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Ann-Carolin Helmreich

Emotional & Mental Transformation Coach

Wohnt in Berlin

Bietet einfühlsame, bewusstseinserweiternde und humorvolle Begleitung für Menschen und Unternehmen in herausfordernden Zeiten an.

Ann-Carolin in drei Worten: Radikal ich. Sein.

,,Wir bekommen im Leben nicht das, was wir wollen. Sondern das, was wir brauchen. Und ich habe eine Wende in meinem Leben gebraucht, einen Schlussstrich. Etwas, das meine Welt regelrecht erschütterte, um aufzuwachen.“

Erdbeben

An meinem ersten Tag baute ich IKEA-Schreibtische zusammen. Dabei war ich euphorisch: Ich blickte voller Zuversicht auf ein neues Abenteuer. Mein Abenteuer. Gerade hatte ich meine kleinstädtische Welt in Hessen verlassen und war nach Berlin gezogen, in eine aufregende Stadt mit scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten. Ich war Mitte zwanzig und Mitbegründerin eines Start-ups, in dem ich eine Führungsrolle übernehmen sollte.

Ein wilder Ritt lag vor mir, der sieben Jahre andauern sollte. Schritt für Schritt sah ich dieses Unternehmen wachsen. Wie ein Fisch schloss ich mich dem Schwarm an und synchronisierte mein Dasein mit den Erwartungshaltungen meiner Umwelt. Ich entschied mich, stromlinienförmig mitzuschwimmen. Denn meine größte Angst war es, nicht gut genug zu sein. Nicht gut genug für diesen Job. Dabei hatte ich doch die einmalige Chance, Teil im Ökosystem Startup in Berlin zu sein.

Immer mehr Teammitglieder, ebenso jung und hungrig wie ich, kamen in meine Abteilung, bis sie schließlich der größte Bereich im Unternehmen wurde. Ich fühlte mich dadurch in dem bestätigt, was ich tat, und ich hatte ein freundschaftliches Verhältnis zu den meisten meiner Mitarbeitenden. Meine Welt drehte sich um diesen Job und ich genoss es.

Doch da gab es noch andere Meinungen: „Du bist irgendwie härter geworden, seitdem du Karriere machst.“ Sätze wie dieser von Freunden aus meiner Heimat trafen mich. Doch ich wehrte ihre Behauptungen schlagfertig ab - so wie alles, was in dieser Zeit nicht in meine neue Welt zu passen schien. Ich war zielorientiert, um keine

Antwort verlegen und angetrieben von Zielen, die immer unrealistischer zu werden schienen.

Das Management-Team spielte nach Regeln, die mir fremd waren: Männer-Regeln, mit viel Dominanz, politischen Nebenverabredungen und heftigen Auseinandersetzungen. Jeder von ihnen strotzte vor Durchsetzungskraft. Ich war die einzige Frau in diesem Team und beschloss, meine Weiblichkeit zu verstecken und mich dem Rudel anzuschließen. Ich wollte nicht noch mehr Baustellen aufmachen. Meine inneren Dialoge tat ich kopfschüttelnd ab. Das Unterdrücken meiner Gefühle und meiner Intuition wurde zur Regel, denn nur so glaubte ich, könnte ich einen guten Job machen. Etwas in mir dachte, dass der Stress und die permanente innere Anspannung der Preis waren, den ich zahlen musste. Die Wochen, in denen ich 70 Stunden arbeitete und meine Wohnung nur zum Schlafen aufsuchte, waren ein vermeintlicher Ausdruck meines Erfolgs.

Ich entfernte mich immer mehr von mir. Vergaß die vergangenen Jahre, in denen ich Zugang zu Meditation und Achtsamkeit hatte. Doch nun machte mir der Kontakt zu meinem Inneren unfassbar Angst. Negative Gefühle zuzulassen und zu leben, war etwas, das ich mir nicht zugestehen wollte. Ich drückte sie einfach weg und wurde immer härter zu mir.

Stattdessen lieber auf etwas anderes konzentrieren: auf die Erfolge, die Feiern, das Gefühl, etwas geschafft zu haben. Immer das nächste Ziel im Blick. Den ganzen Tag Entscheidungen treffen. Für mich. Für mein Team. Für das Unternehmen. Mein tägliches Mantra hinterfragte ich nicht. Wer mich hinterfragte, den wies ich entschieden zurück.

Denn ich fühlte mich ja angekommen in meinem Job. Mein materieller Erfolg, meine große Lernkurve und mein tolles Team sind doch Beweis genug, sagte ich mir.

