwere Niederlage nach der andern erlitt, bis endlich Furius Camillus rettend eingriff, den nachmals die undankbare Bürgerschaft verurteilte? Wo waren sie, als die Gallier Rom einnahmen, plünderten, in Brand steckten und mit Erschlagenen über und über bedeckten? Wo waren sie, als das berüchtigte Pestjahr die ungeheure Verheerung anrichtete, deren Opfer auch Furius Camillus wurde, welcher den undankbaren Staat früher gegen die Vejenter verteidigt hatte und nachmals an den Galliern rächte? In dieser Pestzeit veranlaßten sie die Einführung der szenischen Spiele und brachten damit eine neue und andere Pest, zwar nicht über die Leiber, wohl aber — was weit verderblicher ist — über die Sitten der Römer. Wo waren sie, als abermals eine schlimme Pest hereinbrach, wie man glaubte durch Giftmischerei von Frauen, deren über Erwarten viele, und zwar aus vornehmen Häusern in einem sittlichen Zustand erfunden wurden, der der schlimmsten Pest spottete? oder als beide Konsuln mit ihrem Heere von den Samnitern in den caudinischen Pässen eingeschlossen und genötigt wurden, mit dem Feinde einen schmählichen Vertrag zu schließen, der sechshundert römische Ritter zu Geißeln machte und den Rest ohne Waffen, ohne Oberkleid, nur mit je einem Gewande am Leibe, unter das Joch der Feinde zwang? oder als, während die übrige Bevölkerung unter schwerer Pest zu leiden hatte, auch im Heere viele durch Blitzschlag den Tod fanden? oder als sich Rom, wiederum zur Zeit einer unleidlichen Pestseuche, den Äsculap als vermeintlichen Heilgott von Epidaurus zu berufen und beizuziehen gezwungen sah, wohl deshalb, weil Jupiter, der König aller Götter, der schon lang auf dem Kapitol seinen Sitz aufgeschlagen hatte, in seiner Jugend vor Liebesabenteuern nicht zum Studium der Medizin gekommen war? oder als die Lucaner, Bruttier, Samniter, Etrusker und die senonischen Gallier gleichzeitig als verbündete Feinde auftraten, zunächst die Gesandten erschlugen, dann ein ganzes Heer mit seinem Prätor, mit sieben Tribunen und 13.000 Soldaten vernichteten? oder als nach langen und schweren städtischen Unruhen, die zuletzt zu feindseliger Auswanderung der Plebejer auf den Janiculus führten, das Unheil so drohend wurde, daß man mit Rücksicht darauf einen Diktator wählte, ein Schritt, zu dem man sich nur bei äußerster Gefahr entschloß, und zwar in der Person des Hortensius, der nun, nach Zurückführung der Plebejer, in seinem Amte starb, was bisher unerhört war und den Göttern um so mehr zum Schimpfe gereichte, als doch Äsculap schon da war? Hernach mehrten sich allenthalben die Kriege so sehr, daß die Proletarier — so genannt, weil sie, wegen Armut zum Kriegsdienst unfähig, durch Erzeugung von Nachkommenschaft [proles] ihren Beruf erfüllten, zum Kriegsdienste ausgehoben wurden. Auch Pyrrhus, König von Griechenland, damals mit höchstem Ruhm gefeiert, trat, von den Tarentinern zu Hilfe gerufen, als Feind der Römer auf. Ihm verkündete allerdings Apollo auf die Anfrage über den Ausgang des Unternehmens echt diplomatisch einen so zweideutigen Orakelspruch, daß er, mochte es so oder anders gehen, immer als Seher gelten mußte [er sprach nämlich: „Pyrrhus wird Rom besiegen können“] und demnach, ob Pyrrhus von den Römern besiegt würde oder umgekehrt, ohne Gefahr für seinen Seherruf die Entscheidung nach der einen oder andern Seite abwarten konnte. Welch entsetzliches Blutvergießen folgte dann auf beiden Seiten! Doch behielt Pyrrhus „die Oberhand und hätte schon beinahe Apollos Sehergabe in dem für ihn günstigen Sinne rühmen können, wenn nicht alsbald die Römer in einem zweiten Treffen Sieger geblieben wären. Und mitten im Wüten des Krieges brach auch noch eine schwere Seuche unter den Weibern aus; sie starben in schwangerem Zustand, bevor sie die reife Frucht zur Welt brachten. Da wird sich wohl Äsculap damit entschuldigt haben, daß er nicht Hebamme, sondern Oberarzt sei von Beruf. Auch das Vieh ging unter ähnlichen Umständen zugrunde, so daß man schon glaubte, das animalische Leben werde aussterben. Und wie? wenn jener denkwürdige, unglaublich strenge Winter, bei dem der Schnee selbst auf dem Forum vierzig Tage lang furchtbar hoch lag und der Tiberfluß von Eis starrte, in unsere Zeiten gefallen wäre, was würde man sagen, wie voll den Mund nehmen? Wie? abermals eine entsetzliche Pest, lange wütend, unzählige dahinraffend! Als sie sich mit erneuter Heftigkeit ins zweite Jahr hinzog, ohne daß Äsculaps Gegenwart etwas geholfen hätte, wandte man sich an die sibyllinischen Bücher. Bei dieser Art von Orakel glaubt man gemeinhin, wie Cicero in seinem Werke über die Weissagung erwähnt[171] , eigentlich den Auslegern, die das Zweifelhafte deuten, wie sie können oder wollen. Damals wurde als Ursache der Pest angegeben, daß sehr viele heilige Gebäude in den Händen von Privatleuten seien; so ward Äsculap einstweilen von dem schweren Vorwurfe der Unkenntnis oder der Untätigkeit entlastet. Aber warum waren diese Gebäude vielfach mit Beschlag belegt worden, ohne daß jemand es hinderte? Doch nur deshalb, weil man sich an den Troß der Gottheiten lang genug ohne Erfolg gewendet hatte und so die Stätten allmählich von den Verehrern verlassen wurden, so daß sie als leere Stätten ohne jeden Anstoß doch eben zum Gebrauch der Menschen in Anspruch genommen werden konnten. Sie wurden ja auch, nachdem sie damals zur vermeintlichen Verscheuchung der Pest sorgsam zurückgefordert und erneuert worden waren, später neuerdings ebenso vernachlässigt, ihrem Zweck entfremdet und kamen in Vergessenheit; sonst hätte man es nicht der großen Gelehrsamkeit Varros zuschreiben können, daß er in dem Abschnitt über die heiligen Gebäude so viele unbekannte erwähnt. Allein es war nun wenigstens, wenn auch nicht für die Verscheuchung der Pest, so doch für eine artige Entschuldigung der Götter gesorgt.
18. Die schweren Verluste, die die Römer durch die punischen Kriege trafen, ohne daß die Götter ihr Flehen um Schutz erhörten.
Nun erst in den punischen Kriegen, als zwischen den beiden Reichen der Sieg lang ungewiß hin- und herschwankte und zwei sehr starke Völker mit äußerster Tapferkeit und Machtentfaltung einander bekämpften, wieviele kleinere Reiche wurden da zertrümmert, welch ansehnliche und vornehme Städte wurden zerstört, wieviele Gemeinwesen bedrängt, wieviele zugrunde gerichtet! Wie oft wurden die Sieger, bald die Römer, bald die Punier, wieder geschlagen! Welch ungeheures Menschenmaterial wurde verbraucht, sowohl an Soldaten in Waffen als auch an Bevölkerung, die keine Waffen führt! Welche Unzahl von Schiffen sodann wurde in den Seegefechten vernichtet oder durch Unwetter aller Art in den Grund versenkt! Wollte ich den Versuch machen, alles zu erzählen und zu erwähnen, so wäre auch ich eben ein Geschichtsschreiber. Damals nahm der römische Staat, von mächtiger Furcht durchfiebert, zu eitlen und lächerlichen Abhilfen seine Zuflucht. Auf Befehl der sibyllinischen Bücher erneuerte man die Säkularspiele, deren Feier von hundert zu hundert Jahren angeordnet gewesen, aber in glücklicheren Zeiten in Vergessenheit geraten und ausgefallen war. Die Priester führten auch heilige Spiele zu Ehren der Unterweltgötter wieder ein, die ebenfalls in den vorangegangenen besseren Jahren außer Gebrauch gekommen waren. Natürlich verlangte es damals bei der Erneuerung auch die Unterwelt, ihre Spiele zu haben, da sie mit einer solchen Schar von Toten bevölkert wurde, während doch wahrhaftig die armen Menschen schon in den wütenden Kämpfen und den blutigen Feindseligkeiten und den verlustreichen beiderseitigen Siegen den Dämonen großartige Spiele und der Unterwelt einen fetten Schmaus darbrachten. Kein Ereignis aber im ganzen ersten punischen Krieg war beklagenswerter als jene Niederlage der Römer, deren Folge die Gefangennahme des Regulus war, dessen wir schon im ersten und zweiten Buch[172] gedacht haben, eines wirklich großen Mannes, des Besiegers und Bändigers der Punier, der auch den ersten punischen Krieg zu Ende geführt hätte, wenn er nicht aus übertriebener Ehr- und Ruhmsucht den erschöpften Karthagern allzu harte und unannehmbare Bedingungen auferlegt hätte. Wenn die ganz unerwartete Gefangennahme dieses Mannes, seine ganz unverdiente Knechtschaft, seine Schwurtreue bis zum äußersten und sein Tod unter den grausamsten Martern die Götter nicht erröten macht, so sind sie in der Tat von Erz und haben kein Blut.
Auch innerhalb der Mauern Roms häuften sich damals die schrecklichsten Unglücksfälle. Der Tiberfluß führte außergewöhnliches Hochwasser und zerstörte fast die ganze Niederung der Stadt, teils durch den heftigen Anprall der Wogen, teils durch die Feuchtigkeit, die sich infolge des langen Stehens der Gewässer bildete. Auf dieses Unheil folgte sodann ein noch verderblicheres Feuer, das alle hochragenden Gebäude am Forum ergriff und auch den ihm so trauten Tempel der Vesta nicht verschonte, wo ihm Jungfrauen, angesehene Jungfrauen, aber doch mehr zu solchem Dienste verurteilt, durch äußerst gewissenhaftes Zulegen von Holz eine Art ewiges Leben zu verleihen pflegten. Aber damals war dort das Feuer nicht blos lebendig, sondern es gefiel sich darin, zu wüten. Da die Jungfrauen, durch das Andringen des Feuers erschreckt, das verhängnisvolle Heiligtum, das schon drei Städten[173] , worin es aufbewahrt wurde, hart zugesetzt hatte, vor diesem Brande nicht zu retten vermochten, so stürzte sich der Oberpriester Me-tellus, der Lebensgefahr nicht achtend, in die Flammen und entriß ihnen das Heiligtum, wobei er selbst halb verbrannte. Das Feuer hat nämlich nicht einmal ihn erkannt oder es war darin wirklich eine Gottheit, die nicht auch entkommen wäre, wenn sie da war. Also hat das Heiligtum der Vesta nicht den Menschen sich nützlich erweisen können, sondern umgekehrt. Wenn nun aber die Heiligtümer das Feuer nicht einmal von sich selbst ferne hielten, was hätten sie dann der Stadt, deren Wohlfahrt sie vermeintlich schützten, wider diese Wasser- und Feuersnot helfen können? wie ja die Tatsachen dargetan haben, daß sie ganz und gar nichts vermochten. Wir würden den Gegnern diese Ohnmacht ihrer Heiligtümer gewiß nicht vor Augen rücken, wenn sie sagten, sie wären nicht zum Schutz der zeitlichen Güter eingeführt worden, sondern als ein Hinweis auf die ewigen Güter, und sollten sie also als körperliche und sichtbare Dinge etwa zugrunde gehen, so geschehe dadurch dem Gegenstand ihrer Beziehung kein Eintrag und sie können zu dem gleichen Zweck wieder hergestellt werden. So aber meinen sie in seltsamer Verblendung, es habe sich durch Heiligtümer, die untergehen konnten, die irdische Wohlfahrt und das zeitliche Glück des Staates vor dem Untergange bewahren lassen. Und wenn man ihnen also nachweist, daß trotz des Bestandes der Heiligtümer Vernichtung der Wohlfahrt oder Unglück hereingebrochen sei, so schämen sie sich wohl einer Ansicht, die sie nicht halten können, aber sie ändern sie nicht.