Das erste Beben – Der Körper schreit

Nach einem langen Tag im Büro stand ich abends um halb neun vor dem Supermarktregal und war überfordert. Meine Atmung wurde flacher und mein Magen verkrampfte sich. Ich hatte auf einmal das Gefühl, dass ich gleich zusammenbrechen und mich übergeben müsste. Mein Puls begann zu rasen. Die Wahl zwischen rotem oder grünem Pesto löste eine totale Krise in mir aus. Ich ließ den Einkaufswagen am Pastaregal zurück und hechtete zum Ausgang. Japsend stieg ich in meinem Wagen und atmete langsam aus und wieder ein. Schluckte schnell eine Pille gegen Übelkeit und wartete, bis es besser wurde. Diese rezeptfreien Tabletten, die eigentlich Reiseübelkeit unterdrückten, wurden meine ständigen Begleiter. Ohne sie ging ich nicht mehr aus dem Haus.

Die Attacken kamen wieder. Und wieder. Ich hatte keine Ahnung, was meinen Körper da heimsuchte. Panikattacken kannte ich nicht. Ich dachte, dass es mit meiner Verdauung zu tun hätte. Reizdarm oder so. Keinen Mut, zum Arzt zu gehen. Keine Zeit, mich damit auseinander zu setzen, dass ich nicht mehr so funktionierte wie früher.

Wenn ich krank zu werden drohte, putschte ich mich mit Aspirin Complex so hoch, dass ich aufgedreht in Meetings saß und die neuen Vertriebsziele wie bedrohliche Echos in meinem Kopf hallten. Zu ihnen gesellte sich dann wieder mein inneres Mantra: Ich muss meine Ziele erreichen. Es muss weitergehen. Für mich. Für mein Team. Für das Unternehmen.

Doch ab und zu holte sich mein Körper seine Portion Ruhe und schickte mich auf Zwangsurlaub ins Bett. Häufig wurde ich sofort krank, wenn ich in den Urlaub fuhr oder meine Eltern besuchte. Es waren kleine Oasen der Ruhe und der Einkehr, in denen mein Körper mir ein dickes, fettes Stoppschild aufzeigte. Vergebens.

Zwei Burnout-Warnungen meines Arztes schlug ich in den Wind. Ich buchte mich vier Tage in ein Wellnesshotel ein und gab viel Geld für Massagen und Anwendungen aus. Das musste reichen, um wieder fit zu werden und Leistung bringen zu können. Für mich. Für mein Team. Für das Unternehmen.

Verkrampft hielt ich an diesem äußeren Bild fest, denn ich hatte eine unfassbare Angst, wer ich ohne das alles sein würde.

Mein Selbstwert schien so fest verwoben mit dem, was ich viele Jahre lang aufgebaut hatte. Wenn mir das jemand nehmen sollte, dann würde alles zusammenbrechen. Manchmal malte ich mir nachts im Bett genau das aus.

Ich hatte Angst vor der Leere in mir.

Was würde danach kommen?

Wer war ich ohne das alles?

Wir bekommen im Leben nicht das, was wir wollen. Sondern das, was wir brauchen. Und ich habe eine Wende in meinem Leben gebraucht, einen Schlussstrich. Etwas, das meine Welt regelrecht erschütterte, um aufzuwachen.

Das zweite Beben – Die Abfindung

Sie entzogen mir die Vertriebsleitung. Ohne eine für mich befriedigende Erklärung. Dafür wurde ich in die Leitung der Personalentwicklung versetzt. Meine neue Aufgabe im Unternehmen war die persönliche Weiterentwicklung meiner Teammitglieder. Plötzlich war da ein Arbeitsmodell mit mehr Platz für mich und meine Selbstreflexion. Das war mein Startschuss, um wieder in Kontakt mit mir zu kommen.

Nach und nach merkte ich, dass ich jahrelang Dinge in dieser Firma getan hatte, die mir gar nicht entsprachen. Dinge gesagt hatte, weil sie von mir erwartet wurden, die mir aber innerlich zutiefst missfielen. Endlich fand ich meine Stimme wieder und wurde unbequemer, als ich es mich je zuvor getraut hatte. Ich sprach Missstände offen an und stellte mich vor die Menschen, die sich mir anvertrauten. Ein gefährliches Spiel, dessen war ich mir bewusst. Und so kam es dann, wie es kommen musste: Nach einem weiteren Konflikt wurde ich mit einer bescheidenen Abfindung und Vertragsauflösung vor die Tür gesetzt. Zwei Tage vor Weihnachten. Danke, das war’s!