19. Im zweiten punischen Krieg trafen beide Parteien vernichtende Schläge.
Die Verluste aufzuzählen, die durch den zweiten punischen Krieg die beiden, lange auf weitem Kriegsschauplatz kämpfenden Völker erlitten, würde viel zu weit führen; sagen ja selbst diejenigen unter den Geschichtsschreibern, die mehr eine Lobrede auf das römische Reich als die schlichte Erzählung der Kriege der Römer beabsichtigen, daß der Sieger bedenklich einem Besiegten glich. Nachdem sich nämlich Hannibal von Spanien erhoben und die Pyrenäen überschritten, in Eilmärschen Gallien durchzogen und die Alpen durchbrochen hatte, wobei er auf diesem weiten Umweg seine Streitkräfte vermehrte, alles verwüstete oder sich unterwarf und endlich wie ein Sturzbach durch die Engpässe Italiens hereinstürmte, welch blutige Kämpfe spielten sich da ab, wie oft wurden die Römer besiegt; wieviele Städte fielen zum Feinde ab, wieviele wurden erobert und überwältigt! welch entsetzliches Ringen, so oft für Hannibal ruhmreich durch die Niederlage der Römer! Was soll ich aber von dem in seiner Furchtbarkeit einzig dastehenden Unheil bei Cannä sagen, wo selbst ein so grausamer Wüterich wie Hannibal, durch das Blutbad gesättigt, das unter seinen grimmigsten Feinden angerichtet worden war, Schonung befohlen haben soll? Er sandte von dort drei Schaff goldener Ringe nach Karthago, damit man daraus ersehe, es seien in diesem Kampfe soviele edle Römer gefallen, daß man sie nicht mehr zählen, sondern nur noch messen könne; auch sollte dadurch glaubhaft werden, daß die Verheerung unter dem übrigen Kriegsvolk, das ohne Ringe an den Fingern die Wahlstatt bedeckte und natürlich je niedriger umso zahlreicher war, nur vermutungsweise, nicht in genauer Meldung angegeben werden könne. Es trat denn auch ein solcher Mangel an Soldaten ein, daß die Römer Verbrecher unter Zusicherung der Straflosigkeit auflasen, Sklaven die Freiheit schenkten und mit diesen Elementen das Heer nicht so fast ergänzten, als vielmehr ein neues, jämmerliches Heer bildeten. Diesen Sklaven also, nein, wir wollen ihnen nicht unrecht tun, diesen nunmehr Freigelassenen, die für den römischen Staat kämpfen sollten, mangelten die Waffen. Man nahm sie aus den Tempeln, gerade als wollten die Römer ihren Göttern sagen: Gebt her, was ihr lang genug vergeblich gehabt habt; vielleicht können unsere Sklaven einen nützlichen Gebrauch von dem machen, wovon ihr, unsere Götter, keinen habt machen können. Und da weiter der Staatsschatz auch für den Sold nicht mehr aufzukommen vermochte, so nahm man Privatbesitz für die Staatsbedürfnisse in Anspruch und jeder gab das Seinige so vollständig hin, daß selbst die Senatoren — um wieviel mehr die übrigen Stände und Tribus — außer je einem Ring und je einer Kapsel[174] , den traurigen Abzeichen ihrer Würde, kein Gold zurückbehielten. Ganz unleidlich müßten da unsere Gegner werden, wenn sie sich in unseren Zeiten zu solcher Einschränkung gezwungen sähen, da sie doch schon jetzt kaum zu ertragen sind, wo für überflüssige Vergnügung den Schauspielern mehr an Geschenken zugewendet wird[175] , als man damals zur Rettung aus äußerster Not auf die Legionen verwandte.
20. Keine Götterhilfe wurde den Saguntinern zuteil, als sie wegen ihres Bündnisses mit den Römern untergingen.
Unter allem Unheil des zweiten punischen Krieges war aber noch das traurigste und beklagenswerteste der Untergang Sagunts, Diese Stadt, in Spanien gelegen und mit dem römischen Volke eng verbündet, fiel der Vernichtung anheim, weil sie Bundestreue hielt. Daraus nahm ja Hannibal, als er den Vertrag mit den Römern gebrochen hatte, den Anlaß, diese zum Kriege zu reizen. Er bedrängte also Sagunt mit harter Belagerung. Auf die Kunde hievon sandten die Römer Botschaft an Hannibal mit der Aufforderung, von der Belagerung abzustehen. Zurückgewiesen, begab sich die Gesandtschaft nach Karthago, erhob Klage über Vertragsbruch und kehrte unverrichteter Dinge nach Rom zurück. In der Zwischenzeit wurde die unglückliche Stadt, eine der reichsten, hochgeschätzt im eigenen Staat und von den Römern, nach acht- oder neunmonatiger Belagerung zerstört. Die Geschichte ihres Unterganges auch nur zu lesen, geschweige denn darüber zu schreiben, ist schauerlich. Gleichwohl will ich in Kürze davon berichten; denn es hängt enge mit dem Thema zusammen. Zuerst verging die Stadt vor Hunger; sie soll sich ja nach manchen Berichten sogar von Leichnamen der Ihrigen genährt haben. Nachdem man sodann bei der äußersten Erschöpfung angelangt war, errichteten die Saguntiner, um wenigstens nicht gefangen in die Hände Hannibals zu fallen, öffentlich einen ungeheuren Scheiterhaufen, steckten ihn in Brand und übergaben sich und die Ihrigen ohne Ausnahme, indem sie sich auch noch mit dem Schwerte töteten, den Flammen. Hier hätten doch die Götter, diese Schlemmer, diese Windbeutel, etwas tun sollen, sie, die so gierig nach dem Fett der Opfer lecken und mit trügerischen Weissagungen die Leute benebeln. Hier hätten sie eingreifen, der dem römischen Volk so eng verbündeten Stadt helfen und nicht zulassen sollen, daß sie über der Heilighaltung der Treue zugrunde gehe. Sie hatten ja als Vermittler das Zustandekommen des Bündnisses mit dem römischen Staate geleitet. Eben dadurch, daß die Stadt treu festhielt an dem, was sie unter dem Vorsitz der Götter durch Beschluß eingegangen, durch Verpflichtung auf sich genommen, durch Eid befestigt hatte, ward sie von einem Treubrüchigen belagert, überwältigt und vernichtet. Wenn es die Götter gewesen wären, die nachmals durch Blitz und Ungewitter den Hannibal unmittelbar vor den Mauern Roms schreckten und verscheuchten, so hätten sie hier schon etwas der Art tun sollen. Ich wage nämlich zu behaupten, daß es für sie ehrenvoller gewesen wäre, ein Unwetter loszulassen zugunsten der Bundesgenossen der Römer, die in Gefahr geraten waren, weil sie den Römern die Treue nicht brechen wollten, die überdies damals ohne Unterstützung blieben, als zugunsten der Römer selbst, die für ihre eigene Sache stritten und dem Hannibal gegenüber reiche Mittel zur Verfügung hatten. Wären sie also die BeSchutzer von Roms Glück und Ruhm, so hätten sie von ihm den schweren Vorwurf des Untergangs der Stadt Sagunt abwehren müssen; so aber ist es doch eine allzu einfältige Annahme, Rom sei über den Siegen Hannibals deshalb nicht zugrunde gegangen, weil es unter dem Schutz dieser Götter stand, die die Stadt Sagunt nicht davor hatten bewahren können, daß sie für ihr Bündnis mit Rom zugrunde ging. Wäre die Bevölkerung von Sagunt christlich gewesen und hätte sie derartiges für den Glauben an das Evangelium zu erdulden gehabt — sie würde sich freilich in diesem Fall nicht durch Schwert und Feuer selbst vernichtet haben, aber nehmen wir an, sie hätte für den Glauben an das Evangelium Vernichtung erlitten —, so würde sie das in der Hoffnung, mit der sie an Christus glaubte, erduldet haben, nicht um einen Lohn, der vergänglich ist wie die Zeit, sondern um einen Lohn, der endlos ist wie die Ewigkeit. Aber diese Götter werden bekanntlich deshalb verehrt und ihre Verehrung wird deshalb zu einer Forderung gemacht, weil sie in diesen hinfälligen und vergänglichen Dingen glücklichen Erfolg sicher stellen sollen; was können uns also zu ihren Gunsten ihre Verteidiger und Schutzredner erwidern hinsichtlich des Falles von Sagunt als eben das, was sie beim Morde des Regulus vorbringen[176] ? Der Unterschied liegt nämlich nur darin, daß dieser ein einzelner Mensch war, Sagunt eine ganze Stadt; aber Ursache des Unterganges war hier wie dort die Bewahrung der Treue. Mit Rücksicht auf sie wollte Regulus zurückkehren, wollte sich Sagunt von Rom nicht abkehren. Fordert also die Bewahrung der Treue den Zorn der Götter heraus? oder können trotz der Gunst der Götter nicht nur die einzelnen Menschen, sondern auch ganze Städte zugrunde gehen? Zwischen dieser Alternative mag man wählen nach Belieben. Zürnen die Götter über Bewahrung der Treue, so sollen sie ihre Verehrer nur unter Treulosen suchen; wenn aber trotz ihrer Gunst Menschen und Städte von vielen und schweren Leiden heimgesucht werden und darunter erliegen können, so schafft ihre Verehrung keinen Nutzen in der Richtung auf das irdische Glück. Und also mögen die, die ihr Unglück dem Verluste der Heiligtümer ihrer Götter zuschreiben zu sollen glauben, ihren Groll ablegen. Denn wenn die Götter noch da wären und überdies ihnen huldreich gesinnt wären, hätten sie in die Lage kommen können, nicht nur über Unglück zu murren, wie sie jetzt tun, sondern auch, wie einst Regulus und die Saguntiner, unter entsetzlichen Qualen gänzlich zugrunde zu gehen.
21. Die Undankbarkeit Roms gegen seinen Retter Scipio und der sittliche Zustand zu der Zeit, da er nach Sallust ganz vorzüglich war.
Zwischen dem zweiten und dem letzen punischen Krieg sodann, in der Zeit, da nach Sallust bei den Römern eine ganz vorzügliche sittliche Verfassung und die größte Eintracht herrschte [ich muß mit Rücksicht auf die durch das Thema geforderte Beschränkung vieles übergehen], also just während der Herrschaft der trefflichsten Sitten und der größten Eintracht war es, daß Scipio, der Befreier Roms und Italiens, der glorreiche und wunderbar begabte Beendiger des furchtbaren, so verderblichen und gefährlichen zweiten punischen Krieges, Hannibals Besieger und der Bezwinger Karthagos, der von Jugend auf, wie wir aus Schilderungen wissen, in Ergebenheit gegen die Götter und im Schatten der Tempel gelebt hatte, den Anklagen seiner Feinde wich, der Vaterstadt, die er durch seine Tüchtigkeit gerettet und befreit hatte, den Rücken kehrte und in dem Flecken Linternum sein Leben weiterhin zubrachte und beschloß; ihn zog trotz des glänzenden Triumphes kein Sehnen nach jener Stadt; er soll sogar angeordnet haben, daß ihm nicht einmal bei seinem Tode eine Leichenfeier in der undankbaren Vaterstadt veranstaltet werde. Danach fand durch den Prokonsul Gn. Manlius, der über die Galater triumphierte, die asiatische Üppigkeit, der schlimmste aller Feinde, Eingang in Rom. Damals sah man nämlich zuerst metallbeschlagene Betten und kostbare Teppiche; damals fing man an, bei den Gastmählern Saitenspielerinen und andere freche and nichtswürdige Gepflogenheiten einzuführen. Doch hier habe ich von den Übeln zu sprechen, die die Menschen mit Unmut ertragen, nicht von denen, die sie mit Lust herbeiführen. Deshalb gehört das erwähnte Schicksal Scipios, der seinen Feinden aus dem Wege ging und außerhalb der von ihm befreiten Vaterstadt sein Leben beschloß, enger zum Thema, weil ihm die römischen Gottheiten, von deren Tempeln er Hannibal ferne hielt, nicht mit gleicher Wohltat vergalten, da sie doch nur wegen des irdischen Glückes verehrt werden. Weil jedoch Sallust von der ausgezeichneten Sittlichkeit jener Zeit spricht, glaubte ich die kurze Abschweifung über die asiatische Üppigkeit machen zu sollen, damit man sich klar sei darüber, daß Sallust das nur beziehungsweise, im Vergleich zu anderen Zeiten, gemeint habe, die freilich unter der Herrschaft der ernstesten Zwistigkeiten eine noch schlimmere Sittenlosigkeit zeitigten. Denn damals, nämlich zwischen dem zweiten und dem letzten Krieg mit Karthago, wurde auch das Voconische Gesetz erlassen, das die Erbeinsetzung der Frauen, selbst der einzigen Tochter, verbot. Etwas Ungerechteres als dieses Gesetz läßt sich kaum nennen oder denken. Immerhin aber war die Unseligkeit in dieser ganzen Zeit zwischen den zwei punischen Kriegen noch einigermaßen erträglich. Nur durch Kriege nach außen wurde das Heer mitgenommen, zugleich aber durch Siege entschädigt, während im Staate selbst nicht, wie sonst, wütende Zwietracht herrschte. Aber im letzten punischen Krieg wurde von dem andern Scipio, der deshalb ebenfalls den Beinamen Africanus erhielt, in einem einzigen Sturmangriff die Nebenbuhlerin des römischen Reiches von der Wurzel aus vernichtet, und von da ab wurde der römische Staat von so gehäuften Übeln bedrängt, daß es offen zu Tage trat, wieviel mehr Unheil — infolge der nun eintretenden Wohlfahrt und Sicherheit, woraus als Quelle dieser Übel eine nur allzu schlimme Sittenverderbnis entsprang — die rasche Zerstörung Karthagos anstiftete als vordem seine lange Gegnerschaft. In dieser ganzen Zeit bis zu Cäsar Augustus, der selbst nach Ansicht unserer Gegner den Römern augenscheinlich nicht mehr eine ruhmreiche, sondern eine hadersüchtige, verderbliche, schon völlig entnervte und sieche Freiheit auf alle Weise entwand, durchgehends die königliche Willkür wieder aufrichtete und den vor Krankheit und Alter zusammengebrochenen Staat in gewissem Sinne wieder herstellte und erneuerte, in dieser ganzen Zeit also, auf die ich nicht näher eingehen will, immer wieder Kriegsunglück aus den verschiedensten Ursachen, dann der Vertrag[177] mit Numantia, von unauslöschlicher Schmach befleckt; es waren ja die Hühner aus ihrem Käfig davongeflogen und hatten dem Konsul Mancinus ein schlimmes Vorzeichen gegeben; als ob in der langen Reihe von Jahren, während deren diese kleine Stadt dem römischen Belagerungsheer zugesetzt hatte, sodaß sie bereits dem mächtigen römischen Staat ein Gegenstand des Schreckens zu sein anfing, andere Feldherren unter anderem Vorzeichen gegen sie vorgegangen wären.