Zwei Nervenzusammenbrüche und ein verzweifeltes Weihnachtsfest später saß ich im Flugzeug mit einem One-Way-Ticket nach Asien. Auf dem Konto war genug Geld, um monatelang reisen zu können.

Was danach sein würde, wusste ich nicht. Gefühle wie Erleichterung und Freiheit krochen langsam in meinen Körper.

Ich reiste durch einige Länder, die meiste Zeit alleine. Jeden Tag aufs Neue durfte ich Entscheidungen treffen. Nicht für das Team. Nicht für das Unternehmen. Nur für mich. Musste niemandem Rechenschaft ablegen. Durfte verweilen, beobachten und einfach nur sein. Ich begann zaghaft, wieder in Kontakt mit mir und meinen eigenen Bedürfnissen zu kommen. Ich hatte ja keine Ahnung, was da auf mich wartete, als ich in Kambodscha kurzentschlossen meiner Neugier und meinem Bauchgefühl folgte und einen Flug nach Kathmandu buchte.

In Nepal angekommen, besuchte ich einen Ashram. Das wollte ich immer schon mal erleben, seit ich den Film Hotel Very Welcome gesehen hatte. Also tauschte ich westliche Kleidung gegen eine rote Robe und stürzte mich ins Ungewisse. Ein straffer Stundenplan mit Yoga und sechs Stunden Osho Body Dynamic Meditation wurden mir gereicht. Für zwei Wochen stieg ich aus der Gesellschaft aus und ging in die Innenschau. Ich war bereit und ließ mich mit der Offenheit eines Kindes auf alles ein, was dort passierte.

Wenig später schmolz mein westlicher Panzer in den Parkettboden der Meditationshalle.

Ich weinte, schrie und spürte meine Wut.

Da waren sie auf einmal, die ganzen Gefühle, die ich nicht haben wollte. Und gleichzeitig war dieses tiefe Wissen in mir, dass gerade Heilung geschieht.

Heilung geschieht, wenn der Verstand nicht mehr die Führung übernimmt. Wenn ich den Kampf nicht mehr kämpfe. Mich dem Leben hingebe.

Ich habe mich hingegeben. Mich geöffnet und gemerkt, dass da eine zarte Seite in mir ist, die gesehen werden will. Und eine ganz starke Seite, die sich entspannen darf. Die Idee vom Selbstmitgefühl war geboren und hielt Einzug in mein Leben.

Das dritte Beben – Die Erschütterung meiner Welt

Wenige Tage nach dem Besuch im Ashram wollte ich nach Indien aufbrechen und noch mehr entdecken. Ich war gestärkt und hatte ein Stück zu mir selbst gefunden.

Doch es kam anders. Ein Jahrhunderterdbeben der Stärke 7,8 erschütterte Nepal. Es beendete tausende Menschenleben binnen weniger Minuten. Ich überlebte. In einem Hotel in Kathmandu kauerte ich vor meinem Bett, während die Erde fast zwei Minuten lang bebte und Häuser zusammenstürzten. Mein Hotel blieb stehen. Viele um mich herum nicht.

Das erste Mal reale Todesangst gehabt zu haben, hat mich geerdet. So sehr, wie nichts anderes es vermocht hätte. Da war sie nun, die Erschütterung meiner Welt, um die ich innerlich unbewusst gebeten hatte. Eingestürzte Mauern, Strommasten in Autodächern. Als ich durch die Straßen lief und das Ausmaß der Zerstörung sah, fasste ich einen Entschluss. Ganz gleich, wie kaputt es in mir und in dieser Stadt gerade aussah: Ich wollte bleiben, um mich zu heilen und den Menschen hinzugeben, die Hilfe brauchten.

Wir schliefen nun in Zelten. Dort fassten wir - eine handvoll Nepali und ich - den Entschluss, Geld für Zelte, Reis und Linsen zu sammeln, um in den Bergdörfern die schlimmste Not zu lindern. Ohne mein neu gewonnenes Selbstmitgefühl und den tiefen Kontakt zu mir wäre ich wohl schnell abgehauen. Der Militärflieger, der im Flugzeugbauch Touristen nach Indien mitnahm, flog jedoch ohne mich los. Ich blieb. Entschieden. In meinem ganz eigenen Schmerz und dem des Landes.