22. Des Mithridates Edikt, alle römischen Bürger in Asien zu ermorden.
Indes, wie gesagt, ich übergehe dies, kann aber doch nicht unerwähnt lassen, daß Mithridates, König von Asien, die allenthalben in Asien sich aufhaltenden und in unzählbarer Menge ihren Geschäften nachgehenden römischen Bürger an einem einzigen Tage zu ermorden befahl; und es geschah so[178] . Welch klägliches Schauspiel, als plötzlich jeder, wo man ihn nur gerade antraf: auf dem Felde, auf dem Wege, im Orte, im Haus, auf der Straße, auf dem Marktplatz, im Tempel, im Bette, beim Gastmahl, unverhofft und erbarmungslos niedergemacht wurde! Das Gestöhne der Sterbenden begleiteten die Tränen der Zuschauer, vielleicht selbst der Mörder. Welch harte Aufgabe für die Gastfreunde, dieses ruchlose Gemetzel in ihrem Hause nicht bloß mitansehen, sondern sogar verüben zu müssen, in den Mienen eben noch gefällige Dienstfertigkeit und Artigkeit und nun plötzlich die drohende Haltung zur Ausführung eines so feindseligen Aktes mitten im Frieden, wobei es gewiß, ich möchte sagen, Wunden absetzte hüben und drüben, da der Ermordete am Leibe und der Mörder in der Seele getroffen wurde! Haben auch sie alle etwa die Wahrzeichen nicht beachtet? Sie hatten ja Hausgötter, hatten Staatsgötter, die sie hätten befragen können, als sie von ihrer Heimat zu dieser Reise aufbrachen, von der es für sie keine Rückkehr gab. Wenn dem so ist, so haben unsere Gegner keinen Grund, sich über Vernachlässigung der Götter in unserer Zeit zu beklagen; längst schon setzten sich dann die Römer über diese Albernheiten hinweg. Wenn sie aber Rat erholt haben, so beantworte man doch die Frage, was es geholfen hat zu einer Zeit, da derlei, freilich nur nach menschlichen Gesetzen, gestattet war und niemand es verwehrte.
23. Die Übel, die den römischen Staat im Inneren aufwühlten nach Vorangang einer seltsamen Erscheinung, die in einer allgemeinen Haustierwut bestand.
Doch nun will ich kurz, so gut ich es vermag, auf die Übel hinweisen, die tief in das Innere des Staates eingriffen und diesem ihrem Charakter gemäß auch umso größeres Elend erzeugten: bürgerliche oder vielmehr unbürgerliche Zwietracht, nicht mehr bloß Aufstände, sondern auch bereits Kämpfe in der Stadt, bei denen Blut in Strömen floß und die Parteileidenschaften nicht in Versammlungen und Gegenversammlungen, in Reden und Gegenreden, sondern mit wütend geführten Waffen aufeinanderplatzten; wieviel römisches Blut haben die Bundesgenossenkriege, die Sklavenkriege, die Bürgerkriege gekostet, welch arge Verwüstung und Verödung Italiens haben sie herbeigeführt! Bevor jedoch das verbündete Latium sich wider Rom erhob, wurden plötzlich alle Haustiere wild, Hunde, Pferde, Esel, Rinder und alle Tiere, die der Mensch in seiner Gewalt hat; sie vergaßen der häuslichen Zahmheit, verließen ihre Ställe, schweiften frei umher und ließen nicht nur Fremde, sondern auch ihre Herren nicht an sich herankommen, und wer es dennoch wagte und ihnen beizukommen suchte, der setzte Leben oder Gesundheit aufs Spiel. Wahrlich, ein Anzeichen eines furchtbaren Übels, wenn das überhaupt noch ein Anzeichen war, was schon ein furchtbares Übel war, wenn es auch kein Anzeichen war! Hätte sich so etwas in unseren Zeiten zugetragen, rasender wären unsere Gegner auf uns, als damals die Tiere gegen die Menschen waren.
24. Die Bürgerunruhen infolge der Aufstände der Gracchen.
Den Anfang des Unheils unter der Bürgerschaft machten die durch die Agrargesetze hervorgerufenen Aufstände der Gracchen. Sie wollten nämlich die Ländereien, die der Adel zu Unrecht besaß, unter das Volk aufteilen. Aber schon war es äußerst gefährlich, ja, wie die Tatsachen zeigen, höchst verderbenbringend, sich an die Beseitigung eines alten Unrechtes zu wagen. Wieviel Leichen gab es, als der ältere Gracchus ermordet wurde! wieviele, als ihm sein Bruder nicht lange hernach folgte! Denn nicht auf Grund von Gesetzen noch auf Anordnung der Behörden, sondern in Verwirrung und blutigen Zusammenstößen wurden Adelige und Leute aus dem Volk erschlagen. Nach der Ermordung des jüngeren Gracchus ging der Konsul L. Opimius, der den bewaffneten Aufstand gegen ihn in der Stadt veranlaßt und nach Überwältigung und Beseitigung des Gracchus und seiner Genossen ein ungeheures Blutbad unter der Bürgerschaft angerichtet hatte, nunmehr mit Gerichtsprozessen — er führte nämlich die Untersuchung — gegen die übrigen vor und soll deren 3000 aus der Welt geschafft haben. Daraus läßt sich ermessen, welche Unzahl von Opfern der regellose Waffengang gefordert haben mag, wenn schon die scheinbar ordnungsgemäße gerichtliche Untersuchung so vielen das Leben kostete. Der Mörder des Gracchus verkaufte dessen Kopf nach dem Gewicht um Gold an den Konsul; dieser Lohn war vor dem Gemetzel festgesetzt worden, bei dem auch der frühere Konsul M. Fulvius mit seinen Söhnen fiel.
25. Auf Grund eines Senatsbeschlusses wurde der Concordia an der Stätte des blutigen Aufstandes ein Tempel errichtet.
Ein feiner Senatsbeschluß in der Tat war es, auf Grund dessen an derselben Stelle, wo dieser verlustreiche Zusammenstoß vor sich gegangen war, wo soviele Bürger jeglichen Standes den Tod gefunden hatten, der Concordia ein Tempel errichtet wurde, damit er als Denkmal der Bestrafung der Gracchen den Volksführern warnend vor Augen stehe und ihnen das Gedächtnis auffrische. Das war doch eigentlich eine Verspottung der Götter, dieser Göttin einen Tempel zu erbauen. Wäre Concordia im Staate gewesen, so hätte sich Rom nicht in solchen Zwistigkeiten zerfleischt und heruntergebracht. Aber vielleicht war gerade Concordia schuld an diesem Verbrechen, dadurch, daß sie aus den Herzen der Bürger gewichen war, und sollte sie nun in dem Tempel wie in einem Strafgefängnis eingesperrt werden. Warum hat man nicht lieber, wenn man der Lage gerecht werden wollte, der Discordia einen Tempel erbaut? Oder läßt sich irgend ein Grund angeben, weshalb Concordia eine Göttin sein soll und Discordia keine, daß nach der Unterscheidung, die Labeo macht[179] , die eine eben gut, die andere schlimm wäre. Und auch er scheint dabei gerade auf seine Bemerkung anzuspielen, daß man in Rom der Febris so gut wie der Salus einen Tempel errichtet habe. Darnach hätte man also nicht nur die Concordia, sondern auch der Discordia einen solchen entrichten sollen. Eine Gefahr bedeutete es demnach für die Römer, unter dem Zorne einer so schlimmen Göttin leben zu wollen, und sie erinnerten sich auch nicht, daß der Untergang Trojas in letzter Linie auf ihre Beleidigung zurückzuführen sei. Sie war es ja, die, weil sie nicht mit den übrigen Göttern[180] eingeladen worden war, den Plan ausheckte, zwischen den drei Göttinnen[181] durch die Hinterlegung des goldenen Apfels Hader zu stiften; daher Zank unter den Gottheiten, der Sieg der Venus, der Raub der Helena, die Zerstörung Trojas. War sie also etwa entrüstet, daß sie nicht wie die anderen Götter einen Tempel in der Stadt haben sollte, und hat sie deshalb allein schon die Bürgerschaft mit solchen Unruhen gegen einander gehetzt, wieviel schrecklicher hätte ihr Zorn werden können, als sie wahrnehmen mußte, wie man an der Stätte jenes Gemetzels, also am Schauplatz ihrer Tätigkeit, ihrer Gegnerin einen Tempel errichtete! Wenn wir diese Albernheiten lächerlich machen, so ärgern sich die Gelehrten und Weisen von drüben, und doch kommen die Verehrer guter und schlimmer Gottheiten über diese Frage mit Concordia und Discordia nicht hinweg, ob sie nun die Verehrung dieser Göttinnen unterließen und lieber Febris und Bellona verehrten, denen man schon in alter Zeit Tempel erbaut hat, oder ob sie auch ihnen ihre Verehrung zuwandten, da eben trotzdem Concordia sie im Stiche ließ und die wütende Discordia sie bis zu Bürgerkriegen trieb.
26. Krieg in allen Formen folgte auf die Errichtung des Concordiatempels.
Als eine mächtige Wehr wider Aufruhr glaubte man also den Tempel der Concordia, dieses Erinnerungszeichen an die Ermordung und Bestrafung der Gracchen, den Volksführern vor Augen stellen zu sollen. Was es half, zeigt sich darin, daß es noch schlimmer kam. Denn spätere Volksführer haben sich angelegen sein lassen, die Wege der Gracchen nicht etwa zu meiden, sondern ihr Beispiel noch zu übertrumpfen, so ein L. Saturninus, Volkstribun, und der Prätor G. Servilius und lange nachher M. Drusus, durch deren Aufstände zunächst jedesmal Mordszenen, und zwar nunmehr der schwersten Art veranlaßt wurden, nachmals aber die Bundesgenossenkriege entbrannten, die Italien hart bedrängten und in einen Zustand unglaublicher Verwüstung und -Verödung versetzten. Darauf folgte der Sklavenkrieg, den wieder Bürgerkriege ablösten. Welcher Kämpfe bedurfte es, welche Ströme von Blut flossen, bis fast alle italischen Völkerschaften, unter denen das römische Reich nur eben als das mächtigste hervorragte, wie wildes Barbarenvolk gebändigt waren! Wie sich sodann aus dem Vorstoß ganz weniger Gladiatoren — es waren ihrer keine siebzig — der Sklavenkrieg entwickelte, welch große Zahl entschlossener und erbitterter Teilnehmer er fand, welche Feldherren des römischen Volkes das Sklavenheer besiegte, was für Städte und Gegenden es verwüstete und wie es dabei herging, haben selbst die Geschichtsschreiber zu schildern kaum Worte genug gefunden. Und das war nicht der einzige Sklavenkrieg; Sklavenscharen haben auch die Provinz Macedonien[182] und später Sicilien und die Meeresküste[183] verheert. Wer könnte ferner nach Gebühr darstellen, in welchem Umfang und wie entsetzlich sie Räubereien verübten und dann heftige Seeräuberkriege hervorriefen?
27. Der Bürgerkrieg zwischen Marius und Sulla.
Als jedoch Marius, die Hände schon befleckt mit Bürgerblut — viele seiner Gegnerpartei hatte er bereits aus dem Wege geschafft — besiegt aus der Stadt floh und die Bürgerschaft eben ein wenig aufatmete, da „gewann“, um mich der Worte Ciceros[184] zu bedienen, „nachmals Cinna neben Marius die Oberhand. Und nun wurden die bedeutendsten Männer ermordet und es erloschen mit ihnen die Leuchten des Staates. Für den grausamen Sieg nahm später Sulla Rache und es braucht nicht erst gesagt zu werden, mit welchem Verlust an Bürgern und mit welchem Unheil für den Staat.“ Über diese Rache, die schlimmeres Verbrechen anrichtete als wenn die Verbrechen, die bestraft wurden, ungestraft geblieben wären, äußert sich auch Lucanus[185] :
„Es überschritt die Heilung das Maß, zu stark griff die Hand ein,
Folgend des Übels Spur. Die Schuldigen gingen zugrunde,
Aber erst als es schien, sie sollten allein überdauern.“
In diesem Krieg zwischen Marius und Sulla füllten sich — abgesehen von denen, die außerhalb der Stadt in der Schlacht fielen — in der Stadt selbst die Straßen, die Gassen, die Plätze, die Theater, die Tempel derart mit Leichen, daß es schwer war zu entscheiden, wann die Sieger mehr Menschenleben opferten, ob vorher, um zu siegen, oder nachher, weil sie gesiegt; denn zuerst, beim Siege des Marius, als dieser eigenmächtig die Verbannung aufhob und zurückkehrte, wurde außer den da und dort angestellten Metzeleien, wie sie überall sich zutrugen, das Haupt des Konsuls Octavius auf der Rednerbühne aufgesteckt, die Cäsaren fielen unter der Mörderhand Fimbrias, zwei Crassus, Vater und Sohn, starben, einer vor den Augen des andern, eines gewaltsamen Todes, Bäbius und Numitorius wurden am Hacken geschleift und in Stücke zerrissen, Catulus entzog sich durch einen Gifttrank den Händen seiner Feinde, Merula, der dialische Flamen, öffnete sich die Adern und opferte dem Jupiter mit seinem eigenen Blut. Vor den Augen des Marius selbst aber wurden alle die sofort niedergehauen, deren Gruß er nicht durch Darreichung der Hand erwidern wollte.