Unsere Hilfsorganisation “Garden of Hope Kathmandu” gibt es noch immer. Sie wird voller Stolz von den Menschen geleitet, mit denen ich sie damals aufgebaut hatte. Sie führt Touristen nicht nur durch Nepals atemberaubend schöne Natur und die Berge, sondern ermöglicht ihnen auch, an den richtigen Stellen zu helfen.

Die Angst ist für mich

Es gibt mich immer noch. Nur anders. Anders als vor dem Erdbeben. Zurück in Deutschland brachten posttraumatische Belastungsstörungen meine Welt immer wieder ins Wanken.

Ich suchte mir Hilfe. Mit Coachingsitzungen und Psychotherapie lernte ich mich besser kennen und merkte, dass ich immer noch ab und zu zynisch mit mir selbst sprach und meine Ansprüche an mich oft noch zu hoch waren.

Vor allem aber lernte ich, dass ich bestimmte Gefühle als gut bewertete und andere nicht haben wollte. Immer noch nicht. Ich wollte keine Angst haben, sobald eine Brücke, auf der ich mit vielen Menschen lief, leicht in Eigenschwingung geriet. Ich wollte den Drang loswerden, in jedem Raum, in dem ich mich aufhielt, den Fluchtweg kennen zu müssen. So entwickelte sich bei mir eine Angst vor der Angst. Erst als mein Therapeut mir sagte, dass meine Angst vor Erdbeben und meine seismografische Empfindlichkeit gegenüber Erschütterungen gut für mich seien, begann ich zu begreifen: Meine Angst hat mir das Leben gerettet. Sie war und ist wichtig für mich. Sie wird mich in Zukunft immer früh warnen, wenn es ähnlich gefährlich werden könnte, wie damals in Kathmandu.

Als ich aus Nepal zurückkam, war mir klar, dass es Zeit wurde, mich selbstständig zu machen. Mich zu zeigen und meine Talente in die Welt zu bringen. Ich hatte genug Mut für diesen Schritt gesammelt. Ich wollte Menschen und Unternehmen dabei helfen, wirklich zu wachsen und authentisch zu leben und zu wirken.

Mittlerweile begleite ich Menschen auf dem Weg, neu über sich und die Welt zu denken und ihre Gefühle vollständig zu fühlen.

Bist du bereit, deine eigene Melodie zu spielen?

Mein Therapeut sagte einmal zu mir:

„Sei liebevoll zu dir selbst, wenn die Angst kommt und danke ihr. Sie trägt eine Botschaft in sich.“

Was will mir dieses Gefühl sagen? Vielleicht bin ich gerade irgendwie überfordert. Ich merke, dass ein Gefühl von Angst oder Scham in mir aufsteigt. Ich beobachte das Gefühl. Ich bin dieses Gefühl aber nicht. Ich lasse es mal zu und akzeptiere, dass es da ist. Ich gebe mir die volle Erlaubnis. Ich erlaube mir zu weinen, verzweifelt zu sein, mich klein zu fühlen oder Wut zu empfinden. Ich weiß, dass es nur temporär da ist und wieder gehen darf, sobald ich bereit bin, es zu fühlen. Kein Gefühl ist für immer.

Ich muss nichts aushalten. Ich muss mich nicht „zusammenreißen“. Das Wort „müssen“ verwende ich seit einigen Jahren sehr viel bewusster. Ich muss atmen, essen, schlafen und sterben. Alles andere ist erstmal verhandelbar.

Stell dir vor, deine Gefühle sind Tasten eines Klaviers.

Du kannst jederzeit die Melodie hören.

Wenn du allerdings aus Angst vor all deinen Gefühlen nur acht Tasten bedienst, wirst du nur Kinderlieder spielen können und die Lieder werden berechenbar und eintönig klingen.

Wenn du aber entdeckst, dass dir 88 Tasten zur Verfügung stehen, du also alle Gefühle fühlen kannst und dich dabei nicht verurteilst, entsteht etwas Neues.

Anfangs klingt es vielleicht noch ungelenk, weil du ja nur wenige Tasten kennst.

Aber bald wirst du spüren, dass auch die ganz tiefen Töne ihren Zauber haben und die ganz hohen Töne deiner Melodie einen besonderen Glanz verleihen.

Selbstmitgefühl ist dein Notenschlüssel, die Lust auf Entwicklung deines Rhythmus’.

Es wird eine einzigartige und faszinierende Melodie.

Bist du bereit, sie zu spielen?

Willst du mit mir gehen, Herz?

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