28. Wie es nach dem Siege Sullas herging und wie für die Grausamkeit des Marius Rache genommen wurde.
Der darauffolgende Sieg des Sulla, die Rache für diese Grausamkeit, war schon mit reichlichem Bürgerblut erkauft worden; aber dieser Sieg wütete nach Beendigung des Kampfes im Frieden, da die Feindschaft fortlebte, noch grausamer. Auch gesellten sich nun zu den Blutbädern, die der ältere Marius früher und neuerdings angerichtet hatte, noch ärgere von Seiten des jüngeren Marius und des derselben Partei des Marius angehörigen Carbo, die beim Anmarsch Sullas nicht nur am Siege, sondern selbst an ihrer Rettung verzweifelten und sinnlos weiter mordeten. Denn außer den weit und breit an verschiedenen Orten verübten Metzeleien wurde auch der Senat belagert und man führte die Väter direkt von der Kurie wie von einem Gefängnis weg zur Hinrichtung. Der Oberpriester Mucius Scävola wurde vor dem Altar der Vesta ermordet, den er umklammert hatte, weil bei den Römern nichts für so heilig galt als der Tempel der Vesta, und beinahe hätte er mit seinem Blute das Feuer erstickt, das durch die ununterbrochene Mühewaltung der Jungfrauen stets brannte. Darauf zog Sulla als Sieger in die Stadt ein, nachdem er in der öffentlichen Villa[186] , und zwar nicht mehr während des kriegerischen Wütens, sondern als bereits der Friede die Herrschaft angetreten hatte, 7000 Mann nach erfolgter Kapitulation [also natürlich waffenlose Leute], nicht im Kampfe, sondern durch einen Befehl dem Tode geweiht hatte. In der Stadt aber übten die Anhänger Sullas Mord, wo und an wem sie nur gerade wollten, so daß man die Leichen wegen ihrer Menge nicht mehr zählen konnte, bis man Sulla beibrachte, man müsse einige am Leben lassen, damit doch jemand da sei, über den die Sieger ihrer Herrschaft ausüben könnten. Nunmehr wurde die Mordfreiheit, die sich entfesselt hierhin, dorthin ohne Wahl kehrte, eingedämmt; es erschien unter großem Beifall die bekannte Liste, in der 2000 Angehörige der obersten Stände, des Ritter- und des Senatorenstandes, zur Hinrichtung und Ächtung verzeichnet waren. Man war entsetzt über die Zahl, und empfand es doch tröstlich, daß nur überhaupt Schranken gesetzt wurden. Die Trauer über den Fall so vieler Edlen war nicht so groß als die Freude über die Sicherstellung der übrigen. Aber bei manchen, über die der Tod verhängt war, nötigten doch die ausgesuchten Todesarten denen, die sich grausam genug über ihre Sicherstellung freuten, allgemeines Mitleid ab. Einer wurde ohne Werkzeug mit den bloßen Händen, in Stücke gerissen, ein Vorgang, bei dem die Menschen mit einem lebenden Menschen entsetzlicher verfuhren als wilde Tiere, wenn sie Leichname zerreissen. Einem andern wurden die Augen ausgestochen und die Glieder eines ums andere abgehauen, so daß er unter diesen heftigen Qualen lange leben oder vielmehr lang sterben mußte. Auch wurden einige bekannte Städte, gerade als waren sie Landhäuser, öffentlich versteigert; in einer andern ließ man, wie wenn man einen einzelnen Verbrecher zur Hinrichtung führte, die gesamte Einwohnerschaft niedermetzeln. Das geschah im Frieden, nach dem Kriege, nicht damit man den Sieg rascher erringe, sondern damit der errungene Sieg nicht unterschätzt werde. Ein Wettstreit zwischen Krieg und Frieden um die Grausamkeit und die Palme trug der Friede davon. Denn der Krieg mähte Bewaffnete nieder, der Friede Wehrlose. Im Kriege konnte vielleicht der Verwundete einen Gegenschlag führen, im Frieden war man dem Tode durchaus nicht entronnen, sondern mußte ihn nur ohne Widerstand über sich ergehen lassen.
29. Vergleich des Einbruches der Goten mit den schweren Schlägen, die die Römer von den Galliern und von den Anstiftern der Bürgerkriege erlitten haben.
Wann haben auswärtige Feinde eine solche Wut, wann Barbaren eine solche Wildheit an den Tag gelegt, wie sie hier bei dem Siege von Bürgern über Bürger entfesselt wurde? Was war für Rom verhängnisvoller, entsetzlicher, bitterer, der Einbruch der Gallier und kürzlich der der Goten oder das grausame Wüten, das Marius und Sulla und andere hervorragende Männer, ihre Parteigänger, gleichsam die Augen Roms wider dessen Glieder, in Szene setzten? Die Gallier haben zwar die Senatoren niedergemetzelt, soviele sie ihrer in der Stadt allüberall mit Ausnahme des Kapitols antrafen, das allein, so gut es ging, gehalten wurde, aber denen, die sich auf dem genannten Hügel befanden, liessen sie um Gold wenigstens das Leben, das sie zwar nicht im Kampf ihnen hätten nehmen, aber doch durch Belagerung hätten aufreiben können; die Goten aber übten gegen soviele Senatoren Schonung, daß daneben die Tötung einzelner fast als eine Ausnahme gelten kann. Sulla dagegen hat noch bei Lebzeiten des Marius eben das Kapitol, das vor den Galliern sicher war, als Sieger zum Erlaß von Morddekreten besetzt und sprach, als Marius durch Flucht entkommen war — er sollte wiederkommen, wilder noch und blutgieriger —, auf dem Kapitol eben durch einen Senatsbeschluß vielen Leben und Besitz ab; und was wäre erst der Partei des Marius, als Sulla ferne war, heilig und schonungswürdig gewesen, da sie nicht einmal dem Mucius, ihrem Mitbürger, Senator und Oberpriester, Schonung gewährte in dem Moment, als er den Altar, an dem, wie es heißt, das Schicksal Roms hängt, in kläglicher Hilflosigkeit umklammerte? Die letzte Liste Sullas endlich, um andere unzählige Morde zu übergehen, schlachtete mehr Senatoren ab, als die Goten auch nur zu berauben vermochten.
30. Der Zusammenhang der zahlreichen und blutigen Kämpfe, die der Ankunft Christi vorhergingen.
Was ist es also für eine Frechheit und Unaufrichtigkeit, was für eine Unverschämtheit und Einsichtslosigkeit oder vielmehr Albernheit, all dies Unheil ihren Göttern nicht zuzuschreiben, wohl aber das gegenwärtige unserm Christus aufzubürden? Die grausamen Bürgerkriege, die nach dem Eingeständnis ihrer eigenen Schriftsteller schrecklicher sind als alle Kriege mit auswärtigen Feinden und die den Staat, wie man urteilte, nicht nur bedrängten, sondern völlig zugrunde richteten, sind lang vor der Ankunft Christi ausgebrochen und haben sich durch Verkettung unseliger Ursachen fortgesponnen vom Krieg zwischen Marius und Sulla zu den Kriegen zwischen Sertorius und Catilina [jener von Sulla geächtet, dieser von ihm gefördert], dann zu dem Kriege zwischen Lepidus und Catulus [der eine wollte die Maßnahmen Sullas rückgängig machen, der andere sie aufrecht erhalten], dann zu dem Kampf zwischen Cäsar und Pompejus [dieser ein Anhänger Sullas und ihm an Machtfülle gleich oder sogar noch überlegen, Cäsar ein Gegner der Machtfülle des Pompejus, aber nur weil er selbst sie nicht besaß; nach der Besiegung und Ermordung des Nebenbuhlers vereinigte er in sich eine größere], endlich zu dem andern Cäsar, der nachmals Augustus benannt wurde, unter dessen Regierung Christus geboren ward. Denn auch Augustus führte eine Reihe von Bürgerkriegen und in diesen fanden ebenfalls viele der hervorragendsten Männer den Tod, darunter auch Cicero, der Meister in rednerischen Ergüssen über Staatsregierung. Gaius Cäsar nämlich, der Sieger über Pompejus, der jedoch den Sieg mit Milde ausnützte und seinen Gegnern Leben und Würde beließ, fiel als Streber nach der Königskrone unter dem Vorwand der Freiheit der Republik der Verschwörung einiger vornehmen Senatoren zum Opfer und wurde in der Kurie selbst ermordet. Das Erbe seiner Macht schien dann Antonius, an Charakter sehr verschieden, ein Ausbund aller Laster, antreten zu sollen, dem ebenfalls im Namen der sogenannten Freiheit des Vaterlandes Cicero heftigen Widerstand entgegensetzte. Damals war der andere Cäsar aufgetaucht, der, wie gesagt, später Augustus benannt wurde, ein Jüngling von seltener Begabung, der Adoptivsohn Gaius Cäsars. Diesen jungen Cäsar begünstigte Cicero, um dessen Macht wider Antonius zu stärken, in der Hoffnung, er werde nach Beseitigung und Unterdrückung der Herrschaft des Antonius die Freiheit der Republik wieder herstellen, so blind und kurzsichtig war Cicero, während doch dieser Jüngling, dessen Ansehen und Macht er zu heben suchte, gerade ihn dem Antonius beim Abschluß einer Art Verständigung preisgab und die Freiheit des Staates, für die Cicero den Mund so weit aufgetan hatte, seiner Selbstherrschaft unterwarf.
31. Die derzeitigen Unannehmlichkeiten Christus zuzuschreiben ob des Verbotes der Götterverehrung, ist eine Unverschämtheit, da zu der Zeit, als sie verehrt wurden, die schwersten Verheerungen auftraten.
So mögen sie ihre Götter anklagen wegen dieser furchtbaren Übel, statt unserm Christus für seine herrlichen Güter undankbar zu sein. Kein Zweifel, als sich jene Übel zutrugen, loderten die Altäre der Götter und dufteten von sabäischem Weihrauch und von frischen Blumengewinden, die Priesterschaft stand in Ehren, die Tempel erstrahlten im Glanze, man opferte, man spielte, man raste in den Tempeln, während allenthalben von Bürgern Bürgerblut in Strömen vergossen wurde, und zwar selbst unmittelbar vor den Altären der Götter. Tullius suchte nicht mehr in einem Tempel Schutz, weil Mucius ihn dort vergebens gesucht hatte. Dagegen flüchteten sich die, die über die christlichen Zeiten mit weit weniger Grund schmähen, an die Stätten, die Christo besonders geweiht sind, oder es haben sogar die Barbaren sie dorthin geleitet in der Absicht, ihnen das Leben zu retten. Das weiß ich gewiß und jeder, der unparteiisch urteilt, sieht es ohne weiteres ebenso ein [ich übergehe vieles andere, was ich erwähnt habe, und noch weit mehr, was ich ohne allzu große Abschweifung nicht erwähnen kann]: wenn das Menschengeschlecht vor den punischen Kriegen die christliche Lehre angenommen hätte und es wäre darauf die furchtbare Verwüstung erfolgt, die in jenen Kriegen Europa und Afrika heimsuchte, so hätten alle die, unter deren Vorwürfen wir jetzt leiden, diese Übel ausschließlich auf Rechnung der christlichen Religion gesetzt. Noch weit unerträglicher aber wäre ihr Gezeter, speziell mit Bezug auf die Leiden der Römer, wenn auf die Annahme und Verbreitung der christlichen Religion der Einfall der Gallier oder die vom Tiberfluß und durch Feuer verursachte Verheerung oder gar die Bürgerkriege gefolgt wären, die alle Übel hinter sich lassen. Auch andere Übel, so unglaubliche, daß man sie zu den Ungeheuerlichkeiten zählte, wem sonst als den Christen würde man sie, wenn sie in den christlichen Zeiten eingetreten wären, zur Last gelegt haben? Ich will von den mehr seltsamen als verderblichen Vorkommnissen absehen, wie daß Rinder redeten, Kinder im Mutterschoß Worte sprachen, Schlangen flogen, Weiber und Hennen sich ins männliche Geschlecht verwandelten und anderes dergleichen,Vorkommnisse, die nicht in ihren Fabelwerken, sondern in ihren Geschichtswerken erwähnt werden, jedoch den Menschen nicht Verderben bringen, sondern Staunen einflößen, wobei es dahingestellt sein mag, ob sie sich wirklich zutrugen oder nicht. Aber wenn es Erde regnete oder Kreide oder Steine [wirkliche Steine, nicht Hagelkörner, die man auch Steine nennt], so konnte man doch wohl sogar schwere Verletzungen davontragen. Wir lesen ferner, daß sich das Feuer des Ätna vom Gipfel des Berges bis an die Küste ergoß und das Meer in solche Hitze versetzte, daß Felsen ausbrannten und das Pech an den Schiffen schmolz. So unglaublich das klingt, ein schwerer Schaden wars natürlich doch. Wiederum infolge von Feuerausbruch wurde Sicilien, wie schriftlich überliefert ist, mit einer solchen Menge Asche bedeckt, daß dadurch die Häuser der Stadt Catania verschüttet und unter der Last erdrückt wurden; die Römer haben ihr wegen dieses Unglücks teilnehmend die Abgabe jenes Jahres erlassen. Auch davon wird berichtet, daß in Afrika zu der Zeit, da dieses Land bereits eine römische Provinz war, die Heuschrecken in ungeheuerlichen Schwarmen auftraten; sie sollen alle Früchte und Blätter verzehrt und sich als eine außerordentlich große und unermeßliche Wolke ins Meer gestürzt haben; dort verendeten sie, wurden an die Küste gespült, verpesteten die Luft und verursachten eine so verderbliche Seuche, daß nur allein im Reich des Masinissa achtmalhunderttausend Menschen daran gestorben sein sollen und noch weit mehr an den Küstenstrichen. Damals seien, so wird versichert, in Utica von den dreißigtausend jungen Leuten, die es dort gab, nur zehntausend[187] am Leben geblieben. Was nun von all dem würden unsere Gegner in ihrer unlogischen Art, unter der wir zu leiden haben und auf die wir uns einlassen müssen, nicht der christlichen Religion zuschreiben, wenn sie derlei in den christlichen Zeiten vor sich gehen sähen? Aber ihren Göttern schreiben sie diese Verheerungen beileibe nicht zu; sie bestehen vielmehr deshalb auf deren Verehrung, damit sie die jetzigen, doch geringeren Übel nicht zu ertragen bräuchten, während jene größeren gerade die zu ertragen hatten, von denen damals die Götter noch verehrt wurden.